IMI-Studie 2005/03
Der „neue Irak“
Joachim Guilliard
erschienen in: AUSDRUCK – IMI-Magazin, Juni 2005 und auszugsweise in junge Welt, 18. und 19.5.2005)
Im Drucklayout: http://www.imi-online.de/2005.php3?id=1185
Der Mythos vom Showdown zwischen Terror und Demokratie
Ein „dreifaches Hoch auf die Bush-Doktrin“ schrieb der Pulitzerpreisträger Charles Krauthammer Anfang März im Time Magazine. Der erfolgreiche Abhaltung von Wahlen im Irak seien der endgültige Beweis für die Richtigkeit der Entscheidung in den Irak einzumarschieren. Auch viele Kritiker hätten eingesehen, dass es richtig gewesen sei, militärische Macht zur Durchsetzung demokratischer Ideale einzusetzen und dadurch eine Transformation der arabischen Welt in Gang zu setzen – von endloser Tyrannei und Intoleranz zu anständiger Staatsführung und Demokratisierung. Mit den „historisch einmaligen“ Wahlen in Afghanistan und Irak, der freien Wahl einer „moderaten“ palästinensischen Führung und der „Zedern-Revolution“ im Libanon sei die US-Administration mit ihrem „großen Projekt“ einer „pan-arabischen Reformation“ vorangeschritten, einem „gefährlichen, riskanten und, ja, arroganten aber notwendigen Versuch, die Kultur des Mittleren Osten als solche“ zu ändern, um „die Türen zu Demokratie und Moderne zu öffnen.“ Die Wahlen im Irak seien möglich geworden, weil die USA nach „dem Schwert“, das das alte Regime stürzte nun den „Schild bereitstellte, der 8 Millionen Irakern die erste Ausübung von Selbstregierung“ ermöglichte. [1]
Die Ausführungen des neokonservativen Kolumnisten der Washington Post Krauthammer sind typisch dafür, wie offizielle US-amerikanische Stellen und ihre Verbündeten die im Januar durchgeführten Wahlen zur Rechtfertigung ihrer Politik ausnützen.[2] Obwohl diese Wahlen ganz offensichtlich demokratischen Standards nicht genügten, wurden sie auch von den Regierungen Deutschlands und anderer kriegskritischeren europäischen Länder anerkannt.
Selbst eine Reihe namhafter Kritiker der US-Politik, wie z.B. Noam Chomsky, begrüßten – trotz Kritik im Detail – die Wahlen grundsätzlich als Sieg über die Gewalt und als wichtigen Schritt in Richtung Souveränität und Demokratie.[3]
Ein genauerer Blick auf den Charakter der Wahlen und den sogenannten „Übergangsprozess“, d.h. auf die abschließenden Schritte in der von den USA konzipierten Reorganisation des irakischen Staates, zeigt, dass der neue Irak wenig mit Demokratie zu tun hat. Sie liefern vielmehr die Fassade für die fortgesetzte Herrschaft der USA und einen schmutzigen Krieg gegen all die, die sich den US-Plänen entgegenstellen. Die dadurch geförderten Kräfte drohen zudem eine Eigendynamik zu entfalten, die rasch zu einer weiteren Eskalation der Gewalt führen kann.
In den westlichen Medien wurden die Wahlen als Showdown zwischen gewalttätigem Widerstand und demokratiewilligen Irakern dargestellt, die von den Besatzungstruppen geschützt wurden. Die rasch postulierte hohe Wahlbeteiligung wurde nicht nur als Maß für die Legitimität der Wahlen, sondern als Bestätigung der Besatzungspolitik, wenn nicht gar als nachträgliche Rechtfertigung des Krieges schlechthin interpretiert.
Dabei konnten die präsentierten Zahlen nicht von unabhängiger Seite bestätigt werden und vielfältigen Berichten zufolge gingen die meisten Wähler nicht zu den Urnen, um Zustimmung für die Politik der Invasoren zu demonstrieren, sondern in der Hoffnung, dadurch ihren Abzug zu beschleunigen.
Entgegen dem weit verbreiteten Bild, setzten die meisten Wahlgegner nicht auf Gewalt. Auch die wichtigsten bewaffneten Gruppierungen hatten sich gegen Anschläge auf Kandidaten oder Wahllokale ausgesprochen. Zwar gab es vielfältige Drohungen und eine Reihe direkter Anschläge terroristischer Gruppen die gewöhnlich dem Kreis des Jordaniers Al Zarkawi zugeordnet werden. Es war aber abzusehen gewesen, dass der Aktionsradius dieser zahlenmäßig kleinen und isolierten Kräfte auf die üblichen Brennpunkte beschränkt bleiben dürfte. Im größten Teil des Landes waren Wahlwillige beim Gang zum Wahllokal kaum stärker bedroht, als sie es im Alltag ohnehin schon seit Beginn der Besatzung sind. [4]
In der Frage einer Teilnahme an den Wahlen standen sich auch nicht Schiiten und Sunniten gegenüber. Selbstverständlich war der Boykott dort am stärksten, wo auch der Widerstand am stärksten ist, d.h. im mehrheitlich von Sunniten bewohnten mittleren Teil Iraks. Doch hatten landesweit auch viele schiitische Organisationen, wie z.B. die Bewegung Moktada al Sadrs zum Boykott aufgerufen.
Die Boykottbewegung richtete sich zudem nicht – wie in den westlichen Medien oft unterstellt – gegen Wahlen an sich. Im Gegenteil, die rasche Durchführung von Wahlen war von Anfang an eine zentrale Forderung aller Besatzungsgegner gewesen – allerdings selbst organisierte, freie und faire Wahlen unter unabhängiger internationaler Aufsicht.
Ein Urnengang zu einem – aus Sicht der USA – so frühen Zeitpunkt war zunächst ein Zugeständnis der Besatzungsmacht an die Besatzungsgegner.Dies ist auch einer der Gründe, warum Noam Chomsky die Wahlen positiv wertet. Angesichts massiver Proteste gegen die Verweigerung landesweiter Wahlen, an deren Spitze sich das einflussreiche geistliche Oberhaupt der Schiiten, Großayatollah Ali al Sistani setzte, gaben die USA nach. Konfrontiert mit einem rasch wachsenden militärischen Widerstand konnte es sich Washington nicht leisten, auch noch die Anhänger Al Sistanis in die offene Rebellion zu treiben.[5]
Erstmals schien damit die Eröffnung demokratischer Spielräume und erste Schritte zur Rückgewinnung der Souveränität in Aussicht. Die US-Administration konnte aber unbehelligt von Einwänden seitens der UNO oder europäischer Staaten, diese Spielräume eng begrenzen und sich durch die Vorgabe der Spielregeln die volle Kontrolle über den gesamten Prozess sichern.
Wahlen unter Besatzung müssten nach internationalem Recht von einer neutralen „Schutzmacht“, die von allen politischen Kräften akzeptiert wird, überwacht werden. Der Urnengang im Irak hingegen wurde von der Besatzungsbehörde konzipiert und organisiert. Der damalige Statthalter Paul Bremer legte durch entsprechende Dekrete die Art und Weise der Durchführung fest und nahm die Besetzung der Wahlkommission vor. Die UNO spielte bei alldem keine größere Rolle, sie war an der Vorbereitung und Durchführung der Wahlen nur mit einer kleinen Zahl von Beratern beteiligt.[6]
Hinzu kamen die allgemeinen Bedingungen einer feindlichen militärischen Besatzung, eines Monat für Monat verlängerten Ausnahmezustandes und eines in weiten Teilen des Landes offenen Krieges. Freie und faire Wahlen waren unter all diesen Umständen von vorneherein nicht zu erwarten gewesen.
Das US-amerikanische Carter Center, das schon eine große Zahl von Wahlen in der Welt überwachte, lehnte daher die Mitarbeit im Irak kategorisch ab. Es nannte eine Reihe von Schlüsselkriterien, mit deren Hilfe man die Legitimität von Wahlen beurteilen könne. Keine dieser Kriterien, so ein Sprecher des Zentrums vor den Wahlen, waren erfüllt. Weder gab es beispielsweise eine frei gewählte unabhängige Wahlkommission, noch waren Kandidaten in der Lage, ihren Wahlkampf in direktem Kontakt mit den Wählern zu führen.[7]
Die meisten Kandidaten bleiben geheim und auch die Plattformen der zur Wahl stehenden Parteien und Listenverbindungen blieben weitgehend unbekannt. Als Orientierung blieb für viele nur die ethnische und konfessionelle Zusammensetzung der Listen, wodurch erneut die von der Besatzungsmacht von Beginn an forcierte politische Aufteilung der Iraker in Schiiten und Sunniten, Kurden, Araber und Turkmenen etc. gefördert wurde.
Die für die meisten Iraker brennendste politische Frage, der Zeitpunkt des Abzugs der Besatzer – den laut Umfragen die überwiegende Mehrheit der Iraker fordert[8] – stand nicht zur Wahl.
Ein weiterer Erfolg beim Einhegen des Wahlprozesses war die Bildung einer schiitischen Megaliste, die auch die dem konservativen Klerus um Al Sistani nahestehende Kräfte einband. Ihre Spitzenplätze nahmen aber die US-Verbündeten SCIRI, der pro-amerikanische Flügel der Dawa-Partei und Chalabis Nationalkongress INC, ein.
Auch die Spitzenpositionen der anderen maßgeblichen Listen wurden von den Parteien besetzt, die mit der Besatzungsmacht verbündet sind und bereits in der Interimsregierung saßen.
Diese Parteien wurden durch die Eigenheiten des Wahlprozess in vielfacher Hinsicht stark bevorteilt und zudem massiv materiell und personell von US-amerikanischen Institutionen unterstützt. Nur ihre Spitzenkandidaten konnten – als Mitglieder der Interimsregierung – landesweit auftreten. Nur diese hatten auch einen direkten Zugang zu den beiden größten Fernsehsender des Landes, die von der Regierung betrieben bzw. von den USA finanziert werden. Dies in einem „Wahlkampf“ der sich angesichts von Krieg und Ausnahmezustand weitgehend auf Radio- und Fernsehspots beschränken musste.
Unter den Bedingungen von Besatzung und Kriegsrecht hatten die USA und ihren lokalen Hilfstruppen zudem völlig freie Hand. Da die internationalen „Wahlbeobachter“ den Urnengang nur von Jordanien aus „überwachten“ und sich auch nur wenige unabhängige Journalisten im Lande aufhielten, fanden die Wahlen weitgehend unter Ausschluss der internationalen Öffentlichkeit statt. Inwieweit die veröffentlichten Ergebnisse mit dem tatsächlichen Ergebnis übereinstimmen, ist daher nicht abschätzbar.
Anlässe für berechtigten Zweifel gibt es viele. So wurden Wahlbeteiligungen von 50% bis 70% aus Wahllokalen gemeldet, die Beobachtern zufolge den ganzen Tag nahezu leer blieben.[9] Zweifelhaft ist die schließlich verkündete 58prozentige Wahlbeteiligung auch dann, wenn die offizielle Zahl von 8,5 Mio. Wählern korrekt wäre, da die Zahl der Wahlberechtigten deutlich höher liegen dürfte, als die zugrunde gelegten 14,6 Millionen. Die wahlberechtigte Bevölkerung im Irak wird vielmehr auf 18 Millionen Menschen und die Zahl der wahlberechtigten Auslandsiraker auf ein bis zwei Millionen geschätzt.[10] Dies würde eine Wahlbeteiligung von 42 bis 47% ergeben. Dies wäre an sich immer noch recht beachtlich, taugt aber nicht für das Bild einer überwältigenden Zustimmung.
Auch was die Stimmverteilung betrifft sind Zweifel angebracht. Viele Beobachter führen die zweiwöchige Verzögerung, bis das Ergebnis verkündet wurde auf massive Auseinandersetzung hinter den Kulissen zurück. Der britische Independent berichtete, dass die schiitische UIA-Liste nach ersten Angaben der Wahlkommission nicht nur 48%, sondern fast 60% erhalten habe. Auch Scott Ritter wurde von Gewährsleuten aus dem Irak, die aufgrund ihrer Tätigkeit Einblick in die Vorgänge hatten, versichert, dass die UIA auf 56 % der Stimmen gekommen wäre.
Letztlich entspricht die Sitzverteilung weitgehend der, die aufgrund der Interessen der USA und dem Kräfteverhältnis der verbündeten Parteien vorauszusehen war. Unter Berücksichtigung der 66%-Klausel bei der Wahl der Interimsregierung passt das präsentierte Ergebnis nahezu perfekt. Die UIA hat demnach mit 140 von 275 Sitzen eine knappe absolute Mehrheit in der Versammlung und die kurdischen Parteien mit 75 Sitzen (27%) eine ausreichende Sperrminorität. Auch Allawi blieb mit 14 % durchaus noch im Spiel.
„Ist irgend jemand überrascht, dass die gleichen Leute die mit Amerikanern ankamen ... diejenigen sind, die nun als Sieger aus den Wahlen hervorgehen?“ fragte die irakische Bloggerin Riverbend. „Jaffari, Talabani, Barzani, Hakim, Allawi, Chalabi… Exiliraker, verurteilte Kriminelle und War Lords. Willkommen im neuen Irak.“[11]
Die Sitzverteilung war für die Bush-Administration zweitranig. Wesentlich war das in den USA und in den internationalen Medien verbreitete Bild von einer überwältigenden Zahl von Irakern, die trotz der Drohungen des Widerstands in die Wahllokale strömten und dadurch die Wahlen zu legitimieren schienen.
[Sie verschafften den USA und GB auf internationaler Ebene und innenpolitisch dadurch dringend benötigte Legitimation für ihre Politik. Obwohl die neue Regierung kaum mehr Befugnisse als die alte haben wird, hat sie nun die internationale Anerkennung, die den Vorgängeradministrationen fehlte. Mit ihrer Hilfe kann die Washington endlich völkerrechtlich verbindliche Abkommen zur Umgestaltung der irakischen Wirtschaft abschließen.]
„Eine Wahl, um die Besatzung zu ölen“, urteilte Salim Lone, einst hochrangiger Mitarbeiter des ermordeten UN-Sondergesandten im Irak, Sergio Vieira de Mello. „Hätten die Wahlen in Zimbabwe stattgefunden, hätte sie der Westen verurteilt“
[Für den bekannten US-Historiker Edward S. Herman, Autor eines 1984 erschienen Buches über US-gestützte Wahlen, gleichen die Irakwahlen in vieler Hinsicht denen in Vietnam 1967 oder El Salvador Anfang der 1980er Jahre. Diese dienten dazu, die Macht der eingesetzten Führer zu festigen und der heimischen Öffentlichkeit zu zeigen, dass man in den besetzten Länder auf dem richtigen Weg sei.
Wie im Irak wurde eine nicht überprüfbare Wahlbeteiligung als Maß für die Glaubwürdigkeit der Wahlen und die Zustimmung zur US-Politik dargestellt. Auch damals haben dies die westlichen Medien bereitwillig übernommen. Und auch damals gingen viele Einheimische in der Hoffnung zur Urne, damit einen Beitrag zum Frieden zu leisten. Sie erhielten jedoch eine brutale Diktatur und eine Eskalation des Krieges.[12]]
Der Übergangsprozess – ein „neokoloniales Model“
Nicht nur die Wahlen, auch die Grundlagen, auf der die neu gewählten Institutionen arbeiten sollen, wurden von der Besatzungsmacht vorgegeben. Mehr als hundert Verordnungen und Erlasse, die der einstige Statthalter Bremer vor der Übergabe der formalen Regierungsgewalt an die erste Interimsregierung erließ, regeln die wesentlichen Bereiche in Staat und Wirtschaft. US-Juristen hatten im wesentlichen auch die provisorische Verfassung entworfen. Hier wurde eine Zweidrittelmehrheit für die Wahl der Übergangsregierung und eine Dreiviertelmehrheit für Änderungen an der Verfassung oder Bremers Erlassen festgelegt. Zudem ist stets auch die einstimmige Zustimmung des dreiköpfigen Präsidentenrates nötig. Damit wurde den kurdischen Verbündeten starke Hebel zur Wahrung der eigenen wie der US-Interessen in die Hand gegeben und sichergestellt, dass das Parlament selbst bei ungünstigem Wahlausgang den von der Besatzungsmacht vorgegeben Weg nicht verlassen kann. [13]
Selbst Juan Cole, ein US-amerikanischer Nahostexperte, der den Wahlen an sich positiv gegenübersteht, sprach in diesem Zusammenhang voll Zorn von einem „neokolonialen Modell“ das den Irakern auferlegt wurde, ohne „die irakische Öffentlichkeit jemals darüber zu befragen.“ In allen Ländern, die er kenne, genüge z.B. eine einfache Mehrheit, um eine Regierung zu bilden. Er wäre nicht überrascht, wenn diese „Supermehrheiten“ nur in einem einzigen Staat gelten würden: im „amerikanischen Irak“.[14]
In den westlichen Medien wurde viel Aufhebens von dem großen Stimmenanteil schiitischer Organisationen gemacht, manche sahen hierin sogar einen Rückschlag für die USA. Sie übersahen dabei den engen Spielraum der Beteiligten aufgrund der von USA gesetzten Spielregeln und der realen Machtverhältnisse und dass es sich um enge Verbündete der USA handelt, die deren prinzipielle Ziele mitzutragen bereit sind.
Generell verheddern sich die meisten in der realitätsfernen, klischeehaften Einteilung der irakischen Gesellschaft in Schiiten, Sunniten und Kurden, eine Sichtweise, die von der Besatzungsmacht von Anfang an gefördert wurde. Selbst renommierte unabhängige Experten, wie der bereits erwähnte Juan Cole, sind davon nicht frei und reden von einer schiitischen Mehrheit im Parlament. Mit der selben Logik könnte man auch von einer katholischen Mehrheit im bayrischen Landtag reden.
Wahlsieger im Irak wurde ein Bündnis schiitischer Parteien, das nur einen Teil der Schiiten repräsentiert und auch keineswegs homogen ist. Es reicht von den beiden dominierenden radikalislamischen Parteien SCIRI und Dawa, über die Anhänger des konservativen Klerus und unabhängigen Gruppen, bis zum „Nationalkongress“ Achmed Chalabis, dessen einzige Religion Geld und Macht.
[Zwei Dutzend Abgeordnete, die auf hinteren Listenplätzen ins Parlament kamen, haben sich bereits zu einem oppositionellen Block zusammengeschlossen, der für ein rasches Ende der Besatzung eintritt. Die beiden Kurdenparteien repräsentieren ebenfalls längst nicht alle Kurden im Lande, nicht die im Norden und noch weniger die in Bagdad und anderen südlicheren Städten. Und so wenig nun „die Schiiten“ herrschen, sowenig haben zuvor „die Sunniten“ geherrscht. Die Herrschaft Saddam Husseins stützte sich nicht auf eine Konfession, auf allen Führungsebenen von Staat und Wirtschaft waren stets auch Schiiten vertreten gewesen.[15]]
Selbstverständlich wurden mit den Wahlen die Positionen der radikalen schiitischen Parteien SCIRI und DAWA, sowie des konservativen schiitischen Klerus um Al Sistani gestärkt. Das war zu erwarten gewesen und schafft auch keine grundlegend neue Situation. Auch vorher war der Bush-Administration klar gewesen, dass sie diesen Kräften in einigen, für diese wichtigen Punkten, wie der Rolle des Islams, entgegenkommen müssen, um ihre Unterstützung bzw. Duldung zu behalten. Das dürfte den USA aber kein allzu großes Kopfzerbrechen bereiten. Weder die beiden Parteien, noch der einflussreiche Ayatollah, streben eine direkte Herrschaft des Klerus an und, was für Washington noch wichtiger ist, auch keine auf nationale Entwicklung ausgerichtete, staatlich kontrollierte Wirtschaft wie im Iran.
Die hauptsächlichen Gewinner sind aber die kurdischen Parteien, die ihren Einfluss weit über den zahlenmäßigen Anteil der Bevölkerung, die sie vertreten, ausdehnen konnten.
Schon im Vorfeld konnten PUK und KDP ihren Griff auf Kirkuk verstärken. Sie konnten beispielsweise durchsetzen, dass mehr als zweihunderttausend Kurden von außerhalb dort ihre Stimmen abgegeben konnten, nicht nur für die nationale, sondern auch für die lokalen Wahlen. Sie dominieren jetzt trotz geringerem Bevölkerungsanteil die lokalen Gremien der Stadt.[16]
Die Kurdenparteien sind bestrebt, die Stadt und ihre Ölquellen an die von ihnen kontrollierten Provinzen anzuschließen. Da der Ölreichtum der Region um Kirkuk eine solide wirtschaftliche Basis für einen unabhängigen Staat darstellen würde, hat die Stadt für sie eine enorme Bedeutung. Sie begründen ihren Anspruch mit dem angeblich kurdischen Charakter der Stadt. Diese ist aber entgegen ihren Behauptungen nicht mehrheitlich kurdisch und war dies auch vor der Machtübernahme der Baath-Partei nicht gewesen.[17]
Die Zugeständnisse an PUK und KDP in Bezug auf Kirkuk, wo es bereits zu gewaltsamen Vertreibungen arabischer und turkmenischer Familien kam, schaffen dort eine hochexplosive Situation.
Mit der Präsentation der Wahlbeteiligung war die Erfolgsgeschichte der Wahlen bereits zu Ende und die US-Administration mit neuen Schwierigkeiten bei der Umsetzung ihres „Übergangskonzeptes“ konfrontiert. Es vergingen drei zähe Monate, in denen die US-Verbündeten hinter verschlossenen Türen um die Verteilung von Posten, Macht und Einfluss feilschten, bis die neue Regierung präsentiert werden konnte.
Die Kurden beharrten lange auf verbindliche Zusagen über einen baldigen Anschluss Kirkuks an die kurdischen Autonomiegebiete und die „Umsiedlung“ arabischer Familien. Neben dem Posten des irakischen Präsidenten forderten sie das Außen- und auch das Ölministerium für sich. Letzteres ist nicht nur politisch bedeutend, es gilt auch im mittlerweile wieder aufgeblühten Patronagesystem als besonders lukrativ. Die Vertreter der schiitischen UIA-Liste lehnten dies ab und forderten ihrerseits vergeblich die Auflösung der als autonome Streitkräfte agierenden kurdischen Peshmerga-Truppen, bzw. ihre Eingliederung in die neue irakische Armee.[18]
Zeitweilig sah es so aus, als würde Washingtons Favorit, Premier Allawi, als Kompromisskandidat im Amt bleiben können. Schließlich zogen die schiitischen und die kurdischen Parteien die umstrittenen Forderungen zurück und einigten sich auf PUK-Chef Jalal Talabani als Staatspräsidenten. Seine Stellvertreter wurden Adel Abdel Mahdi vom SCIRI und der bisherige Präsident Ghazi al Yawer, ein reicher und einflussreicher sunnitischer Stammesführer.
Zum neuen Regierungschef wurde Dawa-Chef Ibrahim Jaafari bestimmt, der aus Sicht Washingtons akzeptabelste Kandidat aus der UIA-Liste. Jaafari gilt als moderater Schiit und enger Verbündeter der USA. Er steht im Gegensatz zu dem SCIRI-Führer auch nicht im Verdacht enger Verbindungen zum Iran. „Er ist unser Junge, nicht der des Iran“ verlautete es aus dem Weißen Haus.[19]
Die Auseinandersetzung um die Verteilung der weiteren Posten zog sich über weitere Wochen hin. Einer der wesentlichen Streitpunkte war die Einbeziehung des noch amtierenden Ministerpräsidenten Allawi, wobei es vor allem um die Zusammensetzung und Führung der neuen Sicherheitsapparate ging, die Allawi aufgebaut hat. Allawi verlangte mindesten fünf Ministerien, darunter vor allem das Innenministerium, das er im vergangenen Jahr massiv durch kollaborationswillige Angehörige aus den Sicherheitsdiensten des alten Regimes verstärkt hatte.
Die Kurdenparteien unterstützten Allawi, dessen säkulare Organisation auch ein Gegengewicht zu den radikalislamischen Partien bilden würde. SCIRI und Dawa haben allerdings kein Interesse daran, dass sich säkulare, ehemals baathistische Kräfte einen eigenen Machtapparat aufbauen. Sie sind im Gegenteil bestrebt, das Verteidigungs- und das Innenressort selbst zu übernehmen und kündigten an, die Ministerien und Sicherheitsdienste von allen zu säubern, die führende Positionen in der Baath-Partei oder im alten Staat inne hatten.
Dies zwang die US-Regierung massiver in die Verhandlungen einzuschreiten. US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld flog Anfang April persönlich nach Bagdad und drängte die Vertreter der schiitischen Parteien ihre Opposition gegen ehemaligen Baathisten in den Ministerien aufzugeben und machte klar, dass die irakischen Sicherheitskräfte für die neue Regierung Tabu sind. Die einstigen Mitglieder von Saddam Husseins geheimer Polizei seien die “kompetenteste” Kräfte, um den Widerstand zur Strecke zu springen.
Die UIA-Vertreter ließen sich zwar verpflichten, die Sicherheitsdienste in Ruhe zu lassen, waren aber trotz des US-Drucks nicht bereit gewesen, Allawis Forderungen nachzugeben. Er trat aus der Koalition aus.
Der Glanz der Wahlen war ziemlich verblasst, als Jaafarai am 29. April endlich eine Kabinettsliste präsentieren konnte, bei der die umstrittensten Posten zunächst aber noch unbesetzt blieben.
[Der neue Regierungschef und Washington präsentierten sie als eine Regierung der nationalen Einheit, da sie grob der konfessionellen und ethnischen Zusammensetzung des Landes entsprach.
Während es in Deutschland absurd klänge, bei der Regierungsbildung die Anzahl katholischer, evangelischer und bayrischer Minister aufzuführen, scheint dies westlichen Medien im Irak völlig angemessen. Die meisten Berichte begnügten sich bei der Vorstellung des neuen Kabinetts, zu berichten, dass sich 17 Schiiten, 8 Kurden, 6 Sunniten und ein Christ die 32 schon vergebenen Posten teilen.[20]]
Das Ausscheiden Allawis ist die einzige Überraschung bei dieser neuen Regierung. Er wird dennoch der wichtigste Mann Washingtons beim Aufbau irakischer Kapazitäten zur Aufstandsbekämpfung bleiben und aufgrund persönlicher Loyalitäten die Kontrolle über die neuen „Sicherheitskräfte“ behalten.
Ansonsten unterscheidet sich die neue Regierung wenig von der alten. Der größere Teil ihrer Mitglieder hatte schon ein Amt in der vorigen provisorischen Kabinetten. Die meisten hatten die Jahrzehnte davor im Ausland verbracht und sind erst mit den Besatzungstruppen in den Irak zurückgekehrt.
Für Kontinuität war ohnehin gesorgt. In allen Ministerien bleiben die vom ehemaligen Statthalter Bremer eingesetzten US-amerikanischen „Berater“ im Amt und sorgen dafür, dass keines vom rechten Weg abkommt.
Mit dem kurdischen Warlord Jalal Talabani gelangte einer der wendigsten irakischen Politiker an die nominelle Spitze des Staates, mit einer langen Geschichte zwielichtiger Bündnisse mit jedem der ihm gerade nützlich schien. „Er hat so oft die Seiten gewechselt, dass es sehr ermüdend für mich wäre, jede Wendung aufzuzählen“ charakterisierte ihn Dilip Hiro in einem Interview. In den westlichen Medien wird Talabani gern als „entschiedener Saddam-Gegner“ und als großer Demokrat gefeiert. Auch dieses Bild trügt. Er herrscht als Warlord genauso autokratisch über seinen Teil des Autonomiegebietes, wie auf der anderen Seite KDP Chef Mahssud Barzani.Auch mit Saddam Hussein ging er, wie sein kurdischer Rivale, immer wieder Bündnisse ein. Die letzten Bilder, wo sich Talabani und Hussein herzten, stammen vom Juni 1991.[21]
Die wichtigste Rolle dürfte für Washington aber Talabanis Stellvertreter Adel Abdel Mahdi (SCIRI) zukommen. Der einstige Maoist, der sich zum freien Marktwirtschaftler im radikalislamischem Gewand wandelte, war bisher provisorischer Finanzminister gewesen. Er hatte die von Paul Bremer verordnete Schocktherapie durchgeführt, die die irakische Wirtschaft völlig deregulierte und dem ausländischen Kapital öffnete. Mahdi gilt als der Mann, der die Fortsetzung Bremers Arbeit garantieren soll. [22] Als Vizepräsident kann er im Bedarfsfall jede Änderung an den Verordnungen der Besatzungsbehörde mit seinem Veto blockieren.
Zur Seite wurde ihm als Finanzminister Ali Abdel Amir Allawi gestellt, Chef einer erfolgreichen Londoner Investment Firma und Berater der Welt Bank. Sein Vater war während der Monarchie Gesundheitsminister gewesen. Ali Allawi, der mütterlicherseits ein Neffe Ahmed Chalabis und väterlicherseits ein Cousin von Iyad Allawi ist, hatte den Irak 1956 als Neunjähriger verlassen.
Alarmierend für Iraker ist die Rückkehr des unverwüstlichen Ahmed Chalabi. Dem in Jordanien wegen Millionenbetrug verurteilten Chef des Irakischen Nationalkongresses wurde neben dem Amt des stellvertretenden Ministerpräsidenten zunächst auch kommissarisch das Ölministerium übergeben, bevor es seinem Vertrauten, Ibrahim Bahr al-Uloum, zugeteilt wurde. Obwohl der einstige Pentagonliebling aufgrund seiner zwielichtigenen Machenschaften und mutmaßlichen Verbindungen zum iranischen Geheimdienst in Ungnade gefallen war, wird dennoch vermutet, dass die US-Administration bei der Besetzung des Ölministeriums die Hand im Spiel hatten – Widerstände gegen Privatisierungsmaßnahmen sind von Chalabis Seite nicht zu erwarten.
Auch die Ernennung von Baqir Jabr zum Innenminister verheißt wenig Gutes. Sein eigentlicher Name ist Bayan Sulag, Baqir Jabr ist sein Kriegsname, den er als führendes Mitglied der Badr Brigaden, dem bewaffneten Arm des SCIRI, erhielt. Einen Einblick in seine früheren Aktivitäten gibt ein Bericht von Radio Free Europe vom Mai 2000 über einen Raketenangriff auf einen der Regierungspaläste in Bagdad. In einem Interview übernahm Jabr im Namen von SCIRI die Verantwortung für den Anschlag, der mehrere Opfer unter den Angestellten gefordert hatte.
Die Badr Brigaden wurden im Iran ausgebildet, die meisten der z.T. sehr jungen Milizionäre sind auch im Iran aufgewachsen und Anhänger der Ideen Ayatollah Khomeinis. Sie führten in den 1990er Jahren eine ganze Reihe von Anschlägen im Irak aus, denen auch eine größere Zahl von Zivilisten zum Opfer fiel. Sie stehen in Verdacht mit Beginn der Besatzung Todesschwadrone aufgebaut und eine große Zahl ehemaliger Baath-Mitglieder und Funktionäre, sowie sonstige politische Gegner ermordet zu haben.
Der SCIRI und die Badr Brigaden haben sich bisher wie die beiden Kurdenparteien einer Auflösung ihrer Milizen widersetzt. Sie sprechen sich dafür aus, verstärkt ihre Milizen zur Bekämpfung des Widerstands einzusetzen, wodurch der Krieg tatsächlich zunehmend bürgerkriegsähnliche Züge annehmen würde.
PUK und KDP verfügen über je 15.000 Vollzeitkämpfern, in quasi regulären Armeeinheiten und weiteren 20 000-25.000 Stammesmilizionäre, insgesamt also über 75.000 Mann.[23] Sie stellen damit nach den US-Truppen die mit Abstand größte Streitmacht im Irak. Die Badr-Brigaden werden auf eine Stärke von bis zu 15.000 Mann geschätzt, die ebenfalls gut ausgebildet sind. Auch Dawa und Chalabi, sowie weitere US-Verbündete unterhalten eigene Milizen.
„Diese Leute bedrohen uns mit einem Warlord-System, dass unser ganzes Land zerstören könnte“, so zurecht Wamidh Nadhmi, Sprecher des Irakischen Nationalen Gründungskongress.
Auch die Aufteilung nach ethnisch/konfessionelle Kriterien führt zu heftigen Protesten, auch innerhalb der Nationalversammlung. Hashim Abdul-Rahman al-Shibli, der als „Minister für Menschenrechte“ nominiert worden war, um die Zahl der Sunniten im Kabinett zu erhöhen, weigerte sich auf dieser Basis in die Regierung einzutreten, „die Konzentration auf konfessionelle Identitäten“, führe „zu Spaltungen in Gesellschaft and Staat“.[24]
Das Image der neue Regierung hat auch bei ihren Wählern durch das monatelange Geschacher stark gelitten. Die einzige Möglichkeit sich unter den Irakern Glaubwürdigkeit zu verschaffen, wäre, ernsthaft einen verbindlichen, engen Zeitplan für den Abzug der US-Amerikaner zu fordern. Da sie ohne deren Schutz sich nicht halten könnte, wird sie dies aus Eigeninteresse nicht tun.
Die tatsächliche Macht im Land üben weiterhin die USA mit 140.000 Soldaten und umfangreichen zivilen und militärischen Einrichtungen in der Green Zone Bagdads aus. Jeder der den Irak bereist, kann sehen, wie sich die Besatzungsmacht auf Dauer im Land festsetzt. Beispielsweise im Camp Victory North, in der Nähe des Flughafens von Bagdad. Hier baut die Halliburton Tochter Kellog, Brown & Root (KBR) seit über einem Jahr an einer ganzen Stadt, bestehend aus klimatisierten Bungalows, Burger King, Turnhallen, dem größten Supermarkt (PX) des Landes und allem was sonst noch zum US-amerikanischen Way of Life gehört. Die Stadt beherbergt bereits 14.000 Soldaten, fertig gestellt wird das Camp doppelt so groß wie Camp Bondsteel im Kosovo sein, eine der größten US-Basen in Übersee. Insgesamt werden zur Zeit vierzehn permanente Basen ausgebaut, die über 100.000 Soldaten aufnehmen sollen.
Diese permanenten Einheiten sollen längerfristig auch die militärische Basis der von Krauthammer erwähnten „pan-arabischen Reformation“ sein, jenem „Versuch, die Kultur des Mittleren Osten als solche“ zu ändern, d.h. die arabischen und islamischen Staaten von Nordafrika bis zum kaspischen Meer in pro westliche, neoliberale Marktwirtschaften zu verwandeln.
Noch sind aber alle US-Kräfte im Irak gebunden. Von durchschnittlich mehr als 60 Angriffen täglich berichten die US-Kommandeure vor Ort,[25] Teile des Landes sind seit langem der Kontrolle der US-Armee weitgehend entzogen. Weder mit breitgefächerten Großoffensiven noch mit massiven Angriffen auf mutmaßliche Hochburgen des Widerstands konnte die US-Armee den Widerstand schwächen. Er wurde im Gegenteil ständig zahlenmäßig stärker und militärisch effektiver. Der Aufbau einer US-geführter irakischer Armee bleibt zahlenmäßig weiterhin deutlich hinter den Erwartung zurück. Die Einsatzbereitschaft der neuen Polizei und Armeeeinheiten ist schwach und die tatsächliche Loyalität ungewiss. Die erste Maßnahme der US-Truppen während ihrer Militäroffensive „Operation River Blitz“ gegen den Widerstand in den Städten am Euphrat z.B. war, so der Christian Science Monitor, die Gefangennahme der Polizeibeamten der Stadt.
Nach wie vor tappen die Besatzer über ihren Gegner weitgehend im Dunkeln. Nach Schätzungen von General Muhammed Shahwani, dem von Paul Bremer eingesetzten Chef des neuen irakischen Geheimdienstes, stehen ihnen 40.000 „Hardcore-Kämpfer“ gegenüber, unterstützt von 150.000 Irakerinnen und Iraker die als „Teilzeitguerillakämpfer“, Kundschafter und logistisches Personal arbeiten würden. Diese können, so Schahani, auch auf Unterstützung oder Duldung großer Teile der Bevölkerung zählen.[26] Man kann davon ausgehen, dass Shahwani weiß, von was er spricht. Er war unter Saddam Hussein bereits Geheimdienstchef in Bagdad gewesen, bevor er das Land verließ und sich Ijad Allawis National Accord anschloss.
Auch die US-Administration hat erkannt, dass die US-Truppen im Irak einem breiten Widerstand aus der Bevölkerung gegenüberstehen, der mit regulären militärischen Mitteln allein nicht zu besiegen ist. Sie setzt daher zunehmend auf einem verdeckten, schmutzigen Krieg.
Bereits im Dezember 2003 enthüllte Seymour Hersh entsprechende Programme der US-Regierung, die Geheimdienstexperten an die „Operation Phönix“ in Vietnam erinnern.
Das Pentagon bezeichnet, gemäß einem Artikel der US-Zeitschrift Newsweek, die diesbezüglichen Pläne lieber als „Salvador Option“ – in Anknüpfung an die erfolgreichere Anwendung des Einsatzes von staatlichem Terror, Folter und Todesschwadronen gegen oppositionelle Kräfte in Mittelamerika. [27]
Wie Hersh herausgefunden hatte, war schon im Herbst 2003 mitHilfe von Experten der israelischen Armee mit der Ausbildung von Spezialeinheiten zur gezielten Liquidierung von Besatzungsgegner begonnen worden.[28] Hinzu kommt der massive Einsatz von privaten Söldnern, darunter viele frühere Geheimdienstoffiziere und ehemalige Angehörige von Sondereinheiten der Armee, die keiner Kontrolle unterliegen.
Für Peter Maass von der New York Times steht nach seinen Recherchen vor Ort fest, dass die Vorlage für den heutigen Irak nicht Vietnam, sondern El Salvador ist, wo ab 1980 eine rechtsgerichtete Diktatur mit US-Unterstützung eine linksgerichtete Befreiungsbewegung bekämpfte. Über 70,000 Menschen wurden in dem 12-jährigen Krieg getötet, die meisten von ihnen Zivilisten.[29]
Im Irak entsteht aber eher eine Mischung aus beidem, denn Maas übersieht, dass Irak nach wie vor ein militärisch besetztes Land ist, in dem 140.000 US-Soldaten im direkten Einsatz gegen eine Widerstandsbewegung sind, die sich in erster Linie gegen diese Besatzung wendet.
Der verdeckte Krieg soll im wesentlich von den verbündeten Irakern selbst geführt werden, koordiniert von der Übergangsregierung. Ijad Allawi hat hierfür in seiner Amtszeit u. a. mit Kriegsrecht und dem Aufbau eines neuen „Sicherheitsapparates“ die entscheidende Vorarbeit geleistet. Vieles davon verrät die Handschrift von Botschafter John Negroponte, der als Botschafter in Honduras auch in Mittelamerika die Fäden zog, und eine Reihe von „Beratern“ mit einschlägigen Erfahrungen aus dieser Zeit in die Ministerien entsandt hat.
Unmittelbar nach seinem Amtsantritt hatte Allawi mit dem Aufbau einer Geheimpolizei begonnen, die als Speerspitze bei der Aufstandsbekämpfung fungieren soll. Als Sicherheitsberater, der den Aufbau des neuen „allgemeinen Sicherheitsdirektorats“ (General Security Directorate, GSD) unterstützen sollte ernannte er den Generalmajor Adnan Thavit al Samarra’i, ein ehemaliger hoher Geheimdienstoffizier Saddam Husseins, der sich an Allawis gescheitertem Putschversuch 1996 beteiligt hatte.
Anscheinend über Nacht traten bald darauf neue paramilitärische Einheiten in Erscheinung, die ebenfalls mit der „Salvador Option“ in Verbindung gebracht werden und stark an die rechten Paramilitärs in Kolumbien erinnern.
Mittlerweise agieren mindestens sechs dieser vom US-Militär „Pop-Ups“ genannt Milizen, verteilt über den gesamten Irak. Die relativ gut bezahlten Kämpfer kommen überwiegend aus den Sicherheitsdiensten und Sondereinheiten der Armee des alten Regimes und haben den Corpsgeist und die Disziplin, die die USA bei den regulären irakischen Militär- und Polizeikräften so sehr vermissen.[30]
Die stärkste dieser stark bewaffneter Milizen, die „Special Police Commandos“, besteht aus 5.000 bis 10.000 Kämpfern. Sie waren u. a. im letzten Oktober auf den Angriff auf Samarra beteiligt, der als Probelauf für den Sturm auf Falluja galt. Die „Commandos“ agieren z.B. aber auch in Mossul und Ramadi und weiteren Zentren des Widerstand.
[Ihr Kommandeur ist der oben erwähnte Sicherheitsberater Adnan Thavit, einer der engsten Verbündeten Allawis und Onkel des bisherigen Innenministers Falah al-Naqib. Nach eigenen Angaben handelt es sich bei seinen Leuten um Polizeikräfte, die bereits früher „Erfahrungen im Kampf gegen Terrorismus“ sammeln konnten, sowie um Leute, die unter dem früheren Regime ein spezielles Training erhalten hätten.]
Mindestens zwei weitere dieser Milizen, die Muthana Brigade und die „Defenders of Khadamiya“ stehen in direkter Verbindung zu Allawi. Sie erhalten alle mittlerweile massive direkte Unterstützung vom Pentagon. Die Gesamtstärke dieser neuen irregulären Brigaden, die von den US-Kommandeuren als neue Avantgarde im Kampf gegen den Aufstand betrachtet werden, wird auf über 15.000 Mann geschätzt. Da die Loyalitäten der Milizionäre aber ihren jeweiligen Führern und nicht der Besatzungsmacht gelten, hat sich das Pentagon hier neue Warlords herangezüchtet.[31]
Der Name „Pop-Ups“ ist irreführend. Die Milizen schossen nicht über Nacht aus dem Boden. Erste Pläne zu solchen Einheiten wurden bereits Ende 2003 bei Treffen zwischen CIA und Allawi geschmiedet und gehörten somit zum nicht-öffentlichen Teil des damals beschlossenen „Übergangskonzeptes“. Allawi hatte den Aufbau solcher „Polizei-Spezialeinheiten“ noch vor seinem Amtsantritt ankündigt. [32]
[Einheiten der US Marines unterhalten ihre eigenen Milizen, u.a. die „Iraqi Freedom Guard“ and the „Freedom Fighters“. Sie setzen sich vorwiegend aus radikalen Schiiten aus dem Süden zusammen und wurden in Operationen der Marines in der Al Anbar Provinz, einem der Zentren des Widerstand gegen sunnitische Widerstandskämpfer eingesetzt. [33]]
Aufgrund von Äußerungen von General Wayne Downing, der nun in Ruhestand gegangene frühere Chef aller Sondereinsatzkräfte der USA ist davon auszugehen, dass im Rahmen dieser neuen Kommandos auch Todesschwadrone agieren. In einem Fernsehinterview hatte Downing den Einsatz solcher paramilitärischen Einheiten in El Salvador als zulässige und nützliche Taktik bezeichnet und ergänzt, dass die USA nun auch „Special Police Commandos“ im Irak hätten, die „diese Art von Angriffsoperationen durchführen.“ Eine ganze Reihe bekannter Vorfälle stützen diese Aussage. [34]
Belegt ist auf alle Fälle mit welcher Brutalität diese Sonderbrigaden gegen Verdächtige vorgehen. Der bereits erwähnte Peter Maass wurde selbst mehrfach Augenzeuge schwerer Misshandlungen von Verdächtigen durch Thavits „Commandos“, die stets von einer kleinern US-Einheit begleitet werden und hörte Berichte von US-Soldaten über brutale Folter in den Gefängnissen.[35]
Die US-Armee versucht die Brutalität als Folge irakischer Tradition hinzustellen, die sie abzumildern suchen. Dagegen spricht dass führende „US-Berater“ der Milizen über langjährige einschlägige Erfahrungen aus Mittelamerika verfügen. Unmittelbar am Aufbau und Einsatz der neuen Milizen beteiligt, ist z.B. James Steele, der in den 80er Jahren in El Salvador als Chef einer Sondereinheit des US-Militärs die die dortigen Todesschwadrone der Regierung „beriet“. Eine ähnliche Karriere hat Steve Casteel, „Berater“ im irakischen „Innenministerium“, der sich den größten Teil seines bisherigen Berufsleben über im schmutzigen Drogen- und Antiguerillakrieg in Peru, Bolivien und Kolumbien engagierte.
„Indem die Medien die Wahlen als Triumph der Bush-Administration darstellten,“ so Edward S. Herman „und damit, wie in den früheren vietnamesischen und salvadorianischen Wahlen, teilweise als Rechtfertigung für Aggression und Besatzung (agression-occupation) , geben sie der Regierung freiere Hand.“ Sie werde „zuerst ihr Programm der Befriedung durch Gewalt intensivieren, um den Aufstand zu marginalisieren und den Boden für die Herrschaft der Gruppen zu bereiten, die den Invasoren/Besatzer zutiefst verpflichtet sind“ so Herman weiter. Wie Seymour Hersh in „We’ve Been Taken Over By a Cult“[36] aufgezeigt habe, „hat die Regierung seine Bombenangriffe Monat für Monat stetig eskaliert und so den ganzen Irak zu einer ‚Feuer frei-Zone’ verwandelt – … ‚Treff alles, töte jeden’ – nahezu unberichtet in den Medien, und wir können sicherlich noch mehr vom selben erwarten.“[37]
[1] Charles Krauthammer “Three Cheers for the Bush Doctrine –-History has begun to speak, and it says that America made the right decision to invade Iraq”, Time, 7.3.2005, http://www.time.com/time/columnist/krauthammer/article/0,9565,1035052,00.html
[2] „Bis zu den jüngsten Wahlen im Irak und unter den Palästinensern, war die moderne arabische Welt weitgehend immun gegen die Winde der Demokratie die überall sonst in der Welt geblasen haben“ schrieb z.B. auch Thomas L. Friedman in der New York Times v. 7.4.2005 „Arabs Lift Their Voices“
[3] Noam Chomsky, „Promoting Democracy In Middle East“, Khaleej Times, 6.3.2005
[4] Gareth Porter, The Real Story of the Iraqi Elections, Foreign Policy in Focus (FPIF), 8.2.2005
[5] siehe J. Guilliard „Im Treibsand Iraks“, IMI-Studie 2004/03, http://www.embargos.de/irak/occupation/hintergrund/im_treibsand_jg_frm.htm
[6] siehe J. Guilliard„Wahlen als Waffe im Krieg – Ein Überblick über den Wahlprozess im Irak, http://www.embargos.de/irak/occupation/hintergrund/wahlen_waffe_jg.htm
[7] Phyllis Bennis, “Reading the Elections”, Institute for Policy Studies, 2. 2.2005 http://electroniciraq.net/news/1854.shtml
[8] Die Seattle Times berichtete am 26.9.2004 über eine Umfrage, wonach 98% der Iraker den Abzug der US-Amerikaner fordern würden. Nach einer Umfrage des Brookingsinstituts im Januar vor den Wahlen, sind 69% der schiitischen und 82% der sunnitischen Bevölkerung für einen baldigen Abzug.
[9] And Life Goes On..., Riverbend, 12.2. 2005 http://riverbendblog.blogspot.com/2005_02_01_riverbendblog_archive.html#110815850766514443
[10] „Priorities Of Power - The Real Meaning Of Elections In Iraq“, Media Lens , 8. 2. 2005, http://www.medialens.org/blog/archives/00000115.htm
[11] Riverbend, „Groceries and Election Results.“, 18.2.2005 http://riverbendblog.blogspot.com/2005_02_01_riverbendblog_archive.html#110872871401791299
[12] Edward S. Herman “The Election In Iraq: The U.S. Propaganda System Is Still Working In High Gear”, Znet, 13.2.2005, http://www.zmag.org/content/showarticle.cfm?SectionID=15&ItemID=7240
[13] “Iraqi compromise fuels angry debate, Iraq's transitional law under attack”, BBC News, 6.4.2005, http://news.bbc.co.uk/1/hi/world/middle_east/4359559.stm
[14] Juan Cole, Shiite-Kurdish Deal Collapses, 14.3.2005, http://www.juancole.com/2005/03/shiite-kurdish-deal-collapses-al-hayat.html
[15] siehe Muhammad al-Baghdadi, “Lies about the “oppression of the Shi‘ah” and others”, 25.3.2005 http://www.albasrah.net/maqalat/english/0305/oppression-shiah_280305.htm
[16] There are documents and plenty of evidence showing that fraud took place during the elections in Kirkuk, said a statement which was distributed to protestors and signed by 16 Arab and Turkoman groups., „Allawi, Kurds Set to Form Coalition: Report“, Islam Online, 12.2.2005
[17] According to the accurate 1947 census and the officially approved 1957 census, the majority were Turkoman. „In our hands“, Ahl Ahram weekly, 17..3.2005, http://weekly.ahram.org.eg/2005/734/re7.htm
[18] “Thorny issues loom for Iraqi leaders”, Christian Science Monitor, 8.4.2005
[19] James Cogan, „Who is Iraq’s new prime minister Ibrahim al-Jaafari?“, WSWS, 18.4.2005, http://www.wsws.org/articles/2005/apr2005/jaaf-a18.shtml
[20] Das von den Besatzern eingeführte ethnische Proporzdenken, das Karl Grobe treffend mit „Mittelalter statt Zivilgesellschaft“ charakterisierte hatte, spielte wie schon bei den ersten Institution durchweg die entscheidende Rolle.
[21] Dilip Hiro, „Iraq's New President Jalal Talabani: Ally of CIA, Iranian Intelligence and Saddam Hussein“, Democracy now! 7.4.2005, http://www.democracynow.org/article.pl?sid=05/04/07/1343226
[22] Pepe Escobar, „What’s behind the new Iraq“ und „The shadow Iraqi government“ , Asia Times, 8.4.2005 bzw. 21.4.2005
[23] Squabble over Iraqi militias, Asia Times, 23.4. 2005, http://www.atimes.com/atimes/Middle_East/GD23Ak02.html
[24] „Seven U.S. Servicemembers Killed in Iraq“, May 9, 2005; 2:56 AM
[25] „Iraq Insurgents Can Conduct 60 Strikes Daily –Pentagon“, Reuters, 17.2.2005 http://www.reuters.com/newsArticle.jhtml?type=topNews&storyID=7666210
[26] so General Muhammed Shahwani, Chefs des neuen irakischen Geheimdienstes, siehe „Iraq battling more than 200,000 insurgents”, afp, 4.1.2005, http://www.dailystar.com.lb/article.asp?edition_id=10&categ_id=2&article_id=11487
[27] „‘The Salvador Option’ – The Pentagon may put Special-Forces-led assassination or kidnapping teams in Iraq“, Newsweek, 8.1.2005, http://www.msnbc.msn.com/id/6802629/site/newsweek/
[28] siehe J. Guilliard, „Irak: Wirtschaftlicher Ausverkauf und neokoloniale Diktatur, Marxistische Blätter 1/04, http://marxblaetter.placerouge.org/2004/04-1-16.html, sowie „Im Treibsand Iraks“ a.a.O.
[29] Peter Maass, „The Way of the Commandos“, New York Times, 1.5.2005
[30] Greg Jaffe , Bands of Brothers New Factor in Iraq: Irregular Brigades Fill Security Void, Wall Street Journal, 23.2.2005, http://www.informationclearinghouse.info/article8631.htm
[31] Die „Special police commandos“ kümmern sich auch um die psychologische Kriegführung. Sie zeigen u.a. Verdächtige in der täglichen TV show, "Terrorism in the Hands of Justice", die vor laufender Kamera diverse Untaten gestehen. Vielen sieht man noch die Spuren der Misshandlung an, die wahrscheinlich zu den Geständnissen gebracht haben. Diese sind oft viel zu absurd um glaubhaft zu sein: so gestehen die angeblichen islamistischen Terroristen Schwulenorgien und Drinkgelage und ähnliches in Moscheen.
[32] A. K. Gupta, „Let A Thousand Militias Bloom“, 21 April 2005, erscheint in der Mai-Ausgabe des Z-Magazine, eine upgedatete Version steht unter http://www.commondreams.org/views05/0422-24.htm
[33] Pepe Escobar, „Iraq's hostage cabinet“, Asia Times, 30.4.2005
[34] A.K. Gupta, a.a.O.
[35] Peter Maass, „The Way of the Commandos“, NYT, 1.5.2005
[36] Seymour Hersh in „We’ve Been Taken Over By a Cult“, CounterPunch, 27.1. 2005, http://www.counterpunch.org/hersh01272005.html
[37] Edward S. Herman, a.a.O.