FREITAG vom
Markus Bernath
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DER IRAK UND DAS ERBE EINES "NEUEN KRIEGES" Bis zu 400 Uran-Geschosse soll die US-Armee 1991 auf Basra abgefeuert haben Sechsundvierzig Bronzemänner stehen aufgereiht an der Uferpromenade des Shatt el Arab und deuten mit ausgestrecktem Arm anklagend auf die andere Seite des Flusses, wo nicht weit die Grenze zum früheren Erzfeind liegt. Sie symbolisieren die Toten des Kriegs gegen den Iran, die 1988 bei der "Befreiung" von Fao - der Hafenstadt am südlichen Zipfel des Irak - umkamen. Saddams Regime zelebriert hier eines seiner Opferrituale und braucht Schuldige - einst Iran, heute die USA. Die Opfer des letzten Kriegs, "der Mutter aller Schlachten", wie der Golfkrieg 1991 genannt wurde, liegen in den Hospitälern von Basra: Ein junger Mann mit Beinen wie zwei Papierrollen, die auf Kissen ruhen, weil ein Rückenmarkkrebs die Glieder absterben ließ; ein anderer mit Wucherungen im Kehlkopf. Oder der vierjährige Yahia, dem jetzt die Haare ausfallen, weil die Chemotherapie ihre Nebenwirkungen hat - vor drei Monaten erst haben die Ärzte bei ihm Leukämie diagnostiziert. Sie geben ihm keine Chance, aber das weiß Yahias Mutter nicht - wichtige Medikamente für die Chemotherapie fehlen, eine Folge der gegen den Irak verhängten Sanktionen. Von einem Anstieg der Krebserkrankungen in Basra um das Vierfache spricht Doktor Abdel Karim Saber von der städtischen Entbindungsanstalt - 1.284 neue Fälle allein im vergangenen Jahr. Es gibt vielerlei Zahlen, die Iraks Ärzte und Minister dieser Tage ebenso präsentieren wie Fotos und Dokumentationen zu Fällen von Neugeborenen ohne Kopf und Glieder. Mit all dem verbindet sich ein bitterer Vorwurf: Die US-Armee habe während des Golfkrieges Munition mit abgereichertem Uran verwendet und damit ganze Regionen nachhaltig radioaktiv verstrahlt. 300 bis 400 dieser Uran-Geschosse sollen zwischen dem 24. und 28. Februar 1991 allein auf Basra und dessen Umgebung abgefeuert worden sein - seinerzeit im Süden des Irak eines der Hauptziele bei den Luftangriffen während der Operation Wüstensturm. "Die Amerikaner haben seit Nagasaki und Hiroshima aber auch gar nichts lernen wollen", sagt Hussan Djasim, ein früherer Marine-Offizier, der ebenfalls an Leukämie erkrankt ist. Am Tage, als die Alliierten mit Um Kasr Iraks großen Erdölhafen bombardierten, tat Djasim mit seiner Einheit Dienst. Keiner seiner Kameraden sei mehr am Leben, erzählt der heute 51-Jährige. Auch nicht jene fünf Soldaten aus seiner Kompanie, die das Bombardement überlebt hatten - sie starben im vergangenen Jahr an Krebs. "Der Angriff war so übermächtig, die gegen uns gerichtete Feuerkraft so groß, wie wir das während der Jahre des Krieges gegen Iran nicht erlebt hatten", erzählt Djasim. "Wir wussten nicht, welche Art von Waffen da gegen uns eingesetzt wurde." Einer von Djasims Söhnen bringt zum Tee im Haus des Kapitäns ein großes Tablett mit bunten Kleinigkeiten - keine Süßigkeiten, sondern Ampullen mit dem krebshemmenden Mittel "Interferon", die der Ex-Offizier verbraucht hat. 100 Dollar kostete eine dieser Ampullen noch bis vor kurzem auf dem Schwarzen Markt. Seine Krankheit, meint Hussan Djasim, habe das Vermögen der Familie nahezu vollständig aufgezehrt. 70 Tage lang während der damaligen Schlacht am Golf und in den Monaten danach sollen die drei Millionen Bewohner des Gebietes um Basra radioaktiven Staub eingeatmet haben - Dioxin-Aerosole, die durch Explosionen der Uranmunition freigesetzt und durch die Truppenbewegungen in Umlauf gebracht wurden. Seit Jahren bereits versuchen irakische Mediziner, dies stichhaltig nachzuweisen. 598 Milliarden Dollar Entschädigung - wird in Bagdad inoffiziell kolportiert - wolle die Regierung deshalb demnächst von den Golfkriegs-Alliierten - besonderes den USA und Großbritannien - fordern. Weil eine Studie der Weltgesundheitsorganisation (WHO) über Folgen des Einsatzes von Uran-Munition im Golfkrieg bislang fehlt - Bagdad bat deren Vertreter im Januar um eine solche Untersuchung -, klärt die Armee selbst über das Ausmaß der Verseuchung auf. Dazu wird ein Programm angeboten, das auch die Fahrt zu den Schlachtfeldern des Jahres 1991 vorsieht. Eine Tour über die Stadtgrenze von Basra hinaus, zwei Stunden in südwestlicher Richtung zur saudi-arabischen Grenze, bis in der Ebene die ersten ausgebrannten Panzerwracks auftauchen. Brigadegeneral Abdel Wahab al-Djibburi lässt an die Expedition Mundschutz verteilen und hüllt seine Stiefel in Plastiksäcke. 0,1 Millirem pro Stunde zeigt der Geigerzähler am Straßenrand: "Doppelt so viel wie in Basra", beteuern die Begleiter des Generals. Als al-Djibburi die Strahlung an einem skelettierten Panzer misst, knattert das Gerät. 2000 Millirem - der volle Ausschlag. |