Serie »Unterwegs in einem belagerten Land« (II):
»Wir werden uns verteidigen«
Keiner im Irak will einen weiteren Krieg, doch alle bereiten sich notgedrungen darauf vor
Rüdiger Göbel, junge Welt vom 09.04.2002
Wie bereitet sich ein Land vor, dem George W. Bush den Countdown zum Krieg angezählt hat? »Ich weiß nicht, was ich tun soll, wenn die Amerikaner uns wieder bombardieren.« »Ich weiß auch nicht, ob es noch einen Krieg geben wird. Doch was kann ich schon machen?« Zuhauf bekommt der Fragende im Irak Antworten wie diese. Auf den Straßen Bagdads herrschen Gleichmut und Apathie. Die natürliche Angst vor einem neuerlichen Waffengang ist stereotypem Fatalismus gewichen. Seit über 20 Jahren befindet sich das Land zwischen Euphrat und Tigris im Krieg, mal mehr, mal weniger. Über eine Dekade werden die Menschen zudem ausgezehrt von einem Embargo, das als einmalig in der Geschichte bezeichnet werden kann, sowohl was Dauer der Blockade wie mörderische Auswirkungen auf das Gros der Bevölkerung betrifft. Das Leben steht still und geht doch weiter, weil es muß.
Dafür, daß sich Irak faktisch im Kriegszustand befindet - US-Präsident George W. Bush und der britische Premier Tony Blair haben erst am Wochenende ihre Absicht bekräftigt, die Führung in Bagdad gewaltsam stürzen zu wollen -, ist in der Öffentlichkeit nur wenig an Militär zu sehen. Auch bei der Fahrt über Land sind nirgendwo Truppenkonzentrationen zu bemerken, hin und wieder auf der Straße allenfalls zwei, drei Soldaten an einem kleinen Checkpoint, die mehr den Verkehrsfluß behindern als wirklich Fahrzeuge zu kontrollieren. Am International Saddam-Airport am Stadtrand von Bagdad steht nur eine Handvoll Flakgeschütze. Bei der Vorstellung eines drohenden Luftkrieges machen sie eher einen jämmerlichen Eindruck als daß sie Verteidigungsfähigkeit einer einstigen Mittelmacht demonstrieren.
Abdel Razzar Al-Hashimi gibt sich, wenn nicht siegesgewiß so doch kampfbereit. »Wenn die USA entscheiden, uns zu bombardieren, dann können wir nichts tun. Aber wir werden uns verteidigen, so gut wir können«, sagt er mit fester, mahnender Stimme. Das gehört zum Job. Dr. Al-Hashimi ist Berufspolitiker, zuständig für Außenpolitik in der regierenden Baath-Partei und über seinen Vorstandsposten in der »Gesellschaft für Frieden, Freundschaft und Solidarität« verantwortlich für die Kontakte zu Nichtregierungsorganisationen in aller Welt. »Irak anzugreifen, wird kein Spaziergang oder Picknik«, warnt er. »Das hier ist nicht Afghanistan. Und selbst dort haben die Amerikaner keinen Sieg errungen! Oder glauben Sie das?«
Auch Manal Younis Abdul Razak Al-Aloussi klingt kämpferisch. Die Vorsitzende der Föderation der irakischen Frauen erklärt mir nicht ohne Stolz, jeder und jede im Land seien bereit zur Verteidigung. Ihr Wort hat Gewicht. Immerhin gehören der nominell nichtstaatlichen Organisation 1,2 Millionen irakische Frauen an. »Der Krieg der USA gegen uns hat keine Front im klassischen Sinn. Es ist eine Aggression gegen die gesamte Gesellschaft.« Die Bevölkerung sei militärisch ausgebildet, jeder könne mit einem Gewehr umgehen. »Jährlich finden Übungen statt, an denen von der Großmutter über die Mutter bis hin zur Tochter und Enkelin alle teilnehmen. Wir alle sind dazu ausgebildet und fähig, unser Land zu verteidigen, Stadt für Stadt, Straße für Straße, Haus für Haus. Nicht nur mein Mann, mein Sohn oder mein Bruder können das, auch ich bin dazu in der Lage, zur Waffe zu greifen.« Erst vor ein paar Tagen habe wieder eine solche »Notfallübung« in ihrem Viertel stattgefunden, berichtet Manal Younis selbstbewußt weiter.
Zweckoptimismus? Was mögen Gewehre ausrichten gegen lasergesteuerte High-Tech-Raketen oder gar Atombomben, mit deren Einsatz der US-Präsident schon drohte?
Der 13. Februar 1991 prägt Leben und Denken der Iraker bis heute. Über 400 Menschen, ausschließlich Frauen und Kinder, sind damals im Schutzbunker Al Amariya in Bagdad ums Leben gekommen. Ausgerechnet dort, wo sie vor den US-Angriffen Zuflucht gesucht und sich sicher gewähnt hatten. Den Glauben, es könnte einen Schutz vor den Bomben made by USA geben, haben die Menschen in dem geschundenen Land seitdem verloren. Jeder kennt die Geschichte, weiß von den zwei Raketen, die den Zufluchtshafen in ein flammendes Inferno verwandelt haben. An den rußgeschwärzten Wänden hängen die Bilder der Opfer, Plastikblumbengebinde säumen den Rundgang, der Schutzbunker ist seit mehreren Jahren museale Totenhalle und Mahnstätte wider den Krieg.
Intesar El Samarai arbeitet seit 1995 im zerstörten Al-Amariya-Schutzbunker. Es ist angenehm kühl drinnen, während auf der Straße die Sonne brennt. An die 200 Gruppen führt die Direktorin im Monat durch die Dunkelkammer des Todes, zeigt ihnen die kleinen Kinderhände, von der Wucht der Explosion und der Hitze der Feuersbrunst in die Decke eingebrannt, erzählt Schicksal auf Schicksal. Alle Bombentoten kennt sie mit Namen, weiß, was aus den Familienangehörigen geworden ist, die überlebt haben. »Ich erkläre jeden Tag, jede Stunde, was hier am 13. Februar 1991 passiert ist«, sagt Frau El Samarai mit ruhiger Stimme. Hinter ihr ragen verkrümmte Stahlträger und zerrissene Eisenmatten von der Decke, klafft durch meterdicken Beton das Loch, das eine der Raketen seinerzeit gerissen hat.
Wie sie das aushält, tagein, tagaus zwischen Tod und Leben zu sein, frage ich sie. »Ich will der ganzen Welt zeigen, was hier geschah. Das ist mein persönlicher Kampf gegen den Terrorismus.« Am Ende fragt mich Frau El Samarai stolz: »Wissen Sie, was Intesar bedeutet?« »Nein.« »Intesar heißt Sieg.«
* Morgen: Schiiten rufen zum Widerstand