Reportage: "Zustand Bagdads schockierend"
Karin Leukefeld |
Die freie Journalistin Karin Leukefeld bereist zurzeit den Irak und berichtet für tagesschau.de aus Bagdad
Für jemanden, der Bagdad aus der Zeit vor dem Krieg kennt, ist der Zustand der Stadt zwei Wochen nach dem Ende der Bombardierungen schockierend: ausgebrannte Panzer, Militär- und Zivilfahrzeuge liegen am Straßenrand und auf den Mittelstreifen, auf Brücken oder in Toreinfahrten. Müll stapelt sich überall, Aschehaufen schmauchen an vielen Ecken, Brandgeruch liegt über der Stadt.
Präzise hat die Luftwaffe der britisch-amerikanischen Kriegsallianz die Symbole der alten Macht zerstört: Paläste, Ministerien, Telekommunikationsanlagen, Waffenlager, Militärstützpunkte der Revolutionären Garden und irakischen Armee oder was man dafür hielt, sind verbrannt und liegen in Trümmern. Doch auch Wohn- und Warenhäuser, Museen und Kunstzentren, der Zoo, Moscheen und das Messegelände wurden beschädigt oder zerstört, aus welchem Grund auch immer. Die Bebauung am östlichen Tigrisufer ist an vielen Stellen von der Westseite des Flusses nicht mehr wiederzuerkennen. In den Wohnvierteln um den ehemaligen Militärflughafen Muthanna blieb kaum eine Scheibe heil, es folgten nächtliche Plünderungen, denen die Einwohner, oft alte Leute, schutzlos ausgeliefert waren.
Es ist erstaunlich, mit welcher Zähigkeit die Einwohner Bagdads nun wieder beginnen, ihren Alltag zu organisieren. Eine von den Amerikanern verfügte Ausgangssperre zwischen 23.00 und 6.00 Uhr soll die Stadt sicherer machen, was aber nicht wirklich gelingt. Es gibt Berichte von nächtlichen Schießereien in verschiedenen Stadtteilen, und auch hinter den Hotels im Schatten der Journalistenhochburg "Palestine" sind nachts wiederholt Schüsse zu hören. "Das sind Freudenschüsse," erklärt ein US-Offizier, "die Iraker schießen manchmal einfach in die Luft."
Die meisten Iraker allerdings vermeiden es, nach Einbruch der Nacht noch unterwegs zu sein. Es sei nicht mehr sicher, ein Taxi auf der Straße anzuhalten wird man gewarnt, und niemals solle man allein gehen. Bewaffnete Räuber regieren nicht nur die Nacht, auch tagsüber stoppen sie Autos und kassieren, was sie kriegen können.
Diese bisher ungekannte Unsicherheit in der Stadt und Angst vor der Zukunft bedrückt die Iraker, deren Lebensgrundlage schon vor dem Krieg sehr brüchig war. Ob die Verteilung von Lebensmitteln wie vor dem Krieg wieder beginnt, ist fraglich. Noch leben die Menschen von den im März zuletzt verteilten Rationen. Andere machen ihr Geschäft mit der Not und bieten zu schwindelerregenden Preisen an, was dringend gebraucht wird. Benzinmangel ist allgegenwärtig, 20 Liter pro Tag und Wagen kosten drei Dollar, für irakische Verhältnisse ein astronomischer Preis, Tendenz täglich steigend. Vor dem Krieg zahlte man für die gleiche Menge weniger als die Hälfte. Von den zerstörten Telefonleitungen profitieren Männer mit handlichen Satellitentelefonen, die an jeder Straßenecke stehen. Ein Gespräch ins Ausland kostet drei Dollar pro Minute. Auch die Hotels haben ihre Übernachtungspreise um 25 Prozent angehoben.
Lange Schlangen von Arbeitswilligen bilden sich vor dem Hauptquartier der amerikanischen Besatzungsverwaltung, die sich im ehemaligen Präsidentenpalast niedergelassen hat. Arbeitslose Ingenieure, Lehrer, ehemalige Soldaten und Piloten versuchen einen Job als Übersetzer oder bei den neuen Ordnungskräften zu ergattern. An der Zusammenarbeit mit den Amerikanern kommt keiner vorbei. Fast keiner, denn in den Vierteln Bagdads, die fest in schiitischer Hand sind, wird das Leben straff organisiert, ohne viel zu fragen. Dazu gehört das Armenviertel Saddam City, das inzwischen Sadr City heißt, nach dem von Schiiten verehrten Geistlichen Mohammad al-Sadr, der von der Baath-Regierung getötet wurde. In Sadr City wurden geplünderte Sachen in den Moscheen gesammelt und wenn möglich zurückgegeben. Der Koran verbietet solche Straftaten.
Dass einiges von dem Plündergut tatsächlich zurückgegeben wird, davon konnten sich westliche Journalisten im Irak Museum überzeugen. Stolz präsentierte der Leiter einer Sonderermittlungskommission, der amerikanische Offizier Bogdanos, einen Teil von 700 antiken Stücken, die aus dem Museum entwendet worden waren. Nach dem Erlass einer Amnestie haben nach amerikanischen Angaben bisher 200 Personen ihr Plündergut zurückgebracht.
Lesen Sie auch den ersten Teil der Reisereportage: 550 Kilometer bis nach Bagdad (29.04.03).
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