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Krieg und Embargo gegen den Irak

Ein Überblick über die westliche Irakpolitik

aus einem Faltblatt aus Heidelberg (Feb. 2000) (Bezugsadresse s.u.)

Im Krieg gegen den Irak, dem ersten Krieg der USA und ihrer Verbündeten in der "Neuen Weltordnung", fanden nach zuverlässigen Schätzungen 150.000 Menschen den Tod. Deutschland leistete logistische Unterstützung und übernahm mit 17 Mrd. Mark einen nicht unerheblichen Teil der westlichen Kriegskosten. Noch immer sind die nach der Annexion Kuwaits verhängten Sanktionen in Kraft und haben nach Berichten der UNO seither mehr als eine Million Menschen getötet. Im folgenden wollen wir vor allem auf die Folgen dieses "stillen Krieges" eingehen, der so schnell wie möglich beendet werden muß.

Der „Golfkrieg“ - ein gewollter Krieg
Das wirkliche Verbrechen - regionale Stärke und Unabhängigkeit

Vom Massenschlachten 1991 ...

... zum „Luftkrieg niederer Intensität“

Embargo gegen den Irak – ein sanktionierter Massenmord

UN-Organisationen über die Auswirkungen des Embargos
Eine Zusammenfassung von Untersuchungsberichten

Abrüstung sollen immer die Anderen

Zwei deutsche UNO-Funktionäre aus Protest gegen die westliche Irakpolitik zurückgetreten

 

Der "Golfkrieg" - ein gewollter Krieg

Anlaß war ursprünglich und offiziell die Annexion Kuwaits. Nachdem der Präsident des autoritären Regimes Saddam Hussein, in Politik und Medien zur "Bestie von Bagdad" avanciert war, kamen Menschenrechtsfragen hinzu und schließlich die Bedrohung Israels mit Raketenschlägen.

Zuvor war der Irak eine Zeit lang ein Verbündeter des Westens in der Region gewesen, genauer gesagt seit dem Krieg gegen den Iran (1980-1988). Im November 1984 nahmen die USA nach 17 Jahren wieder diplomatische Beziehungen auf. Mit westlicher Hilfe baute der Irak sein Militärpotential beträchtlich aus und es interessierte im Westen bis 1990 niemanden, wie mit der sozialistischen Opposition umgegangen oder der kurdische Separatismus bekämpft wurde.

Zurecht auch konnte die irakische Führung annehmen, daß die USA sich nicht einmischen würden, wenn der Irak seine z.T. berechtigten Forderungen gegen Kuwait militärisch und radikal durchsetzen würde. Die USA hatten dies, wie u.a. bei Noam Chomsky oder dem Kasseler Professor Werner Ruf nachzulesen ist, noch 1990 mehrfach signalisiert.

Es ging in diesem Krieg nicht um die Befreiung Kuwaits von ausländischer Besatzung, denn diese hätte auch auf Verhandlungsweg erreicht werden können. Und die irakischen Drohungen, Israel anzugreifen folgten erst auf den Truppenmarsch der stärksten Militärallianz der Geschichte und die ersten irakischen Scud-Raketen schlugen erst in Israel ein, nachdem das Bombardement des Iraks begonnen hatte.

Die irakische Führung hatte mehrfach ihre Bereitschaft zum Rückzug signalisiert, wenn auf einige der berechtigten Forderungen des Iraks eingegangen würde. Dazu zählte das Ende der überhöhten Ölförderung Kuwaits aus dem überwiegend unter irakischem Territorium liegende Rumalia-Ölfeld, besseren Zugang zum Meer und Druck auf Israel, ebenfalls den einschlägigen UN-Resolutionen nachzukommen.

Viele andere Länder versuchten zu vermitteln, auch Frankreich bemühte sich zunächst um Kompromißlösungen – alle Versuchen aber wurden von den USA blockiert, die auf dem bedingungslosen Rückzug beharrten. Das weitgehendste Angebot des Iraks wurde am 2. Januar 1991 überbracht, also 15 Tage vor dem Beginn der Bombardierung, in dem er seinen vollständigen Rückzug bei Garantie aller Grenzen anbot und als Gegenleistung nur den ungehinderten Abzug seiner Truppen aus Kuwait und den Rückzug aller fremder Truppen vom Golf verlangte, sowie die Zusicherung späterer Verhandlungen über den israelisch-palästinensischen Konflikt und allgemeine regionale Abrüstung von Massenvernichtungswaffen. D.h. noch zwei Wochen vor Kriegsbeginn gab es eine sehr gute Möglichkeit, den Konflikt friedlich zu lösen.

Mit großer Wahrscheinlichkeit waren diese Angebote des Iraks – angesichts der militärischen Übermacht die sich gegen ihn verbündete hatte – ernst gemeint gewesen. Die USA nahmen sie offensichtlich ernst. Denn andernfalls hätten sie bei einem Scheitern der Verhandlungen außenpolitisch nur gewinnen können. Aber da sie von der Ernsthaftigkeit überzeugt waren gingen sie sicherheitshalber nicht darauf ein (näheres hierzu u.a. bei Chomsky, W. Ruf oder unserer aktuellen Broschüre).

Das wirkliche Verbrechen - regionale Stärke und Unabhängigkeit

Das wirkliche Verbrechen des Iraks bestand in seiner wirtschaftlichen und militärischen Stärke – letztere mit westlicher Unterstützung gewonnen. Dies war nur tolerabel, solange der Irak Front gegen den damaligen »Schurkenstaat« Iran machte. Zudem hatte der Irak durch seine sozialen Maßnamen eine relativ große Anziehungskraft auf die arabischen Massen bekommen und war so durch sein "schlechtes Beispiel" (Chomsky) eine Bedrohung für die reaktionären Monarchien am Golf.

Der Krieg ging darum, den Irak als Regionalmacht auszuschalten und an einem ungehorsamen Staat und Regime ein Exempel zu statuieren, das ihm und dem Rest der Welt zeigt, wer der Herr auf dem Planeten ist: der Westen mit der Supermacht USA an der Spitze. Mit dem Krieg nutzte die USA auch, nach dem Wegfall der zweiten Supermacht, die Gunst der Stunde selbst die militärisch Kontrolle in der Region zu übernehmen. In verschiedenen Stützpunkten am Golf blieben auch nach dem Krieg mehr als 60.000 Soldaten. Die Luftwaffe bleibt ständig in Bereitschaft und nutzt im Irak die Gelegenheit des "Trainings unter echten Kriegsbedingungen

Vom Massenschlachten 1991 ...

Der Krieg der alliierten Kräfte unter der Führung der USA war der erste mediengerecht inszenierte "High Tech"-Krieg. Der westlichen Bevölkerung wurden die "chirurgischen Schläge" (aus für den Angreifer sicheren Distanz abgefeuert) allabendlich im Fernsehen vorgeführt. Durch den Anschein einer "sauberen", unblutigen Kriegführung wurde die Zustimmung zu diesem Krieg noch gesteigert, und dies während Tausende Bomben und Raketen über den irakischen Städten niederging.

Mit der Wirklichkeit hatte diese Darstellung natürlich nichts zu tun. Ca. 150.000 Menschen fanden unmittelbar in den 42 Tagen den Tod, die übrige Bevölkerung war mit den katastrophalen Folgen der "chirurgischen Schläge" konfrontiert. Die systematische Zerstörung der Infrastruktur, insbesondere Elektrizitätswerke, Ölraffinerien, Telefonzentralen, Wasserwerke etc. hatte sofort verheerende Auswirkungen: nach Berichten von Vorortuntersuchungen im Februar – noch während des Krieges – von WHO und UNICEF gab es im ganzen Land keine Stromversorgung mehr und kein Wasserwerk war mehr im Betrieb. Die Wasserversorgung lag bei 5%, die Abwässer standen in den Straßen und die Gesundheitsversorgung war zusammengebrochen. (UN-Dok. S/22328, nach W. Ruf, S. 79).

Unmittelbar nach Kriegsende besuchte eine Mission bestehend aus Vertretern von WHO, UNICEF, UNDP, FAO und UNHCR den Irak und berichteten anschließend, auch unter Hinweis auf die westlichen Medienberichte:

"... Nichts was wir gesehen oder gelesen hatten, hatte uns vorbereitet auf diese außerordentliche Form von Verwüstung, die über das Land gekommen ist. Der jüngste Konflikt hat nahezu apokalyptische Folgen für die ökonomische Infrastruktur dessen, was bis Januar 1991 eine hochurbanisierte und mechanisierte Gesellschaft war ... Irak wurde, für eine lange Zeit, in ein vorindustrielles Zeitalter zurückgeworfen, jedoch mit all den Unfähigkeiten, die aus der postindustriellen Abhängigkeit von intensivem Gebrauch von Energie und Technologie resultieren." (UN-Dok S/22366, Ziff. 8, zit. nach W. Ruf S.79)

Dieser Bericht, wie auch die folgenden, stellte zudem fest, daß unter den Embargobedingungen der Wiederaufbau selbst der wichtigsten Einrichtungen nicht möglich sein wird.

Die massiven – in der westlichen Berichterstattung komplett ausgeblendete – direkten Angriffe auf die Zivilbevölkerung und ihre Lebensgrundlagen, stellten nach geltendem humanitären Völkerrecht Kriegsverbrechen dar, wie insbesondere der ehemalige US-Justizminister Ramsey Clark in seinem Buch "Wüstensturm – US-Krieg am Golf" nachweisen konnte. Zu diesem Kriegsverbrechen kommen noch mindestens zwei weitere:

... zum "Luftkrieg niederer Intensität"

Wenn auch die massiven Bombardierungen Anfang März 1991 endeten, ging der Luftkrieg weiter. Dieser anschließend mit geringfügigen Unterbrechungen fortgeführter Bombenterror überschritt im Westen immer nur dann die Aufmerksamkeitsschwelle, wenn er formell angekündigt und entsprechend eskaliert wurde, wie im Januar, Juni und November 1993, im September 1996 oder zuletzt im Dezember 1998: Vier Tage lang bombardierten die USA und England im Dezember 1998 – als gerade zu Hause die Weihnachtsfeierlichkeiten begannen – mit großem Waffeneinsatz den Irak und fügten dem ohnehin schon weitgehend zerstörten Land weitere massive Schäden zu.

Bei den 70stündigen Angriffen in vier Nächten, die völlig willkürlich, ohne jegliches Mandat und gegen den erklärten Willen der Mehrheit aller Staaten durchgeführt wurden, wurden nach Angaben des Pentagon etwa 100 Ziele bombardiert. 415 Marschflugkörper seien abgeschossen und Hunderte Bomben abgeworfen worden. Hunderte Iraker wurden dabei getötet oder verletzt.

Anschließend wurde der Luftkrieg wieder mit geringerer Intensität (dennoch auf recht hohem Niveau) fortgeführt: mehrmals pro Woche werden seither unter fadenscheinigen Begründungen Bomben- und Raketenangriffe auf das Land ausgeführt. Hier gilt, was Edward Said bzgl. des NATO-Krieges gegen Jugoslawien schrieb:

Die (...) "sicheren" oder "sauberen" Kriege, in denen die militärischen Akteure (...) so gut wie unverwundbar bleiben, (...) ähneln in ihrer Machtstruktur der Situation der Folter: Während der verhörende Folterer über alle Mittel verfügt und deshalb jede beliebige Methode einsetzen kann, hat das Opfer keinerlei Machtmittel und ist der Willkür seines Verfolgers ausgeliefert. (Le Monde Diplomatique 8/99)

 

Embargo gegen den Irak – ein sanktionierter Massenmord

Noch verheerender als das Dauerbombardement aber wirkte das weiter bestehende umfassende Wirtschaftsembargo gegen das im Krieg zerstörte Land. Die Wirtschaftssanktionen wurden - trotz Erfüllung aller bzgl. Kuwait erlassenen Resolutionen des UN-Sicherheitsrat - bis heute nicht aufgehoben und lassen das Land Jahr für Jahr mehr in Elend und Agonie versinken.

Die Sanktionen, die 1990 wegen der Besetzung Kuwaits gegen den Irak verhängt wurden, werden von Experten übereinstimmend als die härtesten der Geschichte bezeichnet. Das Ausmaß überstieg von Anfang an, daß i.A. vorgesehene Ausmaß an gezieltem und abgestuften Druck um, verbundenen mit entsprechenden Verhandlungen, eine Regierung zum Einlenken, d.h. zur Beendigung völkerrechtswidrigem Verhalten zu bewegen.

Die Embargomaßnahmen waren so umfassend, daß sie sehr schnell unmittelbare Auswirkungen auf lebenswichtige Bereiche der Bevölkerung hatten. Die befaßten UN-Sonderorganisationen (UNICEF, WHO,...) äußerten daher in einem weiteren, noch 1991 veröffentlichten gemeinsamen Bericht massive Kritik:

"Es bleibt ein grundlegendes humanitäres Prinzip, daß unschuldige Zivilisten – und vor allem die verletzlichsten unter ihnen – nicht als Geiseln genommen werden sollen für Ereignisse, die nicht ihrer Kontrolle unterliegen."

Die Sanktionen sind daher wie der erwähnte UN-Bericht noch einmal ausdrücklich betonte, selbst massive Menschenrechtsverletzungen,:

"das Recht auf Nahrung, Wasser, Wohnung und adäquate Gesundheitsversorgung gehört zu den fundamentalen Menschenrechten und muß für alle Menschen der Region sichergestellt werden."

Dieser Bericht wirft auch ein bezeichnendes Licht auf die Rolle der UNO: obwohl bedeutende Unterorganisationen übereinstimmend zu einem vernichtenden Urteil über die Embargopolitik kommen, können die USA das Embargo bis heute jährlich verlängern.

Die Sanktionsmaschinerie und
ihre Folgen

Dabei war mit dem Rückzug der irakischen Truppen Ende Februar 1991 und der vorbehaltlosen Annahme der den Konflikt mit Kuwait betreffenden Resolutionen der Grund für die Sanktionen gegen den Irak eigentlich entfallen. Dennoch blieben sie erhalten und werden auf Betreiben der USA und Großbritanniens seither Jahr für Jahr von den UN verlängert, ohne daß die anderen Großmächte, wie Deutschland, ernsthafte Schritte unternähmen, um hier endlich zu einem Abschluß zu kommen.

Die Zahl der Todesopfer, die unmittelbar auf die Folgen des Wirtschaftsembargos zurückzuführen sind, hat die Millionengrenze schon lange überschritten; nach unterschiedlichen Angaben diverser UN-Institutionen und der irakischen Regierung liegt die Zahl bisher bei 1,4 bis 1,7 Millionen. Nach Berichten von UNICEF starben allein in den sechs Jahren von 1990 bis 1996 560.000 Kinder an den Folgen des Embargos.Seither kommen jeden Monat mehr als 5.000 hinzu. Noch viele mehr bleiben auf Dauer körperlich in ihrer Entwicklung zurück oder behalten chronische Schäden. Das Embargo gegen den Irak ist, wie es in einem u.a. von den renommierten US-Wissenschaftler Noam Chomsky und Edward Said unterzeichneten Aufruf Anfang 1999 hieß, "keine Außenpolitik - es ist sanktionierter Massenmord".

Doktor Hannush vom Welternährungsprogramms erklärte letztes Jahr nach einem Besuch im Irak:

»Nach meinen Schätzungen sind seit Einführung des Embargos etwa 1 200 000 Irakis an dessen Folgen gestorben. Das ist das stille Äquivalent zu zehn Hiroshima-Bomben«

Ein zuvor recht hoch entwickeltes Land, das die Grundversorgung der Bevölkerung in allen wesentlichen Bereichen sichern konnte, ist nun in hohem Maße von Hilfslieferungen abhängig. Mit jedem Jahr bricht die Infrastruktur wegen fehlender Ersatzteile noch mehr zusammen. Selbst bei einem sofortigen Ende des Embargos wird das Land Jahrzehnte benötigen, um sich von den zugefügten Schäden zu erholen.

Kriegsziel Abrüstung – eine zynische Farce

Die vom Irak angeblich ausgehende Gefährdung anderer Länder ist nur ein Vorwand, die Gewaltpolitik gegen den Irak beliebig zu verlängern. Niemand glaubt heute noch ernsthaft daran, daß der Irak eine militärische Bedrohung seiner Nachbarn ist. Selbst die UN-Abrüstungskommission UNSCOM berichtete, daß das nukleare und chemische Waffenpotential des Irak so gut wie beseitigt ist

Einen hundertprozentigen Garantie, daß der Irak auch in Zukunft keine Massenvernichtungswaffen mehr herstellen kann, wie in die USA fordern, kann es nicht geben. Möglichkeiten zur Produktion solcher Waffensysteme wird es stets in jedem Land geben – zumindest solange es dort noch Menschen gibt, die lesen und schreiben können.

Da in vielen Bereichen von Forschung und industrieller Produktion nicht zwischen militärischer und ziviler Nutzung unterschieden werden kann ("Dual Use" Problematik), bedeutet die rigide anvisierte Beseitigung auch aller Möglichkeiten eine erneuten Produktion von militärisch relevantem Materials die faktische industrielle Abrüstung auf ein vorindustrielles Niveau.

Unabhängig davon sind Sanktionen, wie sie gegen den Irak angewendet werden, stets zu verurteilen, da sie nichts mit "gewaltlosem Druck" zugunsten von Abrüstung und Frieden zu tun haben, sondern Krieg gegen die Bevölkerung darstellen (s.o.).

Außerdem ist es moralisch und politisch absurd, zu fordern, daß nur ein einzelnes sorgfältig ausgewähltes Land mit aller Gewalt entwaffnet werden soll, während gleichzeitig die anderen Staaten der Region - im allgemeinen mit massiver westlicher Hilfe - bis an die Zähne aufgerüstet werden. Die Türkei und Saudi-Arabien mit ihren astronomischen "Verteidigungs"-Etats, sowie Israel mit seinem Arsenal an Massenvernichtungswaffen (zu denen neben Nuklearsprengköpfen auch chemische Waffen gehören) sind in dieser Hinsicht nur die hervorstechendsten Beispiele.

Hinzu kommt, daß gerade die "Cheerleader" im Krieg gegen den Irak, nämlich die USA, nicht nur mehr Massenvernichtungswaffen besitzen als der Rest der Welt zusammengenommen, sondern sich auch den Erstschlag mit solchen Waffen ausdrücklich vorbehalten. Vergessen wir auch nicht, daß die USA bisher der einzige Staat sind, der seine Atomwaffen auch eingesetzt hat, und daß sie der erste Staat waren, der nach dem Zweiten Weltkrieg chemische Waffen eingesetzt hat - jahrelang und im Massenumfang in Vietnam.

Die Bestrafung des Irak, die mörderische Aushungerung der Bevölkerung, der Entzug dringend benötigter Materialien zur Produktion von Medizin, zur Gewährleistung elementarer Hygiene und zum Wiederaufbau der in Trümmern liegenden Infrastruktur soll, wenn es nach dem Willen der im Westen federführenden Staaten geht, anscheinend so lange andauern, bis es gelungen ist, im Irak ein dem Westen freundlich gesonnenes Regime an die Macht zu hieven. Wenn in den Medien abstrakt vom "Irak" oder dem "Saddam-Hussein-Regime" die Rede ist, sollten wir nicht vergessen, welche Realität dahinter steht: leidende und sterbende Menschen, Männer, Frauen, Kinder, Alte.
 
 

Der Krieg und das Embargo gegen den Irak werden heute weltweit verurteilt, auch Frankreich und Italien haben sich nun für die Aufhebung des Embargos ausgesprochen. Nur die USA und ihr treuer Vasall England sind heute die treibenden Kräfte hinter dem Embargo. Indirekt unterstützt werden sie dabei von Staaten wie Deutschland, das sich bisher weder unter Außenminister Kinkel noch unter Fischer für ein Ende der Strangulierung des Irak einsetzen wollte.

Aber die Menschen des Irak können nicht warten, bis Regierungen im Westen aus irgendwelchen eigennützigen strategischen Gründen beginnen, etwas gegen das Embargo zu unternehmen. Sie sind auf die weltweite Solidarität aller Menschen angewiesen, die die Embargopolitik des Westens als das erkennen, was sie ist: ein monströses Verbrechen. Es ist keine Zeit mehr zu verlieren, es muß alles getan werden, dieses "stille Massaker" zu beenden.

In Europa, vor allem aber in den USA selbst, haben sich Bürger organisiert und fordern in wachsender Zahl ein Ende der Sanktionen. Gerade jetzt im Januar hält sich eine US-amerikanische Delegation unter Führung des ehemaligen US-Justizministers Ramsay Clark anläßlich des 9. Jahrestages des Golfkriegs im Irak auf, wo sie zugleich Medikamente im Wert von $ 2 Millionen abgeliefert hat. Dabei handelt es sich um eine Initiative des International Action Center, einer radikaldemokratischen, internationalistischen, landesweit organisierten Bürgerbewegung in den USA. Das IAC leistet seit Jahren an vorderster Front Widerstand gegen die Blockadepolitik von USA und NATO-Staaten gegen den Irak und organisiert, ebenso wie zahlreiche andere Gruppen und Einzelpersönlichkeiten, immer wieder den zivilen Ungehorsam gegen die unmenschliche Sanktionspolitik gegen den Irak, indem sie dringend benötigte Medikamente, Ersatzteile und sonstige zur Aufrechterhaltung und zum Wiederaufbau der Infrastruktur erforderlichen Materialien dort einführen.

Diese Gruppen und Einzelnen zeigen, daß es möglich ist, mit den Menschen des Irak aktive Solidarität zu üben. Ein Ende des Leidens im Irak kann jedoch nur erreicht werden, wenn internationaler Druck auf die westlichen Regierungen ausgeübt wird, um ein Ende des Wirtschaftsembargos zu erzwingen.

Ein neuer militärischer Humanismus?

Immer wenn die mächtigen Staaten der Welt von einer Neuordnung des Kontinents oder der ganzen Welt sprechen, wußten die schwächeren Völker, Länder und Staaten, daß sie um ihr Leben zittern müssen. Das war auch nicht anders, als US-Präsident Bush (1988-92), der seine Amtszeit 1989 selbst mit der außerordentlich brutalen Invasion Panamas eingeleitet hatte, anläßlich der Besetzung Kuwaits durch den Irak seine "Neue Weltordnung" verkündete. Die USA und der Westen, so hieß es, könnten nicht untätig zusehen, wie das internationale Recht durch Besetzung eines von den UN anerkannten Staates mit Füßen getreten würde.

Aber eine nähere Betrachtung zeigt sofort, daß dies nicht der Grund für das Massaker am Golf gewesen sein kann. Man braucht sich nicht einmal aus der nahöstlichen Region hinaus zu begeben, um das zu sehen. Der NATO-Verbündete Türkei hält seit 1974 einen Großteil des ebenfalls international anerkannten Staates Zypern mit brutaler Gewalt militärisch besetzt. Das hat indessen - glücklicherweise - weder zu westlichen Militäraktionen noch aber auch nur dazu geführt, daß die Hauptwaffenlieferanten der Türkei, die USA und Deutschland, ihre Waffenlieferungen einstellen.

Der engste Verbündete des Westens, Israel, hält seit 1967 bis heute den größten Teil des Westjordanlandes und des Gazastreifens und die zu Syrien gehörigen Golanhöhen, und seit 1978 einen breiten Streifen Land im Südlibanon besetzt. Auf den legitimen Widerstand gegen die Besatzung zum Beispiel im Südlibanon reagiert Israel mit gesetzlosem Terror wie der Bombardierung der Großstadt Beirut, einem Terror, für den es vor internationalen Foren wie der UNO wieder und wieder verurteilt worden ist.

Aber welcher Staat bekommt bis heute weltweit pro Einwohner den höchsten Betrag and US-Militär- und Wirtschaftshilfe? Ebenfalls Israel; und hinzu kommt noch der Schutz vor Maßnahmen des für sein Handeln zur Einstimmigkeit verpflichteten UN-Sicherheitsrates, den die USA Israel durch ihr regelmäßiges Veto im Sicherheitsrat garantieren.

Einer der besten Freunde des Westens, insbesondere Frankreichs, nämlich Marokko unter der langjährigen Familiendiktatur König Hassans II, hält seit 1976 die spanische Exkolonie Westsahara besetzt. Die Invasion wurde von den USA unterstützt und von Marokko mit der Begründung gerechtfertigt, daß "ein Kuwait in der arabischen Welt genug" sei; es sei ungerecht, so riesige (u. a. Phosphat-) Ressourcen in Händen einer so winzigen Bevölkerung zu belassen. Seit einem Vierteljahrhundert leben Zehntausende von Flüchtlingen in Lagern in der Wüste und warten auf ihre Rückkehr in eine freie Westsahara, ohne daß der Westen außer ein paar halbherzigen diplomatischen Initiativen, die Marokko bisher nicht zur Lockerung seines eisernen Griffs veranlassen konnten, irgend etwas unternommen hätte.

Der wichtige Handelspartner (und Importeur von Rüstungsgütern aus) der USA und der BRD Indonesien schließlich übte von 1975 bis 1999 eine brutale Besatzung in der früheren portugiesischen Kolonie Osttimor aus, bei der ein Drittel der Bewohner Osttimors, 200.000 Menschen, umkamen, ohne daß dies seinem Status im Westen irgendeinen Abbruch getan hätte. Im Gegenteil, auf dem Höhepunkt der Schlächterei Ende der siebziger Jahre beschleunigten die USA ihre Waffenlieferung, und was die Bundesrepublik betrifft, so sah sich auch die rot-grüne Bundesregierung nicht veranlaßt, die deutschen Waffenlieferungen an Indonesien auszusetzen.

All diese Fälle bilden nur eine kleine Auswahl der zahllosen Fälle, in denen die westliche Staatenallianz mit den USA an der Spitze nicht die geringsten Skrupel hatte, brutale Menschenrechtsverletzungen zu tolerieren, zu unterstützen und teilweise selbst mit zu initiieren. Die eben aufgeführten Fälle sind insofern besonders kraß, weil es sich hier nicht nur um Verletzungen der Menschenrechte, sondern auch um flagrante Verletzungen geltenden internationalen Rechts handelt.

Während der ersten Phase des Golfkrieges schließlich wurde noch ein weiteres Argument für den Krieg ins Spiel gebracht: man könne nicht zulassen, daß Saddam Hussein die Autonomie- und Unabhängigkeitsbestrebungen der irakischen Kurden unterdrückt.

Es ist Zeugnis der Effektivität westlicher Propaganda, daß dieser Kriegsvorwand auch nur für einen Moment ernst genommen werden konnte. Zum einen unterdrückt der NATO-Nachbar des Irak, die Türkei, die auch selbst am Golfkrieg teilnahm, die auf seinem Gebiet lebenden Kurden seit Jahrzehnten mit wesentlich höherer Intensität.

Zum anderen haben die Kurden im Irak wiederholt erleben müssen, daß sie von den westlichen Mächten nur als Bauern auf dem internationalen Schachbrett verwendet werden. Die USA hatten den irakischen Kurden über das Zwischenglied Persien schon Anfang der siebziger Jahre Unterstützung gegen die Zentralregierung in Bagdad versprochen, nur um sie abrupt fallen zu lassen, als sie ihnen nicht länger nützlich erschienen. "Verdeckte Aktionen", sinnierte damals der Nationale Sicherheitsberater der USA, Henry Kissinger, "dürfen nicht mit Missionarsarbeit verwechselt werden."

Dementsprechend lösten Aktionen des Saddam- Hussein-Regimes wie der Giftgasangriff auf das kurdische Dorf Halabja 1988, bei dem 5.000 Menschen getötet wurden, damals kaum Empörung aus – schon allein deshalb, weil kaum darüber berichtet wurde. Erst mit der Verwandlung Saddam Husseins vom nützlichen Freund zur ungehorsamen "Bestie von Bagdad" entdeckte der Westen erneut sein Herz für die leidenden Kurden - um dann 1991 erneut tatenlos zuzusehen, wie die Eliteeinheiten des - irakischen Regimes nach dem Ende der westlichen Angriffe die gegen Saddam rebellierenden Kurden abschlachteten.

UN-Organisationen über die Auswirkungen des Embargos
Eine Zusammenfassung von Untersuchungsberichten


Abrüstung sollen immer die Anderen

"Aufrüsten, um abzurüsten" - so hatte die Friedensbewegung dereinst die absurde Politik des Rüstungswettlaufs charakterisiert und kritisiert.

Aber im Jahr 1990 wurden dann plötzlich auch im "progressiven" Lager Stimmen laut, die eine "militärische Zwangsabrüstung" des Irak forderten. Der absurde Euphemismus vom Krieg als "Zwangsabrüstung" war verräterisch und zeigte, daß die Kräfte, die ihn gebrauchten, dabei waren, jeden pazifistischen und herrschaftskritischen Gedanken über Bord zu werfen. Leute wie H. M. Enzensberger sprachen von Saddam als dem neuen Hitler, während andere Intellektuelle vom Irak als der viertstärksten Militärmacht der Welt phantasierten.

Tatsächlich war der Irak nach dem achtjährigen Krieg gegen den Iran ausgeblutet, und von seinen angeblichen Wunderwaffen war während des gesamten Waffenganges praktisch nichts zu sehen.

Wenn es im Nahen Osten eine militärische Supermacht gab und gibt, dann war und ist das zweifellos Israel mit seinen mehreren hundert Nuklearsprengköpfen, seiner chemischen Waffenfabrik in Dimona und seiner Fähigkeit zur Herstellung von B-Waffen - wobei letzteres allerdings, wie angesichts der ständigen Schreckensszenarios, nach denen der Irak in der Lage ist, solche Waffen herzustellen, gesagt werden muß, nichts besonderes ist. Jedes Land, das technologisch über das Steinzeitniveau fortgeschritten ist, kann heute solche Waffen herstellen.

Genau hier liegt auch der Schlüssel zu einer Abrüstung im Nahen Osten, der 1990/91 von den westlichen Angreifern des Irak freiwillig und willentlich weggeworfen wurde. Eine dauerhafte, stabile und nachhaltige Abrüstung, kann nicht über "Abrüstungskriege", Wettrüsten und militärische Drohungen erreicht werden, sondern nur durch die Erkenntnis, daß das Prinzip des Wettrüstens selbst falsch ist, und durch die praktische Umsetzung dieses Prinzips. Das aber hätte 199-91 wie auch heute erfordert, daß die militärisch stärksten Mächte der Region, Israel, das bis an die Zähne bewaffnete Saudi-Arabien und die jederzeit in deren Rücken stehenden USA und anderen westlichen Staaten mit konstruktiven Abrüstungsschritten beginnen oder zumindest in Verhandlungen darüber eintreten müssen, statt lediglich einseitig von anderen Abrüstung zu fordern und dann mit einem unvorstellbaren Ausmaß an Gewaltanwendung durchzusetzen.

Ironischerweise hat der Irak 1990/91 in seinen verzweifelten diplomatischen Bemühungen, den Angriff der westlichen Alliierten doch noch abzuwenden, genau das gefordert, indem er mehrmals einen Rückzug aus Kuwait im Austausch gegen eine internationale Nahostkonferenz anbot, auf der neben dem palästinensisch-israelischen Konflikt gerade das Problem der Anhäufung von Massenvernichtungswaffen behandelt werden sollte.

Wie sämtliche anderen Bemühungen, ohne Anwendung von Gewalt einen Rückzug des Irak aus Kuwait zu erreichen, wurden auch diese Initiativen von den USA glatt abgelehnt.
 
 


 
 

Zwei deutsche UNO-Funktionäre aus Protest gegen die westliche Irakpolitik zurückgetreten

Innerhalb weniger Tage sind zwei deutsche Spitzenfunktionäre der UNO von ihren Posten im Irak zurückgetreten. Nach dem Diplomaten Hans von Sponeck legte am Dienstag auch die Leiterin des Welternährungsprogramms (WFP), Jutta Burghardt, unter Protest ihre Arbeit nieder. Sponeck war von 1998 bis jetzt Leiter des humanitären UNO-Hilfsprogramms im Irak. Er begründete sein Rücktrittsgesuch mit der nach seiner Einschätzung hoffnungslosen Situation des irakischen Volkes. "Der Hauptgrund für mein Weggehen ist, daß ich mit der Irak-Resolution vom 17. Dezember nicht zurechtkomme", sagte von Sponeck der Deutschen Presse-Agentur. Die Resolution beinhalte keinen verbindlichen Zeitplan für die Aufhebung der seit mehr als neun Jahren andauernden Sanktionen gegen den Irak. "Ich sehe da kein Licht am Ende des Tunnels", sagte der UN-Koordinator. Es sei unverantwortlich, das irakische Volk weiter leiden zu lassen. Von Sponecks Vorgänger, der Ire Denis Halliday, hatte aus ähnlichen Gründen nach 13 Monaten aufgegeben. (FR 15.02.2000)

Auch Jutta Burghardt übte heftige Kritik an dieser UNO-Resolution. Diese Resolution sei nicht umsetzbar (Reuters 17. 2. 2000). Ihr Kollege Doktor Hannush vom UN-Welternährungsprogramm hatte bereits letztes Jahr nach einem Besuch im Irak erklärt:

»Nach meinen Schätzungen sind seit Einführung des Embargos etwa 1 200 000 Irakis an dessen Folgen gestorben. Das ist das stille Äquivalent zu zehn Hiroshima-Bomben.« (jW 16.2.2000)

"1991 seien von 1000 Kindern 56 unter fünf Jahren gestorben. Heute, zehn Jahre später, liege die Rate nach Untersuchungen des UNO-Kinderhilfswerks UNICEF bei 131. Jedes fünfte Kind in dem Land leide an Unterernährung, sagte von Sponeck am Donnerstag in dem aus Qatar ausgestrahlten Satellitenfernsehen Al Jaseera. Es gebe zudem Hinweise darauf, daß die Zahl der geistig gestörten Kinder unter 14 Jahren zunehme. Die Lage sei hoffnungslos und er könne sich mit der Situation nicht abfinden ... Von Sponeck hat seinen Rücktritt damit begründet, daß mit dem von ihm geleiteten Programm die humanitären Erfordernisse nicht erfüllt werden könnten. Die Lage verschlechtert sich von Sponeck zufolge noch dadurch, daß das Bildungssystem im Irak den Bedarf absolut nicht erfüllt. Es mangele an allem, angefangen bei Büchern, Stiften und Klassenraumeinrichtung. ... Bei einer Arbeitslosenquote von 60 bis 75 Prozent seien die Menschen abhängig von dem, was ihnen zugeworfen werde. Das sei erniedrigend und schaffe auf keinen Fall die Voraussetzungen für selbstbewußte Menschen." (Reuters 17. 2. 2000)

Die Regierung Frankreichs unterstützte übrigens nachdrücklich von Sponecks Einschätzung der humanitären Lage in Irak.

Die Bundesregierung bedauerte zwar auf Anfrage den Rücktritt der beiden deutschen Spitzendiplomaten, auf die Gründe der beiden wurde aber nicht eingegangen: "Die Rücktritte beleuchten die enormen Schwierigkeiten der humanitären Arbeit der Vereinten Nationen in diesem Land" war nur zu hören, das Auswärtige Amt entblödete sich nicht, ein weiteres Mal an den Irak zu appellieren, "mit den Vereinten Nationen zu kooperieren und die bestehenden humanitären Möglichkeiten zum Wohle der irakischen Bevölkerung voll auszuschöpfen." (AP 16. 2. 2000)
 
 Heidelberg,(Germany), Feb. 2000

Michael Schiffmann (MikSchiff@PowerOnline.net) und
Joachim Guilliard (joachim,guilliard@t-online.de)

Das 8-seitige Faltblatt ist auch für 0,60 pro Exemplar und Porto erhältlich bei:
Heidelberger Forum gegen Militarismus und Krieg
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