Öl, Krieg und ein wachsendes Panikgefühl in den USA

von Robert Fisk

ZNet 07.10.2003

Öl ist ein glitschiger Stoff, aber nicht so glitschig wie die Zahlen, die uns jetzt von den amerikanischen Besatzern im Irak feilgeboten werden. In der Gegend um Kirkuk im Norden halten die Behörden die Zahl der begangenen Sabotageakte geheim, weil sie nicht verhindern können, dass die Pipelines, die in die Türkei führen, in die Luft gejagt wird. Und weiter südlich in Bagdad, wo die Männer, die die Produktionszahlen für irakisches Öl präsentieren, anfangen den Bewohnern von Platos Höhle zu ähneln und Schlussfolgerungen aus den Schatten an den Wänden ziehen, werden die Statistiken frisiert. Paul Bremer, der Prokonsul in Kampfstiefeln, verschönt die Zahlen bis zu einem Punkt, an dem sogar die Ölexperten mit dem Kopf schütteln.

Nehmen wir Kirkuk. Nur wenn die Fernsehkameras eine explodierte Pipeline einfangen und Flammen in die Luft steigen, berichtet die Besatzungsmacht von Sabotage. Das geschah zum Beispiel am 18. August. Aber dieselbe türkische Ölleitung ist bereits vorher und auch später wieder explodiert. Sie wurde einmal am 17. September und vier Mal am darauf folgenden Tag in die Luft gejagt. US-Patrouillen und Hubschrauber sind an die Pipelines vorgerückt, aber in den großen Schluchten und Stammesgebieten, durch die diese führen, sind große Bereiche nicht zu verteidigen.

Europäische Ölexperten verstehen jetzt, dass die irakischen Beamten im Ölministerium - nur eines von zwei Ministerien, das die Amerikaner gegen Plünderungen schützten - sehr wohl wussten, dass Sabotageakte geschehen würden. "Sie erzählten mir im Juni, dass es keine Ölexporte aus dem Norden geben würde", teilte mir einer von ihnen diese Woche mit. "Sie wussten, dass diese sabotiert würden und das war offensichtlich sehr lange vor der Invasion im März geplant worden."

Zu Beginn ihrer Besatzung trafen die Amerikaner die geheime - und unkluge - Entscheidung, viele Öltechnokraten, die der Baath-Partei angehörten, wieder einzustellen, was bedeutet, dass eine große Anzahl der Ministerialbeamten den Amerikanern immer noch ambivalent gegenüberstehen. Die einzigen Öleinnahmen, an welche die USA gelangen, kommen aus dem Süden. Mitte August erweckte Mr Bremer den Eindruck, die Produktion läge bei 1,5 Millionen Barrel am Tag. Aber die wirklichen Zahlen lagen bei 780 000 Barrel und selten erreicht die Produktion 1 Million. Mit den Worten eines Ölanalysten, der den Irak bereiste, ist das eine "unverzeihliche Katastrophe".

Als die USA den Irak im März angriffen, produzierte das Land 2,7 Millionen Barrel am Tag. Es ist durchgesickert, dass die US-Truppen in den ersten Stunden, nachdem sie am 09. April in Bagdad einmarschiert sind, Plünderern den Zugang zum Ölministerium genehmigten. Als dann höhere Offiziere ankamen und die Plünderer herauskommandierten, hatten diese schon nicht ersetzbare seismische Daten und solche, die Auskunft über Bohrungen gaben, im Wert vom mehreren Milliarden Dollar zerstört.

Während die großen Ölkonzerne in den USA bereitstehen, Milliarden Dollar abzuschöpfen, wenn die Ölproduktion ernsthaft wieder aufgenommen wird, wollten viele ihrer leitenden Angestellten - lange vor dem Krieg - von der Bush Administration wissen, wie diese beabsichtige, Sabotageakte zu verhindern. Saddam hatte eigentlich keine Pläne, die Ölfelder selbst zu zerstören, aber viele, die Pipelines für den Export in die Luft zu jagen. Das Pentagon hat das ganz anders verstanden und schickte seine Truppen zum Schutz der Ölfelder und ignorierte die ungeschützten Ölleitungen.

Im Nachkriegsirak ist die Anarchie jetzt soweit verbreitet, dass es für internationale Investoren kaum möglich ist, dort zu arbeiten. Es gibt für sie keine Versicherung, deshalb haben Mr Bremers Besatzungsbeamten heimlich beschlossen, dass über die Hälfte der 20 Milliarden Dollar, die für den Irak bestimmt waren, in die Sicherheit seiner Produktionsinfrastruktur investiert werden.

Während des Krieges deutete eine detaillierte Analyse von Ayhya Sadowski, einem Professor an der American University of Beirut, an, dass die Reparatur der Bohrlöcher und Pipelines 1 Milliarde Dollar kosten würde, die Erhöhung der Ölproduktion auf 3,5 Millionen Barrel täglich drei Jahre dauern und zusätzliche 8 Milliarden Dollar Investitionen verschlingen würde sowie weitere 20 Milliarden Dollar benötigt würden für die Reparatur des Elektrizitätsnetzes, welches die Pumpen und Raffinerien mit Strom versorgt. Um die Produktion auf bis zu 6 Millionen Barrel am Tag zu erhöhen, wären weitere 30 Milliarden Dollar - einige sprechen gar von 100 Milliarden - nötig.

Mit anderen Worten - nehmen wir an, nur 8 der 20 Milliarden Dollar würden für die Industrie genutzt werden - dann würde Bushs gesamtes Budget von 87 Milliarden Dollar, das den Kongress schon jetzt entsetzt, wahrscheinlich auf etwa 200 Milliarden steigen. Auweh!

Seit den 1920ern sind nur 2300 Ölquellen im Irak betrieben worden und die befinden sich in den Tälern des Tigris und des Euphrats. Die irakischen Wüsten sind fast vollkommen unerforscht. Offiziell besitzt der Irak 12 Prozent der Weltölreserven - zwei Drittel der Weltreserven befinden sich in nur vier anderen Ländern, Saudi Arabien, der Iran, Kuwait und die Emirate - er könnte aber über 20, vielleicht sogar 25 Prozent verfügen.

Es ist möglich, die Ansicht zu vertreten, dass Saddam die Entscheidung getroffen habe, im November 2000 vom Dollar zum Euro zu wechseln und das dies für die USA einen "Regimewechsel" so wichtig machte. Als der Iran drohte, das Gleiche zu tun, wurde er zur "Achse des Bösen" hinzugefügt. Die Verteidigung des Dollars ist fast so wichtig wie Öl.

Aber die wirkliche Ironie liegt in der Natur der neuen Macht Amerikas im Irak. Die US- Öllagerstätten gehen zunehmend zur Neige und spätestens 2025 werden die Ölimporte 70 Prozent der inländischen Nachfrage ausmachen. Die USA müssen die Weltreserven kontrollieren - und erzählen Sie mir nicht, sie wären in den Irak einmarschiert, wenn dessen wichtigstes Exportgut Rüben wären - und momentan kontrollieren Sie vielleicht 25 Prozent der Weltreserven.

Aber sie sind nicht in der Lage, das Öl zum Fliessen zu bringen. Die Kosten dafür würden in den USA zu einer ökonomischen Krise führen. Und das ist der Grund für die wachsende Panik der Bush Administration und nicht der, dass täglich junge amerikanische Soldaten sterben. Washington hat den Zugriff auf die größte Schatztruhe der Welt, kann aber den Deckel nicht öffnen. Kein Wunder, dass sie die Bilanzen in Bagdad frisieren.

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Übersetzt von: Tony Kofoet
Orginalartikel: "Oil, War And A Growing Sense Of Panic In The Us"