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Der Texaner und seine Schurken

Massive Raketenrüstung, heimliches Streben nach Atomwaffen und Aufbau umfangreicher Arsenale von B- und C-Waffen - mit diesen Vorwürfen nimmt Washington nun Nordkorea, Iran und den Irak ins Visier. Doch selbst Verbündete zweifeln an der Gefährlichkeit der angeprangerten Regime.

Es war einer der dramatischsten Augenblicke des Golfkriegs. "Missile, incoming", meldeten die Beobachter an amerikanischen Radarschirmen den ersten Start einer irakischen Bodenrakete.

Nur, was die Rakete ältlicher russischer Bauart in ihrem 250 Kilogramm schweren Sprengkopf trug, blieb den US-Spähern bis zum Einschlag verborgen. War es nur hoch brisanter Sprengstoff, der da herangeflogen kam? Würden sich Wolken aus hochgiftigen Kampfstoffen um den Explosionspunkt ausbreiten oder gar Killerbakterien heimtückisch Tod und Verderben unter den Menschen verbreiten? Die Angst vor den stets drohenden Massenvernichtungswaffen machte aus Saddam Hussein einen potenten Gegner der Supermacht.

Bis zur Waffenruhe am 28. Februar 1991 beherrschte die Sorge vor einem Überraschungsschlag so manche Entscheidung der Generalstäbler. Nun droht Washington, dem Irak und allen, die den USA als "Schurkenstaaten" verdächtig sind, die militärischen Machtmittel aus den Händen zu nehmen - notfalls auch mit Gewalt.

Doch die drei Staaten, die unversehens ins Zentrum jener manichäischen Weltsicht geraten sind, mit der die Amerikaner unübersichtliche Probleme auf überschaubare Gut-Böse-Konfrontationen reduzieren, können der dominanten USA militärisch wenig entgegensetzen. Die iranischen und irakischen Streitkräfte haben sich von ihrem verlustreichen Krieg gegeneinander noch längst nicht erholt.
Parade in Bagdad (2000)
KARIM SAHIB / DPA
Parade in Bagdad (2000)
Bagdads Militär leidet zudem noch immer an den Folgen seiner Niederlage 1991 im Golfkrieg um Kuweit. Nordkorea könnte zwar bei einem Überraschungsangriff mit der schieren Masse seiner Millionen-Mann-Armee den Süden der geteilten Halbinsel überrennen - nur um dann hilflos mit ansehen zu müssen, wie US-Luftstreitkräfte ihre Uralt-Panzerkorps aus sicherer Höhe in Altmetall verwandeln.

Lässt sich das Risiko nicht ausräumen, droht eine Militärintervention

Gleichwohl scheint diese Überlegenheit Washingtons Strategen nur trügerische Sicherheit zu bieten. In ihrer militärischen Ohnmacht, so das strategische Kalkül, bleibe den "underdogs" allein die "asymmetrische Antwort", der Griff zu unkonventionellen Mitteln und Waffen. Und gegen die, das hat Osama Bin Laden am 11. September auf schreckliche Weise bewiesen, bietet auch militärische Dominanz kaum wirksamen Schutz. Deswegen setzt Bush nun alles daran, den so genannten Schurkenstaaten solche Mittel aus der Hand zu schlagen, noch ehe diese gegen Amerika verwendet werden können. "Ich will nicht untätig warten, während sich Gefahr zusammenbraut", warnte Bush im Dezember die Uno-Vollversammlung. Lassen sich die Risiken, die Washington sieht, auf politischem Weg nicht ausräumen, droht das Damoklesschwert einer Militärintervention.

Gewiss, Garanten für Frieden und Freiheit sind jetzt nicht ins Visier amerikanischer Spezialeinheiten und auf die Ziellisten von US-Bomberstaffeln geraten. Doch die militärischen Potenziale, mit denen die "rogue states" oder von ihnen beauftragte Terroristen das US-"Homeland" bedrohen könnten, sind unter dem Mantel von Tarnung und Propaganda weit weniger eindeutig auszumachen.
DER SPIEGEL
Am bedrohlichsten wirkt da noch der Irak, wohl auch deswegen Nummer eins auf Washingtons "Hitliste". Nach seiner katastrophalen Niederlage in Kuweit und einem nun schon elf Jahre dauernden Luftkrieg, den Großbritannien und die USA in den Flugverbotszonen im Norden und Süden des Landes gegen Saddam führen, hat der vielerlei Motive für einen Vergeltungsschlag. Und der Iraker soll ihn auch bereits versucht haben, etwa 1993 mit einem vereitelten Mordkomplott gegen seinen Kriegsgegner, Bush Senior.

Ex-CIA-Chef James Woolsey ist, wie viele Hardliner in Washington, fest davon überzeugt, dass der Despot von Bagdad Hintermann auch des Autobomben-Anschlags war, der 1993 die Twin Towers erschütterte. Die Clinton-Administration habe aus politischer Opportunität darauf gedrängt, statt des Feindes aus dem Zweistromland Osama Bin Laden auf die Fahndungslisten zu setzen.

Doch Woolseys eigene Organisation, die CIA, besitzt offenbar keinen Hinweis darauf, dass Bagdad nach dem angeblichen Bush-Anschlag weitere anti-amerikanische Terrorangriffe versucht hat. Zwar soll der Irak seit 1998 dem einst weltweit gefürchteten Terroristen Abu Nidal Unterschlupf gewähren. Doch der ist nicht mehr aktiv.

Daher richtete sich die Warnung Bushs vor allem gegen Bagdads Griff nach Massenvernichtungswaffen. Die Absicht ist seit der Uno-Abrüstungsaktion im Irak (Unscom) bekannt. Aus deren Erkenntnissen destillierten Fachleute, dass der Irak womöglich nur noch sechs Monate benötigt hätte, um eine funktionsfähige Atomwaffe fertig zu stellen.
Saddam Hussein: Ganz oben auf Washingtons Hitliste
REUTERS
Saddam Hussein: Ganz oben auf Washingtons Hitliste
Stimmen die Berichte irakischer Überläufer, dann soll Saddam Hussein sogar zwei Atomsprengköpfe versteckt halten. "Ein unterirdischer Atomtest fand 1988 oder 1989 am Resasa See statt", behauptet etwa Abbas al-Dschanabi, angeblich ein Vertrauter des einflussreichen Saddam-Sohns Udai Hussein. Satellitenaufnahmen bezeugten gigantische unterirdische Bauvorhaben, deren riesiger Zugang nach dem angeblichen Testzeitraum offenbar zugeschüttet worden sei. Trotz solcher Horrorszenarien ist Scott Ritter, der für Unscom jahrelang Bagdads geheimen Rüstungsprojekten auf der Spur war, wie viele andere Experten fest davon überzeugt, dass Iraks Atomwaffenprogramm selbst mit ausländischer Hilfe noch etliche Jahre brauchen wird, ehe Bagdad wieder dort angelangt ist, wo es vor dem Kuweit-Abenteuer stand.

Saddams massive Anstrengungen, biologische und chemische Kampfstoffe einsatzbereit zu machen, lassen sich zweifellos aus den Akten der Unscom-Kontrolleure belegen. Tausende mit tödlichem Gift gefüllte Granaten, Hunderte Bomben und Dutzende "al-Hussein"-Raketenköpfe wurden unter Uno-Aufsicht vernichtet oder vom Irak als zerstört gemeldet.

Allerdings ist der Verbleib von vielen Giftstoffen ungeklärt. So legten die Iraker bislang keine Rechenschaft ab über bis zu vier Tonnen VX-Nervenkampfstoff, eine der giftigsten je hergestellten Chemikalien, die in ihren Arsenalen vermutet wird.

Dass Saddam Hussein bereit ist, solche völkerrechtlich geächteten Waffen auch einzusetzen, bewies er im Krieg gegen Iran. 1988 warf er Kampfstoffbomben im kurdischen Halabdscha sogar auf die eigene Bevölkerung. Und wohl nur Washingtons massive Warnung vor einem atomaren Gegenschlag sorgte dafür, dass Saddam seine in vier Lagern bereitgehaltenen Giftwaffen im Golfkrieg nicht benutzte.

Nach langem Leugnen gab Bagdad 1995 schließlich sein B-Waffen-Programm zu. 8500 Liter eines Konzentrats aus Milzbranderregern und 19 000 Liter des tödlichen Bakteriengifts Botulin konnte Unscom unschädlich machen. Aber die Inspekteure fürchten, der Irak könne diese Gifte bis zum Vierfachen der sichergestellten Menge hergestellt und die riesigen Restbestände irgendwo gelagert haben.

Analysten des Bundesnachrichtendienstes glauben, dass Bagdad in unterirdischen oder anders getarnten geheimen Produktionsstätten wieder an derartigen Kampfstoffen arbeiten könnte.

Anders sieht es mit Trägermitteln für Massenvernichtungswaffen aus. Bis auf maximal zwei Uralt-Raketen vom Typ "Scud" wurden alle Flugkörper zerstört. Zwar arbeiten Saddams Rüstungsingenieure - ganz legal - an einer neuen Kurzstreckenwaffe. Aber die ist ebenso wenig einsatzbereit wie weiter reichende Varianten. Deren Bau dürfte der Irak aber vermutlich unverzüglich wieder anstreben, meinen Geheimdienstler, sobald das Uno-Embargo fällt.
DER SPIEGEL
Auf dem Raketensektor ist der Nachbar Iran weiter. Bereits 1998 testete Teheran mit der 17 Tonnen schweren "Schahab-3" eine 1300 Kilometer weit reichende Mittelstreckenrakete. An einer "Schahab-4", geschätzte Reichweite rund 2000 Kilometer, wird gearbeitet. Obwohl Iran die Verträge über das Verbot von B- und C-Waffen ratifiziert hat, gilt als sicher, dass Teheran in beiden Bereichen forscht. Vor allem seit die iranischen Truppen in den achtziger Jahren mehrfach Opfer irakischer Kampfstoffe wurden, hat Teherans Militär wohl Vorräte identischer Mittel angelegt - Senfgas, Sarin, Tabun und vielleicht auch VX.

Der Weg, den Amerika geht, könnte zur unkontrollierbaren Eskalation führen
Präsident Chatami: Atomsprengköpfe im Wunschkatalog
VAHID SALEMI / AP
Präsident Chatami: Atomsprengköpfe im Wunschkatalog
Relativ unverhohlen, obwohl offiziell geleugnet, verfolgt Präsident Mohammed Chatami den Anspruch auf Nuklearwaffen. Die Iraner fühlen sich dazu berechtigt, seit Israel sich mit amerikanischer Duldung einen Vorrat von bis zu 400 Atomsprengköpfen und entsprechenden Trägersystemen zugelegt hat.

Mit Hilfe russischer Firmen arbeiten iranische Forscher an einem kompletten Brennstoffkreislauf - angeblich ausschließlich für die zivile Energiegewinnung. Aus einem solchen Kreislauf lässt sich jedoch spaltbares Material für den Bombenbau abzweigen, bislang der größte Hemmschuh für alle Atomwaffen-Interessenten.

Weniger klar ist Teherans Verhältnis zum Terrorismus, sieht man einmal von der Unterstützung für die Hisbollah im Libanon ab, die viele Jahre einen blutigen Untergrundkrieg gegen Israel führte. Mit einer ganzen Schiffsladung von Waffen soll Teheran jetzt versucht haben, den Bürgerkrieg anzuheizen, behauptet Jerusalem. Außerhalb des Nahen Ostens sind gewaltbereite Gefolgsleute der persischen Mullahs jüngst kaum noch aufgetreten.
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Nordkorea, Washingtons Finsterling im Fernen Osten, ist Unterstützung internationaler Terroristen noch weniger nachzuweisen. Aber den Atomforschern des "Geliebten Führers" Kim Jong Il gelang es offenbar, bis zu zwölf Kilogramm Plutonium aus zivilen Reaktoren für militärische Zwecke abzuzweigen. Das haben Berechnungen der Wiener Internationalen Atomenergiekommission ergeben, die sowohl iranische wie auch nordkoreanische Nuklearanlagen kontrolliert. Seit dem Übereinkommen mit den USA über das Einfrieren des nordkoreanischen Atomprogramms kontrollieren die Wiener stets auch ein versiegeltes Bündel abgebrannten Reaktormaterials, aus dem sich ohne großen Aufwand Spaltmaterial für mehrere Bomben gewinnen ließe.

Zwei Nuklearsprengsätze könnten mit zwölf Kilogramm Plutonium gebaut werden, so Fachwissenschaftler. Bislang gibt es indes keinen Hinweis darauf, dass Pjöngjang diesen gefährlichen Schritt wirklich gewagt hat. Stattdessen führte sich das US-Außenministerium bereits zweimal "wie ein Idiot" (so ein US-Diplomat) auf, als es darauf bestand, unterirdische Anlagen zu prüfen, die nach Geheimdienstinformationen angeblich dem Atomwaffenbau dienten: Einmal fanden sie lediglich einige enge unterirdische Gänge, leer und völlig unbrauchbar für atomare Anlagen. Die zweite Inspektion führte in ein Memorabilienlager des kommunistischen Regimes.

Während biologische Waffen angesichts der technologischen Rückständigkeit der nordkoreanischen Forschung nach Meinung der Vereinigung Amerikanischer Wissenschaftler eine untergeordnete Rolle spielen, weisen Experten auf die C-Waffen-Bestände der Volksarmee hin. Hier finde sich von Senfgas bis Sarin offenbar alles, was manische Chemie-Rüster für unverzichtbar halten, glaubt etwa Kim Koo Sup, führender Nordkorea-Experte vom südkoreanischen Institut für Verteidigungsanalysen.

Fast ebenso Besorgnis erregend wie Pjöngjangs Zugang zu Massenvernichtungswaffen ist für die Amerikaner das nordkoreanische Raketenprogramm, angeblich wichtigster Grund für Bushs Raketenabwehrpläne. In Kooperation mit China entwickelte das Regime, das nicht einmal in der Lage ist, seine Bevölkerung zu versorgen, Fernraketen.

Im August 1998 schreckte die Welt auf, als Nordkorea die dreistufige "Taepodong-1"-Rakete über Japan hinweg in den Pazifik schoss. Modell Nummer 2 soll eine Last vom Gewicht eines Atomsprengkopfes bis nach Alaska tragen können.

Südkorea, Hauptziel nordkoreanischer Aggression, wiegelt gleichwohl ab: Seoul geht davon aus, dass die Nachbarn im Norden ihr Programm eher als Pokermasse für dringend nötige Wirtschaftshilfe benutzen wollen. An militärischer Hardware seien sie weniger interessiert. Die harschen Töne aus Washington haben Seoul denn auch besonders beunruhigt: "Wir wollen keinen Krieg, aber der Weg, den die USA einschlagen, könnte zur unkontrollierbaren Eskalation führen", warnte Moon Chung In, Berater des südkoreanischen Präsidenten Kim Dae Jung. Und er setzte hinzu, was viele amerikanische Verbündete angesichts der militanten Rhetorik aus Washington immer offener sagen: "Amerika begeht einen schweren Fehler."

SIEGESMUND VON ILSEMANN


© DER SPIEGEL 8/2002

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