Protestbrief von Hans Branscheid gegen die Bagdadreise des Landtagsabgeordneten Jamal Karsli
Brief an Claudia Roth, Beer MdB, LV NRW, sowie sämtliche Ortsvereine, Landesverbände und Politiker Bündnis 90/Die Grünen
Thu, 12 Jul 2001 14:11:51 +0200
Internationaler Verein für Menschenrechte der Kurden (IMKe.V.), Wadi e.V., medico e.V.
Hans Branscheidt
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medicoBranscheidt@-online.de Tel. 06171 74135 Fax: 06171 73269
An Landesvorstand Bündnis 90 / Die Grünen NRW
Zur Kenntnis
An Frau Claudia Roth MdB Sprecherin des Bundesvorstandes Bündnis 90 / Die Grünen, Berlin
Sehr geehrte Frau Abgeordnete Claudia Roth, Liebe Claudia,
Zu unserer großen Bestürzung erfahren wir von der Tatsache der kürzlichen politischen Visite eines Parlamentariers Ihrer Partei in Baghdad und von dessen förmlichen Gesprächen und Kontakten mit Vertretern des international geächteten Regimes des Kriegsverbrechers Saddam Hussein.
Der nordrheinwestfälische Landtagsabgeordnete Jamal Karsli, - von ihm ist die Rede hat sich anläßlich einer sogenannten "Solidaritätsreise" Richtung Baghdad nach eigenem öffentlichen Eingeständnis mit führenden Repräsentanten des dortigen Regimes getroffen, darunter auch der Vorsitzende der deutsch-irakischen Freundschaftsgesellschaft und ehemalige Botschafter des Irak in Paris und Berlin, der seinerzeit persönlich verantwortlich zeichnete für den Einkauf der Waffen- und Giftgastechnologie, die nach dokumentierbarer Ansicht des UN-Rapporteurs Max van der Stoel zu genozidalen Zwecken gegen die irakische Zivilbevölkerung zum Einsatz kamen.
Zu den skandalösen Begleitumständen dieser Reise gehört auch die ebenfalls von ihm selbst eingestandene Tatsache, daß MdL Karsli sich einen Teil der Reisekosten (Hotel, Transport, Verpflegung) von der irakischen Diktatur Regierung bezahlen ließ. Auch ein weiterer Begleitumstand von äußerster Fragwürdigkeit hat den Parlamentarier Ihrer Partei offenbar nicht gestört: umgeben und beteiligt zu sein an einer Tournee, die von einer illustren Equipe begleitet und vorbereitet wurde, zu denen beispielsweise Personen wie der ehemalige Top-Stasi-Agenten bei der NATO in Brüssel Reiner Rupp (Deckname "Topas") gehörten oder der in gleicher Weise bekannt geworden Klaus von Raussendorff sowie von dem notorischen Elia Baz, dessen Deutsch-Arabische Friedensgesellschaft von einem Alfred Mechtersheimer gegründet wurde, mit dem die Partei Bündnis 90 / Die Grünen eigentlich ausreichend negative Erfahrungen gesammelt haben sollte.
Nach uns vorliegenden Einsichten und Informationen hat sich keiner der Teilnehmer bei den diversen Gruppen-Zusammenkünften mit dem Regime oder gegenüber der irakischen Presse oder auch nach der Rückkehr gegenüber den deutschen Medien mit nur einem einzigen kritischen Wort zu den bekanntlich andauernden Verbrechen (Zwangsarabisierung und Vertreibung der Kurden bei Kirkuk, Brutale Gefängnissäuberungen mit tausenden von Toten) des Regimes bereit gefunden.
Dreizehn Jahre nach Halabja verstößt ein prominentes Mitglied Ihrer Partei damit gegen alle politischen Beschlüsse und moralischen-politischen Erklärungen, die von den Grünen angesichts der genozidalen Verbrechen der sogenannten Anfal-Kampagnen des Regimes ausgesprochen wurden.
Höchst bedenklich ist auch, daß Karsli, als der migrationspolitische Sprecher der Landtagsfraktion Bündnis 90 / Die Grünen, mit keinem Wort auf die aktuelle Massierung von irakischen Truppen an den Grenzen der kurdischen Autonomiegebiete im Nordirak eingegangen ist: ein für die nahe Zukunft höchstwahrscheinlicher Einmarsch, der zu einer Massenflucht von bis zu 1,5 Mio. Menschen führen kann eine Gefahr, die in der Bundesrepublik Deutschland nicht übersehen werden sollte.
Schließlich handelt MdL Karsli auf diese Weise auch gegen fundamentale Festlegungen der deutschen Außenpolitik, wie sie durch den den Außenminister Joseph Fischer vor der Menschenrechtskommission in Genf, März 2000, fixiert worden sind:
"Der Schutz der Menschenrechte ist eine Grundfrage menschlicher Ethik. Deren Kernbestand, die universalen menschlichen Grundrechte, ist unveräußerlich. Er kann deshalb nicht gegen andere außenpolitische Ziele, etwa im Wirtschaftsbereich, aufgerechnet werden."
In krassem Widerspruch zu solchen Auffassungen nimmt der Landtagsabgeordnete Karsli anläßlich seines Aufenthaltes im Irak obendrein an einer vom dortigen Regime finanzierten und organisierten Sightseeing-Tour teil, die ihn in die Marshgebiete im Süden des Irak führt. Um dort kritiklos-stumm aus Gründen seiner persönlichen Recreation auf einer der dortigen letzten sogenannten "Schwimmenden Inseln" im Deltagebiet der großen Flüsse zu verweilen, dessen nahezu vollständige Vernichtung durch den UN Beauftragten Töpfer soeben als ein "außerordentliches ökologisches Verbrechen" vor kurzem verurteilt worden ist. Auch die pressenotorische Tatsache eines zur selben Zeit im Marshgebiet stattfindenden großangelegten erneuten Vernichtungsfeldzugs gegen die dortige oppositionelle Bevölkerung vermochte diesen "furchtbaren" Parlamentarier nicht zu erschrecken.
Seit langem beobachten wir und andere Menschenrechtsorganisationen mit Bestürzung, wie hiesige Vorfeldorganisationen des irakischen Regimes dessen Propaganda kolportieren. In der erkennbaren Absicht, die blutige Diktatur Saddam Husseins international wieder salonfähig zu machen.
Aus dieser Erkenntnis heraus wenden wir uns heute in großer Sorge an Sie als eine uns allen bekannte, anerkannte und geschätzte Repräsentantin menschrechtlicher Belange in Ihrer Partei und auch in aller Öffentlichkeit.
Daß allein die Tatsache von 600 im vergangenen Jahr durch das Saddam Regime enthaupteter Frauen ein nicht hinzunehmendes entsetzliches Verbrechen bedeutet, muß Ihnen sicher nicht gesagt werden, - wohl aber dem Abgeordneten Jamal Karsli.
Wir bitten Sie daher heute herzlich-dringend, ein entscheidendes Wort zu sprechen und geeignete Maßnahmen zu ergreifen, daß weder Herr Karsli noch möglicherweise andere Mitglieder und Repräsentanten Ihrer Partei politische Kontakte zur Diplomatie des Genozids eröffnen.
Dies gilt auch für die Regierung selber, die auf keinen Fall den von irakischer Seite soeben angekündigten Besuch des Deputy Foreign Ministers des Irak, Nuri Al Ways, bestätigen sollte. Auch für ihn, wie für alle anderen ausgesandten Auftragspersonen Saddam Husseins, sollte der konsequent abschlägige Bescheid der Bundesregierung zum Prinzip werden.
Dies ist die Regierungskoalition den Opfern von Halabja schuldig.
Mit herzlichen Grüßen
Für die Unterzeichner
Hans Branscheidt
cc: Angelika Beer, Landesvorstand NRW Bündnis 90 / Die Grünen, Partei Bündnis 90/Die Grünen