VIELE UN-Resolutionen sind in der Vergangenheit Papier geblieben. Die Israelis sind nicht aus dem Westjordanland und dem Gaza-Streifen, die Türken nicht aus Zypern abgezogen. Die Gründung eines palästinensischen Staats steht ebenso aus wie die Volksbefragung in der Westsahara. Es gibt Resolutionen zu Indien, Russland oder Pakistan, die nicht eingehalten wurden, ohne dass dies Folgen hatte. Jetzt scheint im Falle des Irak eine UN-Resolution durchsetzbar zu sein. Jedenfalls plant US-Präsident Bush im Falle eines Feldzugs gegen das Saddam-Hussein-Regime, sich auf die Resolution 1441 des Sicherheitsrates zu berufen. Aber lässt sich ein militärischer "Präventivschlag" völkerrechtlich legitimieren?
Von RICHARD FALK
Prof. em. für Internationales Recht an der Princeton University, USA. Autor von "The Great Terror War", Olive Branch Press 2002.
Le Monde diplomatique vom 13.12.2002
Wo immer in den letzten Wochen in den USA über einen möglichen Irakkrieg debattiert wurde, kam die völkerrechtliche Dimension nur ganz am Rande zur Sprache. Als Präsident George W. Bush in seiner wichtigen Rede vom 2. Juni in der Marineakademie West Point die neue Präventivschlag-Doktrin verkündete, unternahm er mit keinem Wort den Versuch, einen weit gefassten Interventionsanspruch aus der UN-Charta oder einer anderen Rechtsquelle abzuleiten. Bush argumentierte schlicht: Erstens brauche man nach dem 11. September einen Angriff nicht mehr abzuwarten; zweitens liefere das irakische Regime eine hinreichende Begründung für den geplanten Krieg, da es den Erwerb von Atomwaffen anstrebe und Verbindungen zum islamistischen Terrorismus unterhalte. Erst später, als der Unilateralismus des Präsidenten die eigene Partei zu entzweien drohte und von strammen Republikanern - wie dem früheren Nationalen Sicherheitsberater Brent Scowcroft und den ehemaligen Außenministern Henry Kissinger und James Baker - heftig attackiert wurde, vollzog das Weiße Haus eine taktische Wende und legte sich eine multilaterale Fassade zu.
Doch die innerparteilichen Kritiker empörten sich nur über die Form, nicht über die Substanz. Sie erteilten Bush eine geopolitische Nachhilfestunde, gaben nützliche Hinweise zu der Frage, wie man einen breiten Kriegskonsens herstellen könne. Sie rieten ihm, sich um eine demonstrative Rückendeckung beim US-Kongress zu bemühen und den Krieg auf indirektem Wege anzustreben. Dazu müsse man dem Irak via Vereinte Nationen einen Forderungskatalog vorlegen, der so massive "Zwangsinspektionen" vorschreibt, dass diese eigentlich von keinem souveränen Staat akzeptiert werden können. Das Weiße Haus hat den Rat seiner alten Garde geschickt, wenn auch mit einigem Zögern umgesetzt. Bush brachte den Kongress dazu, sein Konzept des Präventivkriegs abzusegnen, und konnte auch im Sicherheitsrat nach langem Feilschen eine Resolution durchbringen, die es der US-Regierung ermöglicht, zu behaupten, sie sei zu einseitigen militärischen Aktionen gegen den Irak berechtigt, ohne dass der Sicherheitsrat zuvor eine Verletzung der UN-Resolution durch den Irak feststellen müsse.
Bemerkenswert an diesem Willensbildungsprozess ist, wie forsch man sich dabei über das Völkerrecht hinweggesetzt hat, also über genau die inhaltlichen Fragen, aus denen Washington seinen Casus Belli gegen den Irak ableitet. Der demokratische Senator Edward Kennedy und andere Kritiker haben sich in die politische Debatte über den geplanten Krieg mit dem Hinweis eingeschaltet, man müsse unbedingt zwischen einem "Präemptivkrieg" (preemptive war) und einem "Präventivkrieg" (preventive war) unterscheiden. Nach Kennedy ist ein Präemptivkrieg nur dann zu rechtfertigen, wenn man mit überzeugenden Fakten beweisen kann, dass tatsächlich eine unmittelbare Gefahr droht und keine anderen Mittel zur Abwehr dieser Gefahr verfügbar sind.(1) Beides sei im Fall Irak nicht gegeben, damit breche die Argumentation der Bush-Regierung in sich zusammen.
Demgegenüber taugen die Befürchtungen, der Irak könnte sich langfristig zu einer strategischen Bedrohung entwickeln, laut Kennedy allenfalls zur Begründung eines Präventivkrieges. Ein solches Unternehmen sei jedoch ein Präzedenzfall, der völkerrechtlich nicht erlaubt und mit Blick auf die nationalen Interessen der USA nicht akzeptabel sei. Diese rechtliche Auffassung hat durchaus ihre Logik, denn sie bewahrt eine vernünftige Balance zwischen einer übertrieben legalistischen Lesart der UN-Charta und einer zu großzügigen Interpretation, die einem Staat im Grunde gestatten würde, immer dann einen Krieg zu führen, wenn seine nationalen Interessen auf dem Spiel stehen. Das entscheidende rechtliche Argument in der Debatte um den Irakkrieg hat mit der Frage zu tun, in welchem Umfang das Völkerrecht einem Staat das Recht auf Selbstverteidigung zubilligt. Dieses Recht wird in der Regel im Licht der UN-Charta betrachtet, die in Artikel 2, Absatz 4 für die internationalen Beziehungen ein allgemeines Verbot der "Androhung oder Anwendung von Gewalt" formuliert. Wie Artikel 51 bestimmt, ist Gewaltanwendung ausschließlich zur Selbstverteidigung zulässig, wobei der Streit um die Bedeutung des Begriffs Selbstverteidigung durch die ambivalente Formulierung dieses Artikels verstärkt wird. Die zentrale Passage in Artikel 51 lautet: "Diese Charta beeinträchtigt im Falle eines bewaffneten Angriffs gegen ein Mitglied der Vereinten Nationen keineswegs das naturgegebene Recht zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung "
Seit Gründung der UN im Jahre 1945 haben sich die Völkerrechtsexperten über die Reichweite dieser Selbstverteidigung gestritten. Dabei stehen sich zwei Lesarten gegenüber: Die Vertreter einer restriktiven Interpretation machen geltend, Artikel 51 legitimiere den Anspruch auf Selbstverteidigung ausschließlich als Reaktion auf einen vorangegangenen militärischen Angriff. Anders als die Restriktivisten argumentieren die Minimalisten: Indem die UN-Charta ein "naturgegebenes Recht" auf Selbstverteidigung vorsehe, werde dieses Recht auch prinzipiell als Äußerungsform staatlicher Souveränität anerkannt. Deshalb könne man einer Regierung die Berufung auf dieses Recht nicht streitig machen, solange der UN-Sicherheitsrat (in dem konkreten Konfliktfall) nicht tätig geworden ist.
Recht besehen haben beide Positionen etwas für sich, aber beide gehen zu weit. Was die Restriktivisten betrifft, so geben sie die vorherrschende Meinung der Verfasser der UN-Charta wieder. Ihnen kam es darauf an, das freie Ermessen der Staaten möglichst weitgehend einzuschränken und den Ausnahmefall der Selbstverteidigung möglichst eng zu definieren, indem sie ihn an objektive Kriterien banden, zum Beispiel an einen vorangegangenen militärischen Angriff. Diese Auffassung erschien damals als konsistente Fortsetzung der langjährigen Bemühungen, Angriffskriege für völkerrechtswidrig zu erklären - wobei man allerdings zugestehen musste, dass es in einer aus souveränen Staaten bestehenden Welt nach wie vor ein eng gefasstes Recht auf Verteidigung des eigenen Territoriums und der staatlichen Souveränität geben muss. Die Minimalisten wiederum erkannten, dass das Völkerrecht nicht funktionieren kann, wenn es Staaten unerlässliche und begründbare Aktionen gegen eine schwere und neuartige Bedrohung untersagt, bei der es sich nicht um einen bewaffneten Angriff handelt.
EIN solcher Fall liegt vor, wenn terroristische Aktionen von einer ausländischen Basis ausgehen, ohne dass die Regierung des betreffenden Staates direkt an ihnen beteiligt ist - wie bei den Angriffen vom 11. September auf die Vereinigten Staaten. Dass die Amerikaner darauf mit einem Krieg reagierten, wurde von einem Großteil der internationalen Gemeinschaft als verständlich akzeptiert, weil das Nervenzentrum von al-Qaida in Afghanistan weiterhin einen akuten Gefahrenherd darstellte und vom Taliban-Regime offensichtlich geduldet, wenn nicht sogar unterstützt wurde. Diese erweiterte Interpretation des Rechts auf Selbstverteidigung hat die Geltung von Artikel 51 der UN-Charta in den Augen der internationalen Gemeinschaft nicht untergraben. Damit war stillschweigend anerkannt, dass einerseits das Völkergewohnheitsrecht sich in Reaktion auf konkrete Ereignisse weiterentwickeln und neue Realitäten einbeziehen muss, dass andererseits aber die grundlegende Verpflichtung, auf einen nicht defensiven Einsatz militärischer Mittel zu verzichten, so weit wie möglich gültig bleiben muss.
Solche Erwägungen sind auf den Fall Irak nicht anwendbar. Damit ist nicht gesagt, dass man Artikel 51 - unter bestimmten Bedingungen wie bei einer drängenden und unmittelbar bevorstehenden Gefahr- nicht auch zur Legitimierung eines "Präemptivkrieges" heranziehen könnte. Als 1967 Israels arabische Nachbarn ihre Streitkräfte mobilisierten, begann das Land den Sechstagekrieg, was damals allgemein als angemessene Reaktion auf die Bedrohung seiner Existenz anerkannt wurde. Zwar sind die Hintergrundfakten dieses Krieges unter Völkerrechtlern immer noch strittig, aber es wird kaum noch bezweifelt, dass Israel mit seiner seit 1967 andauernden Besetzung des Westjordanlandes und des Gaza-Streifens gegen das Völkerrecht verstößt und sich der Autorität der Vereinten Nationen beharrlich widersetzt.
Nun muss ein bedrohter Staat nicht unter allen Umständen einen Angriff der anderen Seite abwarten, bis er sich auf das Recht zur Selbstverteidigung berufen kann. Aber die UN-Charta läßt sich im Grunde nur so interpretieren, dass die "Vermutung" (wie die Juristen sagen) gegen den Anspruch auf präemptives Handeln spricht. Im Fall des Irak liegt keinerlei plausible Bedrohung der USA vor, und auch keine direkte Verbindung zu der Al-Qaida-Gefahr, wie sie etwa in Afghanistan gegeben war und die Anschuldigungen gegen das Taliban-Regime hinreichend glaubwürdig machte. Wenn man diesen Konflikt ganz leidenschaftslos betrachtet - und die erdrückenden Verpflichtungen sieht, die dem Irak nach dem Golfkrieg auferlegt wurden, und dazu die nun schon zehn Jahre währenden überharten Sanktionen - dann lässt sich ohne weiteres behaupten, dass der Irak viel eher "bedroht" als "bedrohlich" ist. Um auf die begriffliche Unterscheidung von Edward Kennedy zurückzukommen: Im Fall Irak legitimieren die Fakten nicht einmal einen Präventivkrieg, geschweige denn einen Präemptivkrieg. Und ein weiterer Punkt ist zu betonen: Auch wenn man auf Gründe für präemptives Handeln verweisen könnte, müssten sich diese auf erdrückende Beweise stützen, um eine Abweichung von der allgemein akzeptierten Bedeutung des Begriffs "Selbstverteidigung" rechtlich begründen zu können.
Die völkerrechtliche Diskussion drehte sich auf der Ebene der UN eher um den Begriff "antizipatorische Selbstverteidigung" als um Präemptiv- oder Präventivkrieg. Dabei ging es vor allem um die feinen Unterscheidungen zwischen militärischen Vergeltungsschlägen und einem regelrechten Krieg. Anlass für heftige Debatten unter den Rechtsexperten boten etwa der israelische Luftangriff auf den irakischen Atomreaktor in Osirak im Jahre 1981 (der angeblich die Entwicklung von Nuklearwaffen durch den Irak gestoppt hat), die Angriffe der US-Luftwaffe auf Libyen (wegen der behaupteten Unterstützung Gaddafis für den antiamerikanischen Terrorismus in Europa) und die Vergeltungsschläge der Clinton-Regierung gegen Ziele im Sudan und in Afghanistan (weil diese Länder in die Attentate gegen die US-Botschaften in Kenia und Tansania verwickelt gewesen sein sollen). In all diesen Fällen waren die Fakten, mit denen die militärischen Aktionen begründet wurden, heftig umstritten, und der Einsatz von Gewaltmitteln wurde außerhalb der USA im Allgemeinen als Verstoß gegen die UN-Charta angesehen. Allerdings waren diese Militärschläge von begrenzter Dauer und bedeuteten - so schwere Schäden sie auch verursacht haben - keine Bedrohung für die Grundprinzipien des Völkerrechts hinsichtlich der Definition von Krieg und Frieden. Der jetzt drohende Irakkrieg tut dies jedoch ganz eindeutig.
Es geht in den nächsten Monaten also nicht nur darum, einen ungerechtfertigten Krieg mit unkalkulierbaren Folgen zu verhindern, sondern auch um den Versuch der USA, einen Präzedenzfall für das Funktionieren der neuen Weltordnung zu schaffen. Die globale Führungsmacht USA ist ohne Zweifel fähig und willens, die geopolitischen Regeln des neuen Machtspiels festzulegen. Hat sie dies einmal getan, können sich auch andere Staaten auf diese Regeln berufen. Wir wissen heute, dass - als Preis des Afghanistankriegs - die Staatschefs Israels, Russlands oder Indiens über einen vergrößerten politischen Bewegungsspielraum verfügen. Sie können nun noch gewaltsamer gegen oppositionelle Kräfte vorgehen und das als "Kampf gegen den Terrorismus" ausgeben.
Selbst wenn man den USA das defensive Recht auf den Angriff in Afghanistan zubilligt, hat die Bush-Regierung der internationalen Gemeinschaft doch insofern einen Schaden zugefügt, als sie es versäumt hat, ihren Anspruch in engen und sehr spezifischen Grenzen zu formulieren, die sich aus der besonderen Qualität des apokalyptischen Al-Qaida-Terrorismus ergeben. Tatsächlich hat die US-Regierung genau das Gegenteil getan. Präsident Bush mobilisierte die anderen Länder zu einem heiligen Krieg gegen "den Terrorismus", wobei er den Begriff auf die Formen politischer Gewalt beschränkte, die sich gegen Staaten richten. Auf diese Weise warf die US-amerikanische Politik nach dem 11. September zweierlei Dinge in einen Topf: die notwendige, aber ganz spezifische Reaktion auf die Al-Qaida-Attacken und die unterschiedlichen Kämpfe gegen die Unterdrückung, die überall auf der Welt stattfinden - wobei alle Fälle von staatlichem Terror von jeglicher kritischer Überprüfung ausgenommen waren. Diese Verkehrung der moralischen und rechtlichen Maßstäbe trieb Präsident Bush auf die Spitze, als er Ariel Scharon - trotz der kurz zuvor erfolgten Besetzung palästinensischer Städte und Flüchtlingslager durch die israelische Armee - als einen "Mann des Friedens" bezeichnete.
Mittlerweile verfolgen die USA die Strategie, ihren Kriegskurs völkerrechtlich mittels der Autorität der Vereinten Nationen abzusichern, so etwa in den Irak-Resolutionen des UN-Sicherheitsrats nach dem ersten Golfkrieg. Sie enthalten die schärfsten Strafklauseln, die je einem Land seit dem Friedensvertrag von Versailles am Ende des Ersten Weltkriegs zugemutet wurden. Dabei hatte es so ausgesehen, als hätte die internationale Gemeinschaft nach 1945 ihre Lehren aus Versailles gezogen. Deutschland und Japan wurde nach dem Zweiten Weltkrieg ein wirtschaftlicher Wiederaufstieg erleichtert und damit die Rückkehr in die internationale Gemeinschaft innerhalb sehr kurzer Zeit ermöglicht. Doch die pauschalen Sanktionen, unter denen im zerstörten Irak Hunderttausende zu leiden haben, erwecken eher den Eindruck, als habe der Westen mit Rückendeckung durch die UN einem Land der Dritten Welt einen Straffrieden auferlegt - vielleicht sogar, weil das Land islamisch ist.
Der verspätete Rückgriff auf die Vereinten Nationen kann außerhalb der USA nicht viele Menschen täuschen und wirkt auch innerhalb des Landes nicht sehr überzeugend. Denn im Grunde wissen alle, dass George Bush nun einmal kein Freund der UN ist und deren Zustimmung für die Politik der USA nur gesucht hat, um die wachsende innenpolitische Opposition gegen einen allzu krassen Unilateralismus zu entschärfen. Aber die Funktionalisierung der UN mittels Sicherheitsrats-Resolutionen lässt die Heuchelei Washingtons nur umso deutlicher werden. Denn die US-Regierung verweigert sich nach wie vor gegenüber allen Bemühungen, politische Schritte gegen Israel zu unternehmen. Die Scharon-Regierung denkt gar nicht daran, den weitaus klarer formulierten und vernünftiger begründeten UN-Forderungen nachzukommen, sich aus den besetzten Gebieten zurückzuziehen, den illegalen Siedlungsbau einzustellen und den Status quo in Jerusalem zu respektieren. Diese Politik der selektiven Durchsetzung von UN-Resolutionen untergräbt die Autorität des Völkerrechts, denn die erste Voraussetzung jeder Rechtsordnung ist das Prinzip der Gleichbehandlung.
Wenn die USA die Vereinten Nationen zur Erzwingungsinstanz ihrer Politik machen und die Inspektionen in einer Form wieder aufgenommen werden, die ihr Scheitern fast schon garantiert, so heißt das nichts anderes, als dass die UN für die schmutzige Arbeit einer aggressiven Kriegspolitik rekrutiert werden. Das Weiße Haus will den Regimewechsel, betreibt also eine direkte Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Irak und in das Selbstbestimmungsrecht des irakischen Volkes - zumal die meisten US-Kriegsszenarien eine vielleicht jahrzehntelange Besetzung des Landes vorsehen. Das wäre ein schwerer Schlag für die Rolle und das Ansehen der Vereinten Nationen, das ja bereits durch die Schirmherrschaft der UN über das Sanktionsregime beschädigt ist. Denn die Zivilbevölkerung hat unter diesen Sanktionen so sehr zu leiden, dass hochrangige und angesehene UN-Mitarbeiter wie Denis Halliday(2) und Hans von Sponeck von ihren Ämtern zurückgetreten sind, weil sie als Beauftragte für humanitäre Hilfe nichts mit dieser Politik zu tun haben wollten, die manche als "genozidal" beschreiben.
Noch besteht allerdings die Möglichkeit, dass die Vereinten Nationen einem Irakkrieg die Zustimmung verweigern. Dann stünde die US-Regierung vor der Wahl, entweder ihre Kriegspläne aufzugeben oder allein zu marschieren. Ein solcher Gang der Dinge wäre gewiss nicht schön, aber zumindest hätten die UN sich dann nicht zu Komplizen der USA gemacht. Schließlich ist daran zu erinnern, dass der UN-Sicherheitsrat auch an die Charta der Vereinten Nationen gebunden ist und nicht gegen den Geist und Buchstaben der daraus entspringenden Verpflichtungen verstoßen sollte, von denen insbesondere zwei von Bedeutung sind: Erstens haben alle Mitgliedstaaten ihre Streitigkeiten in einer Weise beizulegen, "dass der Weltfriede, die internationale Sicherheit und die Gerechtigkeit nicht gefährdet werden" (Art. 2, Absatz 3); und zweitens haben die Vereinten Nationen keine Befugnis "zum Eingreifen in Angelegenheiten, die ihrer Natur nach zur inneren Zuständigkeit eines Staates gehören" (Art. 2, Absatz 7). Es ist die Aufgabe der UN-Mitglieder und vor allem der Staaten, die einen Sitz im Sicherheitsrat haben, die Integrität der Weltorganisation zu bewahren. Sie sollten sich nicht dafür einspannen lassen, einer US-Politik, die wahrscheinlich auf einen ungerechten und völkerrechtswidrigen Krieg zuläuft, auch noch den Segen der UN zu verschaffen.
aus dem Engl. von Niels Kadritzke
Fußnoten:
(1) Michael Byers, "Der Irak und der Fall Caroline", Le Monde diplomatique, September 2002.
(2) Siehe Dennis Halliday, "Sanktionen gegen das Volk", Le Monde diplomatique, Januar 1999.
Der Irak ist eher bedroht als bedrohlich
Le Monde diplomatique Nr. 6929 vom 13.12.2002, 467 Zeilen, Von RICHARD FALK