FREITAG 14, 28.03.2003
http://www.freitag.de/2003/14/03140501.php

Robert Fisk

Wir bomben, sie leiden

AUGENZEUGENBERICHT AUS BAGDAD
Auch wenn Cruise Missiles zielgenau treffen, werden fast immer Unschuldige getötet und verwundet

Wenn Donald Rumsfeld sagt, dass der amerikanische Angriff auf Bagdad so zielgenau erfolgte wie noch nie ein Luftangriff zuvor, dann sollte er das nicht der fünfjährigen Doha Suheil erzählen. Mit einem Schlauch in der Nase und mit einem dicken Verband um ihren kleinen Kopf schaute sie mich Sonntagmorgen an und versuchte vergeblich, die linke Seite ihres Körpers zu bewegen. Die Cruise Missile, die neben ihrem Haus im Stadtteil Radwaniyeh von Bagdad explodierte, führte zu erheblichen Splitterverletzungen an Kopf, Beinen und, besonders schlimm, an ihrer Wirbelsäule. Ihr linkes Bein kann sie kaum noch bewegen. Ihre Mutter beugt sich über das Bett und versucht, das unverletzte rechte Bein unter die Bettdecke zu schieben. Irgendwie denkt Dohas Mutter, dass ihre Tochter sich erholen wird, wenn beide Beine gerade nebeneinander liegen. Doha war die erste von 101 Patienten, die zum  Al-Mustansaniya-Universitätskrankenhaus gebracht wurden, nachdem Amerikas »Blitzkrieg« begonnen hatte. Sieben andere Mitglieder der Familie wurden während dieses Cruise-Missile-Angriffs ebenfalls verwundet.

Solche Krankenhausbesuche sind irgendwie verrückt und obszön. Wir bombardieren, sie leiden. Und dann kommen wir und fotografieren ihre verwundeten Kinder. Der irakische Gesundheitsminister hält eine Pressekonferenz ab und betont die bestialische Natur des amerikanischen Angriffs. Und selbstverständlich sagen die amerikanischen Befehlshaber, dass sie keine Kinder verletzen wollen. Und Doha Suheil schaut mich und die Ärzte an, in der Erwartung, dass sie irgendwie von diesem Albtraum aufwachen wird und ihr linkes Bein wieder bewegen kann.

Wenn wir für einen Augenblick die billige Propaganda des Regimes und die ebenso billigen Äußerungen von Rumsfeld und Bush vergessen, dann sehen wir während unseres Besuchs im Universitätshospital die Realität des Krieges. Letztlich geht es nicht um Sieg und Niederlage und auch nicht um die Lügen, die von beiden Seiten verbreitet werden. Im Krieg, ob er nun eine internationale Legitimation hat oder nicht, geht es darum, dass Menschen leiden.

Wir sehen die 50-jährige Amel Hassan mit riesigen violetten Flecken auf ihren Schultern - sie wurde getroffen, als eine der ersten Raketen in Bagdad einschlug. »Ich stieg gerade aus dem Taxi, als es in der Nähe zu einer großen Explosion kam und ich zu Boden geschleudert wurde. Ich war voller Blut an meinen Armen, Beinen und auf der Brust.« Amel Hassan hat Splitterwunden am ganzen Körper. Ihre Tochter Wahed liegt im Nachbarbett und schreit vor Schmerzen. Sie war vorher aus dem Taxi ausgestiegen und war schon fast an der Haustür der Tante, als sie von der Explosion erfasst wurde. Ihre Füße bluten noch etwas, an den Zehen geronnenes Blut. Einen Raum weiter liegen Sade Selim, elf Jahre alt, und sein Bruder Omar (14). Beide haben ebenfalls Splitterwunden an Beinen und Oberkörper. Und es folgen Isra Riad, Imam Ali und Najla Hussein Abbas. Nach einer Weile erscheint der Befund »vielfältige Splitterwunden« wie eine natürliche Krankheit. Und all dies, fragte ich mich, war eine Antwort auf den 11. September 2001? All dies war ein Gegenangriff, obwohl doch Doha Suheil, Wahed Hassan und Imam Ali nichts, wirklich gar nichts mit diesem Verbrechen zu tun haben?

Kriege gleichen sich. Immer wenn »wir« diejenigen besuchen, die »wir« bombardiert haben, dann haben »wir« immer dieselbe Frage. Ich erinnere mich daran, wie amerikanische Reporter 1986 in Libyen die Verwundeten quasi ins Kreuzverhör nahmen: Ob sie nicht doch vielleicht von Splittern des eigenen Luftabwehrfeuers getroffen worden seien? Und 1991 stellten »wir« den verwundeten Irakern wieder dieselbe Frage. Dieses Mal war es ein britischer Radioreporter, der sich nicht zu dumm war zu fragen: »Können Sie sich vorstellen, Herr Doktor, dass einige dieser Leute von der irakischen Flugabwehr getroffen sein könnten?«

Soll man lachen oder schreien, wenn immer wieder die Iraker selbst für die Verwundeten verantwortlich gemacht werden? Sollten wir nicht doch besser fragen, warum die Cruise Missiles genau dort explodierten, wo sie in jener Nacht niedergingen? Isra Riad kam aus dem Stadtteil Sayadiyeh, wo es große Militärkasernen gibt. Das Elternhaus von Najla Abbas liegt in Risalleh. In diesem Teil Bagdads befinden sich einige Villen der Familie Saddam. Die beiden kleinen Selim-Brüder leben im Stadtteil Shirta Khamse, wo Garagen für Militärfahrzeuge getroffen wurden. Und das ist eben das Problem. Die Ziele liegen verstreut über die ganze Stadt. Die Armen - und all die Verwundeten, die ich sah, waren arm - leben in einfachen,
zum Teil aus Holz gebauten Häusern, die von den Druckwellen der Explosionen leicht zerstört werden.

Es ist immer wieder die alte Geschichte: Wenn wir Krieg führen, töten und verletzen wir die Unschuldigen - trotz allen Geredes über unsere Sorge für die Zivilisten. Von den 207 Patienten, die Dr. Habib Al-Hezai, ein an der Universität Edinburgh ausgebildeter Arzt, betreut, wurden 101 während der Luftangriffe verwundet. Ein junger Mann und ein zwölfjähriges Kind starben während der Notoperationen. Und über die vielen Soldaten, die während der Angriffe getötet wurden, spricht niemand.

In diesen Kriegstagen durch Bagdad zu fahren, ist eine gespenstische Erfahrung. Auch wenn viele Unschuldige getroffen wurden - die Ziele wurden in der Tat sorgfältig ausgesucht. Ich sah einen Präsidentenpalast, mit Saladin-Statuen an jeder Ecke, die vielleicht zwölf Meter hoch waren und deren Gesicht Saddam ähnelte, und zwischen den Statuen, die noch immer standen, sah ich ein riesiges Loch in der Fassade des Gebäudes. Am Rande des Gebäudekomplexes standen noch immer zwei korrekt uniformierte irakische Soldaten, die scheinbar unbeeindruckt ihren Dienst fortsetzten und bereit waren, ein Gebäude zu bewachen, das es nicht mehr gab.

Was die bisherigen Angriffe bedeuten, ist den Bewohnern der Hauptstadt durchaus klar geworden. Während 1991 die Amerikaner Ölraffinerien, Kraftwerke, Wasserleitungen und Telefonanlagen trafen, blieb dieses Mal die Infrastruktur der Stadt weitgehend intakt. Das Telefonnetz funktionierte, ebenso das Internet und die Stromversorgung. Und auch die Brücken über den Tigris wurden bislang nicht bombardiert. Die neuen Herren brauchen sie noch.

Übersetzung aus dem Englischen: Hans Thie
 

Schock und Horror

Als erster Krieg im Informationszeitalter wird der Irak-Krieg bezeichnet. Das soll versöhnlich klingen, ändert aber nichts daran, dass Töten das Wesen auch dieses Krieges bleibt. Im folgenden eine Auswahl der von der US-Armee eingesetzten Waffen und der von ihnen erzielten Wirkung, die vielfach der von Massenvernichtungswaffen nahe kommt.

Zur Raubtierjagd entwickelt - M- 16 Gewehr

Die Waffe verursacht schwerere Verletzungen als andere Gewehre, das kleinere Kaliber - es wurde aus einer Jagdkugel zur Raubtierjagd entwickelt - dringt langsamer in den Körper ein und gibt deshalb mehr Energie in der Wunde ab. Die Entwicklung des M-16 Gewehrs geht noch auf den Vietnam-Krieg zurück - ein schwer verwundeter Gegner könnte im Dschungel nur schlecht oder gar nicht versorgt werden, meinten die Erfinder in den USA.

In den Gräben pulverisiert - Raketenwerfer MLAS

Wie schon während des Golfkrieges 1991 setzt die US-Armee wieder auf ihre Artillerie, besonders Raketenwerfer, die eine Feuerkraft von 30 schweren Kanonen haben. Jede Salve von zwölf Raketen zerlegt sich über dem Ziel in 8.000 Einzelgeschosse. Irakische Soldaten, die ihre Deckung verlassen, bevor das Hauptgeschoss detoniert, sterben im Feuerhagel. Wie viele Irakis schon 1991 durch MLAS-Geschosse pulverisiert wurden, ohne einen Schuss abgegeben zu haben, wurde nie bekannt.

Verbrannte Nervenenden - Napalmbomben

Sie werden nach ihrem verheerenden Einsatz im Vietnamkrieg (1965 - 1972) über dem Irak abgeworfen, um Minenfelder in Brand zu setzen und irakische Stellungen einzuäschern. Der Tod kommt für die Soldaten in einem Feuerball innerhalb von Sekunden. Wer überlebt, leidet furchtbar. Wenn an Napalm-Brandwunden die Haut wieder zu wachsen beginnt, wachsen auch die verbrannten Nervenenden. Der Schmerz mindert sich nicht - er wird im Todeskampf von Tag zu Tag schlimmer.

Im eigenen Blut ertrunken - Benzinbomben

Diese Waffenart ist seit 1976 durch die UNO geächtet. Das hat US-Generäle nicht davon abgehalten, sie im Irak erneut einzusetzen. Werden Benzinbomben gezündet, dringt eine explosive Wolke in jeden Schützengraben und jeden Bunker, dann folgt eine lang anhaltende tödliche Druckwelle. Die lässt die Lunge zerplatzen, Blut füllt die Luftsäcke, der Mensch ertrinkt in seinem eigenen Blut. Es sei medizinisch das Gleiche, ob die Lunge durch chemische Waffen oder eine solche Druckwelle zerstört werde, sagen Experten.

Bis 80 Meter tief - Bunker Buster

Die seit 1997 gebaute Fliegerbombe B 61-11 - sie kann mit einem Nuklearsprengkopf versehen werden - zielt auf die Vernichtung von unterirdischen Waffendepots und Bunkern. Mit einer Sprengkraft bis zu 300 Kilotonnen TNT kann sie bei einem Abwurf aus geringer Höhe bis 80 Meter tief in die Erde eindringen und meterdicke Betonwände durchschlagen. Noch bei Abwürfen aus 12.000 Metern Höhe bohrt sich die Bombe sieben Meter tief in das Erdreich - durch die Druckwelle der Detonation besteht keine Überlebenschance.

50.000 Quadratmeter leer gesprengt - Streubomben

Diese ebenfalls international geächtete Waffe wurde bisher über irakischen Stellungen im Süden abgeworfen. Eine Cluster Bomb Unit (CBU) besteht aus mehreren Sprengsätzen in einer Bombe und wird als Behälter abgeworfen. Vor dem Aufschlag werden über 200 kleinere Bomben frei gesetzt. Damit kann eine Fläche von 150 mal 350 Metern leer gesprengt werden. In der Regel sind zehn Prozent der dosenförmigen Sprengkörper Blindgänger mit jahrelanger Lebenszeit - sie reagieren bei der geringsten Berührung.