Süddeutsche Zeitung, 04.04.2003

Antiquitäten-Plünderung im Irak

Schnäppchen der Archäologie

Nach der militärischen Zerstörung droht dem Irak der Kulturraub durch die USA.

SONJA ZEKRI


 
Archäologen fürchten den Frieden, jene „Epoche des Betrügens zwischen zwei Epochen des Kriegführens“ (Ambrose Bierce): Mittelalterliche Darstellung einer Gerichtsszene am Hof der Abbasiden. (SZ v. 04.04.2003)
  
    „Wenn ich mir vorstelle, daß mir einer vor sechzehn Jahren gesagt hätte, ich solle Babylon ausgraben, so würde ich ihn für verrückt gehalten haben“, schrieb der Archäologe Robert Koldewey, bevor er sich daran machte, im Auftrag der Berliner Königlichen Museen das „Leichentuch des Flugsandes“ (Koldewey) über den Monumenten Nebukadnezars zu lüften. Er ertrug Staub, Hitze und Wolken von Sandmücken und Flöhen, während er Wachtürme freilegte, die legendäre Prozessionstraße Babylons und tausende eigenartig geformter blauglasierter Ziegelbrocken, die er ordnete, verpackte und nach Deutschland sandte. Die Lösung des Riesenpuzzles erlebte er nicht mehr: Erst 1928 wurde das Ischtar-Tor auf der Berliner Museumsinsel zusammengesetzt. Seitdem ziehen Stiere und Löwen im Vorderasiatischen Museum über die himmelblauen Wände und Millionen Besucher in ihren Bann.
      


   » Das Ziel ist die legalisierte Plünderung der Kultur Mesopotamiens durch die Amerikaner. «         

   
Die Koldeweys dieser Tage haben es schwerer. Archäologen, die im Irak graben, dürfen keine Scherbe exportieren, winzige Proben ausgenommen, die nach der Analyse meist zerstört werden. Bis in die fünfziger Jahre wurden im Irak wie in vielen anderen Ländern die Funde geteilt: Das Gastland erhielt die schönsten Stücke und die Grabungsgebühren, die fremden Forscher teilten sich den Rest. So füllten sich die Museen der Welt – auch das Vorderasiatische Museum. Doch diese Praxis ist vorbei, und das heutige irakische Ausfuhrverbot für Antiquitäten ist ausnahmsweise kein Skandal, sondern international die Regel.

Nun aber herrscht Krieg im Zweistromland, wanken Moscheen und Paläste unter dem Bombenhagel. Archäologen bangen um das Minarett von Samarra, um die Wüstenstadt Hatra, um Ur und Ninive. Mehr noch aber fürchten sie den Frieden, jene „Epoche des Betrügens zwischen zwei Epochen des Kriegführens“ (Ambrose Bierce). Das Vakuum nach der Schlacht, so die Sorge, könnte mehr Schaden anrichten als die Kämpfe, denn es droht eine Plünderungswelle, gewaltiger noch als jene nach dem Golfkrieg. Damals fielen Menschenmassen in die Museen des Irak ein, die meisten wurden geplündert, jahrtausendealte Schätze gestohlen oder zertrampelt. Tausende Objekte tauchten auf dem Schwarzmarkt wieder auf.

Neben Museen und bekannten Fundorten sind diesmal über 20000 verborgene Stätten bedroht, denn Raubgräber könnten kleine, kostbare Stücke wie Rollsiegel oder Tontafeln außer Landes schaffen und die zerbrechlichen Überreste aus Stein oder Lehm dem Verfall überlassen.
 


» Arme Länder mit reicher Geschichte verkaufen reichen Ländern mit besseren Wissenschaftlern und schöneren Museen ihr kulturelles Erbe.«       
 
Umso beunruhigender scheinen deshalb die Aktivitäten einer Gruppe von sechzig amerikanischen Kunsthändlern, Anwälten, Wissenschaftlern und Museumsdirektoren, die sich im vergangenen Jahr zum American Council on Cultural Policy zusammengeschlossen haben, zum „Amerikanischen Rat für Kulturpolitik“.

Ihr Ziel, so berichtet das Wissenschaftsmagazin Science, ist die Lockerung der irakischen Antiquitätengesetze unter einer amerikanisch kontrollierten Nachkriegsregierung, die Erleichterung des Antiken- Exports aus dem Irak, kurz: die legalisierte Plünderung der Kultur Mesopotamiens durch die Amerikaner, nachdem US-Bomben bereits das Land zerstört haben und US-Firmen vom Wiederaufbau profitieren.

Der Rat unterstütze eine „vernünftige Post-Saddam-Verwaltung für die Kultur“, mit Gesetzen, die es erlaubten, „einige Objekte für den Export zu zertifizieren“, zitiert Science den Schatzmeister des Council, William Pearlstein.

Seither sind die Archäologen diesseits und jenseits des Atlantik in heller Aufregung. „Die planmäßig betriebene Ausfuhr, den auf neue, gesetzliche Grundlagen gestellten ,Handel’ mit Kunstwerken aus dem Iraq“ hält der Vizedirektor des Vorderasiatischen Museums in Berlin, Ralf Wartke, für schlimmer als etwaige Schäden durch den Krieg. Er fordert den unverzüglichen Schutz durch die Unesco. Dass der Präsident des „Kulturrates“, Ashton Hawkins, der einstige Berater des New Yorker Metropolitan Museum of Art, jedes Ansinnen einer Gesetzesänderung im Irak weit von sich weist, Antiquitäten ein nur untergeordnetes Betätigungsfeld seiner Organisation nennt und auf die Bemühungen des Rates zum Schutz irakischer Kulturgüter bei der US-Regierung verweist, ändert an den Vorbehalten wenig.

Denn niemand bestreitet zwar Hawkins’ Draht zum Pentagon; dass es aber in diesen Gesprächen einzig um die selbstlose Rettung der irakischen Kultur gehen soll, bezweifelt vor allem Patty Gerstenblith vom Archaeological Institute of America, die schärfste Kritikerin. „Das erklärte Ziel des Council besteht darin, Länder mit reichen archäologischen Ressourcen dazu zu bringen, ihre Gesetze für den Export von Antiquitäten zu lockern und die Vereinigten Staaten zu ermutigen, die Gesetze für den Import von kulturellen Objekten abzuschwächen“, so Gerstenblith.

Und in der Tat scheinen die wendigen Kulturpolitiker zumindest ein ethisches Gesetz der Zunft in Frage zu stellen, dass nämlich die Objekte, die ausländische Forscher in einem Gastland zu Tage fördern, eben dorthin gehören, dass die wissenschaftliche Beschäftigung mit einem fremden Erbe kein Anrecht auf dessen Aneignung beinhaltet. „Retentionist“ nennt Hawkins diese Haltung abfällig, „festhaltend“, und er klagt, dass in vielen Museen Objekte verkämen, die in einem ausländischen Provinzmuseum besser aufgehoben wären. „Wenn die Gesetze eines Landes vorschreiben, dass ,alles im Boden dem Staat gehört’, riskiert man, dass die Menschen sie nicht beachten, weil die Forderung unrealistisch ist“, so Hawkins: Einige Länder hätten bereits Verfahren gefunden, die den Behörden erlaubten, neu entdeckte Objekte von der „lokalen Bevölkerung zu lokalen Preisen“ zu kaufen. Er halte dies für fortschrittlich, denn es erlaube den Behörden, neue Grabungsstätten zu entdecken und zu fördern, und verhindere Plünderungen.

Arme Länder mit reicher Geschichte verkaufen reichen Ländern mit besseren Wissenschaftlern und schöneren Museen ihr kulturelles Erbe: Die Vorschläge der neokolonialen Pressuregroup verraten nicht nur den Wunsch, den Antikenmarkt in den Vereinigten Staaten zu beleben. Selbst wenn der Kulturrat die Gesetze des Irak nicht antastet, deutet sich hier im Kulturellen eine auf Macht, Geld und Überwältigung angelegte Strategie an, die der Welt politisch gerade den Atem raubt.

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The 2003 Iraq War & Archaeology
http://cctr.umkc.edu/user/fdeblauwe/iraq.html