In der jetzigen Stimmung scheinen Bush und Blair noch nicht zu realisieren, in welchen Morast sie sich begeben haben.
Von Patrick Cockburn - ZNet 28.04.2003
An einem amerikanischen Militär-Checkpoint auf der Straße nördlich Kirkuks halten zwei US-Soldaten jeweils ein Schild in kurdischer Sprache in die Höhe. Auf dem einen Schild steht: ‘Autofahrer - nur eine Fahrbahn benutzen!’ auf dem andern: ‘Waffentragen verboten!’. Das Problem: Die Soldaten können kein Kurdisch. Also haben sie die Plakate verwechselt. Der eine schwenkt wütend sein Keine-Waffen-Plakat gegen einen überholenden Autofahrer, der nur die Spur wechseln will. Zur selben Zeit ein paar Dutzend Meter weiter die Straße runter: Ein gestreßter Offizier hält Autofahrer an und fragt sie mit seinem Schild in der Hand (auf Englisch, das sie nicht verstehen), ob sie irgendwelche Waffen hätten. Alles, was er erntet, ist ein freundliches Lächeln und ein erhobener Daumen. Die ganz normalen amerikanischen Soldaten machen es einem leicht, sie zu verhöhnen. Verwirrt sehen sie sich der Aufgabe gegenüber, in einer der kompliziertesten Gesellschaften der Welt Autorität unter Beweis stellen zu müssen.
Aber was am meisten verwundert, wie minutiös die USA ihre Militärkampagne planten und wie wenig sie sich anscheinend Gedanken gemacht haben über die zu erwartenden politischen Folgen im Irak. Warum derart überrascht über die Plünderungen in den Städten? Im Irak hat dieses Phänomen in Kriegszeiten Tradition. Schon im Ersten Weltkrieg, als britische und türkische Truppen sich gegenseitig bekämpften - in jenen Provinzen, die später Irak werden sollten -, beschwerten sich beide Parteien, die Plünderer hätten es so eilig, die Schlachtfelder zu plündern (und hin und wieder einem Verwundeten die Kehle durchzuschneiden), dass sie nicht einmal abwarteten, bis das Schießen aufhört. Auch während der großen Schiiten- und Kurdenaufstände 1991 wurden Regierungsbüros und Museen systematisch ausgeplündert - so wie heute 2003. Ich bin in den letzten Wochen viel im Nordirak herumgefahren. Aber jedesmal, wenn ich keine Plünderer in ihren typischen schäbigen Pick-ups vorbeifahren sah, wurde ich nervös. Nur etwas sehr Gefährliches konnte diese Leute abgehalten haben.
Die Amerikaner haben versagt, die Plünderungen zu stoppen. Das dämpft ihre Aussichten, auch nur temporär Stabilität herstellen zu können. Auch das Schneckentempo, mit dem die Strom-, Wasser- und Benzinversorgung wiederhergestellt wurde, dämpft die Hoffnungen. Erst gestern haben es die Amerikaner geschafft, sich mit dem irakischen Beamten, der für die öffentliche Versorgung Bagdads zuständig ist, an einen Tisch zu setzen. 1945 in Berlin: bereits 6 Tage vor dem Fall der Stadt versammelten die Sowjet-Generäle die für Wasser-, Strom- und Abwasserversorgung zuständigen Deutschen. Natürlich könnten die Amerikaner argumentieren, sie seien den absolut miesen Ratschlägen von Exil-Irakern auf den Leim gegangen. Nehmen wir zum Beispiel Prof. Kanaan Makiya, ein alter Widersacher Saddam Husseins. Zu Beginn des Jahres hatte George Bush sich mit dem Professor getroffen. Auf die Frage des Präsidenten “Welche Reaktionen erwarten Sie von den Irakern, wenn US-Truppen in ihre Städte einmarschieren?” versicherte der Professor: “Die Irakis werden die US-Soldaten mit Blumen und Süßigkeiten begrüßen, sobald diese kommen”.
Viele Probleme sind natürlich temporär. Die Wasser- und Stromversorgung muss wiederhergestellt werden (Elektrizität ist im Irak überlebenswichtig. Die mesopotamische Ebene ist so flach, dass alles hochgepumpt werden muss). Und eine Besatzungs-Regierung muss natürlich dafür sorgen, dass die Staatsangestellten ihre Gehälter bekommen. Im Irak ist der Staat mit Abstand der wichtigste Arbeitgeber. Die Gehälter mögen gering sein, aber sie sind dringend notwendig, um Wirtschaft und Verwaltung auf die Beine zu bringen. Ein dauerhaftes Schwächeln der US-Besatzung wird weniger an den Plünderungen (so spektakulär diese auch sein mögen) oder dem Zusammenbruch der irakischen Verwaltung liegen. Vielmehr kommt es darauf an, ob Washington eine Besatzung nach kolonialem Muster plant und nur solchen Irakern Macht zugesteht, die sich ganz in die Hände der Amerikaner begeben. In diesem Fall stünden die Zeichen nämlich ungünstig. Der Einfluss des schiitischen Klerus nimmt sichtbar zu. Nach diesem Phänomen befragt, äußerte ein ranghohes Mitglied der US-Regierung: “Wir werden nicht dulden, dass persische Fundamentalisten hier Fuß fassen. Stattdessen werden wir versuchen, moderate Kleriker zu finden und sie in einflussreiche Positionen bringen”.
Am heutigen Tag veranstalten die Amerikaner in Bagdad ein Treffen mit etwa 300 Irakern, die den inneren Kern einer Interims-Regierung bilden sollen - das meiste davon Exil-Iraker. Normale Iraker sehen diese Leute als politische Hassardeure oder Günstlinge Amerikas an. Wenn man die Namensliste durchgeht, stößt man auf allerhand dubiose Gestalten, die ahnen lassen, die eigentliche Plünderung Iraks steht noch bevor. Sicher, für den Moment können die USA den Irak kontrollieren - indem sie die wichtigsten Städte in Garnisonen verwandeln und die Verwaltung wieder zum laufen bringen. Langfristig sind die USA im Irak allerdings in einer sehr verletzlichen Position. Mit Ausnahme von Kuwait will keiner der Nachbarstaaten eine langfristige US-Besatzung des Iraks.
In den 20ger Jahren schaffte sich Großbritannien das leidige Problem der Regierungsverwaltung Iraks vom Hals, indem es sie den sunnitischen Muslimen rückübertrug; diese hatten ja traditionell regiert. Vielleicht planen die USA derzeit etwas Ähnliches. Nur: Die Sunniten stellen lediglich 20 Prozent der irakischen Bevölkerung. Also müsste man unweigerlich eine Diktatur einführen. Andererseits würden freie Wahlen natürlich zu einem überwältigenden Sieg der Schiiten führen - ein langersehnter Sieg. Aber genau das wollen die USA - aus Angst vor zunehmendem iranischem Einfluss - tunlichst vermeiden. Im Moment sind Blair und Bush noch in Siegerlaune. Anscheinend haben sie noch nicht realisiert, wie tief, wie massiv, sie in jenem Morast feststecken, in den sie sich selbst begeben haben. Ein irakischer Freund sagte vor 6 Monaten, er sei pro Irak-Krieg. Man wolle Saddam Hussein endlich loswerden. Damals sagte er: “Ich fürchte nur, die USA werden merken, wie sehr dieser Krieg gegen ihre eigenen Interessen verstößt - bevor der Krieg losgeht”.
Patrick Cockburn und Andrew Cockburn sind Autoren des Buchs: ‘Saddam Hussein: An American Obsession’.
Quelle: ZNet Deutschland vom 30.04.2003. Übersetzt von: Andrea Noll.
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