Gesten der Versöhnung am Golf – Krieg in Palästina
Trotz Gegenwind versuchen die USA den Weg für einen Krieg gegen den Irak zu ebnen
Obwohl konfrontiert mit der Eskalation des israelischen Vorgehens in Palästina, bereiten die USA nach wie vor konsequent den geplanten Feldzug gegen den Irak vor. Wenn sie auch in ihrem Bemühen, Verbündete vor Ort zu gewinnen etwas vorangekommen sind, weht ihnen auf ihrem Kriegskurs immer noch heftiger Gegenwind entgegen.
So drückte der Gipfel der arabischen Liga in Beirut am Ende einen überraschend geschlossen Widerstand der arabischen Staaten gegen die Kriegspläne der USA aus. Die Kameras zeigten Umarmungen des irakischen Vertreters Issat Ibrahim und des saudischen Kronprinzen Abdullah. In einer versöhnlichen Geste schüttelten unter dem Applaus der übrigen Gipfelteilnehmer auch der kuwaitische Außenminister Scheich Sabah al-Ahmad al-Sabah und Ibrahim die Hände, nachdem beide Länder ein Abkommen unterzeichnet hatten, indem sie sich gegenseitig die Achtung der Unabhängigkeit, Souveränität und territorialen Integrität zusichern. (Vorausgegangen war auch ein Interview der kuwaitischen Tageszeitung Al-Rai Al-Amm mit dem irakischen Außenminister – dem ersten seit fast 12 Jahren.)
In der Abschlusserklärung des Gipfels verurteilten die anwesenden arabischen Führer die "Angriffsdrohungen gegenüber einigen arabischen Staaten, insbesondere dem Irak". Sie versicherten jeden Angriff auf den Irak, sowie jede Bedrohung der Sicherheit eines arabischen Staates als Bedrohung der nationalen Sicherheit aller arabischen Staaten zu betrachten und forderten die Aufhebung der von der UNO gegen den Irak verhängten Sanktionen.
Auch Bahrein, immerhin Basis der US-Marine am Golf, hat sich der saudischen Versöhnungspolitik angeschlossen und war als einzige der kleinen Golfmonarchien zum Gipfel erschienen. Kritik an der US-Politik und der Präsenz von US-Militär war zwar auch hier bereits mit dem Beginn der zweiten Intifada lauter geworden. Dennoch rief die am 3.April verkündete Mitteilung der Führung Bahreins, in Kürze wieder einen Botschafter nach Bagdad entsenden zu wollen, ziemliche Irritationen in den USA hervor.
Bereits auf seiner Rundreise in der Region im März, wo er für Unterstützung für die Kriegspläne seiner Regierung warb, war der Vizepräsident der USA Dick Cheney mit deutlicher Ablehnung konfrontiert worden. Alle Gesprächspartner hatten ihm zu verstehen gegeben, dass sie die israelische Besatzungspolitik im Moment als ein wesentlich dringlicheres Problem ansehen, als mögliche Waffensysteme des Iraks.
Cheney fühlte sich sehr bald gemüßigt, die Kriegsabsichten seiner Regierung herunterzuspielen, was ausgerechnet beim NATO-Partner Türkei zum Eklat führte. Nachdem auch die türkischen Gesprächspartner ihre Bedenken geäußert hatten, teilte der türkische Ministerpräsident Bülent Ecevit auf der anschließenden Pressekonferenz mit, daß der US-Vize im versichert hätte, es würde in absehbarer Zeit keinen Angriff auf den Irak geben. Cheney verließ darauf wütend die Konferenz.
Wenn auch die überraschend klare Abweisung ihrer Kriegspläne durch Verbündete wie Kuwait und Saudi Arabien einen empfindlicher Rückschlag für die USA bedeutet, gibt es auch Anzeichen, dass die Rundreise von Cheney in der Region im März nicht ganz so erfolglos war, wie es zunächst den Anschein hat. So vermuten Beobachter, daß das überraschende Fehlen der Staatschefs von Ägypten, Jordanien, Katar, Oman und den Arabischen Emiraten auch bedeuten könnte, dass diese engen Verbündeten der USA trotz verbaler Ablehnung eines Irak-Krieges, Cheney insgeheim ihre Unterstützung zusicherten und daher keine offizielle Gipfelresolution dagegen unterzeichnen wollten.
Zudem bleibt fraglich, ob der diplomatische Erfolg des Iraks bezüglich Kuwaits, angesichts der Abhängigkeit des Landes von den USA in der Praxis viel wert sein wird,. Unklar ist schon, wie das Land die Zusicherung von Sicherheit und territoriale Integrität gegenüber dem Irak mit den von seinem Boden aus durchgeführten britisch-amerikanischen Lufteinsätze über dem Süden des Iraks in Einklang bringen will.
Immerhin deutet die kuwaitsche Unterschrift unter die gemeinsame Erklärung – fast 12 Jahre nachdem es vom Irak annektiert worden war – darauf hin, dass auch die kuwaitische Herrscherfamilie in einem erneuten Krieg beträchtliche Risiken für die Stabilität der Region sieht.
Doch Kuwait gilt als unverzichtbar für einen US-Angriff auf den Irak und der Guardian gab unlängst – allerdings unbestätigte – Berichte wieder, dass die USA in aller Stille ihre Truppenstärke in Kuwait bereits auf 25.000 bis 35.000 Mann und Frau erhöht hätten. (1)
Die unnachgiebig ablehnende Haltung Saudi Arabiens beschäftigt die USA sicherlich wesentlich stärker. Wenn auch US-Strategen einen Krieg gegen den Irak ohne saudische Unterstützung für möglich halten, würde dadurch ein Angriff ungleich schwieriger. Im Golfkrieg war schließlich die Hauptstreitmacht der Allianz entlang der langen irakisch-saudischen Grenze zusammengezogen worden und einmarschiert. Folgerichtig sind die USA nun dabei einerseits den Druck auf Riad zu steigern und sich gleichzeitig militärisch unabhängiger von der Ölmonarchie zu machen.
So haben die USA offenbar bereits begonnen, umfangreiche militärische Ausrüstung von Saudi Arabien nach Katar zu verlegen (2), um, wie Anthony Zinni, der ehemalige Chef des "Kommandos Mitte" der USA der New York Times mitteilte, "mehr Flexibilität zu bekommen und nicht von einem Ort abhängig zu sein".
Nach Berichten des «Guardian» sind mehrere Firmen von den USA eingeladen worden, Angebote für den kompletten Umzug des Kommandozentrums der Prinz Sultan Luftwaffenbasis nach Katar in die Luftwaffenbasis Al Udeid zu machen. Auch die Armee wolle auf Al Udeid eine Abteilung einrichten, sagte ein Unternehmer, der bei dem Bieterwettbewerb beteiligt ist.
Die Luftwaffenbasis Al Udeid in der Nähe von Doha ist eine der modernsten Anlagen am Golf, mit riesigen Hangars und den längsten Start- und Landebahnen der Region, die somit die Luftwaffenbasis in Saudi-Arabien durchaus ersetzen könnte. Letztere war zwar ebenfalls erst vor kurzem mit neuester Technik ausgerüstet und ausgebaut worden, konnte aber aufgrund saudischer Vorbehalte weder für die regelmäßigen Angriffe auf Ziele im Südirak (in der sogenannten "Flugverbotszone") noch für den Krieg gegen Afghanistan so richtig genutzt werden.
Der Abzug militärischer Ausrüstung aus Saudi Arabien bedeutet selbstverständlich noch keinen Bruch in den schon länger angespannten Beziehungen zwischen der USA und Riad. Er soll wohl vor allem – wie auch sich abzeichnende Kürzungen von Waffenlieferungen (3) – den führenden Kreisen der Golfmonarchie die Konsequenzen einer anhaltenden Ablehnung US-amerikanischer Wünsche drastisch vor Augen halten. War doch bisher die militärische Präsenz der USA auch ein Garant für den Fortbestand der Herrschaft des saudischen Königshauses. Dieses muß aber auch auf die zunehmend gegen die USA gerichtete Stimmung im Lande – nicht nur unter der Bevölkerung sondern auch in den höchsten Kreisen der Armee – Rücksicht nehmen.
Stratfor vermutet, dass der Druck aus Washington bereits zu Spannungen innerhalb der saudischen Herrscherfamilie führte, die auch Umbildungen in den Führungsstäben der saudischen Armee durch König Fahd und Prinz Sultan erklären könnten. Der schwerkranke König und Prinz Sultan gelten als wesentlich stärker westlich orientiert und scheinen sich so wieder einen größeren Einfluß gegenüber dem aktuell die Regierungsgeschäfte führenden Prinz Abdullah sichern zu wollen. Dieser wiederum kontrolliert die Nationalgarde.(4)
Eine gewisse Unterstützung für einen Militärschlag benötigen die USA auch von zwei weiteren Ländern. So muß Ägypten US-Kriegsschiffen die Durchfahrt durch den Suezkanal gestatten und die Türkei Luftwaffenstützpunkte zur Verfügung stellen. Angesichts der großen Bedeutung der US-amerikanischen Militär- und Wirtschaftshilfe für diese Länder, sehen US-Strategen gemäß "Foreign Affairs" hier ebenso wenig Probleme wie im Falle Kuwaits. Diese Länder würden ihren momentanen Widerstand, wenn es ernst werden würde schnell aufgeben, ebenso die kleinen Golfmonarchien. Generell würden sich viele Länder den USA anschließen, sobald sie sehen würden, dass ein Krieg gegen den Irak unausweichlich sei und Aussicht auf Erfolg habe – denn nur so könnten sie sich ein gewisses späteres Mitspracherecht sichern.
Diese Überlegungen scheint von Anfang an auch die Haltung der deutschen Regierung zu bestimmen. Im Gegensatz zur Mehrheit der arabischen Staaten hat sie sich zu keinem Zeitpunkt definitiv gegen einen Krieg ausgesprochen. Während der Außenminister immerhin seine "große Skepsis" gegenüber einer Ausweitung des US-Feldzuges auf den Irak ausdrückte, stört den Kanzler nur das fehlende Mandat des UN-Sicherheitsrates.
Gemäß der Financial Times Deutschland vom 28.3.2002 (5) ist die einzige Sorge im Kanzleramt und den Fraktionen von SPD und Grünen, dass die USA noch vor den Wahlen am 22. September angreifen könnten. Vor allem für die Grünen könnten die zu Kriegsteilnehmer werdenden, in Kuwait stationierten und vorm Horn von Afrika kreuzenden Bundeswehreinheiten, das Ende ihrer Regierungszeit bedeuten.
Drei Viertel der Deutschen lehnen nach dem Bericht der Financial Times einen Militärschlag gegen den Irak ab. "Für die Bevölkerung ist das überhaupt nicht nahe liegend" wird Oliver Krieg, ein Meinungsforscher von Emnid, zitiert. Zumal weder Medien noch Parteien vermittelt hätten, dass eine unmittelbare Bedrohung von Bagdad ausgehe. "Das wird uns Stimmen kosten", habe der SPD-Abgeordnete Christoph Moosbauer dem Blatt zu Folge gestöhnt. Bereits wegen des Afghanistan- Krieges seien in München, wo sich Moosbauer um ein Direktmandat bemüht, Hunderte von Genossen ausgetreten.
Die Gefahr aus dieser Richtung für die Regierungskoalition ist aber doch recht gering, da die USA kaum vor dem Herbst losschlagen können. Allein die Aufstellung einer genügend großen Streitmacht, mit der gerade erst begonnen worden ist, wird sicherlich – behindert auch durch die ablehnende Haltung der Anrainerstaaten – mehrere Monate benötigen.
Neben dem Krieg in Afghanistan der noch deutlich mehr Kräfte bindet, als sich die US-Führung erhoffte, wird aber vor allem die Situation in Palästina den USA noch einiges Kopfzerbrechen bereiten. Solange der Krieg Israels gegen die Bevölkerung in den besetzten Gebieten anhält, können sie auch von den arabischen Staaten, die prinzipiell dazu bereit wären, kaum Unterstützung erwarten.
Für eine konsequente Politik gegen die Eskalation des Konflikts durch die israelische Regierung, konnte sich die US-Regierung allerdings bisher nicht durchringen: viel zu sehr sympathisieren die US-amerikanischen Falken mit dem militärischen Vorgehen Scharons und viel zu eng sind die US-amerikanischen Interessen mit denen Israels verwoben.
So versuchten die USA zwar vor der Rundreise von US-Vizepräsident Cheney dessen Kriegswerben mit einer UN-Resolution den Weg zu ebnen, die von der "Vision" eines palästinensischen Staates sprach. Sie mußten aber erkennen, daß mit halbherzigen Lösungsansätzen die arabischen Führer nicht mehr zu ködern sind. Weit davon entfernt, das ebenfalls auf dem Gipfel in Beirut verabschiedete Friedensangebot an Israel zu unterstützen, ließen sie daraufhin Israel weitgehend freie Hand zur Wiederbesetzung der palästinensischen Autonomiegebiete. Einzig bei der Dauer der Aktion und dem Umgang mit Arafat und dessen Autonomiebehörde scheinen die USA den Israelis Grenzen gesetzt zu haben.
Die USA brauchen, gerade Angesichts des Zögerns der arabischen Staaten, für einen Krieg gegen den Irak die volle Unterstützung Israels. Auch darum ist ein größeres Entgegenkommen der USA gegenüber den Arabern in der Palästinafrage nicht zu erwarten. Die USA bauen nun offenbar darauf, dass Israel den palästinensischen Widerstand in absehbarer Zeit militärisch brechen und zumindest eine Zeitlang wieder eine gewisse Ruhe herstellen kann. So bestimmt die Entwicklung des israelischen Krieges auch die Ausweitung des US-amerikanischen Feldzuges "gegen den Terror" und zählt die palästinensische Bevölkerung zu den ersten Opfern.
Dem Irak dagegen könnten die erheblichen Probleme, die sich dem Kriegskurs der USA entgegenstellen, noch eine längere Atempause verschaffen.
Joachim Guilliard,
Heidelberg, 11.4.2002