"Kollektive Bestrafung einer Nation"

ND-Gespräch mit Dr. Abdul Karim Al-Hashimi über Hintergründe und Folgen der UN-Sanktionen

Neues Deutschland vom 31.3.01

(Dr. A.K. Al-Hashimi, ehemaliger Bildungsminister, war früher als Botschafter in Paris und Bonn. Heute ist er Vorsitzender der "Gesellschaft für Freundschaft, Frieden und Solidarität" in Bagdad.)

Auf dem Ammaner Gipfel in dieser Woche hat Irak die arabischen Länder um Unterstützung für ein rasches Ende der UN-Sanktionen gebeten. Das Embargo habe verheerende Auswirkungen für die Bevölkerung, so Dr. Abdul Karim Al-Hashimi.

Mit dem Vorsitzenden der "Gesellschaft für Freundschaft, Frieden und Solidarität" sprach in Bagdad Karin Leukefeld.

Seit mehr als 10 Jahre besteht das UN-Embargo gegen Ihr Land. Wie sind die Auswirkungen?

Eine lange Zeit der Entbehrung bleibt nicht ohne Folgen für die Gesundheit und Psyche der Menschen. Vor 1990 gab es im Irak weder Polio, Tuberkulose noch Cholera. Dass es diese Krankheiten heute wieder gibt, ist ein Ergebnis des Embargos. Die tägliche Versorgung mit Elektrizität, das Transportwesen, Kommunikation - alles ist vom Embargo betroffen. Es handelt sich um die kollektive Bestrafung einer Nation.

Die USA spricht von "intelligenten" Sanktionen. Viele fordern auch deren Aufhebung. Erwarten Sie bald eine Verbesserung der Lage?

Das Sanktionsprogramm hat in 10 Jahren das von Briten und Amerikanern erstrebte Ziel nicht erreicht. Auch die internationale Gemeinschaft sagt, es reicht. Kuwait wurde vor 10 Jahren befreit, warum hört das Sterben der Menschen nicht auf? Man meint, Druck könne die Iraker zwingen, ihre Regierung zu stürzen - aber das geschieht nicht. Also haben die USA und England die Idee von "intelligenten" Sanktionen aufgebracht. Das wird nicht viel ändern. Nein, all das Gerede über die Aufhebung von Sanktionen ist nicht wirklich ernst gemeint, nicht von England und den USA.

Warum läßt der Irak die Waffenkontroll-Teams nicht wieder einreisen, wie es von der UN gefordert wird?

Acht Jahre waren diese Kontrollteams im Irak. Sie haben ihre Arbeit abgeschlossen. Aber nichts änderte sich für den Irak. Angeblich fordert die Resolution 1284, dass die Kontrollteams wieder in den Irak zurückkehren. Dann könnte das Embargo aufgehoben werden. Aber das steht nicht in dieser Resolution. Lediglich Artikel 33 besagt, dass der Sicherheitsrat das Embargo jeweils für 120 Tage aufheben könnte. Bei jeder Neuprüfung müßten die USA erneut zustimmen. Die Team von UNMOVIC oder IAEA könnten behaupten, der Irak wolle verbotenes Material einkaufen, und automatisch träten innerhalb von 5 Tagen die Sanktionen wieder in Kraft. Ohne Entscheidung des Sicherheitsrates. Das Schicksal von 23 Millionen Menschen im Irak wäre damit in den Händen von UNMOVIC oder IAEA.

Warum haben die USA den Irak zum speziellen Feind erklärt?

Hintergrund ist die "Neue Weltordnung" der USA. Der Westen ist nicht mehr vereint unter ihrer Führung. Es gibt keinen gemeinsamen Feind, der ein kollektives Sicherheitssystem erfordert. Anstelle der Ost-West-Konfrontation verändert sich die Welt in ein Konkurrenzverhältnis innerhalb des Westens. Die Konkurrenz wird politisch-ökonomisch ausgetragen, nicht militärisch. Die USA sucht also ein neues Druckmittel. Angeblich bedrohe der wilde Süden die westliche Zivilisation, wie Huntington das beschrieben hat. Wie sollte der Süden den Westen bedrohen? Er ist dazu gar nicht in der Lage. Wer sollte, stellvertretend für die Islamische Welt, den Westen bedrohen? Saudi-Arabien, der Iran oder etwa die Islamische Konferenz? So ist den USA nur das Öl geblieben. Die einzige Ölreserve am Golf, die sich der Kontrolle der USA entzieht, ist das Öl des Irak. Solange das nicht von den USA kontrolliert wird, kann es frei auf dem Weltmarkt gehandelt werden. Damit hätten wir eine multipolare Welt, die USA wäre einer der Pole, nicht der einzige.

Widersprüche gibt es zwischen den Kurden im Norden des Irak und der Zentralregierung. Es gibt Pläne von den USA, wonach eine Exilregierung im Nordirak etabliert werden soll, um Schritt für Schritt die Macht in Richtung Süden auszubauen. Ist der Norden des Irak seine Achillesferse?

Die USA verfolgen im kurdischen Nordirak verschiedene Ziele: Im "Sicheren Hafen" sollte - unter westlichem Schutz - ein Symbol des guten Lebens gezeigt werden. Zweitens sollten dort Kräfte gesammelt werden, die gegen die Zentralregierung eingestellt sind. Drittens wollte man von dort die Übernahme starten, wie Sie es beschrieben haben. Was wurde erreicht? Die kurdischen Organisationen von Talabani und Barzani bekämpfen sich gegenseitig. Türkische Militärflugzeuge greifen den Nordirak an und zerstören die Dörfer von irakischen Kurden mit der Begründung, dort gebe es Stellungen der PKK. In der "no-fly-zone", wo die Kurden vor der Zentralregierung in Bagdad geschützt werden sollen, ist es den türkischen Militärflugzeugen erlaubt, irakische Kurden zu töten.

Sie bestreiten nicht, dass es Konflikte zwischen den Kurden im Norden und der Zentralregierung gegeben hat?

Das Problem zwischen der Zentralregierung und den kurdischen Gebieten könnte morgen schon gelöst werden. Heute aber geht das nicht wegen der ausländischen Einmischung. Die Kurden im Irak haben Autonomie, sie haben ihr eigenes Parlament. Ich als Araber wähle nur einmal, ich wähle das Nationalparlament. Die Kurden im Irak wählen zweimal. Sie wählen das Nationalparlament, in dem sie auch vertreten sind und sie wählen ihr autonomes Parlament im Nordirak. Sie haben Zeitungen, Fernsehen, Universitäten und Schulen, sie können ihre Sprache sprechen - gibt es ein Land in unserer Region, das den Kurden diese Rechte gewährt hat?

Die Beziehungen der Nachbarstaaten zum Irak sind - trotz Embargo - im letzten Jahr wieder enger geworden.

Der Irak war immer ein guter Geschäftspartner für seine Nachbarn. Die Bedeutung des Irak in der Region ist klar, nicht nur wegen des Öls. Die Länder merken, dass sie durch die Sanktionen mehr verlieren, als gewinnen. Nicht nur unsere Nachbarn kommen und nehmen wieder Beziehungen auf. Die Sanktionen zerbröseln langsam.

Wirtschaftliche Beziehungen zwischen Staaten sind das eine, die Freundschaft aber mit Ihren Nachbarn ist etwas anderes.

Wir haben erklärt, dass wir eine neue Seite aufschlagen wollen. Das betrifft auch Kuwait und Saudi-Arabien. Egal wie lange wir über die Vergangenheit diskutieren, wir werden keine Lösung finden. Was geschehen ist, ist geschehen. Heute ist für uns die Zukunft wichtiger. Wir wollen über Gemeinsamkeiten sprechen, für das Wohl unserer Kinder. Niemand will, dass die Lage bleibt, wie sie ist. Die Instabilität ist weder im Interesse der arabischen Völker, noch im Interesse von Europa.

Das Interview führte Karin Leukefeld, im März in Bagdad