19 Fragen des Irak an die Vereinten Nationen

Im folgenden dokumentieren wir die Fragen, die der irakische Außenminister dem Generalsekretär der Vereinten Nationen anlässlich der Gesprächsrunde am 7. März 2002 mit der Bitte überreichte, dass der Sicherheitsrat sie beantworten solle. Karin Leukefeld hat sie übersetzt. Im Anschluss an das Dokument folgt noch ein kurzer Kommentar von Karin Leukefeld.


1. Wie ist Ihre Ansicht und wie beurteilen Sie, was wir nach sieben Jahren und sieben Monaten irakischer Kooperation mit dem Sonderkomitee und der Internationalen Atomenergiebehoerde erreicht haben? Wie koennte diese Kooperation genutzt und darauf aufgebaut werden?

2. Sollten ein oder zwei staendige Mitglieder des Sicherheitsrates der Ansicht sein, dass sie in bezug auf die Entwaffnung nicht sicher sind, moechten wir wissen, wovon sie ueberzeugt werden moechten? Wonach suchen sie? Welche Zeit ist erforderlich, um diese Suche abzuschliessen? Damit die Zusammenarbeit fortgesetzt werden kann, sollten auch wir zufriedengestellt werden, nicht nur der Sicherheitsrat. Sollten sie (Anm.: die staendigen Mitglieder) ueber bestimmte Einrichtungen oder Taetigkeiten im Zweifel sein, moechten wir darueber informiert werden.

3. Wie erklaeren Sie die Haltung eines staendigen Mitglieds des Sicherheitsrates, das offiziell erklaert, in den Irak einmarschieren und seinem Volk gewaltsam ein Marionettenregime aufzwingen zu wollen? Was ein klarer Verstoss gegen die Resolutionen des Sicherheitsrates selber darstellt, die eindeutig festhalten, dass die Souveraenitaet des Irak, seine Unabhaengigkeit und territoriale Integritaet ebenso zu respektieren ist, wie das Voelkerrecht und die Charta der Vereinten Nationen. Gleichzeitig fordert es (Anm.: das staendige Mitglied) vom Irak, die Resolutionen des Sicherheitsrates zu erfuellen.

4. Steht der Sicherheitsrat ernsthaft zu seinem Mandat und den Resolutionen, die er verabschiedet hat? Insbesondere zu der Resolution 687 vom 3. April 1991 und deren fairen und rechtmaessigen Auslegung? Der Sicherheitsrat unterwirft sich der US-Interpretation der Resolutionen ebenso wie deren einseitig erklaerten Resolutionen gegenueber dem Irak.

5.Wie kann eine normale Beziehung zwischen dem Irak und dem Sicherheitsrat erreicht werden, angesichts der aktuellen, erklaerten US-Politik, in den Irak einmarschieren und das patriotische politische Regime gewaltsam veraendern zu wollen?

6. Die Vereinigten Staaten erklaeren staendig, dass die Wirtschaftssanktionen gegen den Irak solange aufrecht erhalten bleiben, solange es das patriotische politische Regime im Irak gibt. Welche Haltung hat der Sicherheitsrat gegenueber dieser Politik, die eine Verletzung von grundlegenden Resolutionen des Sicherheitsrates darstellt?

7. Welche Garantien koennen die Vereinten Nationen geben, um eine Einmischung der aggressiven politischen Ziele der USA in die Beziehungen des Irak mit den Vereinten Nationen zu verhindern?

8. Um das Vertrauen zwischen dem Irak und dem Sicherheitsrat wiederherzustellen, ist das Konzept der Gleichzeitigkeit der Umsetzung der gegenseitigen Verpflichtungen notwendig und wesentlich, wie es in den Resolutionen des Sicherheitsrates zum Irak festgehalten ist. Was sind Ihre Einschaetzungen hinsichtlich der Verpflichtungen gegenueber den Rechten des Irak, vor allem in bezug auf die Aufhebung der Sanktionen, der Anerkennung der irakischen Souveraenitaet, Unabhaengigkeit und territorialen Integritaet sowie der Beseitigung von Massenvernichtungswaffen in der Region des Mittleren Ostens? Diese Verpflichtungen sollte der Sicherheitsrat einhalten, um eine neue Seite in der Zusammenarbeit zwischen dem Irak und den Vereinten Nationen aufzuschlagen. Wie koennten wir einen Mechanismus installieren, der die zeitgleiche Umsetzung der Verpflichtungen beider Seiten gewaehrleistet?

9. (...) Resolutionen des Sicherheitsrates und nicht das gleiche von einem staendigen Mitglied im Sicherheitsrat zu fordern, das fortwaehrend diese Resolutionen verletzt. Besonders die Resolutionen ueber die Souveraenitaet des Irak, seine Unabhaengigkeit und territoriale Integritaet und das offiziell versichert, seine Politik sei darauf ausgerichtet, in die Republik Irak einzumarschieren, um deren Bevoelkerung ein Marionettenregime aufzuzwingen?

10. Nachdem bekannt geworden ist, dass fruehere UNSCOM-nspektoren und die Internationale Atomenergiebehoerde Spionagetaetigkeiten ausuebten, wie es den Eingestaendnissen von einigen Mitgliedern des Sonderkomitees ebenso zu entnehmen war, wie den Erklaerungen von US-Quellen, als auch von staendigen Mitgliedern des Sicherheitsrates und was vom Generalsekretaer bestaetigt wurde: Ist es fair, dass Inspektoren, die in den Irak zurueckkehren, erneut fuer Spionage gegen den Irak und seine Fuehrung benutzt werden koennen? Und dass sie Informationen ueber lebenswichtige oekonomische Einrichtungen des Irak erneuern, damit diese bei einer zukuenftigen Aggression bombardiert werden koennen?

11. Koennen die Vereinten Nationen sicherstellen, dass diejenigen, die in den Irak kommen, keine Spione sind und keine Spionagetaetigkeiten verueben?

12. Koennen die Vereinten Nationen die Aufhebung der zwei Flugverbotszonen garantieren? Koennen die Vereinten Nationen garantieren, dass eine bevorstehende Inspektion nicht der Auftakt fuer einen Angriff auf den Irak darstellt, wie es 1998 war? Koennen die Vereinten Nationen garantieren, dass die USA den Irak waehrend dieser Inspektionsarbeit nicht angreifen, wie es waehrend der siebeneinhalb Jahre von 1991 bis Dezember 1998 war?

13. Welcher Zeitraum ist nach Ansicht des Generalsekretaers notwendig, damit sich die Inspektorenteams vergewissern koennen, dass der Irak ueber keine Massenvernichtungswaffen verfuegt und um den Sicherheitsrat darueber zu informieren? Welche (Untersuchungs-)Methoden sollen nach Ansicht der UN hierfuer angewandt werden und inwieweit decken diese sich mit verwandten internationalen Abkommen?

14. Wie werden die Inspektoren, deren Staaten erklaertermassen die nationale Souveraenitaet des Irak bedrohen und einmarschieren wollen, ein unvoreingenommenes internationales Mandat im Irak ausueben, die Resolutionen des Sicherheitsrates respektieren und sich in ihren Verpflichtungen gemaess der Charta verhalten? Die Anwesenheit von US-amerikanischen und britischen Inspektoren in dem Sonderkomitee und in der Internationalen Atomenergiebehoerde hat dazu beigetragen, dass (zunaechst) nachrichtendienstliche Daten gesammelt sowie Einrichtungen markiert und bei ihrem (folgenden) Angriff bombardiert wurden. Alle Einrichtungen, die von den Inspektorenteams besucht worden waren, auch Praesidentengebaeude, wurden 1998 angegriffen, obwohl die Inspektoren versichert hatten, dass sich dort keine Massenvernichtungswaffen befanden. Darueber hinaus haben die Amerikaner und die Briten alle Industrieanlagen bombardiert, die auf der Liste der Inspektoren standen, obwohl sie unter permanenter Ueberwachung waren.

15. Wie sollte nach Ansicht des Generalsekretaers die Struktur von UNIMOVIC aussehen? Ist es glaubwuerdig, Personen zu benennen, die gegen ihr unvoreingenommenes Mandat und die Verpflichtungen verstossen und ausserdem den Ruf ihrer Organisation (UNO) beschaedigt haben, als sie im Irak spionierten?

16. Was fuer ein Mandat hat UNIMOVIC? Der UN-Auftrag und die bisher veroeffentlichten Dokumente sind unklar. Wie weitreichend ist die Entscheidungsbefugnis seiner Leitung? Welche Befugnisse haben die Delegierten des Komitees? In welcher Weise fuehrt der Generalsekretaer die Oberaufsicht ueber dessen Arbeit? Welche Garantien gibt es, dass das Komitee und sein Leiter ihre Befugnisse nicht missbrauchen? Welche Garantien gibt es, dass das Komitee die Souveraenitaetsrechte des Irak nicht verletzt?

17. Zusaetzlich zu den 120000 Tonnen Bomben, einschliesslich 800 Tonnen abgereicherte Uranmunition, die waehrend des Angriffs 1991 auf den Irak abgeworfen wurden und waehrend der folgenden Angriffe, zusaetzlich dazu hat die 12jaehrige Blockade die Infrastruktur der Wirtschaft, der Gesundheit, Bildung und Dienstleistungen zur Haelfte zerstoert. Der Irak braucht alle seine Ressourcen, um nach der Aufhebung der Sanktionen die Grundversorgung wieder aufzubauen. Die Frage der hohen Kompensationszahlungen ist ein grosses Hindernis dabei. Welche Vorstellung hat der Generalsekretaer, um diese Situation zu korrigieren? Beabsichtigt er, Expertenteams in den Irak zu entsenden, um die Frage des Wiederaufbaus und der anfallenden Kosten zu diskutieren? Wird er den Bedarf zusammenstellen, um den Sicherheitsrat eindringlich zu bitten, die Frage der Kompensationszahlungen neu zu ueberdenken?

18. Die Blockade und die militaerischen Angriffe von den Vereinigten Staaten und Grossbritannien gegen den Irak seit 1991 haben zu einem hohen materiellen und menschlichen Verlust im Irak gefuehrt. Gibt es eine Moeglichkeit darueber nachzudenken, im Rahmen einer umfassenden, gerechten Loesung, den Irak fuer den menschlichen Verlust sowie fuer die psychologischen Schaeden und Verluste zu entschaedigen, die sein Volk zu erleiden hatte? Auf der gleichen Grundlage, die vom Sicherheitsrat ueber die Entschaedigungen beschlossen wurde?

19. Der Irak besteht auf seinem Recht auf Selbstverteidigung gemaess Artikel 15 der Charta. Der Sicherheitsrat ist an seine Verpflichtung gebunden, die Souveraenitaet des Irak und seine territoriale Integritaet zu respektieren. Regionale und nichtregionale Parteien ermuntern dazu, die nationale Sicherheit des Irak zu verletzten. Wie sehen Sie das Recht des Irak auf Selbstverteidigung und, abgesichert durch das Voelkerrecht und die (UN-)Charta, Waffen zur Selbstverteidigung zu besitzen?

Uebersetzung: Karin Leukefeld


Offene Fragen

Von Karin Leukefeld

"Welche Garantien koennen die Vereinten Nationen geben, um eine Einmischung der aggressiven politischen Ziele der USA in die Beziehungen des Irak mit den Vereinten Nationen zu verhindern?" Diese Frage der irakischen Regierung an die Vereinten Nationen und deren Generalsekretaer bringt ein Dilemma der UN und des Sicherheitsrates auf den Punkt: Die USA, die keine Gelegenheit auslassen, Entscheidungen des internationalen Gremiums zu sabotieren, zu behindern oder zu ignorieren, nutzen seit Jahren die Struktur des Sicherheitsrates, um die eigenen politischen (und militaerischen) Ziele durchzusetzen. Die fuenf staendigen Mitglieder im UN-Sicherheitsrat (USA, Russland, China, Frankreich und Grossbritannien) haben ein Vetorecht. Damit kann jede Entschliessung des Gremiums, das noch 15 weitere, wechselnde Mitglieder hat, gestoppt werden. Gleiches gilt auch fuer Sonderkomitees des Sicherheitsrates, wie beispielsweise das Sanktionskomitee 661, das die Irak-Sanktionen kontrolliert. Besonders hier nutzen Grossbritannien und die USA ihr Veto-Recht so extensiv, dass viele der nicht staendigen Sicherheitsratmitglieder zu den Sitzungen schon gar nicht mehr hingehen, weil sie ohnehin nicht gehoert werden.

Die Iraker sind nicht die einzigen, die das ruecksichtslose Verhalten der USA im Sicherheitsrat kritisieren. Wenn die Vereinten Nationen nicht voellig zu einem Erfuellungsgehilfen der US-Politik werden sollen, wird man im Sicherheitsrat um Konfrontation mit Washington nicht herumkommen. Das ist keine populaere Angelegenheit, wie man an einigen prominenten Beispielen sehen kann. Der Brasilianer Jose Bustani, langjaehriger Leiter der UN-Organisation zum Verbot der chemischen Waffen, wurde zwar im vergangenen Jahr fuer weitere fuenf Jahre im Amt bestaetigt, auf Betreiben der USA dann aber doch durch ein inszeniertes Misstrauensvotum aus dem Amt katapultiert. Das geschah gerade zu einem Zeitpunkt, als Bustani intensiv mit Bagdad darueber verhandelte, die C-Waffen-Konvention zu unterschreiben. Auch die UN-Menschenrechtskommissarin Mary Robinson, frueher irische Ministerpraesidentin, passte mit ihrer unverhohlenen Kritik am Afghanistan-Krieg und der Haltung im Nahostkonflikt nicht ins Konzept. Sie reichte schliesslich selbst ihr Ruecktrittsgesuch ein.

Auch Hans Blix, neuer Leiter der UNIMOVIC, dem UN-Komitee zur Waffenkontrolle im Irak, geriet ins Fadenkreuz der USA. Die CIA leitete eine Untersuchung gegen ihn ein, nachdem er sich in einer ersten Gespraechsrunde zwischen dem Irak und den Vereinten Nationen im Maerz 2002 optimistisch ueber baldige Loesungen gezeigt hatte. Bei der dritten Gespraechsrunde in Wien sei Blix dann noch nicht einmal bereit gewesen, mit den angereisten hochrangigen Militaerexperten aus dem Irak ueber etwas anderes zu sprechen, als ueber die konkrete Rueckkehr der UN-Waffeninspektoren, so die Kritik aus der irakischen Delegation. Eine Vorgabe des Sicherheitsrates, der sich auch Generalsekretaer Kofi Annan unterworfen hatte.

Fuer Dr. Al-Hashimi, Vorsitzender der irakischen "Organisation fuer Freundschaft, Frieden und Solidaritaet" ist klar, dass die Inspektorenteams eigentlich keine selbstaendige Entscheidungsbefugnis haben: Acht Jahre haetten die Inspektoren im Irak gearbeitet, sagte Al-Hashimi auf der Internationalen Konferenz der Freundschaftsgesellschaften mit dem Irak in Bagdad im Mai diesen Jahres. 1000 Personen haetten Tausende von Inspektionen vorgenommen. 520 Gebaeude seien besichtigt und ueberprueft worden, darunter auch Universitaeten und Regierungsgebaeude. Es seien Hunderte Kameras installiert worden. Warum also konnten die Inspektoren in einer achtjaehrigen Arbeit kein Ergebnis vorlegen? Waren sie nicht qualifiziert genug? Al-Hashimi meint, es habe sich bei den Inspektoren um hochqualifizierte Experten gehandelt, die uebrigens auch hochbezahlt worden seien. Und zwar von dem Geld, das der Irak durch seine Oeleinkaeufe einnehmen und ausschliesslich im Rahmen des UN-Programms "Oel fuer Nahrungsmittel" ausgeben darf. Drei Prozent dieser Einnahmen gehen an die UN-Einrichtungen im Irak. Al-Hashimi ist ueberzeugt, dass das UNSCOM-Team nicht befugt war, seine Arbeit fuer beendet zu erklaeren, weil es dafuer vom Sicherheitsrat keine Genehmigung gab.

Statt dessen gab es offenbar immer neue Forderungen an die Inspektoren, die nichts mit dem eigentlichen Auftrag zu tun hatten, wie kuerzlich der ehemalige Leiter von UNSCOM, der Schwede Rolf Ekeus in einem Radiointerview erklaerte. Agenten haetten versucht, Informationen ueber den Aufenthaltsort von Saddam Hussein zu erhalten. Abhoeranlagen sollten in Gebaeuden des irakischen Geheimdienstes und bei der Armee installiert werden, sagte Ekeus, der das Waffenkontrollteam von 1991-1997 leitete. "Zweifelsohne haben die Amerikaner versucht, die Inspektionen fuer eigene grundlegende US-Interessen zu beeinflussen", so Ekeus.

Richard Butler, der 1997 Ekeus auf seinem Posten abloeste, bestaetigte in der vergangenen Woche in einer Anhoerung des Auswaertigen Ausschusses vom US-Senat, dass Saddam Hussein zwar weiterhin chemische und biologische Waffen entwickeln lasse und auch versuche, Nuklearwaffen zu erhalten. Doch er "habe keine Beweise gesehen, dass der Irak Massenvernichtungswaffen an nicht-irakische Terrorgruppen" wie Al Qaida weitergeben wuerde, so Butler, der gleich noch eine Psychodiagnose des irakischen Praesidenten mitliefert. Aufgrund dessen "Psyche und Aspirationen" vermute er, dass "Saddam zoegern wird etwas zu teilen, was einzig und allein unausloeschliche Quelle seiner eigenen Macht sein soll."

19 Fragen der irakischen Regierung an die Vereinten Nationen, den Generalsekretaer und den UN-Sicherheitsrat wurden bisher nicht beantwortet. Mit einer Ausnahme: US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld erklaerte vor wenigen Tagen in Washington, neue Inspektoren im Irak braeuchten die "absolute Freiheit ueberall hinzugehen, zu jeder Zeit, ohne Ankuendigung." Und er fuegte hinzu: "Es ist wohl kaum zu erwarten, das der Irak einem solchen Inspektionsregiment zustimmen wird."

junge Welt, 5. August 2002

(übernommen von der Internetseite des Friedensratschlags http://www.friedensratschlag.de