Von Anton Holberg
Neues Deutschland, 16.12.2003
Ist mit der Gefangennahme Saddam Husseins dem Widerstand die Spitze gebrochen? Viel spricht dafür, dass dies Wunschdenken ist.
Die genaue Zusammensetzung des bewaffneten Widerstands in Irak ist nur unzulänglich bekannt. Das Gleiche gilt zweifellos für die psychische Verfassung der Widerstandskämpfer und ihres Umfelds. Die Vorstellung, nach der Gefangennahme des »Zaim« könne der Widerstand über kurz oder lang nur zusammenbrechen, ist eng mit dem Glauben an die Propaganda verbunden, derzufolge dieser Widerstand in erster Linie das Werk von »Saddam-Getreuen« sei.
Übertrieben ist es sicher, wenn Sherif Bin Ali, ein Verwandter des 1958 gestürzten Königs Faisal II. und Unterstützer der USA-Invasion, behauptet: »Saddam hat nichts mit dem Widerstand zu tun. Seine feige Kapitulation bestätigt, was wir schon lange wissen. Es ist Zeit mit dem Widerstand zu verhandeln.«
Natürlich gibt es »Saddam-Getreue«, das heißt solche, die für seinen neuerlichen Machtantritt gekämpft haben und jetzt entweder aufgeben oder unter einer neuen Fahne antreten müssen. Doch ist es längst ein offenes Geheimnis, dass das Gros der selbst von der CIA auf inzwischen über 50000 geschätzten Kämpfer weder »Saddam-Getreue« noch Al-Qaida-Anhänger sind, sondern sich aus dem Heer derer rekrutieren, die entweder aus antiimperialistischem und teilweise durchaus religiös verbrämtem nationalistischem Verständnis gegen die Besetzung ihres Landes kämpfen oder weil sie sich für Untaten der USA-Armee rächen wollen, die sie persönlich betrafen. Auch Demobilisierte der alten Armee und anderer Teile des staatlichen Sicherheitsapparats, die sich und ihre Angehörigen durch die Besatzungsverwaltung um ihr tägliches Brot gebracht sehen, haben ein Motiv zum Widerstand.
Robert Fisk weist in einem Beitrag für den Londoner »Independent« darauf hin, dass die Zeitung bislang 12 verschiedene Widerstandsorganisation gezählt habe, von denen nur eine als »Saddam-Anhänger« bezeichnet werden könne. Manche der bis dato arbeitslosen Widerstandskämpfer scheinen im übrigen unterdessen Lohn und bessere militärische Ausbildung bei den neuen Polizeieinheiten gefunden zu haben, ohne deswegen den Widerstand eingestellt zu haben.
Zweifellos war der Diktator bei der Mehrzahl der irakischen Bevölkerung mindestens so verhasst wie bis vor kurzem gefürchtet. Aber ist mit seiner Ausschaltung auch die Baath-Partei am Ende? Die in Syrien gegründete panarabische nationalistische Baath-Partei (ASBP) bestand schon lange, bevor Saddam Hussein mit 20 Jahren ihr Mitglied wurde und erst recht bevor er sich ihrer Anfang der 70er bemächtigte. Für nicht wenige Mitglieder der Partei dürfte der vor einigen Tagen von der »Jordan Times« zitierte 53-jährige Ingenieur und ASBP-Ortsfunktionär in Baquba, Abdel-Sattar, gesprochen haben, als er sagte: »Unsere Werte waren richtig... Die Idee war das eine, das System das andere, genau wie in der Sowjetunion.« Ein anderes Parteimitglied, Abdel-Hafiz Ahmed fügte hinzu, er bezweifele, dass irgendeine Partei die gleiche umfassende nationalistische Anziehungskraft in einem Land mit so vielen ethnischen und religiösen Spaltungen haben werde wie die Baath-Partei. Kurz: Der Widerstand ist weder überwiegend baathistisch noch ist der baathistische Teil notwendigerweise »saddamistisch«.
In der arabischen Welt einschließlich Iraks selbst hat die Gefangennahme Saddam Husseins zu sehr unterschiedlichen Reaktionen geführt. Der unverhohlenen Freude insbesondere bei vielen Opfern des Diktators und bei Repräsentanten der von den USA abhängigen Golfmonarchien steht ein weit verbreitetes Gefühl der Frustration gegenüber, die insbesondere aus der Tatsache herrührt, dass Saddam Hussein nicht von Irakis festgenommen wurde, sondern von einer Besatzungsmacht, die von Palästina bis Irak allenthalben für Unterdrückung, Tod und Elend die Verantwortung trägt. Weiteste Teile der arabischen Presse bis hin zu der im benachbarten Kuwait haben sich deshalb aller Freudenkundgebungen enthalten.
Andere Teile der arabischen Öffentlichkeit, gerade auch Gegner Saddam Husseins, sehen in dessen endgültiger Ausschaltung sogar eine Chance für den antiimperialistischen Widerstand. Der in London Soziologie lehrende Exiliraker Sami Ramadani ist der Meinung, dass nun die seit Monaten an die Wand gemalte Gefahr einer Rückkehr des Diktators an die Macht definitiv gebannt sei. Deshalb bestünden bessere Chancen für die Einbeziehung früherer Opfer und Gegner des Regimes in verschiedene Formen des Widerstands von bewaffneten Widerstandskämpfern über Gewerkschafter bis zu den Anhängern des schiitischen Ayatollah Sistani.
(ND 16.12.03)