Interview |
Situation im Irak eskaliert weiter: Brechen Besatzer das Völkerrecht? |
jW sprach mit Norman Paech, Professor emeritus für Internationales Recht an der Hamburger Hochschule für Wirtschaft und Politik |
Interview: Wolfgang Pomrehn, junge Welt vom 20.04.2004 |
F: US-Truppen haben vor zwei Wochen begonnen, verschiedene irakische Städte zu belagern und dort Wohnviertel zu bombardieren, darunter auch die westirakische Stadt Falludscha. Was sagt das Völkerrecht? Ist das Vorgehen der Besatzer zulässig?
So etwas ist völkerrechtswidrig, und zwar unabhängig davon, wie man die Besatzung bewertet. Auch eine nicht rechtmäßige Besatzung ist immer an die Genfer und Haager Regeln des humanitären Völkerrechts gebunden. Die Zivilbevölkerung darf auf keinen Fall Ziel militärischer Angriffe sein. Die besagten Konventionen begrenzen die militärischen Aktivitäten in einem besetzten Gebiet auf jene, die unbedingt zum Selbstschutz der Besatzungstruppen und der zivilen Einrichtungen der Besatzung notwendig sind. F: Kann man also das Vorgehen in Falludscha als Kriegsverbrechen auffassen? Das muß man wohl. Die Besatzungstruppen sind in keiner Weise berechtigt, Wohnviertel anzugreifen. Auch die Argumentation, daß sich dort militärische Widerstandsnester verstecken, liefert keine Rechtfertigung. Was uns Augenzeugen derzeit aus Falludscha berichten, erfüllt in weiten Teilen den Tatbestand von Kriegsverbrechen. F: Welche Möglichkeiten gäbe es, die USA und deren Verbündete für den Bruch des Völkerrechts zu belangen? Man könnte versuchen, vom Internationalen Gerichtshof in Den Haag ein Gutachten über den gesamten Prozeß des Krieges wie auch der Besatzung zu bekommen. Ähnlich wie dort derzeit auf Antrag der UN-Generalversammlung versucht wird, durch ein Gutachten juristische Klarheit über die Mauer in den von Israel besetzten Gebieten zu bekommen. Für eine Klage fehlt es an den Klägern. Von der irakischen Übergangsregierung unter ihrem Prokonsul Bremer ist ein solcher Schritt natürlich nicht zu erwarten. Es wäre aber möglich, die Kriegsverbrechen vor den Internationalen Strafgerichtshof zu bringen. Doch auch dort ist die Situation die gleiche: Es fehlt an einem Kläger. Die Lage ist ähnlich der in der UN-Menschenrechtskommission. Dort wird zwar Kuba wegen Nichteinhaltung fairer Gerichtsverfahren gerügt, aber keiner ist in der Lage, das gleiche auch gegenüber den USA durchzusetzen, um das Fehlen fairer Verfahren für die in Guantanamo Inhaftierten zu rügen. Das sind politische Verhältnisse, in denen das Völkerrecht sich leider nicht durchsetzen kann. F: Wer käme im Falle des Irak als Kläger in Frage? Nur eine irakische Regierung, oder könnten zum Beispiel auch Berlin oder Paris klagen? Im Falle der Strafgerichtsbarkeit könnte eine Anzeige auch von Dritten, also auch von den genannten Regierungen, eingereicht werden. Sinnvoller Weise müßten das Betroffene, das heißt zum Beispiel Nachbarstaaten sein. Aber das ist eine politische Frage, denn keiner ist verpflichtet, eine Anzeige zu stellen. Auch internationale Organisationen oder NGOs könnten aktiv werden. Die Frage ist allerdings, ob die Anklagebehörde eine Anzeige annimmt und ein Verfahren eröffnet. F: Ihr Kollege Michael Bothe, Professor für Völkerrecht an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main, vertritt die Auffassung, daß die Besatzungsmacht die Verpflichtung habe, für Sicherheit und Ordnung zu sorgen. Sie müsse daher gegen »bewaffnete Banden« vorgehen, zu denen er offensichtlich auch die derzeit in Falludscha und anderen Städten kämpfenden Milizen zählt. Das ist in abstracto richtig. Aber zum einen darf auch eine rechtmäßige Besatzung militärische Mittel nur zum Selbstschutz einsetzen. Die Belagerung und Bombardierung Falludschas sind keine verhältnismäßigen und zulässigen Maßnahmen für die Herstellung von Recht und Ordnung. Eine rechtswidrige Besatzung hat die Pflicht, sich so schnell wie möglich wieder aus dem Land herauszuziehen. Die Pflicht, das Land zu verlassen, ist stärker, als jene, mit militärischen Maßnahmen dort für Ordnung zu sorgen. Zum anderen deutet alles darauf hin, daß der Kriegszustand noch gar nicht aufgehoben ist, sich die Parteien also wie Kombattanten gegenüberstehen. Das Vorgehen des Widerstandes gegen die US-amerikanischen Truppen ist sozusagen die Fortsetzung des Krieges. So unkoordiniert dieser Widerstand auch sein mag, sein eindeutig formuliertes Ziel ist, die Besatzungstruppen zum Verlassen des Landes zu zwingen und das ist legitim. In diesem Falle sind natürlich beide an das humanitäre Völkerrecht gebunden. Das heißt, für beide Parteien sind zivile Ziele tabu und auch der Widerstand darf sich nur gegen das Militär wenden und nicht gegen Zivilisten vorgehen. F: Wie bewerten Sie unabhängig von den jüngsten Ereignissen die Besatzung? Ich halte sie nach wie vor für illegal, denn sie kam aufgrund eines rechtswidrigen Krieges zustande. In der juristischen Literatur findet man allerdings inzwischen vielfach eine Argumentation, nach der durch die verschiedenen Resolutionen des UN-Sicherheitsrates die Besatzung allmählich in soweit legitimiert sei, als sie ernsthaft drangehe, Frieden zu stiften und einen Neuaufbau des Irak zu gewährleisten. Das ist eine komplizierte Position, denn bei genauer Analyse hat sich der Sicherheitsrat nur mit humanitären Problemen beschäftigt und weder Krieg noch Besatzung legitimiert. Zudem kann der Sicherheitsrat überhaupt nicht nachträglich den Krieg legalisieren, weil er das Völkerrecht nicht umdrehen kann. Aber er kann einen Zustand legalisieren, von dem er meint, daß er nun einmal eingetreten und zur Herstellung des Friedens notwendig ist. F: Das Völkerrecht erkennt das Recht kolonisierter Völker auf Widerstand an. Greift das nach ihrer Ansicht im Falle Iraks? So wenig ich die Besatzung als legalisiert ansehe, so wenig würde ich bereits eine Parallele zu den alten Kolonialregimen ziehen. In jedem Fall aber schließt das nicht das Recht der Besetzten aus, militärischen Handlungen, wie zum Beispiel den Übergriff auf Zivilisten und zivile Einrichtungen, mit militärischem Widerstand zu begegnen. F: Der UNO wird von linker Seite gelegentlich Komplizenschaft mit der Besatzung vorgeworfen. Aber kann Generalsekretär Kofi Annan überhaupt anders handeln, solange er nicht von einflußreichen Staaten gedeckt wird, die bereit wären, sich mit den USA anzulegen? Man muß unterscheiden, welche Institution dieser Vorwurf trifft. Der Sicherheitsrat zum Beispiel kann durchaus der Komplizenschaft verdächtigt werden, so lange er nicht gegenüber der Besatzung durchgreift und die Truppen zwingt, sich wieder zurückzuziehen, und soweit sein Handeln als Legitimation der Besatzung angesehen werden kann. Kofi Annan hat jedoch in dieser Hinsicht überhaupt keine rechtlichen Möglichkeiten. Er kann moderieren, hinter den Kulissen agieren und öffentlich seine Meinung sagen, wie er das gerade im Palästinakonflikt getan hat. Was man von ihm fordern kann, ist, daß er seine Position klarer äußert. Mit einer pauschalen Kritik an der UNO kommt man nicht sehr weit. Man muß schon das Organ der UNO benennen, das für ein bestimmtes Verhalten verantwortlich ist. |
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