Prof. Dr. Ulrich Gottstein
Bericht aus dem Irak (Juni 2001)
Mit erstem Direktflug Frankfurt-Bagdad besuchte Prof. Dr. Ulrich Gottstein für die IPPNW nach dem Dezember 1990 zum 8. Mal Irak.
Obgleich der Sanktionsausschuss der Vereinten Nationen Reisen nach dem Irak nie verboten hatte, wenn sie keinen politischen oder Handels- zwecken dienten, war es bis zum letzten Jahr nicht möglich, nach dem Irak zu fliegen. Die Regierungen von den USA und Großbritannien wollten die totale Isolierung Iraks, und gegen diese strikte Forderung wagte keine Regierung zu verstoßen. Unsere IPPNW-Reisen, um Medikamente, Babynahrung und Hospitalbedarf zu den Krankenhäusern Iraks zu bringen, konnten daher stets nur via Amman und dann durch die Wüste mit LKWs erfolgen. Ende Dezember 2000 "durchbrachen" einige arabische und afrikanische Staaten die "Verbote" und schickten Delegationen im Direktflug nach Bagdad, nachdem zuvor die Genehmigung des Sanktions- ausschusses der UN eingeholt worden war. Dann folgten "mutige" andere Staaten, wie Jordanien, Ägypten , Frankreich, Griechenland, Russland, schließlich Süd-Afrika und die Türkei, und nun sollte auch von Deutschland aus ein Direktflug organisiert werden, bereits im Januar diesen Jahres. Nach viermaligen vergeblichen Versuchen (Druck aus den USA und UK auf die verabredeten Luftlinien) fand sich endlich die "Bulgarian Charter Airways" bereit, von Frankfurt aus direkt nach Bagdad zu fliegen. Dies geschah am 1.Juni, nachdem die Zustimmung des Sanktionsausschusses und der deutschen Regierung eingeholt worden war. Die Organisation lag in den Händen der "Deutsch-Irakischen Gesellschaft e.V.", deren Präsident der Orientalistikprofessor Dr. Sommerfeld /Univ. Marburg ist.
Die 122 Teilnehmer setzten sich aus 10 Ärzten (zwei davon IPPNW), aus Vertretern humanitärer Organisationen, aus einigen Industrie- repräsentanten, 3 Landespolitikern (SPD, Grüne, PDS) und vor allem aus deutsch-irakischen Familien, einige mit Kindern, zusammen.
Ich nutzte die drei Tage zu Besuchen und Gesprächen mit Ärzten und Direktoren im Univ. Kinderklinikum, sowie im zentralen Institut für Onkologische Chemo- und Strahlentherapie, ferner mit Fachvertretern in den Büros der WHO und UNICEF. Ich erhielt weitgehend zuverlässige Angaben über die nach wie vor doppelt hohe Säuglingssterblichkeit und von Kindern unter 5 Jahren (noch immer sterben etwa 5.000 an Infektionen und Unterernährung monatlich, zumal wegen der zerstörten Wasserwerke und Reinigungswerke das Trinkwasser immer noch nicht überall aus der Leitung erhältlich und zuverlässig steril ist) sowie über Mortalitäts- und Morbiditätsstatistiken, über die unzureichende Ernährung aller unbemittelten Familien (und das sind mindestens 60% der Bevölkerung). Das monatlich vom Staat gratis verteilte Lebens- mittelpaket erlaubt nur etwa 1.800 Kalorien/Tag mit Erbsen, Mehl, Zucker, Speiseöl, Tee, aber ohne Fleisch, Eier, Milch (letztere nur für Kinder bis zum 1.Lj.). Wer nicht auf dem freien Markt einkaufen kann (16 Eier kosten 2.000 Dinar, und 2.000 Dinar = 1 Dollar ist das Monatsgehalt der meisten einfachen Leute!) erleidet Proteinmangel und außerdem erhebliches Untergewicht. 800.000 Kleinkinder sind be- drohlich unterernährt (WHO).
Entsprechend ist es mit teuren Medikamenten sowie Hospitalbedarf (etwa Nahtmaterial, Anästhesie). Obgleich diese Artikel nicht unter die Sanktionen fallen, muss alles beim Sanktionsausschuss bestellt werden, und wird dann im Schneckentempo in New York bearbeitet. Dadurch, und wegen der Geldknappheit, (dem Irak ist ja freier Handel nicht erlaubt, die Erlöse vom Ölverkauf gehen auf ein Sperrkonto in New York, von dem die UN die Einkäufe, sowie die Entschädigungszahlungen an Nachbarländer und an die UN bezahlen) und wegen vielfacher Nichtgenehmigung wegen angeblich "dual use" -Möglichkeiten, ist eine effektive Therapie, z.B. von kindlichen Leukämien sowie von Krebskrankheiten bei Erwachsenen zumeist nicht möglich. "Wer reich ist hat eine Überlebenschance, wer arm ist, wird zumeist sterben", und das trifft besonders auf die vielen kindlichen Leukämien zu, die man doch heutzutage unter guten Bedingungen heilen kann.
Das zentrale Strahleninstitut hat lediglich noch 2 Bestrahlungsgeräte in Betrieb (17 Jahre alt), keinen Linearbeschleuniger, keine Gamma Kamera etc, weil nicht genehmigt. Die anderen Geräte sind wegen fehlendem Service durch die Herstellerfirmen (zumeist USA) und fehlenden Ersatz- teilen nicht mehr einsatzfähig.
Die Stimmung im Lande ist gedrückt, apathisch, hoffnungslos. Die Eltern und Großeltern sind nicht nur wütend, weil es ihnen selber schlecht geht (nur wer "legalen-illegalen" Handel über die Grenzen von Türkei und Jordanien treiben kann, oder wer Verwandtschaft im Ausland hat, der Dollar schickt, oder wer einen wichtigen, d.h. regierungsnahen Beruf hat, kann sich auf dem Markt oder im Bazar oder in den Geschäften sehr vieles kaufen), sondern auch weil sie keine Zukunft für die Jugend sehen. Daher besteht ein großer Zorn auf die Regierungen von den USA und Großbritannien, und Hoffnung auf Russland, Frankreich, China, die gern wieder großen Handel mit Irak treiben möchten und sich für die Aufhebung der nicht-militärischen Sanktionen einsetzen.
Die irakischen Ärzte in den Kliniken und Instituten sowie in den von mir besuchten Familien waren sehr dankbar für dieses Zeichen der nicht abgebrochenen Solidarität mit ihnen. Sie sind ja alle an der traurigen Situation nicht schuldig!