Von IGNACIO RAMONET
DIES ist ein großer Tag für den Irak", verkündete US-General Jay Garner, als er im zerbombten und geplünderten Bagdad landete, als bedeute das Auftreten seiner Hoheit das wundersame Ende der tausendundeinen Plagen, die das alte Mesopotamien zu Boden drücken. Am verblüffendsten ist freilich nicht die Unverfrorenheit der Äußerung, sondern der resignativ apathische Ton, mit dem die großen Medien über den Einzug des US-Generals mit dem schönen Titel "Prokonsul der Vereinigten Staaten" berichtet haben. Als wäre das internationale Recht nur noch Makulatur. Als wären wir wieder in der Zeit nach dem Ende des Ersten Weltkriegs angelangt, als der allzu kolonialistisch klingende Begriff "Protektorat" durch den des "Mandats" ersetzt wurde. Als wäre zu Beginn des 21. Jahrhunderts nichts normaler als die Tatsache, dass Washington einen pensionierten Offizier der US-Streitkräfte zum Gouverneur eines souveränen Staats ernennt.
Die Entscheidung wurde ohne Konsultationen mit den Mitgliedern der Phantom-"Koalition" getroffen und erinnerte auf peinliche Weise an Usancen aus der Kolonialzeit, an Figuren wie Clive, den Gouverneur Indiens, an Lord Kitchener, den Regenten Südafrikas, an Lyautey, den Verwalter Marokkos. Und dabei hatte man geglaubt, ein derartiger Machtmissbrauch sei durch Geschichte und politische Moral für immer geächtet.
Was soll der Vergleich, wird man entgegnen, das eigentliche Vorbild für den "Übergang im Irak" sei doch die Militärverwaltung Japans durch General Douglas McArthur nach 1945. Aber wäre dieser Bezug nicht noch viel beunruhigender? Bedurfte es nicht der atomaren Zerstörung der Städte Hiroshima und Nagasaki - das heißt: fast einer Apokalypse -, damit die USA die feindliche Macht niederringen und ihren Generalgouverneur einsetzen konnten? Und dabei gab es damals noch nicht die Organisation der Vereinten Nationen.
Heute jedoch existiert eine UNO, zumindest theoretisch. Zudem hat der Einmarsch US-amerikanischer Truppen (und ihrer britischen Hilfskräfte) im Irak mitnichten einen dritten oder vierten Weltkrieg beendet. Es sei denn, Präsident George W. Bush und Umgebung betrachten die Anschläge vom 11. September 2001 als Äquivalent eines globalen Konflikts.
Gewiss, General Garner ließ verlauten, die Besatzung sei nicht von ewiger Dauer: "Wir bleiben so lange wie nötig", erklärte er, "und ziehen so schnell wie möglich wieder ab." Doch die Geschichte lehrt, dass sich dieses "so lange wie nötig" hinziehen kann. Nachdem die Vereinigten Staaten 1898 die Philippinen und Puerto Rico erobert hatten - unter dem altruistischen Vorwand, Land und Bevölkerung vom Kolonialjoch zu "befreien" -, übernahmen sie nach einiger Zeit die Rolle der früheren Kolonialmacht und unterdrückten jeden Widerstand.
ERST 1946 zog sich Amerika wieder von den Philippinen zurück, mischte sich aber auch weiterhin in die inneren Angelegenheiten des neuen Staats und griff bei jeder Präsidentschaftswahl dem Kandidaten ihrer Wahl unter die Arme, unter anderem dem Diktator Ferdinand Marcos, der von 1965 bis 1986 die Macht ausübte. Und Puerto Rico ist bis heute besetzt.
Der Anblick, wie General Garner mit seinen 50 Verwaltern in Bagdad das Regiment übernahm, erinnert zwangsläufig an die koloniale Epoche, an das, was Rudyard Kipling die "Bürde des weißen Mannes" nannte. Oder was der Völkerbund 1918 als "heiligen Zivilisationsauftrag" bezeichnete, und zwar gegenüber Völkern, die unfähig seien, "sich unter den besonders schwierigen Bedingungen der modernen Welt selbst zu regieren".
Der Neoimperialismus der Vereinigten Staaten knüpft an die altrömische Auffassung an, die mehr oder weniger als minderwertig betrachteten Völker bedürften moralischer Anleitung, militärischer Zucht und medialer Vormundschaft - natürlich auf den Grundlagen von Freihandel, Globalisierung und westlicher Kultur. Nach dem Sturz der schrecklichen Diktatur versprach Washington im Irak eine exemplarische Demokratie zu errichten, deren Ausstrahlung den Fall aller diktatorischen Regime der Region nach sich ziehen werde. Wozu auch die Diktaturen in Ägypten und Saudi-Arabien zählen, wie der ehemalige CIA-Direktor und Bush-Vertraute James Woolsey versicherte.
Ist dieses Versprechen glaubwürdig? Offenkundig nicht. US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld beeilte sich denn auch mit der Auskunft, Washington werde ein islamisches Regime im Irak nicht anerkennen, selbst wenn es den Wunsch der Mehrheit im Irak und das Ergebnis eines Urnengangs widerspiegele. Das entspricht der alten Lehre der Geschichte: Das Imperium diktiert dem Besiegten sein Gesetz. Eine andere Lehre lautet freilich: Wer vom Imperium lebt, wird auch an ihm zugrunde gehen.
Le Monde diplomatique Nr. 7055 vom 16.5.2003, 147 Zeilen, IGNACIO RAMONET