amnesty international
Jahresbericht 2000

Irak

Amtliche Bezeichnung: Republik Irak

Staats- und Regierungschef: Saddam Hussein

Hauptstadt: Bagdad

Einwohner: 22,2 Millionen

Amtssprache: Arabisch

Todesstrafe: nicht abgeschafft

Wiederholt wurden aus dem vorwiegend von Schiiten bewohnten Süden Iraks gewaltsame Zusammenstöße zwischen den Sicherheitskräften und bewaffneten islamistischen Aktivisten gemeldet, insbesondere nach dem Tod des prominenten schiitischen Geistlichen Ayatollah Sadeq al-Sadr, der am 19. Februar unter ungeklärten Umständen getötet worden war. Die Zusammenstöße forderten auf beiden Seiten etliche Menschenleben. Im Berichtsjahr wurden Hunderte Menschen hingerichtet, unter ihnen politische und möglicherweise gewaltlose politische Gefangene. Die Behörden nahmen zahlreiche vermeintliche Oppositionelle willkürlich fest. Folterungen und Misshandlungen an Gefangenen und Häftlingen waren nach vorliegenden Meldungen weit verbreitet. Im Gebiet von Kirkuk wurden Hunderte nicht-arabische Familien, überwiegend Kurden, zwangsweise aus ihren Häusern vertrieben und nach Irakisch-Kurdistan abgeschoben.

Hintergrundinformationen

Die 1990 vom UN-Sicherheitsrat nach der irakischen Invasion in Kuwait verhängten strikten Handelssanktionen gegen den Irak hatten nach wie vor Bestand. Die Sanktionen lähmten die wirtschaftliche Infrastruktur des Landes und haben zu Rezession, hoher Arbeitslosigkeit, wachsender Unterernährung und steigenden Sterblichkeitsraten in der Bevölkerung sowie zu weit verbreiteter Korruption beigetragen. Nach Angaben von UNICEF sind 1999 im Irak rund 500000 Kinder im Alter von unter fünf Jahren verstorben.

Im Januar rief der UN-Sicherheitsrat drei separate Kommissionen für Irak ins Leben: eine, die sich mit Abrüstungs- und Verifizierungsfragen befassen sollte, eine zur Einschätzung der humanitären Lage sowie eine weitere, die beauftragt wurde, der Situation kuwaitischer Kriegsgefangener nachzugehen und die Frage der Rückgabe kuwaitischer Vermögenswerte zu klären. Zwei Monate später unterbreiteten die drei Kommissionen dem Sicherheitsrat ihre Empfehlungen. Die Kommission für humanitäre Fragen erklärte, die Deckung des nötigsten humanitären Bedarfs im Irak erfordere eine Anhebung der festgesetzten Obergrenze für Ölverkäufe zur Bereitstellung zusätzlicher Staatseinnahmen und befürwortete eine Aufstockung humanitärer Hilfe und einen besseren Verteilungsmechanismus. Die Kommission empfahl der irakischen Regierung, für eine zügige Verteilung humanitärer Hilfsgüter Sorge zu tragen und insbesondere die Notlage bedürftiger Bevölkerungsteile zu berücksichtigen.

Nach monatelangen Verhandlungen verabschiedete der UN-Sicherheitsrat im Dezember Resolution 1284, auf deren Grundlage eine neue Rüstungskontrollkommission für den Irak (UN Monitoring, Verification and Inspection Commission – UNMOVIC) geschaffen wurde und die gegen Irak verhängten Handelssanktionen ausgesetzt werden können, sofern das Land den Waffeninspekteuren die Wiederaufnahme ihrer Arbeit ermöglicht. Des Weiteren enthielt die Resolution mehrere Bestimmungen, mit denen die humanitären Folgen der Sanktionen gemildert werden sollen. Doch Uneinigkeit unter den Mitgliedern des Sicherheitsrates und die erklärte Weigerung des Irak, mit den Waffeninspekteuren zu kooperieren, ließen Verbesserungen im humanitären Bereich ungewiss erscheinen.

Im August reiste 'Ezzat Ibrahim al-Duri, Stellvertretender Vorsitzender des Revolutionären Kommandorats, des höchsten Exekutivorgans im Irak, zu einer medizinischen Behandlung nach Österreich. Während seines Krankenhausaufenthalts erstattete ein Stadtrat von Wien bei einem Wiener Gericht Anzeige gegen 'Ezzat Ibrahim al-Duri, in der er ihn beschuldigte, für die irakische Invasion in Kuwait im Jahre 1990 verantwortlich und persönlich an Angriffen gegen Kurden und anderen Gräueltaten wie Folterungen beteiligt gewesen zu sein. Wenige Tage darauf verließ 'Ezzat Ibrahim al-Duri Österreich wieder, obwohl die Vereinigten Staaten, irakische Oppositionsgruppen und Menschenrechtsorganisationen die österreichische Regierung aufgefordert hatten, den Vorwürfen gegen ihn nachzugehen oder Anklage gegen ihn zu erheben. Berichten zufolge war bei der Abreise von 'Ezzat Ibrahim al-Duri seine medizinische Behandlung noch nicht abgeschlossen.

In einer Stellungnahme vom September zum Jahresbericht 1999 gingen die irakischen Behörden auf die Anliegen von amnesty international nicht näher ein.

Luftangriffe der USA und Großbritanniens fordern Menschenleben unter der irakischen Zivilbevölkerung

Im Dezember 1998 starteten die Streitkräfte der USA und Großbritanniens eine viertägige militärische Offensive gegen den Irak. Seither haben sie in regelmäßigen Abständen neuerliche Luftangriffe gegen irakische Ziele in den Flugverbotszonen im Norden und Süden Iraks geflogen. Über diese nördlich des 36. und südlich des 33. Breitengrades gelegenen Zonen hatten die alliierten Streitkräfte nach dem Ende des Golfkriegs ein Flugverbot verhängt, das dem Schutz der kurdischen und schiitischen Bevölkerung des Irak dienen sollte. Bei den Luftangriffen wurden nach vorliegenden Meldungen zahlreiche Zivilisten getötet und viele weitere verletzt. Vertreter der US-amerikanischen Streitkräfte beschuldigten den Irak, militärische Einrichtungen in der Nähe von Wohngebieten der Zivilbevölkerung stationiert zu haben.

Am 30. April wurden in Mosul im Norden des Landes ein Schäfer und sechs seiner Familienangehörigen in ihrem Zelt getötet. Ein für humanitäre Fragen zuständiger UN-Vertreter, der das Gebiet besuchte, bestätigte den Tod der sieben Menschen.

Mit weltweiten Appellen protestierte amnesty international gegen die anhaltenden Verluste unter der Zivilbevölkerung durch die Luftangriffe der USA und Großbritanniens. Regierungsvertreter der betreffenden Länder erklärten in Stellungnahmen gegenüber der Organisation, bei den Aktionen ihrer Streitkräfte handele es sich um Akte der Selbstverteidigung, und man sei äußerst bemüht, Opfer unter der Zivilbevölkerung zu verhindern. Die Stellungnahmen enthielten allerdings keinerlei Hinweise darauf,welche Maßnahmen zu diesem Zwecke ergriffen worden sind. Im Oktober erklärten allerdings Vertreter der US-amerikanischen Streitkräfte, ihre Flugzeuge würden bei den Luftangriffen auf den Nordirak anstelle von Sprengkörpern mit Beton gefüllte Bomben abwerfen, um »die Möglichkeit, dass in der Nähe militärischer Ziele Personen oder Einrichtungen zu Schaden kommen, zu minimieren«.

Todesstrafe

Nach wie vor wurde die Todesstrafe im Irak extensiv angewendet. Hunderte Menschen, unter ihnen möglicherweise gewaltlose politische Gefangene, wurden im Berichtsjahr hingerichtet. Angesichts der Geheimhaltung, die Exekutionen umgab, war es in vielen Fällen nicht möglich festzustellen, ob es sich um gerichtlich verhängte oder extralegale Hinrichtungen gehandelt hat. Zu den Opfern zählten mehrheitlich Schiiten, die im Verdacht oppositioneller Aktivitäten standen. Aber auch mehrere hochrangige Offiziere, denen Verbindungen zu irakischen Oppositionellen im Ausland oder Verschwörung zum Sturz der Regierung zur Last gelegt wurden, befanden sich unter den Opfern.

Im März wurde Mohammad Jabbar al-Rubay'i, ein 36-jähriger Offizier der Sonderstreitkräfte, hingerichtet. Berichten zufolge hatte man ihn unter der Anschuldigung, er habe außer Landes flüchten wollen, etwa zwei Jahre lang im Gefängnis des Militärischen Nachrichtendienstes in Haft gehalten. Die Behörden händigten den Leichnam von Mohammad Jabbar al-Rubay'i seiner Familie aus, allerdings unter der Auflage, ihn ohne jede religiöse Zeremonie zu bestatten.

Am 12. Oktober 1999 wurden im Abu-Ghraib-Gefängnis vermutlich mehr als 100 Menschen hingerichtet. Zu den Opfern zählten mindestens 19 politische Gefangene, unter ihnen der Schriftsteller Hamid al-Mukhtar, der nach dem Mord an Ayatollah al-Sadr im Februar inhaftiert worden war. Berichten zufolge hatte er geplant, in seinem Haus zum Gedenken an Ayatollah al-Sadr eine religiöse Feier abzuhalten. Angehörige der Sicherheitskräfte stürmten das Haus und nahmen Hamid al-Mukhtar und seinen Sohn fest. Berichten zufolge haben die Behörden den Sohn gefoltert, später allerdings freigelassen. Hamid al-Mukhtar hingegen wurde hingerichtet.

Folterungen und Misshandlungen

Trotz der Verankerung des Folterverbots in der irakischen Verfassung sahen sich die Insassen der Gefängnisse und Haftzentren des Landes systematischen Folterungen und Misshandlungen ausgesetzt. Politische Gefangene wurden besonders schwer gefoltert. Zu den geschilderten Methoden der körperlichen und psychologischen Folterungen zählten Elektroschocks an verschiedenen Körperteilen, das Ausreißen von Fingernägeln, das Aufhängen an den Gelenken über lange Zeiträume hinweg, Schläge mit Kabeln, die falaqa (Schläge auf die Fußsohlen), Verbrennungen mit Zigaretten, das Durchbohren der Hände mit Bohrmaschinen, Scheinhinrichtungen sowie die Drohung, weibliche Angehörige der Gefangenen – insbesondere die Ehefrau oder die Mutter – abzuholen und vor den Augen des Häftlings zu vergewaltigen.

Im Juni nahmen die Behörden eine 59-jährige Ärztin in ihrer Klinik fest, die sie verdächtigten, Kontakte zu einer irakischen Oppositionsgruppe zu unterhalten, ein Vorwurf, den die Ärztin strikt zurückwies. Sie wurde einen Monat lang von der Außenwelt abgeschnitten in Haft gehalten und in dieser Zeit gefoltert. Während der ersten Tage musste sie flach auf dem Boden liegen, während ein maskierter Mann sie der falaqa unterzog. Mehrfach verlor sie während der Folterungen das Bewusstsein. Durch Bestechung eines Wärters konnte sie schließlich aus dem Gefängnis entkommen und außer Landes flüchten.

Willkürliche Festnahmenund Inhaftierungen

Während des gesamten Berichtsjahres erhielt amnesty international von Meldungen über willkürliche Festnahmen vermeintlicher Oppositioneller Kenntnis, unter ihnen möglicherweise gewaltlose politische Gefangene. Bei den meisten der Festgenommenen handelte es sich um Schiiten, die im Verdacht standen, Kontakte zu im Untergrund aktiven islamistischen bewaffneten Gruppen zu unterhalten. Andere wurden nur deshalb verhaftet, weil die Behörden nach Angehörigen von ihnen fahndeten. Tausende in früheren Jahren festgenommene vermeintliche Oppositionelle befanden sich Ende des Berichtsjahres nach wie vor in Haft. Gewöhnlich war es nicht möglich, Informationen über Schicksal und Verbleib der Gefangenen zu erhalten, zum einen, weil die Regierung die Weitergabe von Informationen strikt kontrollierte, zum anderen, weil die Informanten Vergeltungsaktionen der Behörden fürchteten. In einigen Fällen wurden festgenommene Personen später hingerichtet. Ob man sie zuvor vor Gericht gestellt und verurteilt oder einfach extralegal hingerichtet hat, entzog sich der Kenntnis von amnesty international.

Im Januar und Februar nahmen die Behörden im Südirak und in Bagdad mehrere der engsten Mitarbeiter des am 19. Februar ermordeten Ayatollah al-Sadr fest. Über ihren Verbleib bestand Ende des Berichtsjahres weiterhin Ungewissheit. Zu den Festgenommenen zählten al-Shaikh Awus al-Khaffaji, ein Imam aus al-Nassirya, sowie der aus al-Najaf stammende Religionsgelehrte al-Shaikh 'As'ad al-Nassiri.

Anfang Oktober verhafteten die Behörden Dr. Hashem Hassan, einen Dozenten der Journalistischen Fakultät an der Universität Bagdad. Ende 1999 war sein Verbleib nach wie vor ungeklärt. Berichten zufolge befand sich Dr. Hassan auf dem Weg nach Jordanien, als er – noch auf irakischem Hoheitsgebiet – an der Grenze von Sicherheitsbeamten in Zivilkleidung festgenommen wurde. Dr. Hassan hatte in mehreren Tageszeitungen zahlreiche Artikel veröffentlicht. Vor seiner Festnahme hatte man ihm Berichten zufolge die Mitgliedschaft sowohl in der irakischen Journalistengewerkschaft als auch in der irakischen Schriftstellergewerkschaft entzogen, weil er in seinen Schriften die Politik der Regierung kritisiert hatte.

Irakisch-Kurdistan

Seit 1997 hat sich die Menschenrechtssituation in Irakisch-Kurdistan schrittweise verbessert. Mit einem 1997 erklärten Waffenstillstand waren massive Übergriffe der Regierungsparteien, ihrer Milizen und der Sicherheitskräfte beendet worden. Doch auch 1999 erhielt amnesty international vereinzelt von Berichten über Menschenrechtsverstöße wie willkürliche Festnahmen und politische Morde Kenntnis. Über das Schicksal zahlreicher politischer Gefangener und in den Vorjahren »verschwundener« Personen bestand weiterhin Ungewissheit.

Der Ende 1997 zwischen der Demokratischen Partei von Kurdistan (Kurdistan Democratic Party – KDP) und der Patriotischen Union von Kurdistan (PUK) vereinbarte Waffenstillstand blieb auch 1999 in Kraft. In weiteren Gesprächen bemühten sich KDP und PUK um die Umsetzung eines im September 1998 in der US-amerikanischen Hauptstadt Washington unterzeichneten Friedensabkommens, in dem sich die Konfliktparteien unter anderem verpflichtet hatten, in den von ihnen kontrollierten Gebieten Wahlen abzuhalten. Im Oktober einigten sich KDP und PUK auf einen Austausch aller noch verbliebenen Gefangenen und die Eröffnung von Büros auf dem von der rivalisierenden Partei kontrollierten Gebiet.

Im Februar nahmen Sicherheitskräfte der PUK in Sulaimaniya zwei nur wenige Tage zuvor aus dem Iran geflüchtete Mitglieder der iranischen Opposition fest. Es handelte sich um Mehdi Satter-Aloyoub und seinen Bruder Massoud Satter-Aloyoub. Die PUK beschuldigte die beiden, illegal nach Irakisch-Kurdistan eingereist zu sein und versucht zu haben, der von Bagdad aus operierenden Organisation der Volksmudschaheddin von Iran beizutreten. Ende 1999 wurden sie Berichten zufolge nach wie vor im Direktorat des Allgemeinen Sicherheitsdienstes in Sulaimaniya festgehalten.

Im Oktober flüchtete der Gewerkschafter Nabil Karim, nach dem die Behörden wegen angeblicher regierungsfeindlicher Aktivitäten fahndeten, aus Bagdad. Bei seiner Ankunft in Arbil wurde er nach vorliegenden Meldungen von den Sicherheitskräften der KDP festgenommen. Über seinen Verbleib bestand bei Jahresende nach wie vor Ungewissheit.

Im Berichtsjahr erhielt amnesty international von politisch motivierten Morden Kenntnis. Für einige dieser Tötungen sollen bewaffnete Islamisten verantwortlich sein. Bei den Opfern handelte es sich zumeist um säkular orientierte Personen, unter ihnen prominente Kommunisten. Nach wie vor wurden auch Todesdrohungen und Schikanen gegen Mitglieder von Frauenorganisationen und kommunistischen Gruppierungen gemeldet, für die Berichten zufolge ebenfalls islamistische Gruppen Verantwortung trugen.

Im April wurde Nicholas Sleight, ein UN-Minensucher aus Neuseeland, in der Nähe des UN-Stützpunktes Ain Kawa in Arbil von einem bewaffneten Unbekannten erschossen. Im Mai ließ die KDP amnesty international wissen, es seien Ermittlungen zur Aufklärung des Falles im Gange, deren Ergebnisse publik gemacht würden.

Im Oktober wurde Farhad Faraj Amin, Mitglied des Zentralkomitees der Organisation Kommunistischer Revolutionäre, von unbekannten Schützen in seinem Haus in Sulaimaniya ermordet.

Im Juli teilte die KDP amnesty international mit, die Ermittlungen zur Aufklärung des Todes zweier syrischer Frauen seien noch nicht abgeschlossen. Nasreen Hina Shaba und ihre Tochter Larsa Tuma waren im November 1998 bei einem Bombenanschlag auf ihr Haus umgekommen. Weitere Übergriffe gegen christliche Familien in Arbil sowie der Mord an zwei Mitgliedern der Irakischen Kommunistischen Arbeiterpartei im April 1998 waren KDP-Quellen zufolge gleichfalls weiterhin Gegenstand von Ermittlungen.

Berichte von amnesty international

Iraq: Victims of systematic repression (ai-Index MDE 14/010/99)


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