Triebfeder des Krieges
In Afghanistan wird nicht nur gegen den Terror, sondern auch um Öl und Gas gekämpft - von einer US-Regierung, die eng mit der ÖLINDUSTRIE verbunden ist
VON MARC PITZKE
Die wahren Hintergründe eines Krieges offenbaren sich oft fernab der Front. Zum Beispiel in der texanischen Stadt Houston, Hochburg der westlichen Ölindustrie. Dort versammelten sich vorige Woche die Aktionäre der Branchenriesen Chevron und Texaco, um die Fusion der beiden Firmen zum zweitgrößten US-Petro-Konzern nach Exxon Mobil abzusegnen. "Unser Ziel ist es, die Nummer eins zu werden", versprach Dave O'Reilly, der Vorstandschef der Mega-Company.
Und das will die neue Chevron-Texaco Corporation unter anderem mit verstärktem Engagement in Zentralasien erreichen. Vor allem in der Ex-Sowjetrepublik Kasachstan, wo Chevron seit vielen Jahren mitmischt, hat das Unternehmen Milliarden investiert. Geplant ist der Bau diverser neuer Pipelines über den Kontinent, etwa die Central Asian Oil Pipeline, 1700 Kilometer lang. Was das mit dem Krieg um die Macht in Kabul zu tun hat? Ganz einfach: Die kürzeste Route für die Pipeline verläuft durch Afghanistan.
Kein Wunder, dass die Herrschaften bei Chevron dieser Tage besonders besorgt die Nachrichten verfolgen. Und nicht nur sie: Für die gesamte US-Ölindustrie ist Washingtons Krieg gegen den Terrorismus auch ein Krieg in eigener Sache. Denn sie fürchten um ihr Milliarden-Geschäft, in dem die zentralasiatische Krisenregion um Afghanistan von wachsender Bedeutung ist. "Öl", sagt der Politologe und Energie-Experte Tony Rosenbaum von der University of Florida, "ist die versteckte Triebfeder dieses Krieges." Was George Bush senior 1991 im Golfkrieg vormachte, wiederholt sein Sohn.
Von welch großer strategischer Bedeutung Afghanistan ist, zeigt ein Blick in den Atlas. Zwar hat das Land selbst kaum nennenswerte Ölvorräte zu bieten, doch liegt es mitten in der "heißesten Wachstumszone" (ein Chevron-Sprecher) einer Industrie, die sich seit der Ölkrise in den 70er Jahren von der Opec-Marktmacht abnabeln will. "Die Landkarte der Energie", ahnte Michael Ritchie, Chefredakteur des Londoner Fachblatts "Neftecompass", nach den ersten Bomben auf Afghanistan, "wird neu gezeichnet."
Im Zentrum dieser Karte finden sich die Anrainer-Staaten des Kaspischen Meeres, darunter die ehemaligen Sowjet-Satelliten Kasachstan, Aserbaidschan und Usbekistan. So liegt eines der größten Ölfelder der Welt, das Tengiz-Becken mit schätzungsweise 9 Milliarden Barrel, in Kasachstan. Chevron hat sich hier in einem 20-Milliarden-Dollar-Jointventure namens Tengiz-Chevroil auf 40 Jahre an die staatliche Ölgesellschaft in Astana gebunden.
Der günstigste Weg des kaspischen Öls nach Asien oder an die Nordküste des Golfs, von wo aus es weiterverschifft werden kann, führt aber eben quer durch Afghanistan. "Zahlreiche Öl- und Gas-Projekte hängen an der Zukunft Afghanistans", weiß Naji Abi Aad vom französischen Observatoire Mediterranéen de l'Énergie. Das unterstrich auch Brenda Shaffer, Forschungsdirektorin an der Kennedy School of Government der Harvard-University, vergangene Woche bei einer Routineanhörung des Außenausschusses im US-Repräsentantenhaus. Ihr Fazit: "Multinationale Großkonzerne mit Sitz in den USA haben hier signifikante Geschäftsinteressen."
Das wusste schon die Clinton-Regierung, die sich nach dem Sieg der Taliban 1996 zunächst kritiklos mit Kabuls neuen Machthabern arrangierte, um sich, wie das State Department offen zugab, das "wirtschaftliche Potenzial" der Region nicht zu verbauen. Und auch Clintons Nachfolger George W. Bush, selbst Mitglied des texanischen Öl-Clans, hatte sein Augenmerk schon lange auf diese entlegene Ecke der Erde gerichtet. Vizepräsident Dick Cheney, auch er ein altgedienter Texas-Ölmann, widmete den zentralasiatischen Bodenschätzen in seinem Energiebericht in diesem Sommer als US-"Nachschubquelle" sogar ein eigenes Kapitel.
Öl als Motor der US-Außen-, -Militär- und -Verteidigungspolitik: keine neue Erkenntnis - doch eine, die sich selten so dramatisch manifestiert hat wie unter dem aktuellen Präsidenten. "Das Weltbild der Bush-Regierung", schreibt Gregg Easterbrook im Wochenmagazin "New Republic", "ist das Weltbild von Ölmännern."
Eine lebenslange Affinität: Sowohl Bush als auch sein Vize Dick Cheney verdienten sich ihre Sporen im Öl-Geschäft - Bush zuerst als junger Hilfsarbeiter auf einem Ölfeld, später in eigenen Unternehmen. Cheney zuletzt als Vorstandschef von Halliburton, dem weltgrößten Material-Zulieferer der Ölindustrie. Allein im Jahr 2000 verdiente Cheney hier 39 Millionen Dollar. Noch kurz vor seinem Abgang fädelte er einen Groß-Deal am Kaspischen Meer ein, den Halliburton im Mai mit der Regierung in Aserbaidschan besiegelte.
Die Öl-Millionen fließen auch auf anderen Wegen nach Washington. Insgesamt 33,3 Millionen Dollar überwies die Ölindustrie allein im Wahlkampf 2000 in die Parteienkassen, den größten Teil davon an Bush und seine Republikaner. Ganz oben auf der Spendenliste: Enron, Exxon, BP, Chevron und Texaco. Ihre Großzügigkeit zahlt sich für sie aus. Enron-Chef Kenneth Lay, ein alter Familienfreund und einer der spendabelsten Mäzene Bushs, gilt als einflussreicher Vertrauter des Präsidenten. Lay - der im zentralasiatischen Raum mehrere Geschäftsprojekte betreibt - wirkte maßgeblich am "neuen" Energie-Konzept Cheneys mit, in dem die Rückkehr zu fossilen Brennstoffen und die Deregulierung der Ölbranche proklamiert wird. "Die Verbindungen zwischen Enron und der Bush-Regierung sind so eng, dass schwer erkennbar ist, wo eines beginnt und das andere endet", schreibt der liberale Branchenbeobachter John Hoefle.
Der direkte Zugang der Öl-Giganten beschränkt sich jedoch nicht nur auf den Präsidenten und seinen Vize. Bushs Top-Strategen Karl Rove und Larry Lindsey waren vor ihrem Wechsel nach Washington Enron-Großaktionäre, Lindsey stand als "Consultant" auf der Enron-Gehaltsliste. US-Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice saß zehn Jahre lang im Aufsichtsrat des Chevron-Konzerns, der 1995 sogar seinen größten Öltanker auf ihren Namen taufte. Nach heftiger Kritik an der engen Verbindung von Bushs Sicherheitsberaterin zu dem Ölmulti wurde die unter bahamaischer Flagge fahrende "Condoleezza Rice" mittlerweile in "Altair Voyager" umbenannt.
So ist die Regierung Bush dichter mit den Ölmultis verflochten als je eine US-Regierung zuvor, und so nimmt sie Gestalt an, die "neue Welt-Geografie des Konflikts", die der Politologe Michael Klare bereits im Frühsommer im Außenpolitik-Journal "Foreign Affairs" prophezeit hat. In deren Mittelpunkt stehen nicht mehr politisch-ideologische Verwerfungen. Sondern allein, so Klare, "der ungehinderte Fluss von Bodenschätzen".
Ein Spiel mit dem Feuer. Das versuchte jetzt jedenfalls die Harvard-Expertin Brenda Shaffer dem Außenausschuss des Repräsentantenhauses klar zu machen. Mit einer ölfixierten Militär-Intervention in Afghanistan, warnte Shaffer die Abgeordneten, riskiere Washington in Zentralasien "ein politisches Erdbeben".
Zu spät. Zu jener Stunde gingen die US-Bombenangriffe auf Afghanistan bereits in ihren dritten Tag. Und an der New Yorker Börse sprang der Kurs der neuen Chevron-Texaco-Aktie zur Premiere ihrer Notierung um 2,56 Dollar auf 93,45 Dollar.
1 ENRON CORP $ 2.387.848; 2 EXXON MOBIL CORP $ 1.374.200; 3 BP AMOCO CORP $ 1.288.192; 4 EL PASO CORP $ 1.116.495; 5 CHEVRON CORP $ 1.082.827; 6 KOCH INDUSTRIES $ 1.080.956 7 USX CORP $ 795.517; 8 AMERICAN GAS ASSN $ 630.025; 9 RELIANT ENERGY $ 584.406; 10 OCCIDENTAL PETROLEUM $ 555.876; 11 SUNOCO INC $ 546.711; 12 TEXACO $ 477.207; 13 CATAMOUNT PETROLEUM $ 464.600; 14 PHILLIPS PETROLEUM $ 448.624; 15 ANADARKO PETROLEUM $ 448.529; 16 DAVIS COMPANIES $ 430.500; 17 HALLIBURTON CO $ 416.188; 18 COASTAL CORP $ 411.500; 19 ASHLAND INC $ 395.025; 20 DYNEGY INC $ 372.550
Petro-Dollars für Amerikas Politiker
Der warme Petrodollar-Segen der US-Ölindustrie ergießt sich nicht nur über die Präsidentschaftskandidaten, wobei George W. Bush im Wahlkampf des Jahres 2000 den Löwenanteil - im Schnitt mehr als 80 Prozent der Spenden - erhielt. Von den Zuschüssen der Öl-Multis profitieren auch viele Mitglieder des US-Senats. Acht republikanische Senatoren - darunter auch der Vorsitzende des Energieausschusses - erhielten ihre höchsten Einzelspenden von den Energiekonzernen. Bei weiteren 19 Senatoren zählte die Öl- und Gasindustrie zu den jeweils drei wichtigsten Geldgebern. Die Finanziers der US-Politiker kommen aber auch zum Zuge, wenn die Strategien in dem so wichtigen Sektor entwickelt werden. So gehörten dem Team, das die Amtszeit von George W. Bush vorbereitet hat, mehr als 20 Manager und Gesellschafter von Öl- und Gas-Unternehmen an. Sie sorgten dafür, dass den Interessen der amerikanischen Energiewirtschaft wieder die oberste Priorität eingeräumt wird.
Wahlkampfspenden im Jahr 2000
© DIE WOCHE Zeitungsverlag 2001
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