Als Land mit den zweitgrößten Ölressourcen der Welt weckt der Irak seit dem Ersten Weltkrieg global Begehrlichkeiten
von Karin Leukefeld,
(aus der junge Welt-Beilage "Krieg und Terror" vom 7. Juni 2002)
Fast 12 Jahre nach Beginn der UN-Sanktionen gegen den Irak sind sich Verantwortliche der Vereinten Nationen weitgehend einig: "Würde mein Rücktritt heute die Sanktionen morgen beenden, wäre ich froh, zurückzutreten," sagte der Koordinator für das Humanitäre UN-Programm, Tun Myat Mitte Mai gegenüber einer britisch-amerikanischen Ärztedelegation. Seine zwei Vorgänger, Denis Halliday und Hans von Sponeck waren aus Protest gegen die Auswirkungen der Sanktionen auf die Bevölkerung des Irak zurückgetreten. Damit hatten sie zumindest eine internationale Debatte über die Sanktionen in Gang gesetzt. Doch trotz aller Kritik hält das Sanktionsregime des UN-Sicherheitsrates weiter an. Das Gremium ist fest in US-Hand, Embargokritiker wie Russland und China sind verstummt, nur Syrien versuchte zuletzt noch gegen den Strom zu schwimmen. Anfang Mai beschloss der Sicherheitsrat einstimmig die "smart sanctions", eine modifizierte Verlängerung der Sanktionen gegen den Irak. Seit dem 11. September kommt eine weitere Stigmatisierung des Landes hinzu. Im "internationalen Kampf gegen den Terrorismus" hat George W. Bush den Irak zu einer "Achsenmacht des Bösen" erklärt.
Als Land mit den zweitgrößten Ölressourcen der Welt weckt der Irak seit dem Ersten Weltkrieg Begehrlichkeiten. Mal als Freund, mal als Feind wurden die jeweiligen Regierungen unterstützt oder bekämpft. Saddam Hussein kennt beides. Im Sommer 1990 hatte er die "Zeichen" falsch gedeutet, wie es heute in der irakischen Baath-Partei heißt und war in das Scheichtum Kuwait einmarschiert. Als hätte man darauf nur gewartet, schmiedete der "Ölblock" von Bush Senior in Windeseile eine "internationale Allianz" und bombte den Irak "zurück ins Mittelalter". Zum ersten Mal war es gelungen, US-Truppen auf der Arabischen Halbinsel zu stationieren.
Seit dem 11. September 2001 ist jeder ein "Feind" Washingtons, der sich nicht eindeutig an die Seite der USA stellt. Saddam Hussein hat inzwischen den "Spitzenreiter" Osama Bin Laden in der Kriegsrhetorik des US-Präsidenten abgelöst, auch wenn eine Verbindung zu dem "islamistischen Terrornetzwerk Al Qaida" dem Irak nicht nachzuweisen ist. Berichte von Treffen eines irakischen Geheimdienstoffiziers mit Mohammed Atta, dem "Kopf" der Anschläge vom 11. September, sind klanglos wieder in der Schublade verschwunden. Auch angebliche "Trainingscamps" für Flugzeugentführer auf einem stillgelegten Flughafen bei Bagdad wurden nie bewiesen. Der von Washington angekündigte Militärschlag gegen die irakische Führung dient weniger der Einhaltung von Menschenrechten für wen auch immer, als viel mehr einem ungehinderten Zugriff auf das irakische Öl. "Es ist ganz nett, vom Eintreten für die Freiheit zu reden, aber Kuwait und Saudi-Arabien sind nicht gerade Demokratien, und wenn ihr wichtigstes Exportprodukt Orangen wären, hätte ein Beamter aus der mittleren Etage des Außenministeriums eine Stellungnahme abgegeben und wir hätten Washington den August über dicht gemacht," zitierte das Time - Magazin einen Berater von Präsident Bush senior kurz nach dem irakischen Einmarsch in Kuwait am 20. August 1990. Sein Beratungsteam hat der heutige US-Präsident weitgehend von seinem Vater übernommen.
Konkurrenzen zwischen den führenden europäischen Großmächten England, Frankreich und Deutschland verhindern ein gemeinsames Vorgehen, das den USA Grenzen setzen könnte. Großbritannien, nach dem Ersten Weltkrieg Protektoratsmacht über den Irak, steht mit seiner Führung fest an der Seite Washingtons. Die Stimmung im Parlament allerdings scheint umzuschlagen. Im März sprach sich eine Mehrheit der Abgeordneten gegen die britische Beteiligung an einem Militärschlag gegen den Irak aus. Der französische Staatspräsident Jaques Chirac machte beim Besuch von Bush junior in Paris Ende Mai deutlich, dass auch Frankreich einen Krieg nicht unterstütze. Dabei übernahm er allerdings die zweideutige Sprachregelung des deutschen Bundeskanzlers Schröder, der gesagt hatte, dass es von deutschen Truppen ohne ein UN-Mandat keine militärische Unterstützung geben werde. Widersprüchlich sind auch die massive Kritik an der irakischen Regierung in der kürzlich verabschiedeten Resolution des Europaparlaments und die finanzielle Unterstützung im Rahmen von ECHO, dem europäischen Hilfsprogramm, für die wenigen Nichtregierungsorganisationen, die in Zentral- und Südirak arbeiten.
"Die Europäer" möchten für ihre Wirtschaft gern eine Hintertür in den Irak offenhalten. Wenn das zerstörte Land infrastrukturell wieder aufgebaut werden kann, wird dort ein Milliardengeschäft zu machen sein. Die aktuelle irakische Regierung ist für die europäische Wirtschaft berechenbarer als eine mögliche neue, die nach einem Krieg von Washingtons Gnaden eingesetzt würde. Eine Dreiteilung des Landes, wie es einer der vielen US-Pläne vorsieht, würde die Wirtschaftskraft des Irak eindeutig schwächen. Sicherlich kein zufälliger Nebeneffekt der US-Kriegsstrategen.
Die meisten Verträge im Rahmen des Programms "Öl für Nahrungsmittel" schließt der Irak mit den arabischen Nachbarn, China, Vietnam oder Russland ab. Die russischen Interessen in der Region des Mittleren Ostens sind klar definiert, die Beziehungen haben in jeder Hinsicht eine lange Tradition. Aufgrund großer Ölvorkommen in Sibirien und im Kaspischen Meer steht die eigene Abhängigkeit vom Öl dabei weniger im Vordergrund, als regulierende Einflussnahme. Die USA reagierten mit einem klugen Schachzug. Die Zustimmung Russlands zu den "smart sanctions" "erkauften" sie sich u.a. mit der in Aussicht gestellten Freigabe von blockierten irakisch-russischen Verträge durch das UN-Sanktionskomitee.
Von zentraler Bedeutung ist für den Irak die Unterstützung der arabischen Nachbarn. Dr. Fakri Rashan vom irakischen Handelsministerium macht deutlich, wie man diese Beziehungen stabilisieren will. Die "Vision einer Arabischen Wirtschaftsunion und Freihandelszone" gehe zurück in die 60er Jahre und entspreche der "panarabischen Sichtweise" der irakischen Politik, so Rashan. Starke Wirtschaftsbeziehungen stärken auch die politischen Beziehungen, lautet die klare Botschaft. Allein die Handelsabkommen zwischen Saudi-Arabien und dem Irak – im Rahmen des UN-Programms - betragen inzwischen ein Volumen von einer Milliarde Dollar.
Die Tageszeitung Jordan Times stellte in einem Kommentar kürzlich fest, es müsse "ein klarer Unterschied gemacht werden zwischen dem, was die Vereinigten Staaten wollen und was die Resolutionen des UN-Sicherheitsrates fordern." Ein Beispiel für die Instrumentalisierung des UN-Sicherheitsrates durch die USA ist der Preis, den der Irak für sein exportiertes Öl erhält. Der wird in dem Gremium jeweils für einen bestimmten Förderzeitraum (ein Monat) festgelegt. Während bisher die Preise jeweils zu Beginn des Förderzeitraums festgelegt worden waren, setzten die USA und Großbritannien kürzlich durch, dass der Preis pro Barrel - rund 2 Euro niedriger (24,55 Euro) - im nachhinein bestimmt wird. Sie begründeten das damit, dass der Irak illegal Öl exportiere und einigen Vertragspartnern unzulässigerweise eine Gebühr berechne. Benon Sevan, der Leiter des Programms "Öl für Nahrungsmittel" erklärte daraufhin: "Solange die Frage der Preisfestlegung (...) nicht gelöst" sei, würden alle anderen Entscheidungen zur Verbesserung der humanitären Lage im Irak "akademischer Natur bleiben." Sevan zufolge beträgt der Verlust für den Irak im Mai im Vergleich zum vorherigen Förderzeitraum April 1,2 Milliarden Dollar.
"Wir sind im Nahen Osten wegen zweier Buchstaben: Öl," sagte US-Senator Robert Dole während des 2. Golfkrieges 1991. Glaubt man dem früheren US-Präsidenten Roosevelt, sichert der Zugriff aufs Öl die Macht in den USA: "Es ist zwar bedauerlich, doch niemand kann hierzulande eine Wahl gewinnen ohne Unterstützung des Ölblocks," sagte er in den 30er Jahren. Heute bestimmt der texanische"Ölblock" die US-Politik und die geostrategische Neuaufteilung der Welt durch die USA.