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Die Tragödie im Irak

Bericht über eine europäische Solidaritätsdelegation

Von Marion Küpker

(erschien auch in der Zeitschrift Zivilcourage Nr. 3, Mai/Juni 2002. Artikel mit Bilder als PDF-Dokument im Internet unter http://www.dfg-vk.de/zc/2002-03/16.pdf)

Rund 100 Menschen aus 15 europäischen Ländern sowie 30 UniversitätslehrerInnen aus Algerien besuchten im Rahmen einer "Fact Finding Mission" vom 13. bis 27. April den Irak. Organisiert wurde diese internationale Friedensmission von "SOS Irak", Belgien, und der "Holländisch-Irakischen Freundschaftsgesellschaft": "Wir sind hier, um Fakten und Neuigkeiten auszutauschen und das Leiden der irakischen Bevölkerung im Westen bekannt zu machen." Neben 83 Journalisten, TV-Teams, Studenten und Physikern waren ein schottischer und ein französischer Veteran bei der Delegation dabei. Beide hatten 1991 an dem Krieg gegen den Irak teilgenommen und sind durch den Einsatz "abgereicherter Uranmunition" (DU) betroffen. Die Ex-Soldaten wollen mit irakischen Veteranen zusammen kommen, um sich über den Gesundheitszustand auszutauschen und sich für ihre Teilnahme an dem Krieg zu entschuldigen.

Vom 14. bis 16. April fand in Bagdad die internationale Konferenz "Globalisierung und die Auswirkung auf die arabische Ökonomie" statt. SprecherInnen aus Nichtregierungsorganisatoren überwiegend aus dem arabischen Raum, aber auch aus Brasilien, Argentinien, Spanien, Großbritanien und Kanada tauschten ihre Analysen aus und informierten über den Widerstand gegen die Globalisierung der transnationalen Konzerne.
Im Gegensatz zu den Globalisierungstreffen in den westlichen Industrienationen war diese Konferenz nicht von außerparlamentarischen Gruppen und TeilnehmerInnen dominiert, sondern repräsentierte das gesamte intellektuelle Spektrum der irakischen Gesellschaft, das in den weltweit stattfindenden Kämpfen gegen die Globalisierung einen Hoffnungsschimmer für die isolierte und auswegslose Situation des Irak sieht.

Vor Ort teilte sich die Delegation in fünf Arbeitsgruppen auf, mit den Schwerpunkten Gesundheit, Bildung, Uranmunition und Umwelt, Frauen, Kultur und Religion.

Als Auftaktveranstaltung hörten wir als erstes Dr. Al Hashimi mit seiner Einschätzung zur politischen Situation im Irak. Hashimi, Gesundheitsminister und früherer irakischer Botschafter in Bonn, ist Präsident der "Organisation of Friendship, Peace and Solidarity/Iraq":
"Wir sind auf das Schlimmste vorbereitet. Wenn sich die USA entscheiden, den Irak anzugreifen, werden sie es tun, egal welche internationalen Gesetze dem entgegen stehen. Sie werden einen Grund für ihren Angriff benennen, ob dieser der Wahrheit entspricht oder nicht, spielt keine Rolle. Allerdings werden sie ihr Ziel nicht erreichen". Weiter führte er aus: "Bush und Blair sagen: Der Irak könnte Massenvernichtungswaffen haben. Und/oder der Irak könnte danach streben, Massenvernichtungswaffen zu erhalten. Und der Irak könnte sie einer terroristischen Gruppe geben. Und das vierte "könnte": diese terroristische Gruppe könnte die USA angreifen. Alle diese "könnte" würden die USA dazu "zwingen, gegen den Irak vorzugehen".

"Falls Bush und Blair tatsächlich Beweise hätten, anstelle von: "der Irak könnte", würden sie keinen Moment zögern, diese vorzuzeigen. Für den Fall, dass es Beweise geben sollte, gab und gibt der Irak offiziell bekannt, dass er bereit ist, ein britisches Inspektionsteam mit einem internationalem Medienteam zu den gewünschten Orten zuzulassen. Dieser Vorschlag wurde von Blair abgelehnt.
Die US-Regierung sagt, sie würde - sofern das Inspektionsteam nicht nach ihren Bedingungen wieder herein gelassen wird - den Irak wieder angreifen. Okay, sie können uns angreifen, weil sie uns sowieso angreifen wollen. Würden wir sie ohne weitere Kontrolle herein lassen, würden sie sowieso behaupten, dass wir Massenvernichtungswaffen hätten.

Sechs Jahre lang haben die Inspektoren im Irak gearbeitet, tausende von Inspektionen wurden durchgeführt, über fünfhundert Anlagen wurden besichtigt und 1998 haben sie immer noch gesagt, sie hätten ihre Arbeit nicht beendet. Würden sie sagen, dass sie ihre Arbeit beendet hätten, müssten sie die Sanktionen gegen den Irak aufheben. Sie sagen also nicht, dass sie ihre Arbeit beendet haben, und das kann nur zwei Dinge bedeuten: entweder, dass sie nicht qualifiziert genug sind, trotz dieser langen Zeitspanne zu einem Ergebnis zu kommen, oder daß sie qualifiziert genug sind, aber noch keine Entscheidung darüber haben, ob sie die Sanktionen aufheben wollen. Wir alle wissen, dass sie qualifiziert sind."

Der frühere UN-Waffeninspekteur Scott Ritter hat vor diesem Hintergrund seine Arbeit bei der UNO niedergelegt. Der Irak wird selbst keine Atomwaffen herstellen können, da er keine Anlagen dafür besitzt. Um waffenfähiges Uran zu erhalten, braucht ein Land Atomkraftwerke, um dann in so genannten Wiederaufarbeitungsanlagen Plutonium herzustellen. Iraks einziges noch nicht fertig gestelltes AKW wurde bereits 1982 von Israel bombardiert und damit zerstört. Das Schmuggeln neuer Waffen und Trägersysteme aus dem Ausland würde nicht wirklich geheim gehalten werden können.

Um so erschreckender ist die Tatsache, dass der Irak selbst 1991 massiv den Einsatz von Massenvernichtungswaffen, wie die DU-Munition weltweit von Nichtregierungsorganisationen nach internationalen Gesetzen eingestuft wird, erfahren hat. Die irakische Bevölkerung, die bis heute gegen die Auswirkungen meist eher erfolglos ankämpft, würde in einem erneuten Krieg diesem wiederholt ausgesetzt sein. Da das Leid der irakischen Menschen schon jetzt kaum in Worte zu fassen ist - laut Angaben der UNESCO sterben im Irak monatlich ca. 6000 Kinder, womit der Irak weltweit mit an oberster Stelle steht, fällt einem zu dieser Absurdität kaum noch etwas ein.

Als Teil der DU-Arbeitsgruppe konnten wir in Bagdad sowie in Basra das Kinderkrankenhaus und das Basrah Teaching-Krankenhaus besuchen. Wir hatten Gespräche mit dem Atomphysiker Dr. Baha Marouf und hörten Vorträge von dem Gesundheitsminister Dr. Mubarak, Dr. Al-Azzawi vom Umwelt Energie Department, Dr. Jawad Al-Ali, Dr. Abdel Abbas vom Kinderkrankenhaus in Basrah und dem General Abdul Wahab. Einige GesprächspartnerInnen sind uns vorgeschlagen worden, andere wiederum haben wir selbst kontaktiert und hatten dabei keine Probleme, eigenständige Treffen mit ihnen zu organisieren. Ein unabhängiger irakischer DU-Experte konnte uns während unseres Aufenthaltes in Basra und zu dem Schlachtfeld "Highway of Death" an der kuwaitischen Grenze begleiten. Unsere Befürchtung, von der irakischen Regierung mit propagandistischen Falschinformationen überhäuft zu werden, war im Nachhinein betrachtet teilweise paranoid: Ungereimtheiten und Widersprüche wurden in gemeinsamen ehrlichen Gesprächen schnell gelöst und das Verständnis der dortigen Situation vertiefte sich. Wer allerdings seine/ihre Vorurteile nur bestätigt sehen wollte und nicht offen für einen Dialog war, ist aber sicher auch zu anderen Ergebnissen gekommen.

Auswirkungen der DU-Munition im Irak im Zusammenspiel der Sanktionen

1991 wurden auf dem Schlachtfeld "Highway of Death" im Süden Iraks, südlich der 2-Millionen-Stadt Basra an der kuwaitischen Grenze, mindestens 300 Tonnen DU-Munition eingesetzt. Weitere Einsatzorte sind im ganzen Irak entdeckt worden, so ist z.B. Mosul im kurdischen Norden davon betroffen.

Bis 1994 hatte die irakische Regierung keine Ahnung über den Einsatz von radioaktiven Waffen. DU besteht zu über 99 Prozent aus Alpha-Strahlung und der Rest aus Gammastrahlung. Geigerzähler messen in der Regel Gamma- und Betastrahlung. Alphastrahlung reicht nur wenige Millimeter, ist dafür aber extrem radikaler als Gamma- und Betastrahlung. Diese Besonderheit hat zur Folge, dass eine stark erhöhte Gammastrahlung nur dort auftritt und deutlich gemessen werden kann, wo die Munition eingeschlagen ist, z.B. im Panzer, oder wo die Munition offen als Blindgänger herumliegt.

Wir konnten auf dem Schlachtfeld an Panzereinschlagslöchern sowie bei einer Ölpumpstation, auf der noch offen Munition herumlag, die 200-fache Erhöhung der normalen Hintergrundstrahlung (Gammastrahlung) messen! Die ungemessene Alphastrahlung muss dort extrem viel höher sein und stellt bei Inhalation oder auch durch direkte Berührung eine große Gefahr dar.

"Extern" stellt DU tatsächlich, wie gerne aus Regierungskreisen der für den DU Einsatz verantwortlichen Länder behauptet wird, keine große Gefahr dar. In Ökosystemen gibt es allerdings kein "extern": über Pflanzen, Tiere, Luft und Wasser gelangt DU in die Nahrungskette. Soldaten aller beteiligten Kriegsparteien wurden bei dem Einsatz von DU direkt betroffen. DU entzündet sich durch den Aufprall und verbreitet sich in der Luft in Form kleinster Partikel bis zu 100 Kilometer weit.

Die betroffene Bevölkerung wurde genauso wie die Beduinen, die dieses Schlachtfeld jährlich fünf Monate lang als Weideland für ihre Kamele benutzen, erst ab 1994 vor der Verseuchung gewarnt. Bei der Bevölkerung, die deshalb in einen Ort kurz vor Basra gezogen ist, wurde vermehrt das erstmalige Auftreten von "Familienkrebs" beobachtet, dass also die gesamte Familie von Krebserkrankungen betroffen ist. Tausende von Panzern sind u.a. auch von Beduinen nach 1991 selbst bis ganz nach Bagdad zum Ausschlachten mitgenommen worden. Kolben und andere Metallteile wurden zu wertvollen Rohstoffen, z.B. bei der provisorischen Wiederherstellung der Brücken, sowie der gesamten gezielt zerstörten Infrastruktur. Die Sanktionen verhindern den Import wichtiger Ersatzteile.

Das Bekanntwerden u.a. der Verstrahlung der Panzer, auf denen besonders Kinder gerne spielen, hat die Regierung veranlasst, einen Teil davon in die Wüste in "Wadis" zu schleppen und einzuzäunen. Man erhoffte sich davon, dass der Regen alles sauber wäscht. Dass hierdurch das Trinkwasser und die Arbeiter, die diese Panzer ohne Schutzanzüge dorthin transportiert haben, verseucht sein müssen, ist eine allerdings logische Schlussfolgerung.

Die Wüstenwinde verteilen die radioaktiven Substanzen weiter auf das Weidegras der Schafe, der Kamele und auf die Gemüsefelder der Siedlungen in immer entferntere Gebiete. Menschen, die aufgrund ihrer Nähe zu den radioaktiven Quellen besonders stark verstrahlt wurden, wie z.B. Soldaten, haben u.a. durch ihre Kleidung das Personal in den Lazaretten verstrahlt, was sich dann in den zivilen Krankenhäusern fortsetzte.

US-amerikanische und britische Veteranen haben festgestellt, dass sich ihr durch DU verseuchtes Sperma auch auf die Gesundheit ihrer Frauen überträgt und zudem zu genetischen Schäden ihrer neugeborenen Kinder führt. Die Anzahl von Krebserkrankungen im Irak ist dramatisch gestiegen, und es treten neue noch nie dagewesene Krebsarten auf. So gibt es seit 1996 in Basra erstmalig sieben Fälle von "Doppelkrebs" - Patienten sind von zwei verschiedenen Krebsarten gleichzeitig betroffen. Es gibt 14-jährige Mädchen, die an Brustkrebs erkrankt sind.

Aufgrund der Sanktionen haben Ärzte kaum eine Chance zu helfen: Medikamente zur Krebstherapie werden wegen des sog. "dual use" vorenthalten, entsprechende Geräte zur Krebsfrüherkennung, die eine Aussicht bei der Behandlung erzielen könnten, werden vom UN-Sanktionskomitee (und damit zu 90 Prozent von den USA und zu 10 Prozent von Großbritannien) abgelehnt.

Die Sanktionen verhindern immer noch die Wiederherstellung der Trinkwasserversorgung durch die Versagung wichtiger Ersatzteile. Selbst Krankenhäuser verfügen nicht über sauberes Trinkwasser, so dass die Menschen durch Durchfallerkrankungen zusätzlich geschwächt sind, leichter erkranken bzw. schwerer, falls überhaupt, genesen.

Die Beschreibung der Tragödie ließe sich problemlos weiter vertiefen: um so erschreckender ist die Tatsache, dass die internationale Gemeinschaft dem Druck der USA nicht widersteht und die UNO daher eine Studie über die Auswirkungen der DU-Munition auf die Krebserkrankungen im Irak erst kürzlich abgelehnt hat. Die Verantwortung für diese Krebserkrankungen soll im Unklaren bleiben, um sie so auf die irakische Regierung schieben zu können.

Irak hatte selbst einen Großteil seiner Ölförderanlagen in Brand gesteckt, um der Siegermacht USA den Zugang zu vereiteln. Eine toxische Vergiftung weist auf einen anderen Kurvenverlauf als beim Anstieg in der Statistik bei den Erkrankungen durch Radioaktivität hin. Auch treten in Gegenden, wo bekanntermaßen viele Chemieanlagen bombardiert wurden, aber kein DU zum Einsatz kam, andere Krebsarten vermehrt auf als in von DU betroffenen Regionen ohne Chemieanlagen. Wir werden nicht drum herum kommen, eine unabhängige Studie mit internationalen Experten in Zusammenarbeit mit internationalen Medien selbst zu organisieren.

Marion Küpker ist engagiert in der GAAA (Gewaltfreie Aktion Atomwaffen Abschaffen) und war im Auftrag der DFG-VK bei der Reise in den Irak dabei.