"Keine Beweise für eine Bedrohung"

Der deutsche Diplomat Hans von Sponeck war von 1998 bis 2000 UN-Koordinator für humanitäre Programme in Irak. Er trat zurück, weil er die katastrophalen Auswirkungen der gegen Bagdad verhängten Sanktionen auf die Bevölkerung nicht länger mitverantworten wollte. Die von den USA angedrohte Ausweitung ihres Krieges von Afghanistan auf Irak hält Sponeck für verhängnisvoll.

Die Gerüchte über einen bevorstehenden Angriff der USA auf Irak häufen sich. Nehmen Sie diese Drohungen ernst?

Ich glaube, das ist sehr ernst zu nehmen. Gerade deshalb müssen die europäischen Regierungen jeden nur möglichen Versuch unternehmen gegenzusteuern. Ich muss auch daran erinnern, dass der UN-Sicherheitsrat den USA bisher nur einen Angriff auf Afghanistan zugestanden hat. Wenn die Amerikaner sich im Rahmen des internationalen Rechts bewegen wollen, müssen sie zusehen, dass der Sicherheitsrat ihre Agenda akzeptiert. Im Moment ist aber Irak dort noch nicht einmal Gesprächsthema.

Glauben Sie denn, dass die US-Regierung auf solche völkerrechtlichen Bedenken Rücksicht nehmen würde?

Wenn ich in die Vergangenheit zurückblicke, dann bin ich nicht überzeugt, dass die USA diesen Weg gehen. Die brutale Wirklichkeit ist doch, dass vieles vom Sicherheitsrat ex post - also nach der Entscheidung der Amerikaner - abgesegnet worden ist. Ich kann mir denken, dass sie ähnlich vorgehen werden, wenn es darum geht: Wer ist als Nächstes an der Reihe?

Geht von Irak heute eine militärische oder terroristische Bedrohung aus?

Da kann ich mich auf den ehemaligen US-Verteidigungsminister William Cohen berufen. Er hat im Januar dem neuen Präsidenten Bush gesagt: "Irak stellt keine Gefahr für seine Nachbarn mehr dar." Über ein Bedrohungspotenzial Iraks wird nur spekuliert, aber es werden keine Belege geliefert. Auch als der Bundesnachrichtendienst BND im Februar über nukleare Aufrüstung in Irak sprach, gab es nur Behauptungen, aber keine Beweise.

Welches Motiv hätten denn dann die USA für einen Angriff?

Wenn heute konzediert würde, dass Irak keine Gefahr mehr darstellt - dann wäre doch die ganze amerikanische Politik am Golf hinfällig. Die USA könnten dann nicht mehr rechtfertigen, dass sie dort Truppen stationiert haben und die Irak-Sanktionen aufrechterhalten. Also malen sie weiter dieses Dämonen-Bild. Ich bin überzeugt, dass die Regierung Iraks bereit ist, über alle Themen zu sprechen. Bei den UN hat sie im Februar ein Verhandlungspaket auf den Tisch gelegt. Es wurde von den Amerikanern und den Briten ignoriert, weil sie wussten, dass ein Dialog mit Bagdad ihrer Politik am Golf den Teppich unter den Füßen wegzieht.

Das Gespräch führte Hinnerk Berlekamp.


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