Der Einsatz von DU-Munition im Golfkrieg zeitigt späte Folgen
Von Tina Ellis
junge welt, 27. April 2002
Die Diskussion um das abgereicherte Uran, das in Geschossköpfen Verwendung findet und im Golfkrieg 1991 sowie im Jugoslawienkrieg (1999) und im Afghanistankrieg (2001/02) von den US-Streitkräften eingesetzt wurde, geht weiter. Im Folgenden dokumentieren wir den Bericht einer Journalistin, die mit einem britischen Golfkriegsveteran verheiratet ist, über die gesundheitlichen Folgen von DU (depleted uranium) am Beispiel ihrer Familienangehörigen.
Die Bodenoffensive der Alliierten im Golfkrieg ist in vollem Gange. Ein britischer Konvoi des Royal Regiments of Fusiliers bewegt sich am 26. Februar 1991 mit gepanzerten Fahrzeugen auf seine Stellungen zu. Um 15 Uhr sind die Stellungen erreicht und den jungen Soldaten wird erlaubt, eine Verpflegungspause einzulegen. Die Männer sind müde und freuen sich auf eine Tasse Tee - ein Gruß von zu Hause gegen das Heimweh.
Auch der 17jährige C.P. Cole aus Rochdale, der erst seit ein paar Monaten Soldat ist, freut sich auf die Pause. Er weiß nicht, daß er nur noch ein paar Sekunden zu leben hat. Um 15.02 Uhr erschüttern zwei Detonationen die gepanzerten Warrior-Fahrzeuge C/S 22 und 23. Schreie gellen durch die Wüste, verzweifelt versuchen die überlebenden Soldaten, ihre Freunde aus den brennenden Fahrzeugen zu befreien. Doch für neun junge Männer im Alter von 17 bis 21 Jahren kommt jede Hilfe zu spät. Auch Conrad Philip Cole, der jüngste Tote des Konfliktes auf britischer Seite, wird nie wieder heimkehren. Elf weitere Briten werden bei der Attacke schwer verletzt.
Ein eventueller irakischer Angriff wird den Soldaten als Grund der Explosionen genannt. Doch schon bald verdichten sich die Verdachtsmomente, daß ein US-Flugzeug vom Typ A10 den britischen Konvoi beschossen hat - ein »Friendly Fire«-Vorfall wie ein Beschuß durch eigene oder befreundete Truppenteile genannt wird.
Die Bordgeschütze der 144 A10 Maschinen, die im Golfkrieg eingesetzt wurden, verwenden DU-Munition, das heißt, ihre Geschosse beinhalten abgereichertes Uran (depleted Uranium), auch als Uran 238 bezeichnet. Es pulverisiert bei Verbrennung, zum Beispiel bei Durchschlag durch ein gepanzertes Fahrzeug, und wirkt nicht nur in höchstem Maße toxisch, sondern auch radioaktiv.
Schon 1978 beginnt die US Army DU Munition in ihr Arsenal aufzunehmen. Doch ein passendes Testgebiet ist noch nicht gefunden. Erstmalig getestet wird sie dann, trotz verschiedenster Expertenwarnungen, im Golfkrieg 1991. Die Gefahren einer Verseuchung werden sogar den eigenen Soldaten, die zu Tausenden mit dem Gift in Berührung kommen, wissentlich verschwiegen.
Nicht nur die A10-Flieger verwenden das abgereicherte Uran, sondern ebenso die amerikanischen M1-Abrams-Panzer und Bradley-Truppentransporter sowie die britischen Challenger-Panzer. Insgesamt 300 Tonnen verschossenes abgereichertes Uran haben die alliierten Truppen nach Beendigung des Krieges in Irak und Kuwait zurückgelassen. Ein Geheimbericht der British Atomic Energy Authority gelangt im November 1991 in die Londoner Redaktion des Independent. Er besagt, daß 40 Tonnen verschossenes abgereichertes Uran ein tödliches Potential für bis zu 500.000 Menschen darstellen - wohlgemerkt nur 40, nicht wie im Golfkrieg 300 Tonnen.
Die Auswirkungen dieser immensen Menge des Giftes für die Menschen in der Region, für die Natur und für die Golfkriegsveteranen und deren Familien lassen sich nur erahnen. Der Tod Tausender irakischer Zivilisten - zum größten Teil Kinder -, sowie schon über 4000 mittlerweile verstorbene US-amerikanische Soldaten geben einen leisen Vorgeschmack auf die Zukunft.
Obwohl die US-Regierung schon vor Beginn der Operation »Wüstensturm« über die tödlichen Gefahren des Uran 238 aufgeklärt ist, setzt sie skrupellos auch das Leben der eigenen Männer aufs Spiel. Nicht nur das: Seit 1991 exportieren die USA DU-Waffen in großer Zahl. Abnehmer sind unter anderem Israel, Saudi-Arabien, Südkorea, die Türkei, Thailand, Taiwan und Bahrain.
Die Lüge vom »Computerspielkrieg der Präzisionswaffen« stößt angesichts der hohen Anzahl von Friendly-Fire-Vorfällen sauer auf. Nicht nur die sogenannten Kollateralschäden durch den Beschuß irakischer Einrichtungen sind weit höher als anfänglich vom Pentagon zugegeben. 51 Prozent der Toten auf alliierter Seite im Golfkrieg sind, wie der 17jährige Cole, Opfer der eigenen Geschütze geworden.
Viele der Verantwortlichen sind, wie der Todesflieger der US-amerikanischen A10-Maschine, nie zur Rechenschaft gezogen worden. Bis heute verweigern das britische Verteidigungsministerium und die US Air Force den Familien der getöteten Soldaten eine lückenlose Aufklärung. Die Identität des Piloten bleibt ein wohlgehütetes Geheimnis der Militärs.
Doch nicht nur die getöteten Männer sind Opfer der eigenen Militärmaschinerie geworden. Tausende Golfkriegsveteranen sind, wie Michael Ellis, mein Ehemann, unwissentlich mit abgereichertem Uran in Kontakt gekommen und haben sich ungeschützt tagelang in kontaminiertem Gebiet aufgehalten und vergiftet - der wohl größte Fall von »Friendly Fire« seit Menschengedenken.
Michael ist während der Operation »Wüstensturm« Fahrer eines Warrior-Panzerfahrzeugs in dem oben genannten, durch amerikanisches »Friendly Fire« angegriffenen britischen Konvoi. Er erhält kurz vor dem Beschuß Befehl, auszuscheren, was ihm und seinen Kameraden im Fahrzeug das Leben rettet.
Heute ist das Leben des 37jährigen ehemaligen Wettkampfschwimmers oftmals eine Qual. Heftige Nierenschmerzen machen den Tag zur Hölle. Mein Mann leidet außerdem unter Depressionen, heftigem Nasen- und Zahnfleischbluten, und sein Kurzzeitgedächtnis läßt ihn mehr und mehr im Stich.
Nach dem Krieg bekommt der ausgebildete Sanitäter einen nicht erklärbaren Ausschlag am Oberkörper. Doch bei der Entlassungsuntersuchung der Armee im Jahre 1992 wird er als »völlig gesund« entlassen. »Die gesamte Untersuchung hat nicht länger als zwei Minuten gedauert,« sagt Michael und zuckt die Achseln. »Der Armeearzt blickte nicht einmal auf. Es fanden keine Blut- oder Urinproben statt, und selbst mein Ausschlag blieb unbeachtet.«
Zu diesem Zeitpunkt, also ein Jahr nach Beendigung des Einsatzes am Golf, ist den meisten Veteranen der Begriff »abgereichertes Uran« ein Buch mit sieben Siegeln. Dabei warnt schon im Juli 1990 die SAIC, eine Firma, die für das amerikanische Militär arbeitet, vor den Gefahren abgereicherten Urans auf dem Schlachtfeld. » Eingeatmete DU-Partikel können bei den Soldaten Verseuchungen radiologischer und toxikologischer Art zur Folge haben«, heißt es. Doch diese Warnungen erreichen die Soldaten an der Front ebensowenig wie die in Akte 25/22/40/2 des britischen Verteidigungsministeriums festgehaltene Vorschrift, sich in der Nähe verschossener DU-Munition nur in spezieller Schutzkleidung zu bewegen. »Viele von uns haben erst lange nach dem Krieg erfahren, daß überhaupt Uranmunition verwendet wurde,« erklärt Michael. »Unsere Vorgesetzten hielten dies anscheinend für nicht so wichtig. Dafür hat man uns täglich eingeimpft, wie gefährlich unser Gegner sei. Wir dachten wirklich, wir stünden einer gigantischen Kampfmaschine aus lauter Fanatikern gegenüber. Doch die Kriegsgefangenen, die wir sahen, waren ganz normale Männer. Sie waren unterernährt und hatten oft keine Schuhe an den Füßen. Das waren ganz arme Schweine. Aber uns wurde gesagt, daß dies nicht die Männer der Eliteeinheiten seien und uns das Schlimmste noch bevorstünde.« Nach einer kurzen Pause bemerkt er sarkastisch: »Da haben sie wohl recht gehabt!«
Michael erklärt immer wieder, daß die Soldaten seiner Einheit zu keiner Zeit während der gesamten Bodenoffensive in irgendeiner Form über die Verseuchungsgefahr, in der sie sich befanden, aufgeklärt wurden. »Wenn die mitgeführten Strahlenmeßgeräte ausschlugen, wurden wir mit den Worten beruhigt, die Dinger seien wohl defekt.«
Sträflicher Leichtsinn oder Vorsatz seitens der kommandierenden Offiziere? Nachforschungen legen den Verdacht nahe, daß die Offiziere tatsächlich auf Befehl handeln, als sie ihren Männern die Wahrheit verschweigen und alle moralischen Bedenken über Bord werfen.
So werden britischen Soldaten angewiesen, die Meßgeräte ganz abzuschalten und ihre Schutzkleidung abzugeben. Kaum zu glauben, wenn man bedenkt, daß laut wissenschaftlichen Aussagen ein einziges Stück DU-Munition außerhalb der Metallummantelung innerhalb einer Stunde die Radioaktivität von 50 Röntgenuntersuchungen abgibt.
Doch im Vertuschen von Gefahren und Wahrheiten haben es die Militärs zu einer wahren Meisterschaft gebracht. So versuchen sie auch im Dezember 1995, einen amerikanischen DU-Zwischenfall in Japan herunterzuspielen: Auf einer kleinen unbewohnten Insel in der Nähe Okinawas veranstaltet die US Army Schießübungen, bei denen auch eine geringe Menge der Uran-Munition verwandt wird. Als dies der japanischen Regierung bekannt wird, protestiert sie. Die Amerikaner versuchen, die Gefahren des Giftes herunterzuspielen. Es sei nicht gefährlicher als ein »Fernseher aus den 50er Jahren«, heißt es lapidar. Doch diesmal kommt man mit dieser Arroganz nicht durch. Die Japaner bestehen auf einer offiziellen Entschuldigung und verbieten für die Zukunft die Verwendung der Uranmunition auf ihrem Gebiet.
Im Golfkrieg hingegen leisten die Uran-Waffensysteme ganze Arbeit. Der größte Teil der zerstörten irakischen Waffen geht auf ihr Konto. Mit verheerenden Folgen nicht nur für den Gegner. »Fast alle von uns haben sich die abgeschossenen russischen Panzerfahrzeuge der Iraker angesehen. Wir haben sie regelrecht untersucht, da wir noch nie vorher solche Panzer gesehen hatten und einfach neugierig waren«, sagt Michael Ellis. »Wir hatten ja keine Ahnung, daß wir uns auf verseuchtem Gebiet befanden. Viele nahmen sich auch kleinere Souvenirs mit. Ich selbst hatte ein irakisches Erste-Hilfe-Päckchen gefunden und schleppte es die ganze Zeit mit mir rum.«
Von den über 15000 gemeldeten erkrankten Soldaten hielten sich Untersuchungen zufolge 82 Prozent in zerstörten irakischen oder eigenen, durch Friendly Fire beschossenen Fahrzeugen auf.
Zwar findet nachträglich eine Befragung der Armee statt, bei denen die Veteranen nach Kontakt mit toxischen oder radioaktiven Stoffen befragt werden, doch wird hierbei unterschlagen, den Begriff DU überhaupt zu erläutern. So ist den meisten Männern gar nicht bewußt, wonach sie überhaupt gefragt werden. Sie verneinen die Frage aus purer Unwissenheit und verspielen sich damit im Falle eintretender Spätfolgen womöglich jeden Anspruch auf Hilfe oder Pension seitens der Armee oder des Staates. Ein gut kalkulierter Schachzug des Verteidigungsministeriums.
Von offizieller Seite beginnt nach dem Waffenstillstand eine Souvenirjagd im großen Stil. Zwischen März und April 1991 werden von Mitarbeitern des »National Army Museum« im britischen Chelsea über 200 Teile irakisches und britisches Militär-Equipment auf den Schlachtfeldern am Golf eingesammelt und zur Ausstellung nach England transportiert. Dort sind die Kuratoren des Museums stolz: »Täglich trifft neues Material hier ein. Wir laden herzlich zum Besuch der absolut authentischen Ausstellung ein.« Absolut authentisch - einschließlich der Vergiftungen durch DU?
Heute ist das Gift schon bei der nächsten Generation angelangt. Im Irak wie auch in vielen Familien ehemaliger Golfkriegsteilnehmer kommen auffällig viele Kinder mit Geburtsfehlern zur Welt oder erkranken im Laufe ihres kurzen Lebens schwer, häufig an Leukämie, an einer Fehlfunktion der inneren Organe oder dem völligen Zusammenbruch des Immunsystems.
Auch unsere beiden jüngsten Söhne kommen krank zur Welt. Bei dem älteren Kind wird eine Blutanämie festgestellt, der jüngste leidet an einer Fehlfunktion des Herzens. Der Dreijährige hat mehrere Krankenhausaufenthalte hinter sich. Kurz nach seiner Geburt wird er wegen schwerer Atemprobleme in die Intensivstation der Kinderklinik eingewiesen. Schon zweimal ist bei dem Jungen Atemstillstand eingetreten. Er kann jedes Mal reanimiert werden, doch die Angst vor einem neuen Anfall ist unser täglicher Begleiter.
Wissenschaftlich ist längst bestätigt, daß kleinste Partikel abgereicherten Urans im Körper genetische Folgen für nachgeborene Kinder haben können. Während für die Kinder der Veteranen in westlichen Krankenhäusern die medizinische Versorgung gewährleistet ist, haben die Kleinen im Irak aufgrund der immer noch aufrechterhaltenen Sanktionen keine Chance. Sie sterben - im Namen der UNO, angeführt von den USA und Großbritannien - oft unter unsagbaren Qualen. Sogar eine Krankheit wie Masern bedeutet im Irak mittlerweile schon ein Todesurteil. ...