Antimilitarismus Information 10-01 (Okt. 2001)

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Nach den verheerenden Terroranschlägen in New York und Washington sind die USA dabei, durch neue Allianzen ihre weltbeherrschende Stellung auszubauen. Sie sortieren die Welt in "Gut" und "Böse", wer nicht an ihrem Kreuzzug teilnehmen will, riskiert als Feind ins Visier genommen zu werden. Im Bemühen, breite Bündnisse gegen Staaten zu formieren, die auch weiterhin als Gegner angesehen werden, könnten manch andere - so sie, wie gewünscht mitspielen - wieder hoffähig werden. Darauf braucht der Irak nicht zu hoffen, er fand sich in den westlichen Medien sofort ganz oben auf der Liste potentieller Ziele von "Vergeltungsschlägen". Obwohl ein größerer Militärschlag gegen den Irak schon seit Monaten von den USA und Großbritannien vorbereitet wird, erscheint er im Moment noch nicht opportun. So wiegelt US-Außenminister Colin Powell ab, es seien keine Verbindungen zwischen den Anschlägen in New York und Washington und dem Irak bekannt. Diese Zurückhaltung kann auch taktischer Natur sein: Kriegsdrohungen gegen den Irak kommen bei seinen Bemühungen, die arabischen Verbündeten in ihre Allianz gegen den "weltweiten Terrorismus" einzubinden, äußerst ungelegen, da diese Militärschläge gegen den Irak strikt ablehnen. Ein solcher Angriff kann aber auch nur eine Frage des günstigen Zeitpunktes sein - mit einem "Kampf gegen Terrorismus" hätte er mit Sicherheit nichts zu tun.


Joachim Guilliard / Karin Leukefeld

Der Irak und der US-amerikanische "Krieg gegen den Terror"

"Vergeltungsschläge" auch gegen den Irak?


Bald nachdem islamische Gruppen als Hauptverdächtige ausgemacht waren und Afghanistan ins Visier geriet, wurden in den USA Forderungen laut, auch militärisch gegen den Irak vorzugehen: so vom Vize-Verteidigungsminister Paul Wolfowitz, der Staaten, die er der Unterstützung des Terrorismus verdächtigt "auslöschen" möchte und vom berüchtigten Senator Jesse Helms, der fordert, daß eines der Ziele des "U.S. Krieges gegen den Terrorismus" sein sollte, den irakischen Präsidenten Saddam Hussein zu stürzen. (1)

Militärschläge gegen den Irak werden auch aufgrund der Unwägbarkeiten von Militäraktionen gegen Afghanistan ins Spiel gebracht, die viele in den USA mit Sorge sehen. Da im Falle des Scheiterns "einer sinnvollen Luftkampagne" die Glaubwürdigkeit der USA untergraben würde, so beispielsweise der private US-amerikanische Nachrichtendienst Stratfor am 20. September, könnte sich der Fokus mehr auf den Irak richten, da es wesentlich einfacher sei, Angriffe auf den Irak zu fliegen. Auch Newsweek vom 23. September sah in Angriffen auf den Irak eine Alternative, falls sich die USA in Afghanistan verheddern würden. Das Territorium des Irak ist wohlbekannt und die gesamte Infrastruktur für Kriegseinsätze gegen den Irak steht einsatzbereit vor Ort - technisch gesehen eine sichere Bank, um gefahrlos innenpolitisch zu punkten und nach außen Stärke zu zeigen. "Für diejenigen, die in Washington die politischen Karten mischen, kommt der Irak gleich hinter Afghanistan." (2) Die Konzentrierung weiterer Truppen und Flugzeugträger im Persischen Golf, sowie auf den Luftwaffenstützpunkten in der Türkei sind deutliche Zeichen für eine anhaltende Kriegsgefahr.

Die propagandistischen Vorarbeiten haben bereits begonnen, indem neue und alte Gerüchte in Umlauf gebracht werden. So forderte der ehemalige CIA-Chef (1993-1995) James Woosley nach dem 11. September, man dürfe den Irak bei der Spurensuche nicht vergessen. Schon der Anschlag auf das World Trade Center im Jahre 1993 habe "irakische Fingerabdrücke" aufgewiesen, so Woosley. Der damalige Attentäter Ramzi Yousef sei ein irakischer Geheimagent gewesen, der die Identität eines Pakistaners angenommen habe, der nach dem irakischen Einmarsch nach Kuwait verschwunden sei. (3)

Der Irak produziere in großem Umfang C- und B-Waffen, die an gefangenen Kurden und Schiiten getestet würden, wiederholte u.a. der Sunday Telegraph am 1. Oktober ältere Berichte, die nicht überprüft werden können, da als Zeugen nicht namentlich genannte irakische Ingenieure angegeben werden, denen die Flucht aus dem Irak gelungen sei.

Neben den Falken in den USA bemühen sich auch israelische und irakisch-kurdische Kreise, die USA zu größeren Militärschlägen gegen den Irak zu bewegen, indem sie Berichte über Verbindungen des irakischen Geheimdienstes zu Osama bin Laden lancieren.

Auf Israels militärischen Geheimdienst Aman beispielsweise war die Nachricht über ein Treffen zwischen dem mutmaßlichen Flugzeugattentäter Mohammed Atta und einem hochrangigen irakischen Geheimdienstmann zurückzuführen. (4) Obwohl selbst der Chef des israelischen Militärgeheimdienstes diese Mutmaßungen zurückwies und erklärte, daß nach ihren Erkenntnissen der Irak nicht in die Attentate verwickelt sei wurde die Nachricht von vielen Medien verbreitet. (5)

Aufgegriffen wurden auch Berichte der irakisch-kurdischen Patriotischen Union Kurdistans (PUK) über terroristische Aktivitäten einer radikal-islamischen Organisation namens Jund Al-Islam ("Soldaten des Islam") in den kurdischen Nordprovinzen des Irak, die, angeblich von afghanischen Arabern angeführt, mit Osama bin Ladens Netzwerk Al Qa'eda in Verbindung stehen soll. (6) Ohne wirkliche Anhaltspunkte dafür zu nennen, gibt sich die PUK überzeugt, daß Jund Al-Islam als "fünfte Kolonne des irakischen Regimes" fungiere, um in Absprache mit dem irakischen Geheimdienst die "Kurdistan-Region durch Terror und Zwang" zu destabilisieren.

Da die Anhänger eines politischen Islams seit jeher erbitterte Gegner des laizistischen Regimes im Irak waren, ist eine solche Zusammenarbeit sehr unwahrscheinlich. Zudem wären solche Kontakte den westlichen Geheimdiensten, die stark im Nordirak vertreten sind, kaum entgangen. Auch die ebenfalls im Nordirak präsente türkisch-kurdische PKK hält die Berichte für übertrieben und weist auf die frühere Zusammenarbeit radikal islamischer Gruppen und der PUK, sowie der Türkei hin. (7)

Keine Hinweise auf Verbindungen des Iraks zum "Terror"

Wenn auch die Lobby gegen den Irak recht aktiv ist, konkrete Hinweise auf eine Beteiligung an den Anschlägen in New York und Washington hat sie bisher nicht zu bieten. "Tatsächlich spricht bislang wenig für eine Beteiligung des irakischen Baath-Regimes an der verheerendsten Terrorserie in der Geschichte der USA" vermeldete so auch dpa am 21.9.01 in einer von mehreren Zeitungen verbreiteten Nachricht, - eine Ansicht, die auch US-Vizepräsident Richard Cheney bestätigte. Eine Zusammenarbeit der religiösen Fanatiker, unter denen die US-Führung die Täter vermutet, und dem laizistischen Irak sei auch nach Ansicht von US-Experten wenig wahrscheinlich.

Der Irak wurde zwar bisher nie ernsthaft mit Aktionen individuellen Terrors in Verbindung gebracht. Da für die USA jedoch alle mißliebigen Bewegungen und Organisationen unter ihren selektiven Terrorismusbegriff fallen, die den bewaffneten Kampf zeitweise führten oder ihn propagierten, finden sich auf ihrer Liste der Staaten, die ihrer Meinung nach den, "weltweiten Terrorismus fördern", neben dem Irak auch Länder, wie Kuba, Libyen und Nordkorea - Länder also, denen die USA feindlich gegenüberstehen und die in der Tat Befreiungsbewegungen, Parteien und andere Organisationen unterstützen, die gegen US-Interessen in der Welt stehen.

Doch die arabischen Staaten stehen der Antiterrorkampagne der USA sehr skeptisch gegenüber. Ägyptens Präsident Hosni Mubarak verwies Mitte September auf die Zuständigkeit der UNO und forderte eine Lösung des Israel-Palästina-Problems. Alle Nachbarstaaten des Iraks, einschließlich Saudi Arabiens und der Türkei, lehnen aktuell Militärschläge gegen den Irak strikt ab. (8) Dies ist eine Tatsache, auf die die USA auch im Hinblick auf ihre Bemühungen für ein breites Bündnis Rücksicht nehmen müssen, so daß selbst Präsident George Bush Jordaniens König Abdullah versprechen mußte, keine Militärschläge gegen den Irak als Vergeltung für die Terroranschläge durchzuführen. (9)

Krieg und Embargo - die US-Politik gegen den Irak

Militärische Angriffe gegen den Irak wären mit Sicherheit keine "Antwort" auf die Anschläge in New York und Washington. Sie müßten eher als eine Intensivierung der aktuellen Kriegspolitik gesehen werden, in deren Folge britische und US-amerikanische Flugzeuge Woche für Woche irakisches Territorium bombardieren (10) - eine Intensivierung, über die in der Bush-Administration auch schon seit Monaten nachgedacht wird.

Diese muß mit ansehen, wie die Stellung der USA in der Region zunehmend schwächer wird. Sie sieht sich damit konfrontiert, daß die Verbündeten vor Ort die US-amerikanische Politik gegen den Irak nicht länger mittragen wollen: Die Sanktionsfront zeigt deutliche Risse und viele Länder haben wieder volle diplomatische Beziehungen aufgenommen und streben normale Handelsbeziehungen an. Auch die militärischen Maßnahmen zur Niederhaltung des Iraks stoßen auf zunehmend heftigere Kritik - auch bei ihren engsten regionalen Verbündeten.

Die gemeinsam mit Großbritannien vorgebrachten Vorschläge für eine Änderung des Sanktionsregimes sind bisher im UN-Sicherheitsrat gescheitert. Mit den in diesen sogenannten "Smart Sanctions" enthaltenen Lockerungen des Embargos für zivile Güter wollten sie den Anrainerstaaten Syrien, Iran, Türkei und Jordanien entgegenkommen, um das Bündnis gegen den Irak auf neuer Basis wieder festigen zu können. Diese haben ihren Handel mit dem Irak intensiviert und rechtfertigen dies mit den schweren Einbußen durch das Embargo, die ihre Ökonomien nicht länger verkraften würden.

Die anglo-amerikanischen Pläne stießen aber auf breite Ablehnung, da sie zum einen weiterhin strenge Importbeschränkungen für eine große Zahl essentieller Güter bedeuten würden, die von den USA als sogenannte "dual use"-Güter eingestuft werden, und zum anderen den Anrainerstaaten strengere Kontrollen der Grenzen abverlangen würden. Unverändert soll auch die gesamte Finanzkontrolle über den Irak beim UN-Sicherheitsrat verbleiben und ausländische Investitionen im Irak weiter verboten sein, inklusive die dringend notwendigen Investitionen in die marode Ölindustrie. Inakzeptabel dürfte mittlerweile auch der Lieferstopp von billigem irakischen Öl am Sanktionsregime vorbei sein, an dem die Nachbarstaaten stark profitieren. (11)

Eine spürbare Erleichterung für die Bevölkerung wäre im übrigen durch die Einführung solcher "intelligenten Sanktionen" kaum zu erwarten, wie die beiden ehemaligen UN-Koordinatoren für humanitäre Hilfe im Irak, Hans von Sponeck und Denis Halliday in einer gemeinsamen Erklärung ausführten. (12) Die humanitären Organisationen, die im Auftrag der UNO im Irak arbeiten, vertreten einhellig den Standpunkt, daß nur eine vollständige Aufhebung der Sanktionen (mit Ausnahme der Waffenimporte) es dem Irak ermöglichen würde, seine zerstörte Infrastruktur wieder aufzubauen. "Der Irak stellt heute für niemanden mehr eine militärische Bedrohung dar" halten Sponeck und Halliday den Sanktionsbefürwortern entgegen. "Für all die vorgebrachten Spekulationen über Massenvernichtungswaffen im Irak gibt es keine Beweise. Ein Irak, der auf dem Höhepunkt seiner militärischen Schlagkraft nicht einmal einen eindeutigen Sieg im Krieg gegen den Iran erringen konnte, ist kein Land, das nach zehn Jahren Wirtschaftssanktionen und sieben Jahren Abrüstung noch eine Gefahr darstellen kann." (13)

Die Zukunft der Sanktionen wird auch weiterhin im Sicherheitsrat und in der internationalen Öffentlichkeit heftig umstritten bleiben. Dies gilt in noch stärkerem Maße für die eigenmächtigen Maßnahmen zur direkten militärischen Kontrolle des Iraks, für die sich die USA und Großbritannien nun seit 11 Jahren die Lufthoheit über mehr als der Hälfte des irakischen Territoriums, den beiden einseitig proklamierten "Flugverbotszonen" im Norden und Süden des Landes sichern. Diese Zonen sind ausreichend, um das ganze Land aus der Luft überwachen zu können. Auch können aus diesem Luftraum mit geringem eigenem Risiko Luftangriffe auf die wichtigsten Ziele im irakischen Kernland durchgeführt werden.

In der ungleichen Auseinandersetzung um die Lufthoheit hat der Irak seit Anfang des Jahres seine Anstrengungen intensiviert. So haben irakische Abwehrgeschütze nach US-Angaben (14) in den ersten vier Monaten des Jahres fünfmal so häufig auf US- und britische Kampfflugzeuge gefeuert als im ganzen Jahr 2000. Dem Irak ist es offensichtlich auch gelungen, die Reichweite seiner Abwehrraketen zu erhöhen. Sie kamen einige Male alliierten Kampf- und Aufklärungsflugzeugen gefährlich nahe. Praktisch jedes Flugzeug würde beschossen und da die irakische Flugabwehr ihre Radaranlagen kaum noch einschalten würden, hätten die Piloten keine Anhaltspunkte mehr für Gegenangriffe. Ohne Radar feuern die Iraker ihre Geschosse meist "blind" in den Himmel, aber in solch großer Zahl, daß die US-Kommandeure vor Ort schon im Mai fürchteten, ihnen könnte bald einmal ein "Glückstreffer" gelingen. (15) Nach BBC-Angaben vom 11. September gelang es dem Irak seither tatsächlich, zwei unbemannte Aufklärungsdrohnen über dem Süden des Landes abzuschießen.

Wegen des gestiegenen Risikos für die US-Piloten und um die "Notwendigkeit" zur Bombardierung von irakischem Territorium zu vermeiden, zu der sie die irakische Luftabwehr "häufig provozieren würde", haben die verantwortlichen US-Generäle im Mai eine Einschränkung der Kontrollflüge gefordert. (16) Die Antworten auf solche "Provokationen" haben seit Januar 1999 nach teilweise von UN-Mitarbeitern bestätigten irakischen Angaben immerhin ca. 300 Menschen, vorwiegend Zivilisten, das Leben gekostet. (17)

Dennoch sehen die USA, wie sie an Boden verlieren, der Irak sich Schritt für Schritt aus seiner Isolierung befreit und auch die militärische Kontrolle in Frage stellt. Die Versuchung für die US-amerikanische Führung, den Irak durch umfassende Militärschläge wieder in seine Schranken zu weisen ist groß. US-Medien berichten immer wieder über Pläne einer Militäraktion vom Umfang der viertätigen Bombardierung vom Dezember 1998. (18) Die aktuellen Angriffe gegen Luftabwehrstellungen dienten demnach als notwendige Vorbereitung dafür. (19) Mit solchen Kriegshandlungen könnten die USA aber auch gänzlich den Rückhalt in der Region verlieren. Es bleibt abzuwarten, ob es den USA unter Ausnutzung der aktuellen Terrorismusdebatte gelingen wird, den massiven Vorbehalten ihrer Verbündeten zu begegnen.

Ziele und mögliche Folgen eines US-Militärschlages gegen den Irak

Auch über die Ziele eines möglichen US-geführten Militärschlages gehen die Ansichten auseinander, sie reichen vom "Sturz Saddam Husseins", bis zur Aufteilung des Iraks. Es wird nötig sein, sich wieder der eigentlichen wirtschaftlichen und strategischen Interessen der USA zu erinnern, um das wahrscheinlichste Vorgehen herauszufinden.

Viele sehen mit Jesse Helms das klare Endziel in der Ersetzung des Baath-Regimes durch ein pro-westliches Regime. Neben dem Problem, wie ein solches Vorgehen wenigstens vordergründig völkerrechtlich legitimiert werden könnte, würden sich dabei eine Menge praktische Probleme ergeben. Es gibt nach wie vor keine Kräfte im Hauptteil des Landes, auf die sich die USA stützen könnten und nach wie vor ist keine glaubwürdige Alternative als neue Regierung in Sicht. Ein Bürgerkrieg ist auch mit massiver US-Unterstützung nicht wahrscheinlich, womit auch die Möglichkeit, sich von verbündeten Kräften "zu Hilfe rufen" zu lassen, entfällt.

Allein im mehrheitlich kurdischen Nordirak können sich die USA auf Kräfte vor Ort stützen. Die zwei dort existierenden großen kurdischen Organisationen, KDP (Kurdische Demokratische Partei - Irak) und PUK (Patriotische Union Kurdistans) mit ihren Führern Barzani und Talabani, bezeichnen sich selbst zwar als politische Parteien, basieren jedoch nach wie vor auf Stammes- bzw. Clanstrukturen. Im Konfliktfall war Einfluss und Macht des jeweiligen Clans stets wichtiger, als die Verfolgung gemeinsamer Interessen. Beide Parteien haben es nach den Wahlen 1992, nachdem der irakischen Regierung die Kontrolle über die drei Provinzen verlor, daher nicht geschafft, das autonome kurdische Regionalparlament - übrigens auch Bestandteil der irakischen Verfassung - einvernehmlich zu führen. Die politischen Organisationen mit fortschrittlichen Programmen, verfügen über wenig Einfluss. Die Islamische Bewegung Kurdistans, die von Saudi-Arabien und dem Iran unterstützt wird, ist zwar zahlenmäßig stärker, aber politisch ebenfalls zerstritten.

In Bagdad selbst und dem Rest des Landes ist keine nennenswerte politische Opposition erkennbar, die für einen gewaltsamen Sturz der Regierung eintreten würde. Es existiert mit dem "Irakischen Nationalkongress" (INC) zwar ein Bündnis, das sich diesem Ziel verschrieben hat und in dem nach eigenen Angaben auch mehr als 30 oppositionelle Gruppen aus dem gesamten Irak zusammengeschlossen sind. (20) Doch sind diese Exilorganisationen politisch weitgehend unbedeutend und im Irak so gut wie nicht präsent. Für die große Mehrheit der irakischen Bevölkerung dürfte auch - unabhängig von ihrer politischen Orientierung - der INC wegen seiner Nähe zur USA, die ihn im wesentlichen finanzieren, keine Alternative darstellen. Auch innerhalb der schiitischen Opposition im Süden des Irak ist keine politische und militärische Kraft erkennbar, die der Regierung in Bagdad ernsthaft gefährlich werden könnte.

Auch wenn es den USA und ihren Verbündeten gelingen sollte, gestützt allein auf ihre militärische Überlegenheit, das Baath-Regime zu beseitigen, so hätten sie Schwierigkeiten, eine auf irakische Kräfte gestützte Regierung zu bilden. Zu erwarten wären auch hier, wie in den drei Nordprovinzen, Kämpfe verschiedener Gruppen untereinander um die regionale Vorherrschaft in dem einen oder anderen Gebiet.

Generell deutet alles daraufhin, daß nach wie vor der Druck von außen die Bevölkerung hinter ihre aktuelle Regierung zwingt. Diese erscheint daher stark und von innen nicht ernsthaft gefährdet, auch wenn es immer wieder zu Attentatsversuchen und Bombenanschlägen in Bagdad kommt, die wahrscheinlich Gruppierungen des INC zuzurechnen sind.

Eine regelrechte Besetzung des Landes, um das Regime zu stürzen, wird von den USA und Großbritannien angesichts des zu erwartenden hohen Preises an Menschenleben und Material, den dies gegen den Widerstand der Armee und wohl auch weite Teile der Bevölkerung erfordern würde, kaum ernsthaft erwogen.

Ein solches Vorgehen würde auch international auf Widerstand und massive Proteste stoßen. Im Gegensatz zum Golfkrieg würden sich die meisten Staaten der Region in diesem Falle an die Seite des Iraks stellen - eine direkte militärische Unterstützung könnte die irakische Führung allerdings kaum erwarten. Mit Sicherheit würde es massive Proteste der Bevölkerung in der arabischen Welt gegen die USA und alle Staaten, die sie unterstützen, geben, inklusive Angriffe auf Einrichtungen dieser Staaten in der Region. Die Wahrscheinlichkeit terroristischer Anschläge auf US-amerikanische Ziele würde ebenfalls stark zunehmen.

Teile und herrsche als mögliche Alternative

Zunehmend wird daher auch eine "Alternative" diskutiert, die eine territoriale Zerschlagung des Irak zum Ziel hat: Der Plan sieht eine Dreiteilung des Landes vor, die den "kurdischen Norden" sowie den "schiitischen Süden" des Landes vom Zentralstaat abtrennen würde. Die Einrichtung der "Flugverbotszonen" weisen bereits in diese Richtung. Da eine solche Dreiteilung nur gegen den erbitterten Widerstand der irakischen Armee durchzusetzen wäre, würde dies ebenfalls einen längeren Krieg und die anschließende dauerhafte Stationierung von Truppen der USA und ihrer Verbündeten nötig machen, die Errichtung von NATO-Protektoraten oder ähnlichem wäre die notwendigen Folge. Die UNO würde dabei keine Rolle spielen, da Rußland und China einer solchen Politik mit Sicherheit nicht zustimmen würden.

Es könnten im Norden auch die Türkei und im Süden Saudi-Arabien "Schutzmacht"-Stellungen erhalten. Beide Staaten haben seit langem Begehrlichkeiten hinsichtlich dort befindlicher Ölquellen geäußert. Der zitierte CNN-Turk-Moderator Mehmet Ali Birand forderte in dem gleichen Artikel denn auch, der "Nordirak sollte der türkischen Kontrolle überlassen werden". Die Türkei, so Birand weiter, sei nach den Angriffen vom 11. September "einer der zuverlässigsten Verbündeten" der USA. In den USA gehe man davon aus, dass "falls die USA gegen den Irak vorgehen sollten, die Türkei voll und ganz dahinterstehen" würde. Diesen Eindruck habe Premierminister Bülent Ecevit in einer Rede in CNN-International vermittelt. "In Washington heißt es, wenn diese Haltung beibehalten wird, könnte - im Falle eines Angriffes auf den Irak - der gesamte Nordirak der türkischen Kontrolle unterstellt werden."

Sehr wahrscheinlich sind diese Szenarien allerdings nicht. Sowohl international als auch regional würde ein solches Vorgehen auf heftigen Widerstand stoßen und es ist davon auszugehen, dass weder Syrien, noch der Iran eine solche "Lösung" akzeptieren würden. Eine Aufteilung des Irak hätte auf alle Fälle verheerende Konsequenzen und würde die Region auf lange Sicht destabilisieren.

Durchsetzung von US-Interessen durch dauerhafte Konfrontation

Es ist nicht untypisch, daß die Diskussion über mögliche Kriegshandlungen gegen den Irak sich vorwiegend mit der Frage beschäftigt, was die USA tun werden und weniger mit dem warum. Stillschweigend wird meist davon ausgegangen, daß es hier um Ziele, wie die Beseitigung eines diktatorischen Regimes oder die Verhinderung erneuter irakischer Aufrüstung gehen würde. Ziele also, die lohnend scheinen und wo allenfalls die eingesetzten Mittel, wie Krieg und Embargo, abzulehnen sind.

Die Demokratisierung des Iraks und die Beschränkung irakischer Rüstung sind allerdings nicht die primären Ziele, die die USA und Großbritannien am Golf verfolgen. Es ist wichtig daran zu erinnern, daß die unversöhnliche Feindschaft der einstigen Kolonial- wie der aktuellen Supermacht gegen das Baath-Regime ihren Ursprung in der Nationalisierung der Ressourcen des Landes, im Falle des Iraks des Erdöls haben. Der Irak wurde in der Folge zum Krieg gegen den Iran ermuntert und erhielt, als sich nach Anfangserfolgen das Blatt gegen ihn zu wenden drohte, auch massive westliche militärische Unterstützung. Die gleichzeitigen Waffenlieferungen an den Iran zeigen allerdings, daß die USA am liebsten keinen Sieger und kein Ende des ersten Golfkrieges gesehen hätten. Es lag an der irakischen Fehleinschätzung der Beziehungen der USA zu ihrem Land, die die Baath-Führung zum Überfall auf Kuwait ermunterte und der USA so die Gelegenheit gab, den zur Regionalmacht aufgestiegenen Irak wieder gründlich abzurüsten - militärisch, aber vor allem auch industriell.

Die USA und Großbritannien hatten nach Ende des "Zweiten Golfkrieges" mehreres erreicht: Sie sind nun wieder mit Streitkräften in der Region präsent und konnten somit die mit dem Sturz des Schah-Regimes aufgetretenen "Lücken" schließen. Der Irak ist als eigenständiger regionaler - politischer wie wirtschaftlicher - Faktor ausgeschaltet und über das Sanktionsregime haben sie auch wieder weitgehend die Kontrolle über das irakische Öl. Aus diesem Grunde liegen in der Aufrechterhaltung des Status Quo wahrscheinlich die größten Vorteile der beiden Staaten.

Das würde auch eine Politik erklären, die die Sanktionen auf unbestimmte Zeit fortschreiben will, an einer politischen Rüstungskontrolle aber offensichtlich nicht interessiert ist. Allen schon weit gediehenen Bemühungen in diese Richtung wurde mit den Bombardierungen im Dezember 1998 der Garaus gemacht. Zuvor hatten die Kontrolleure von UNSCOM den nahezu vollständigen Vollzug aller geforderten Abrüstungsmaßnahmen vermelden können. (21) Auf Kosten des Iraks war ein funktionsfähiges Videoüberwachungssystem mit mehr als 130 Installationen an allen Orten, die zur Rüstungsproduktion dienen könnten, eingerichtet worden, über die eine sehr effektive Überwachung möglich gewesen wäre. (22) UNSCOM wurde während der Kriegsvorbereitungen im Herbst 1998 abgezogen, das Videoüberwachungssystem fiel den folgenden angelsächsischen Bomben zum Opfer.

Auch die Aufrechterhaltung des status quo kann umfassende militärische Angriffe beinhalten. (23) Angriffsziele könnten neben der irakischen Luftabwehr auch Teile der Infrastruktur zur Förderung und Transport von Erdöl sein, um dem Irak die Möglichkeit, auf eigene Rechnung Öl zu exportieren, zu beschneiden. - Dies war eines der Ziele, der im Juni im UN-Sicherheitsrat gescheiterten US-Pläne zur Änderung der Sanktionspolitik.

Nachbarstaaten für ein Ende des Krieges

Dem Irak ist es in den letzten Jahren gelungen, sich aus der politischen Isolation zu befreien und auch die Beziehungen zu Iran und Syrien spürbar zu verbessern. Sämtliche Nachbarstaaten des Iraks haben sich anläßlich der Bombardierung im Februar des Jahres für ein Ende der Kriegshandlungen gegen den Irak ausgesprochen und nach den Anschlägen am 11. September bekräftigt, sich auf keinen Fall an Militärschlägen gegen einen arabischen Staat zu beteiligen zu wollen.

Daß sich selbst Länder wie die Türkei - nach Israel engster Partner der USA in der Region - gegen erneute Kriegshandlungen gegen den Irak wendet, hat handfeste Gründe: auf knapp 30 Mrd. $ beziffert die Türkei ihre Verluste durch das UN-Embargo gegen ihren einstmals größten Handelspartner Irak. Wie dauerhaft eine solche Ablehnung sein wird, bleibt abzuwarten. Erst kürzlich war eine Diplomatendelegation in Ankara und führte Gespräche im Aussenministerium und mit dem Generalstab über die Kriegsplanungen der USA. Anschließend lobten die US-Teilnehmer die Türkei als "leuchtenden Kronjuwel" in einer instabilen Region.

Schwieriger wird es sicher sein, die arabischen Verbündeten wie Saudi Arabien oder Ägypten zu einer Unterstützung von Kriegshandlungen gegen den Irak zu bewegen, die auf die starke Stimmung in der Bevölkerung, aber auch innerhalb der Armee Rücksicht nehmen müssen. Saudi Arabien besteht daher schon seit langem darauf, daß von US-Stützpunkten des Landes ausschließlich Kontrollflüge über den Irak geflogen werden. Angriffsflüge werden daher von der Türkei, Kuwait oder Flugzeugträger aus gestartet. (24)

Verlierer: die Völker der Region

Die Verlierer eines Militärschlages gegen den Irak wären in jedem Fall die Bevölkerung im ganzen Land, auch Kurden und Schiiten. Durch das mehr als zehnjährige UN-Embargo ist das wirtschaftliche, soziale und politische Niveau des Irak weit zurückgeworfen. Die Menschen sind krank und ohne Arbeit. Die Rate der Kindersterblichkeit hat sich mehr als verdoppelt, ein Drittel der irakischen Kinder leiden an Unterernährung, viele bleiben körperlich und geistig in der Entwicklung zurück.

Mittlerweile ist fast ein Drittel der irakischen Bevölkerung geflohen oder lebt und arbeitet in Jordanien, um Geld nach Hause schicken zu können. Es wird enorme wirtschaftliche, finanzielle und technische Anstrengungen bedürfen, um die wirtschaftliche und ökologischen Schäden des Landes wiedergutzumachen. Und nichts deutet derzeit darauf hin, dass dem Irak diese Chance gegeben werden soll.

Ein erneuter Militärschlag würde weder den Kurden noch den Schiiten nutzen, als deren Beschützer sich die westliche Welt gern aufspielt, sondern sie bleiben, wie die übrige irakische Bevölkerung, Geisel westlicher Interessen aber auch des Baath-Regimes. Ein bedingungsloses Ende des Embargos gegen den Irak, sowie eine Lösung der ausstehenden Probleme auf dem Verhandlungswege wie es u.a. der Aufruf der deutschen Initiative gegen das Irakembargo fordert, ist daher dringender den je. (25) Diese Forderungen müssen ergänzt werden durch den dringenden Appell an die USA und ihre Verbündeten, alle Kriegshandlungen gegen den Irak endlich einzustellen.

Joachim Guilliard ist Physiker, seit vielen Jahren in der "Dritte-Welt"-Bewegung aktiv und befaßt sich seit dem Golfkrieg 1990/91 mit der inneren Situation des Irak.

Karin Leukefeld ist freie Journalistin mit den Arbeitsschwerpunkten Kurdistan und Türkei.

(1) CNN, 24.9.2001. Helms war Vorsitzender des außenpolitischen Ausschusses und Initiator des "Helms-Burtons-Gesetzes" zur Verschärfung des US-Embargos gegen Kuba.

(2) So der Kolumnist und Moderator von CNN-Turk, Mehmet Ali Birand in der regierungsnahen türkischen Tageszeitung Hürriyet, 27.9.01.

(3) UPI, 14.9.01.

(4) Siehe: Jane's Security, 19.9.2001, www.janes.com

(5) afp, 23.9.2001.

(6) Siehe: Kurdistan Newsline, Sonderausgabe, 21.9.2001; K. Leukefeld, Falsche Fährten nach Nordirak, Junge Welt, 1.10.2001.

(7) Pressemitteilung Berlin, 27.9.2001.

(8) So warnte am 2. Oktober 2001 die Arabische Liga die USA erneut vor großangelegten Attacken gegen den Irak. Ein solcher Schritt würde eine sehr ernste Situation mit sich bringen und jeder Absichtserklärung zur internationalen Kooperation widersprechen, erklärte Amr Moussa, der Generalsekretär der Arabischen Liga. Siehe: Junge Welt, 4.10.01.

(9) The Guardian, 2.10.2001.

(10) Am 10. September 2001 hatten nach Angaben des US-Verteidigungsministeriums Kampfjets in drei Angriffswellen Ziele im Südendes Iraks attackiert. Acht Personen wurden dabei nach irakischen Angaben getötet und drei weitere verwundet. Siehe: BBC, 10.9.2001. Dies sei bereits der fünfte derartige Attacke seit dem 25. August 2001 gewesen. Erneute Bombardierungen wurden von Reuters auch am 20. und 21. September gemeldet.

(11) J. Guilliard, Taktische Rückzüge - USA und Großbritannien wollen Reihen gegen Bagdad wieder schließen, Junge Welt, 30.5.2001.

(12) Junge Welt, 21.6.2001. Sponeck und Halliday erklären in ihrer Stellungnahme auch, warum die Einnahmen aus dem Direktverkauf von Erdöl am Sanktionsregime vorbei für den Unterhalt von Verwaltung, Straßen, Schulen etc. aktuell unverzichtbar sind.

(13) ebd.

(14) Washington Post, 3.5.2001.

(15) N.N., Cuts Urged In Patrols Over Iraq, Washington Post, 9.5.2001. Ein Vorfall vom 24. Juli 2001, bei dem ein amerikanisches U-2-Aufklärungsflugzeug im südlichen Sperrgebiet nur knapp dem Abschuss durch das irakische Militär entging, hatte die US-Führung besonders alamiert. Eine irakische Rakete, vermutlich eine für größere Reichweiten ausgerüstete SAM-2 ohne Zielradar, kam so nah an das unbewaffnete einsitzige Aufklärungsflugzeug heran, dass der Pilot die Druckwelle spürte.

(16) ebd.

(17) Vgl. ami 4/99, S. 25ff.; ami 8-9/99, S. 33ff.

(18) Vgl. ami 1/99, S. 40ff.

(19) "Die US-amerikanischen Anstrengungen zielen auf die Vorbereitung des Schlachtfelds für eine wesentlich größere spätere Militäroperation, die wahrscheinlich den Rest des irakischen Militärs und seine Massenvernichtungswaffen (WMD) zum Ziel hätte. Allerdings werden die US-Anstrengungen im Moment noch durch die regionalen politischen Bedingungen behindert.

Die Zerstörung der Luftabwehreinrichtungen ... ist der klassische erste Schritt in jeder Luftangriffskampagne. ... Die umfangreiche US-Operation wird voraussichtlich in Größe und Umfang der Operation Desert Fox von 1998 entsprechen." Stratfor, 14.8.2001.

(20) Protokoll des INC-Kongress 24. / 25. März 2001, www.embargos.de/irak/aktionen/debat201/bran_congress.htm

(21) Siehe: Interview mit dem ehemaligen UNSCOM-Chefinspekteur Scott Ritter, Fellowship 65: 9-10 (September-Oktober 1999), www.nonviolence.org/for/ritter1.htm; weiteres Interview mit Scott Ritter, Junge Welt, 22.8.2000.

(22) Deirdre Sinnott: Die permanente Sanktionsmaschinerie - Was verbirgt sich hinter UNSCOM, in Göbel, Guilliard, Schiffmann (Hg.): Der Irak - Ein belagertes Land, PapyRossa Verlag, Köln, Mai 2001.

(23) Siehe: Analyse des privaten US-amerikanischen Nachrichtendienst "Stratfor", 27.7.2001; Rainer Rupp in Junge Welt, 2.8.2001.

(24) N.N., US-Truppen richten sich in der arabischen Wüste dauerhaft ein, Junge Welt, 15.5.2001.

(25) siehe www.embargos.de

Hintergrundinformationen zum Thema bietet das im Mai 2001 erschienene Buch: R. Göbel, J. Guilliard, M. Schiffmann (Hg.), Der Irak - Ein belagertes Land, PapyRossa-Verlag Köln


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