Recht und Gewalt
"Diese Aktion ist der Ruf nach einer gesetzlosen Welt, in der die Mächtigen das Sagen haben"
Interview der indischen Zeitschrift Frontline (Nr. 1/99) mit Noam Chomsky über die Bombardierung des Irak im Dezember 1998
Noam Chomsky, Institutsprofessor am Massachusetts Institute of Technology, ist der Begründer der modernen Linguistik und eine der bedeutendsten wissenschaftlichen und intellektuellen Figuren der Nachkriegszeit. Er ist zugleich der vielleicht radikalste Kritiker der Außenpolitik der Vereinigten Staaten nach dem Zweiten Weltkrieg und hat seine furchtlose Kritik immer mit detaillierter Analyse und Dokumentation untermauert.
In diesem Telefoninterview, das er V. K. Ramachandran von seinem Wohnort in Massachusetts aus gegeben hat, spricht Chomsky detailliert über den bewaffneten Angriff der Vereinigten Staaten und Großbritanniens auf den Irak und über die strategischen Hintergründe der US-Politik gegenüber dem Irak. Er bezeichnet das Bombardement des Irak als Kriegsverbrechen:
Auszüge aus dem Interview:
Frontline: Die vereinigten Staaten haben behauptet, sie hätten den Irak bombardiert, weil dieser Waffen der Massenzerstörung produziere, eine besondere Bedrohung seiner Nachbarn und der Welt, besonders deren führender Macht darstelle und sich geweigert habe, mit der UNSCOM zusammenzuarbeiten. Könnten sie einen Kommentar zu den für diese neueste Militäraktion der USA vorgebrachten Rechtfertigungen und zur der Frage des legalen Charakters dieser Aktion abgeben?
Noam Chomsky: Auch ich bin der Meinung, daß Saddam Hussein eine große Gefahr für jeden ist, der sich innerhalb seiner Reichweite befindet, genau wie er es schon in den achtziger Jahren war, als er seine schlimmsten Verbrechen beging. Schon die elementarsten logischen Erwägungen zeigen jedoch, daß dies nicht der Grund sein kann, weshalb die USA und Großbritannien sich gegen ihn stark machen. Seine früheren Kriegsverbrechen wurden mit der massiven Unterstützung der Vereinigten Staaten und Großbritanniens begangen, sogar noch nach der Invasion Kuwaits. So gingen die Vereinigten Staaten im März 1991 sofort zur direkten Unterstützung Saddam Husseins über, als er einen Aufstand im Süden des Irak, der seine Herrschaft hätte stürzen können, unterdrückte.
Was seine Waffen der Massenzerstörung betrifft, so ist diese Gefahr zwar durchaus real, aber der Irak ist keineswegs das einzige Land, das solche Waffen besitzt. Man muß in gleich welcher Richtung nicht weit über den Irak hinausschauen, um weitere Beispiele solcher Länder zu finden, und am allergefährlichsten in dieser Hinsicht sind natürlich die Großmächte. Aber selbst wenn wir unser Augenmerk nur auf den Irak richten, kann das jüngste Bombardement nichts mit der Beschränkung der Produktion von Waffen der Massenzerstörung zu tun haben, denn Tatsache ist schließlich, daß das Bombardement sehr wahrscheinlich zur Förderung dieser Programme beitragen wird. Die einzige Beschränkung, die bisher existierte und darüber hinaus sehr wirksam war, war die regelmäßige Inspektion der UNSCOM. Die irakischen Nuklearwaffenprogramme sind allem Anschein nach durch diese Inspektionen auf Null oder zumindest auf ein sehr geringes Maß reduziert worden. Zweifellos sind die UNSCOM-Inpektoren bei ihrer Tätigkeit behindert worden, aber dennoch haben sie die Kapazitäten des Irak zur Waffenproduktion stark eingeschränkt und eine große Anzahl von Waffen zerstört. Jetzt wird allgemein, im übrigen auch von den USA, davon ausgegangen, daß die Arbeit der UNSCOM als Folge des Bombardements entweder beendet oder sehr stark geschwächt wird. Das kann also nicht der Grund für das Bombardement gewesen sein.
Obwohl auch ich der Meinung bin, daß Saddam Hussein eine ernste Bedrohung für den Frieden bleibt, muß gesagt werden daß es schließlich schon ein Verfahren für den Umgang mit dieser Frage gibt, ein Verfahren, das durch das internationale Recht etabliert worden ist. Diese Prozedur bildet die Grundlage des internationalen Rechts und der internationalen Ordnung und ist außerdem nach der Gesetzgebung der Vereinigten Staaten absolut bindendes Recht. Wenn ein Land, sagen wir einmal, die Vereinigten Staaten, der Auffassung ist, es bestehe eine Bedrohung für den Frieden, muß es sich an den Sicherheitsrat wenden, der die alleinige Autorität hat, auf diese Bedrohung zu reagieren. Der Sicherheitsrat unterliegt der Forderung, sämtliche friedlichen Mittel auszuschöpfen, um diese Bedrohung des Friedens abzuwenden, und wenn der Sicherheitsrat befindet, daß sämtliche derartigen Mittel versagt haben, kann er durch einen spezifischen Beschluß den Gebrauch von Gewalt autorisieren. Unter dem internationalen Recht ist kein anderes Vorgehen gestattet, es sei denn, es handelt sich um das Recht auf Selbstverteidigung, eine Frage, die im vorliegenden Fall irrelevant ist.
Die USA und Großbritannien haben sehr laut und deutlich verkündet, daß sie gewalttätige, kriminelle Staaten sind, die die Absicht verfolgen, das System des internationalen Rechts, ein System, das im Verlauf vieler Jahre mühselig errichtet wurde, völlig zunichte zu machen. Sie haben angekündigt, daß sie tun werden, was ihnen paßt, Gewalt anwenden werden, wie es ihnen paßt und sich nicht darum scheren, was der Rest der Welt darüber denkt. Meiner Ansicht nach ist das die einzige Bedeutung des Bombardements und wahrscheinliche auch der Grund dafür.
Selbst der Zeitpunkt des Bombardements war so gewählt, daß er diese Haltung vollkommen offensichtlich machte. Das Bombardement begann genau um 5 Uhr nachmittags östlicher Zeit in den USA, exakt zu der Zeit, als der Sicherheitsrat seine Dringlichkeitssitzung zur Behandlung der heraufziehenden Krise im Irak eröffnete. Die USA wählten diesen Augenblick, um ein Kriegsverbrechen - einen aggressiven, illegalen Akt der Gewalt - gegen en Irak zu begehen, ohne den Sicherheitsrat auch nur zu benachrichtigen. Das war in Wirklichkeit nur eine weitere Verdeutlichung der Lektion des Golfkrieges, die seinerzeit sehr klar von George Bush auseinandergesetzt wurde, während die Raketen auf Bagdad fielen. Damals verkündete er seine berühmte Neue Weltordnung in vier einfachen Worten: "Was wir sagen, geschieht." Und wenn euch das nicht gefällt, dann schert euch aus dem Weg.
Ein noch unheilvollerer Aspekt dieser Situation ist die Tatsache, daß sie sich - in den USA vollständig und in Großbritannien sehr weitgehend - nicht nur unter Ausbleiben jeder Kritik an der Regierung, sondern auch ohne Aufklärung der Öffentlichkeit über die relevanten Fragen entwickelt hat. Ich habe bis jetzt in den großen Medien oder in den sonstigen Diskussionen unter den sogenannten gebildeten Teilen der Gesellschaft in den USA noch kein einziges Wort gefunden, mit dem vorgeschlagen worden wäre, es sei vielleicht eine gute Idee, wenn die USA sich an das internationale Recht, das auch für unser Land gilt, hielten. Wenn diese Frage je aufgeworfen wird, und das passiert höchstens in Randbemerkungen, wird sie als technisches Detail abgetan. Für einen kriminellen Staat mag das ein technisches Detail sein, aber für andere ist es das genauso wenig wie das gewöhnliche Gesetz gegen Mord ein technisches Detail ist.
Diese Aktion ist in Wirklichkeit der Ruf nach einer gesetzlosen Welt, in der die Mächtigen das Sagen haben. Und die Mächtigen sind nun einmal die Vereinigten Staaten und Großbritannien, das mittlerweile ein jämmerlicher unmündiger Wachhund ist, der jeden Versuch, auch nur den Anschein zu erwecken, ein unabhängiger Staat zu sein, aufgegeben hat.
Diesmal gab es keine klaren Kriterien dafür, wann die erklärten Zielsetzungen des Angriffs erreicht seien - angeblich ging es darum, "das Potential des Irak zu schwächen" und Saddam Hussein "eine machtvolle Botschaft zu senden". Außerdem wurde der Angriff von der Warnung begleitet, die USA behielten sich unter bestimmten Umständen das Recht vor, den Irak "ohne Verzögerung, Diplomatie oder Warnung" zu bombardieren.
Das vorgebliche Ziel, "das Potential des Irak zu schwächen" war absichtlich so formuliert, daß klar werden mußte, daß es keine Bedeutung hatte. Es gibt keinen Maßstab dafür, ob man erfolgreich darin war, "ein Potential zu schwächen". Wenn man mit einer Pistole auf ein einziges Gebäude schießt, hat man auch ein Potential geschwächt. Das ist ein sinnloses Kriegsziel, und jeder wußte das, was bedeutet, daß es überhaupt nicht das Kriegsziel war. Wenn jemand einen Akt der Aggression begeht, sind die Kriegsziele, die er dabei verfolgt, im allgemeinen nicht sinnlos
In der Warnung, die Sie erwähnt haben, liegt denn auch die wirkliche Botschaft: die Vereinigten Staaten legen, und das nicht zum ersten Mal, einfach fest, daß sie das Recht haben, Gewalt anzuwenden, wann es ihnen gefällt. Das ist alles andere als neu, aber jetzt wird es in einer ungewöhnlich unverschämten Form und mit völliger Zustimmung auf Seiten des ideologischen Systems der gebildeten Schichten verkündet.
Ich bin sicher, daß die Botschaft von den intendierten Adressaten verstanden worden ist; meiner Ansicht nach richtet sich diese Botschaft in erster Linie an die Staaten der nahöstlichen Region.
All das hat einen Hintergrund, der zweifellos von entscheidende Bedeutung ist. Es ist für jedermann offensichtlich, daß es den Mächten von außerhalb der westasiatischen Region vor allem um das Öl, das heißt um die Frage der Energieproduktion geht. Zunächst einmal besteht mittlerweile unter Geologen Übereinstimmung darüber, daß die Welt einer ernsthaften Ölkrise entgegengehen könnte. Trotz neuer Technologien und den Tiefseebohrungen ist die Rate der Entdeckung neuer Ölvorkommen seit den sechziger Jahren gesunken. Man geht davon aus, daß in den nächsten zehn oder zwanzig Jahren die magische Halbwertszeit - das heißt, die Vernichtung der Hälfte der bekannten ausbeutbaren auf Kohlenwasserstoff beruhenden Energieressourcen der Welt - erreicht sein wird, und daß die Vorräte danach abnehmen werden.
Zweitens steigt der weltweite Verbrauch von Öl immer noch an. Annähernd die Hälfte des gesamten Ölverbrauchs der Geschichte hat in den letzten 20 Jahren, das heißt, nach dem Anstieg der Ölpreise in den siebziger Jahren stattgefunden.
Der dritte wichtige Punkt ist, daß ein sehr erheblicher Teil der Ölressourcen der Welt sich in der Region der arabischen Halbinsel und des persischen Golfs befindet. Die Ressourcen, die anderswo existieren, sind nicht annähernd so reichlich oder leicht ausbeutbar. Der Anteil des aus Westasien stammenden Öls an der gesamten Weltproduktion nähert sich allmählich wieder dem Niveau von 1970 an und wird weiter wachsen. Das bedeutet, daß auch die Bedeutung der Region als strategisches Zentrum und Kontrollhebel über die Weltpolitik weiter wachsen wird. Das ist eine sehr instabile, waffenstarrende Region, in der es sehr viele Konflikte gibt und deren Bevölkerung größtenteils in der ein oder anderen Form brutal unterdrückt wird. Während der letzten 50 Jahre waren die USA fest entschlossen, mit der Hilfe Großbritanniens das Schicksal der Region zu lenken. Niemand sonst, besonders nicht die Völker der Region, soll dort in irgend einer Hinsicht eine bedeutende Rolle spielen. All das führt zu einer äußerst leicht entflammbaren Situation.
Zum gegenwärtigen Bündnissystem, das im Interesse der Vereinigten Staaten die Kontrolle über die Ölregionen Westasiens ausübt, gehört neben einer höchst sichtbaren Allianz zwischen der Türkei und Israel auch die Palästinensische Nationalbehörde. Was hier als der "Friedensprozeß" in Westasien bezeichnet wird, ist nur das Bestreben der Vereinigten Staaten und Israels, das palästinensische Problem zu eliminieren, indem man dem palästinensischen Volk eine Art Bantustan-Regelung aufzwingt. In diesem System spielt die Palästinensische Nationalbehörde die Rolle eines Kontrolleurs und Unterdrückers des palästinensische Volkes, genau wie dies die führenden Elemente in Ländern wie der Transkei unter der Apartheid getan haben. Die CIA ist direkt und offen an den Interaktionen zwischen der palästinensischen Verwaltung und den Israelis beteiligt.
Den anderen Ländern der Region gefällt dieses Arrangement nicht, und Ägypten, Saudi-Arabien, der Iran und Syrien haben in jüngster Zeit Schritte in Richtung auf ein Bündnis unternommen, um ein Gegengewicht gegen dieses System zu schaffen. Die USA sind darüber sehr besorgt, besonders über die neuen Beziehungen zwischen Saudi-Arabien und dem Iran, Ländern also, die historisch gesehen verfeindet waren, jetzt aber sehr bemerkenswerte Schritte in Richtung auf eine Annäherung gemacht haben.
Wir sollten uns auch daran erinnern, daß die USA nicht nur in der Frage des Irak, sondern auch im Hinblick auf den wünschenswerten Umgang mit dem Iran international isoliert sind. Es gibt einen wachsenden Konflikt zwischen den USA und Europa, was die Rückkehr des Iran in das internationale System betrifft. Während Europa und Japan stark dafür sind, sind die USA dagegen, und wenn Saudi-Arabien, die Golfemirate und Ägypten ihre Beziehungen mit dem Iran verbessern, stellt das für die USA eine bedrohliche Zukunftsaussicht dar. Der jetzige Einsatz von Krieg und Gewalt ist als eine Warnung an diese Länder gedacht, sich nicht zu weit in diese Richtung zu bewegen, da die Vereinigten Staaten mit extremer Gewalttätigkeit reagieren werden, falls sie die Notwendigkeit dazu sehen. Meiner Ansicht verfolgte das Bombardement des Sudan und Afghanistans vor einigen Monaten - wobei der Angriff auf den Sudan das dreistere Kriegsverbrechen war - ebenfalls das Ziel, diese Botschaft zu vermitteln.
Anfang letzten Jahres wurde aufgrund des Gesetzes über die Informationsfreiheit ein hochrangiges Planungsdokument freigegeben, das bei uns keinerlei Aufmerken auslöste, aber sehr interessant ist. Es handelte sich um eine 1995 verfaßte geheime Studie des Strategischen Kommandos der Vereinigten Staaten, einer Institution, die für das Kernwaffenarsenal verantwortlich ist. Die Studie trägt den Titel "Grundzüge der Abschreckung nach dem Kalten Krieg". Vielleicht erinnernen sie sich an die "Madman-Theorie" Nixons, derzufolge die USA nach außen hin den Anschein eines Irrsinnigen erwecken sollen, der bereit ist, gegen jeden loszuschlagen? Das neue Dokument holt diese Theorie wieder aus der Gruft und stellt fest, daß die USA
ihr Kernwaffenarsenal dazu benutzen sollten, sich vor der Welt als irrational und rachsüchtig zu präsentieren, sobald ihre vitalen Interessen angegriffen werden. Das sollte Teil des charakteristischen nationalen Auftretens sein, mit dem wir alle Gegner konfrontieren. Es schadet unseren Interessen, wenn wir uns als allzu rational und ruhig präsentieren. Wenn wir en Anschein erwecken, daß einige Elemente der US-Regierung möglicherweise außer Kontrolle sind, kann das für die Schaffung und Verstärkung von Ängsten und Zweifeln bei den Entscheidungsträgern unserer Gegner nützlich sein.
Bei Nixon war das sozusagen eine informelle Theorie, bei diesem Papier sollten wir uns allerdings vor Augen halten, daß es sich um ein offizielles Planungsdokument des Strategischen Kommandos aus dem Jahr 1995 handelt. Ich denke, die Presse wußte, was sie tat, als sie es praktisch unter den Teppich kehrte. Schließlich ist das Dokument ziemlich aufschlußreich und liefert einen interessanten Hintergrund für die gegenwärtigen Aktionen.
Es ist interessant, daß die Vereinigten Staaten bei den Vereinten Nationen dieses Mal noch weniger Unterstützung hinter sich bringen konnten als letztes Mal.
Wenn man auf die letzten Monate der Verhandlungen zurückblickt, sieht man, daß Japan und Deutschland zuerst gegen ein militärisches Vorgehen waren. Dann wurden sie mehr und mehr und unter Druck gesetzt und stimmten schließlich zu, ohne sich aber je selbst zu beteiligen. Die Haltung der Staaten der nahöstlichen Region war sehr gemischt. Sie wurden wirklich unter Druck gesetzt - dem Jemen zum Beispiel wurden schwere Sanktionen für den Fall angedroht, daß er sich nicht beugt. Schließlich gab es eine Abstimmung, aber das Ergebnis war unklar, abgesehen davon, daß die Abstimmung als solche illegal war, weil China nicht daran teilnahm und die Genehmigung des Sicherheitsrats für die Anwendung von Gewalt einstimmig sein muß.
Obwohl es also ein gewisses Maß an Unterstützung für die Militäraktionen gab, war sich ein ziemlich großer Teil der Welt im klaren darüber, daß man hier in einen Konflikt hineingezogen werden sollte und daß es immer noch Möglichkeiten für eine Verhandlungslösung gab; gerade letzteres wollten die USA aber vermeiden. Jede neue Aktion der USA und Großbritanniens hat die Unterstützung für ihr Vorgehen weiter untergraben: gegenwärtig untersagt Saudi-Arabien die Stationierung von US-Flugzeugen, die Missionen gegen den Irak fliegen sollen, und die Kriegsaktion der USA ist nicht einmal mehr von Kuwait unterstützt worden. Die Bevölkerung der Region war sowieso schon die ganze Zeit gegen die US-Politik - das war auch 1991 nicht anders.
Und der UN-Generalsekretär Kofi Annan hat in der Irakfrage eine weitaus positivere Rolle gespielt als Perez de Cuellar 1991.
Kofi Annan wird in den USA kaum zitiert - man findet nicht mehr als ein paar Sätze von ihm hier und da. Was er sagt, ist jedoch klar genug; er nannte den Beginn der Bombardierung des Irak einen "traurigen" Tag für die Vereinten Nationen und die Welt. Er wird einfach übergangen; die Vereinigten Staaten wollen nicht, daß die Vereinten Nationen sich einmischen, weil sie wissen, das sie dort nicht die Unterstützung bekommen können, die sie suchen. Wie ich schon sagte, war gerade der Zeitpunkt des Bombardements efür Kofi Annan und die Vereinten Nationen ein Schlag ins Gesicht.
Es hat jetzt - obwohl wir dessen nicht sicher sein können - den Anschein, daß Richard Butler seinen Bericht direkt an das Weiße Haus überstellt hat, noch bevor er an den Sicherheitsrat geschickt wurde. Außerdem gibt es Berichte von hochrangigen Beamten bei den Vereinten Nationen, daß der Bericht in Zusammenarbeit mit dem Weißen Haus verfaßt wurde, wozu ich leider keine weiteren Informationen habe. Die Clinton-Administration hat offiziell erklärt, sie habe mit der Planung des Bombardements noch vor der Sicherheitsratssitzung begonnen, weil sie den Bericht bereits besaß, was natürlich vollkommen inakzeptabel ist und nur die Tatsache unterstreicht, daß die Führung der UNSCOM mit der Clinton-Administration zusammenarbeitet.
Könnten Sie noch etwas zu einem anderen Aspekt der Zeitwahl für den Angriff sagen, nämlich zu der weitverbreiteten Überzeugung, daß Clinton den Irak gerade jetzt angegriffen hat, weil das Impeachment-Verfahren gegen ihn bevorsteht?
Das glauben sehr viele Leute, aber ich finde es höchst unplausibel.
Wenn man sich die Sache genauer ansieht, ist das Zusammentreffen dieser beiden Ereignisse für Clinton nur schädlich und untergräbt seine Glaubwürdigkeit noch weiter. Mit der ist es ohnehin nicht weit her, und falls diese Militäraktion ein Versuch sein sollte, die Impeachment-Anhörungen hinauszuschieben, würde das höchstens lächerlich wirken.
Auf der anderen Seite ist dieses Zusammentreffen doch in einer Hinsicht bemerkenswert. Die Debatte über das Impeachment im Repräsentantenhaus ist von beiden Seiten höchst zynisch geführt worden, und Republikaner wie Demokraten haben beide vollkommen klargemacht, daß es hier in keiner Weise um irgendwelche Prinzipien geht. Das geht schon daraus hervor, daß die Abstimmungen komplett von der Parteidisziplin bestimmt waren. In prinzipiellen Fragen gibt es bei uns nie eine klare Scheidelinie zwischen Demokraten und Republikanern. Wenn es um eine Frage des Prinzips ginge, wären die jetzigen Abstimmungsergebnisse höchst merkwürdig, da die Haltung beider Parteien hinsichtlich der meisten Themen sowieso praktisch identisch ist und prinzipielle Fragen normalerweise nie zu einer säuberlichen Aufspaltung entlang der Parteigrenzen führen.
Die Demokraten nutzen dieses zeitliche Zusammentreffen, um ihre zukünftigen politischen Kampagnen aufzubauen. Bei den nächsten Wahlen werden sie die Linie fahren, daß die bösen Republikaner, während unsere mutigen Söhne und Töchter in Verteidigung unseres Landes ihr Leben aufs Spiel setzten, nichts anderes zu tun hatten, als den Oberkommandierenden anzugreifen.
Die Zeitgleichkeit des Miltärangriffs und des Impeachment-Verfahrens ist demnach für Clinton persönlich schädlich, während es den Public-Relations-Bemühungen der Demokratischen Partei durchaus helfen könnte.
Nach dem Ende des Bombardements hat es auf der einen Seite Erklärungen des Inhalts gegeben, daß die Vereinigten Staaten sich das Recht vorbehalten, jederzeit wieder loszuschlagen; anderseits ist aber auch gesagt worden, die nächste Phase werde in starkem Maß eine Phase der Diplomatie sein.
Die USA sagen ganz einfach, daß, soweit es sie angeht, alle Optionen offenstehen, und daß alles andere sie nicht interessiert - weder das internationale Recht, noch der Weltgerichtshof, noch die Vereinten Nationen und schon gar nicht die Meinungen der Länder und Völker der Region. Wenn unseren Zielen mit Diplomatie gedient werden kann, werden wir Diplomatie anwenden; wenn ihnen mit Gewalt gedient ist, werden wir eben Gewalt einsetzen.
Die Angriffe haben die Infrastruktur des Irak weiter zertrümmert. Es ist klar, daß die jüngere wirtschaftliche Geschichte des Irak die Geschichte eines Desasters der Entwicklungspolitik und einer tiefgreifenden Zerstörung früherer Errungenschaften, zum Beispiel im Gesundheits-, Ernährungs- und Ausbildungsbereich ist. Berichten zufolge hat Außenministerin Albright gesagt, die USA würden jede Verantwortung für den Tod von Hunderttausenden von Irakern "vollständig von sich weisen", und Tony Blair hat gesagt, die "Ernährungsprobleme" - das ist ein Originalzitat - im Irak seien nicht das Resultat der Sanktionen. Könnten Sie das kommentieren? Wie lange werden die Sanktionen ihrer Ansicht nach noch dauern?
Blairs Äußerungen werden von Mal zu Mal widerlicher und lächerlicher, und was er jetzt geboten hat, war ein schmerzlicher und beschämender Tag der britischen Geschichte. Was Madeleine Albright betrifft, haben ihre Kommentare im Lauf der Jahre das moralische Niveau der Handlungen der USA sehr klar gezeigt. 1996 fragte ein Interviewer in der Sendung "60 Minuten" in nationalen Fernsehen sie nach ihrer Reaktion auf Berichte seitens der Vereinten Nationen, nach denen eine halbe Million irakischer Kinder aufgrund der Sanktionen gestorben waren. Ihre Antwort war: "Nun, wir sind der Ansicht, daß das ein Preis ist, den zu zahlen wir bereit sind." Demnach sind wir - wir - bereit, diese irakischen Kinder zu opfern. Es kümmert uns nicht, wenn das was wir tun, Massenmord ist, dabei könnte das meiner Ansicht nach durchaus als Völkermord bezeichnet werden.
Betrachten wir einmal die Situation, wie sie im Moment aussieht. Im Augenblick gibt es eine Ölschwemme, die Preise sind sehr niedrig, und das ist schlecht für die großen Ölgesellschaft, die zum allergrößten Teil in amerikanischem und britischem Besitz sind. Die US-Regierung möchte nicht, daß der Preis noch weiter sinkt, weil die US-Wirtschaft sehr stark von recycelten Petrodollars aus anderen Ländern abhängig ist. Dieses Geld geht in US-Schatzbriefe, Waffenkäufe, Bauprojekte und ähnliches. Die USA werden froh sein, wenn die Ölpreise wieder steigen und wollen daher nicht, daß gerade jetzt irakisches Öl auf den Markt kommt. Also paßt es nur allzu gut in ihre Politik, zum Beispiel eine Raffinerie in Basra zu bombardieren und die Ölexporte des Irak weiter zu verhindern.
Davon abgesehen wird der Irak früher oder später ins internationale System zurückkehren. Der Irak hat die zweitgrößten Ölreserven der Welt, und sowie sich eine Ölknappheit entwickelt und die Preise wieder zu steigen beginnen, werden die USA und Großbritannien den Irak wieder in den Markt lassen. Allerdings haben sie inzwischen ein Problem. Aufgrund der Ereignisse der vergangenen Jahre haben ihre Konkurrenten Frankreich und Rußland (und außerdem auch Italien) jetzt einen privilegierten Zugang zur irakischen Ölproduktion. Die USA und Großbritannien werden das nicht dulden, weil der Irak viel zu reich ist, als daß man ihn in die Hände von Konkurrenten fallen lassen könnte. Das wird einige komplizierte Manöver erforderlich machen; den USA und Großbritannien stehen genügend Macht- und Gewaltmittel zur Verfügung, um ihre Ziele zu erreichen, aber leicht wird es nicht sein. Hier liegt ein weiterer potentieller Konflikt zwischen den USA und der Europäischen Union. (wenn ich von der Europäischen Union spreche, nehme ich Großbritannien, das ein Klientenstaat der USA ist, davon aus.)
Wie lange werden die Sanktionen, wenn wir von dieser strategischen Frage einmal absehen, noch weitergehen? So lange, wie die USA und Großbritannien darauf bestehen, daß das irakische bestraft und das irakische Öl vom Markt ferngehalten wird, und so lange, wie sie weltweit eine derartige Macht haben, daß andere Kräfte ihnen nichts entgegenzusetzen haben.
Die offizielle Version scheint dagegen zu sein, daß die Sanktionen deshalb nicht aufgehoben werden, weil der Irak nicht mit der UNSCOM zusammenarbeitet.
Das ist der Vorwand, aber das ist ein Witz. Die USA verstoßen ebenfalls gegen das internationale Recht. Schlagen die Leute, die für die Irak-Sanktionen sind, deshalb etwa Sanktionen gegen die USA vor?
Die Gleichgültigkeit der öffentlichen Meinung in den USA gegenüber dem Leiden im Irak ist, verglichen mit anderen Ländern, sehr groß. Die Linie der USA zu dieser Frage ist in keinem anderen Teil der Welt populär.
Zum einen weiß die US-Bevölkerung nicht viel über diese Angelegenheit. Das Bild, das in den USA präsentiert wird, besagt, daß Saddam Hussein die übelste Figur seit Attila dem Hunnen ist. Wenn man irgend jemanden auf der Straße fragen würde, würde er sage, daß Saddam sein Volk quält und daß die USA tun, was sie nur können, um ihn loszuwerden und das irakische Volk zu retten. Und wenn dadurch Menschen getötet werden, dann ist das Saddams Schuld: warum tut er denn auch nicht, was wir ihm sagen?*
Auf der anderen Seite gibt es im ganzen Land eine Menge Aktionen. Sie sind klein und schlecht organisiert, aber es gibt dennoch eine Reihe von Protesten.
Bei all dem handelt es sich keineswegs um die einzige menschliche Katastrophe, die bei uns keine Aufmerksamkeit erregt. Während der achtziger Jahre töteten die Herrschenden Südafrikas in den angrenzenden Ländern etwa eineinhalb Millionen Menschen und wurden dabei von den USA und Großbritannien unterstützt. Im Augenblick ist Rußland der Ort, wo eine der schlimmsten menschlichen Katastrophen stattfindet. Wer weiß, wie viele Menschen als Folge der Durchsetzung des Marktregimes gestorben sind? Auch das kümmert niemanden. Da die Politik der USA per definitionem wohltätig ist, müssen die Russen selber schuld sein, wenn Millionen von ihnen aufgrund der Durchsetzung des Marktregimes sterben.
Die USA haben jetzt angeboten, "ihre Unterstützung für die irakische Opposition zu verstärken". Betrachten Sie das als Teil des weitergesteckten strategischen Ziels, von dem Sie gesprochen haben?
Damit würde ich sehr vorsichtig sein. In der Vergangenheit haben sich die USA der irakischen Opposition gegenüber scharf ablehnend verhalten. 1988, als Saddam Hussein noch unser großer Freund und Verbündeter war, blockten die USA alle Kritik an seinen Giftgasangriffen ab. Zu jener Zeit wies Außenminister George Schultz laut Aussage von Führern der irakischen Opposition, mit denen ich gesprochen haben, die US-Diplomaten an, keinerlei Kontakt mit irakischen Dissidenten zu haben, weil das unseren Freund Saddam Hussein stören könnte. Diese Anweisungen behielten ihre Geltung und wurden im März 1991 - das heißt, nach dem Golfkrieg - formell und öffentlich wiederholt, als die USA sich zu Komplizen des Massakers Saddam Husseins an den Schiiten im Süden des Irak machten.
Die USA haben versucht, mit der Opposition im irakischen Militär zusammenzuarbeiten. Der Gedanke dabei war, daß es einen Militärputsch geben sollte, der Saddam Hussein durch ein mehr oder weniger gleichartiges Regime, aber ohne Saddam Hussein ersetzt. Diese Versuche sind von den irakischen Nachrichtendiensten aufgedeckt worden und fehlgeschlagen.
Die demokratische irakische Opposition selbst behauptet bis heute, daß sie von den Vereinigten Staaten praktisch keine Unterstützung bekommen hat. Das hat ja auch Außenministerin Albright gerade erst vorgestern mehr oder weniger zugegeben. Als man sie danach fragte, sagte sie: "Wir sind jetzt zu der Auffassung gekommen, daß es für das irakische Volk gut wäre, wenn es eine Regierung hätte, die es wirklich repräsentiert." Das sagte sie im Dezember 1998, als die USA plötzlich eine religiöse Bekehrung durchmachten und sich auf einmal zu der Meinung durchrangen, es wäre gut für die Iraker, wenn sie eine Regierung hätten, die sie repräsentiert. Das bedeutet, daß die USA bisher nicht dieser Auffassung waren - und das ist allerdings wahr. Bis jetzt war die Position der USA, daß das irakische Volk von der eisernen Faust einer Militärjunta kontrolliert werden muß, wenn möglich ohne Saddam Hussein, da er eine höchst lästige Figur ist.
Aber sollen wir Frau Albright glauben, hat die religiöse Bekehrung tatsächlich stattgefunden? Nein, es ist sehr unwahrscheinlich, daß sich abgesehen von Fragen des taktischen Vorgehens irgend etwas geändert hat. Die US-Regierung will ebenso wenig, daß eine demokratische Opposition im Irak an die Macht kommt, wie sie will, daß etwas derartiges in Saudi-Arabien passiert. Nein, sie will, daß diese Länder von Diktaturen regiert werden, die unter dem Einfluß der USA stehen.
Es gibt an der irakischen Opposition eine Menge zu kritisieren, aber daß sie so zersplittert und untereinander gespalten ist, liegt unter anderem daran, daß sie einfach keine Unterstützung von außen erhält. Das sollte uns nicht überraschen: wo in der Welt unterstützen die USA die demokratische Opposition? Wir kennen ihr Vorgehen in Mittelamerika und in Afrika - warum sollte es im Irak anders sein?