junge Welt Ausland

19.12.1998
Durchmarsch
Die USA nehmen mit dem Irak-Krieg die neue NATO- Doktrin vorweg. Von Clemens Ronnefeldt


Zur Frage »Geht von Irak eine militärische Bedrohung aus?« äußerten sich am 25.2.98 in der FR die Friedensforscher Margret Johannsen, Dieter S. Lutz, Reinhard Mutz und Götz Neuneck, allesamt Wissenschaftler des Institutes für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Uni Hamburg: »Über Restbestände an irakischen Massenvernichtungsmitteln bestehen vielfältige Vermutungen, aber keine verläßlichen und gesicherten Informationen. ... Massenvernichtungsmittel werden zu Nachbarländer bedrohenden Waffen erst durch die gleichzeitige Verfügung über geeignete Trägersysteme - Flugzeuge oder Raketen. Gegenwärtig kann nicht davon ausgegangen werden, daß Irak eine solche Zielfähigkeit besitzt. ... Während die Regierung in Washington die Schwächung der irakischen Fähigkeit, Massenvernichtungsmittel herzustellen, als Zweck von Luftschlägen angibt, sind ihre Kritiker aus der Republikanischen Partei der Ansicht, die Person und Position Saddam Husseins selbst müsse das Angriffsziel sein«. Das Embargo wurde bisher nicht aufgehoben, »obwohl in den Berichten (der UNSCOM, C.R.) wiederholt festgestellt wurde, daß das irakische Potential an Massenvernichtungswaffen zerstört und die Möglichkeit der Verschleierung nur noch gering sei. Ausgerechnet diese Verschleierungsmöglichkeiten wurden jedoch immer wieder zum Vorwand für die Verlängerung der UNSCOM-Mission und des Embargos. Unter Rolf Ekeus, dem Vorgänger des gegenwärtigen Leiters der UNSCOM, wurde sogar der Wortlaut von Berichten verändert, nachdem das State Department (US-Außenministerium, C.R.) interveniert hatte« (Le Monde Diplomatique, Dezember 1997).

Um dieser Tage beim entscheidenden Bericht des UNSCOM-Chefs Richard Butler, dessen negative Aussagen bezüglich Irak als Begründung für den neuerlichen Krieg herhalten müssen, auf Nummer sicher zu gehen, verzichteten US-Mitarbeiter diesmal auf diese mühsame »Nacharbeit«- und engagierten sich gleich von vornherein: »Nach Informationen der Washington Post waren US- Regierungsbeamte direkt an der Formulierung von Butlers Bericht beteiligt« (FR, 17.12.98). Warum ist eigentlich dieses hochspannende Dokument im Gegensatz zu den anderen UNSCOM-Berichten nicht im Internet abrufbar? (vgl. auch jW vom 18.11.98: »Suche ohne Ende«) Gravierender als die weithin gelösten Fragen um die Massenvernichtungswaffen des Irak sind aktuelle Konflikte um das zukünftig billig zu fördernde Öl. Irak hat bereits Verträge für die Zeit nach dem Embargo mit mehr als 60 Ölkonzernen aus rund 30 Staaten abgeschlossen - ohne USA und Großbritannien zu berücksichtigen (vgl. FAZ, 13.1.98).

Völkerrechtswidrig

In einem dpa-Gespräch am 17.12.98 bezeichnete der Heidelberger Völkerrechts-Professor Jochen Frowein die Angriffe der USA und Großbritanniens als klare Verstöße gegen das Völkerrecht. Der gegenwärtige Krieg gegen Irak ist von keinem früheren UN-Beschluß gedeckt. Der Präzedenzfall Kosovo (Einsatz ohne UN-Mandat) wird, wie in der neuen NATO-Doktrin vorgesehen, offensichtlich zur Regel. Was Willy Wimmer (CDU), Vizepräsident der Parlamentarischen Versammlung, der OSZE am 9.10.98 in Bezug auf die USA prophezeite, ist Realität. »Eine singuläre Supermacht marschiert durch. Man sieht die Welt auf dem Weg in die neue Weltordnung. Wenn wir nicht aus allen Symptomen die Konsequenzen ziehen, ist das Faustrecht angesagt.« Am 19.10. 98 legte er noch etwas nach: »Es ist höchste Zeit, daß bei uns die Alarmglocken schrillen. Aus Interessensgründen, die nicht auf dem Tisch liegen, droht uns nach dem Vorbild der inneramerikanischen Entwicklung eine Kannibalisierung der internationalen Rechtsordnung, die alles und jedes in Frage stellen wird.« (beide Zitate: Friedensforum, 6/98)

Krieg als Dienstleistung

Während die Bevölkerung der Bundesrepublik erst kürzlich mittels eines Fernsehfilms mit dem Gedanken eines dritten Weltkrieges vertraut gemacht wurde, bekamen die Beamten in Bonn und Berlin einen ganz besonderen Artikel zur Gewöhnung an die gegenwärtige Art von Machtpolitik serviert. Im Bonner Behörden Spiegel, Unabhängige Zeitung für den Öffentlichen Dienst, November 1998, zeigte Dr. Johannes Gerber, Generalmajor a.D., unter dem harmlos klingenden Titel »Zur Wirtschaftlichkeit der Bundeswehr«, daß die Diskussion über militärisches Kosten-Nutzen- Rechnen in der Bundesrepublik Deutschland der Praxis in den USA und Großbritannien keineswegs nachsteht: »Wie aus aktuellen Ereignissen erkennbar, wird sich auch der Einsatz militärischer Dienstleistungen nicht vermeiden lassen. Dazu bedarf es gut ausgebildeter und auftragsgemäß ausgerüsteter Interventionsverbände«, so der bis 1980 stellvertretende kommandierende General des III. Korps in Koblenz, der sich - laut Internet- als Rentner mit Lehraufträgen an zahlreichen Universitäten und Fachhochschulen immer noch engagiert. Beim zweiten Golfkrieg war Deutschland mit rund 17 Milliarden DM finanziell beteiligt. Als Vordenker bei der Finanzierung solcher militärischer Unternehmen stimmt Dr. Gerber die Ministerien auf neue Möglichkeiten ein: »Die Beschaffung von Kapital für die Militärbetriebe allein durch öffentliche Mittel wird durch neue Arten bis hin zu einer börsengängigen Finanzierung zu ergänzen sein. ... Für militärische Unternehmungen, die im öffentlichen Interesse liegen, könnten öffentliche Anleihen aufgelegt werden. Für militärische Unternehmungen, die beispielsweise einzelne Branchen begünstigen, z.B. die Ölproduzenten, könnten diese als Sponsoren oder für Teilunterstützung herangezogen werden«.

Konsequenterweise hätte Dr. Johannes Gerber diesen Gedanken im Marketing-Bereich durch den möglichen TV- Nachspann-Vorschlag ergänzen können: Dieser Golfkrieg wurde Ihnen von Exxon und BP präsentiert. Frühere Mitglieder von US-Regierungen rücken manchmal mit einem Teil der Wahrheit heraus: »General Brent Scowcroft, Bushs nationaler Sicherheitsberater, räumte im BBC-Programm ein, daß der wahre Grund für den (Anm: zweiten Golf-)Krieg natürlich das Öl gewesen sei« (FR, 18.1.96).

Die neue rot-grüne Regierung könnte - als Minimum - die USA zur unverzüglichen Einstellung der Bombardierung auffordern. Sie wäre damit in guter Gesellschaft z.B. mit dem Vatikan, der das Vorgehen als Akt der Aggression bezeichnete (SZ,18.12.98)

Hoffnungsansätze

Der gegenwärtige Golfkrieg nimmt vorweg, was in Kürze im Kaukasus oder in der Straße von Taiwan zum Regelfall werden könnte. Grundlage dafür wird das neue strategische Grundlagendokument der NATO, das im April 1999 im Rahmen der 50-Jahrfeier der Allianz öffentlich verkündet werden soll. Das neue NATO-Dokument zur weltweiten Absicherung westlicher Interessen ist das militärische »Gegenstück« zum ökonomischen »Multilateralen Abkommen über Investitionen« (MAI), mit dem die 29 reichsten Länder der Erde in aller Heimlichkeit mittels eines Vertrages den Rest der Welt ausplündern wollten. Nach dem Vertragsentwurf hätten sich die Unterzeichnerstaaten, denen die 29 »Reichen« das Abkommen aufdrücken wollten, verpflichtet, ihre nationalen Ressourcen vorbehalt- und bedingungslos dem nächstbesten kaufentschlossenen Investor auszuliefern.

Unter der Überschrift »Die Globalisierung des Widerstandes. Wie das MAI zu Fall gebracht wurde«, beschreibt Le Monde Diplomatique (Dezember 1998), wie durch den Einsatz von Nichtregierungsorganisationen und Bürgerinitiativen das weit fortgeschrittene Projekt noch gekippt wurde. »Ein politischer Dracula wie das MAI war im Lichte der Öffentlichkeit nicht lebensfähig«, schreibt danach Lori Wallach. Wichtig sei gewesen, »die Akteure, die ja vor allem anonym bleiben wollen, beim Namen zu nennen und zur Verantwortung zu ziehen«. Laut Liberation (22.10.98) kann man nach dem MAI nicht mehr auf dieselbe Weise verhandeln wie zuvor. »Die Niederlage des MAI ist in gewisser Weise ein Sieg der Globalisierung«. Sehr schnell wurden in der Diskussion befindliche - und als vertraulich geltende - Vertragstexte in englischer und französischer Sprache per Internet verbreitet.

Auch das neue NATO-Dokument, dessen Grundzüge u.a. in der Studie von Dr. Karl-Heinz-Kamp, »Das neue Strategische Konzept der NATO: Entwicklung und Probleme«, August 1998 (Konrad-Adenauer-Stiftung, Rathausallee 12, 53757 Sankt Augustin, 5 DM) nachzulesen sind, kann damit verglichen werden.

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