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Felicity Arbuthnot

Die furchtbaren Auswirkungen der Wirtschaftssanktionen

Augenzeugenberichte von zwei Reisen in den Irak*)

*) aus zwei Interviews mit Barbara Slaughter von der World Socialist Website (WSWS) am 21. April 1999 und 5. Juli 1999 über die Situation im Irak, wo Felicity Arbuthnot seit Ende des Golfkrieges nicht weniger als siebzehn Mal gewesen ist. (www.wsws.org)

I. ... nicht einmal ein Foto zur Erinnerung

Ich bin letzten Monat von meinem siebzehnten Besuch im Irak seit dem Golfkrieg zurückgekommen, und nächsten Monat gehe ich wieder hin. Mein erster Besuch war Ende 1991, weniger als ein Jahr nach Ende des Krieges. Ich habe gesehen, wie ein Land vom Unglück in die Katastrophe abgleitet. So einfach ist das. Ich habe schon eine ganze Menge Kriegsgebiete gesehen und bin bestimmt nicht naiv. Aber als ich dort war, habe ich gedacht, das ist einzigartig. Ich kann ehrlich sagen, daß ich noch nie eine solche Verwüstung gesehen habe - Orte, die praktisch über Nacht ins vorindustrielle Zeitalter zurückgeworfen worden sind, so wie es jetzt in Jugoslawien passiert. Die gesamte Infrastruktur wurde zerstört - Wasser, Strom, Telefon - was bedeutet, daß sie wirklich alles verloren haben.

Ein Beispiel: In letzter Zeit hat es viel Kritik gegeben, daß die Nahrungsmittel im Irak nicht verteilt würden. Aber außerhalb Bagdads gibt es kein Telefon, deshalb besteht keine Möglichkeit, mit dem Rest des Landes zu kommunizieren. Sie haben noch nicht einmal mehr Kühllastwagen, deshalb müssen sie alles sehr schnell zu einem Verteilungspunkt bringen. Aber es muß dort ein gekühltes Lagerhaus geben. Sie können nicht in Erfahrung bringen, woran gerade Bedarf besteht, und sie wissen nicht, ob es gerade Strom gibt oder nicht. Während des Golfkrieges ist alles zerstört worden, was vorher normal war, und seitdem ging es nur noch bergab.

Die Lebensbedingungen der Kinder sind herzzerreißend. Das ist ein Land, in dem die Kinder auf Müll angewiesen sind. Die meisten seit 1990 im Irak geborenen Kinder wissen nicht, wie Schokolade schmeckt. Spielsachen durften nicht importiert werden. Ping-Pong-Bälle durften nicht importiert werden – alles hat das für Sanktionen zuständige UNO-Komitee verboten. Man kann das alles beweisen. Papier, Bilderbücher, Schulbücher – alles, was Kinder zu einem normalen Leben brauchen, ist ihnen verweigert worden.

Und es ist noch schlimmer. Laut dem jüngsten UNICEF-Bericht hat der Irak die höchste Kindersterblichkeitsrate der Welt. Und wenn Kinder sterben, weil sie unterernährt sind oder nicht medizinisch versorgt werden können, haben die Eltern noch nicht einmal ein Foto von ihnen, wenn die Kinder nach 1990 geboren wurden. Fotomaterial ist nämlich auch verboten. Filme sind verboten, Entwicklungs-Chemikalien sind verboten. Wenn das Kind also stirbt, verschwindet es einfach, man hat noch nicht einmal ein Foto zur Erinnerung.

Natürlich kann man nicht sagen, welche schreckliche Situation die schlimmste ist. Aber ich kann euch sagen, warum ich mich so stark mit dem Irak beschäftige: In allen anderen Kriegsgebieten, in denen ich war, hatte ich immer diese kleine Stimme im Kopf, die sagte: "Das ist nicht meine Schuld. Es ist irgendein Macheten schwingender Schlächter in Ruanda oder ein mörderischer Diktator." Aber das hier ist einzigartig, weil die Zerstörung und das Leid im Namen der UNO verursacht wird.

In Basra macht der sarkastische Witz die Runde, daß im Falle eines Krieges zwischen Frankreich und Großbritannien Basra bombardiert würde, weil Basra nämlich immer bombardiert wird.

Ich werde euch etwas über ein Krankenhaus berichten, das ich letzten Monat in Basra im Süd-Irak besucht habe. Ich habe eine Ärztin gefragt: "Darf ich mir euer Krankenhaus ansehen?", und sie sagte "Ja" und ging mit mir herum. Der Irak hat jetzt die höchste Rate von Frühgeburten und die höchste Rate von Säuglingen, die mit Untergewicht zur Welt kommen, aufgrund von Umwelteinflüssen, Unterernährung usw. Wir waren in einem Raum, da lagen 17 frühgeborene Babies, alle gesund zur Welt gebracht. Es gab aber keine ordentlich funktionierenden Brutapparate, keinen Sauerstoff und keine Geräte für die Wiederbelebung. Es gab absolut nichts. All diese Babies würden in Großbritannien oder irgendeinem normalen Land überleben.

Als wir in diesem Raum waren, ist gerade eines von ihnen gestorben - ein ganz gesundes Baby - und ich habe plötzlich gemerkt, wie ich wie eine Verrückte immer wieder sein kleines Gesicht streichelte, immer wieder. Es war noch warm, und ich hatte das seltsame Gefühl, daß ich es vielleicht irgendwie zurückholen könnte. Als wir den Raum verließen, sagte die Ärztin zu mir: "Wissen Sie, seit 1994 hat bei uns kein Frühgeborenes mehr überlebt."

Ich weiß, daß viele skeptisch sind, und manche Leute sagen mir: "Ach, du wirst doch einfach nur manipuliert", aber ich war schon so oft im Irak, daß ich an Orte gehen, die völlig ab vom Schuß liegen. Deshalb meine ich, daß das, was ich sehe wahr ist, und ich rede nicht über etwas, bei dem ich mir nicht sicher bin.

Im selben Krankenhaus in Basra passierte dann folgendes: Ein Fotograf, ein Übersetzer und ich waren gerade wieder auf die Straße hinaus gegangen, als zwei Ärzte hinter uns her rannten. Sie fragten: "Hat jemand von euch Blutgruppe Null negativ?" Ich geriet in Panik und konnte mich nicht an meine Blutgruppe erinnern, aber ich fragte die Ärztin, warum sie es wissen wolle. Sie sagte, daß ein neugeborenes Baby eine Bluttransfusion brauche, und sie hätten noch nicht einmal mehr eine ordentliche Blutbank, brauchten aber sofort Blut für dieses kleine Baby. Es ging um eine ganz einfache Sache. Mein eigener Sohn, als Frühgeburt auf die Welt gekommen, hatte das gleiche Problem gehabt. Ich sagte: "Versucht es mal mit mir, es ist nur, daß mir im Moment meine Blutgruppe nicht einfällt." Aber es ging nicht, weil sie nicht einmal die Laborgeräte hatten, um meine Blutgruppe zu bestimmen.

Dieses Baby litt an Gelbsucht, das konnte man sehen. Der Junge war hellgelb - und nur einen Tag alt. Seine Mutter war fast verrückt vor Angst. Der britische Verteidigungsminister George Robertson hat kürzlich über Kollateralschäden gesprochen. Das obszön. Was ich im Irak gesehen habe, waren solche "Kollateralschäden" - dieses Baby, in einem so armen Land, das auf den größten Ölreserven unseres Planeten sitzt.

II. Über den Niedergang des Landes

Wie viele andere habe ich mich an der Opposition gegen den Golfkrieg beteiligt. Ich wußte, daß es in diesem Krieg wie bei dem Krieg in Jugoslawien um die strategischen Interessen der westlichen Mächte ging und nicht um Saddam Hussein oder "das kleine Kuwait". Als der Krieg zu Ende war, dachte ich: "Wir haben unser Bestes getan und haben keinen Erfolg gehabt. Jetzt wird der Wiederaufbau des Landes beginnen."

Einige Monate später besuchte ich eine Pressekonferenz von Magne Raundalen, einem norwegischen Professor für Kinderpsychologie und Eric Hoskins, einem kanadischen Experten für das öffentliche Gesundheitswesen zur Traumatisierung von Kindern im Irak. Sie waren die ersten, die darüber berichteten, was im Irak tatsächlich vor sich ging.

Es wurde nichts getan, um dem Land zu helfen, und so fühlte ich mich verpflichtet, in den Irak zu fahren und mir die Lage selbst anzusehen. Eine Woche später war ich in Bagdad, und was ich dort sah, schockierte mich. Der Irak war ein Land, das, wie der amerikanische Außenminister James Baker es angedroht hatte, buchstäblich in ein vorindustrielles Zeitalter zurückgeworfen worden war; ein Land, das in hohem Maße von moderner Technologie abhängig gewesen war, wurde dem völligen Niedergang überlassen. Das Einzigartige daran war die Tatsache, daß dies im Namen der Völker der Vereinten Nationen getan wurde. Es wird, zusammen mit dem Holocaust, Pol Pot und der Bombardierung Dresdens als eines der großen Verbrechen des Zwanzigsten Jahrhunderts in die Geschichte eingehen.

Dies war mein 18. Besuch im Irak seit dem Golfkrieg. Die letzten vier davon folgten sehr schnell aufeinander: nach meinen Reisen im letzten Oktober und im Januar/Februar besuchte ich das Land erneut Ende März und dann noch einmal im Mai.

Ich bin jedesmal von Neuem über den Niedergang des Landes erschrocken. Jedesmal gibt es neue grauenhafte Dinge. Im März war es die tägliche Bombardierung der Infrastruktur. Es gab praktisch keine Elektrizität mehr. Viele Leute können sich keine Kerzen leisten und verwenden behelfsmäßige Lampen. Sie stecken einen Lumpen in eine Flasche mit Öl, und solche Flaschen platzen dann häufig. Von daher stammende Verletzungen haben rasend zugenommen. Die Verbrennungen sind furchtbar, und es gibt keine Möglichkeit, sie zu behandeln, nicht einmal Haftfilm als Notmaßnahme zur Schließung der Wunden. Es gibt keine Schmerzmittel. Es gibt keine plastische Chirurgie.

Dann bemerkte ich noch zwei andere Dinge. Wie bei jedem anderen Embargo der Geschichte gab es ein gewisses Maß an Kriegsgewinnlerei mit Geldgeschäften. Es gibt einen kleinen Teil der Bevölkerung an der Spitze des Regimes, der Familienangehörige im Ausland hat, die Dollars schicken. Neue Restaurants werden gegründet. Man kann Sonnenbrillen von Christian Dior und überhaupt absolut alles bekommen. Aber für 98 Prozent der Bevölkerung gibt es nicht einmal die Möglichkeit, Verbrennungen zu sterilisieren.

Der Irak befindet sich jetzt mehr oder weniger seit 20 Jahren im Krieg, nämlich seit Beginn des Iran-Irak-Krieges. Er ist ein Land, das seit 10 Jahren hungert. Die Ärzte sagen, daß immer mehr Menschen sterben, besonders junge Männer im Alter zwischen 30 und 35. Das sind die jungen Männer, die ihre gesamte Zeit als Erwachsene unter dem Embargo erlebt haben. Jetzt sehen sie die Mitte des Lebens auf sich zukommen, und sie geben einfach auf und sterben.

Bombardierung von Schafen und Hirten

Mosul befindet sich in der "Flugverbotszone". Was für eine Fehlbenennung! Die Briten und die Amerikaner bombardieren dort an jedem einzelnen Tag des Jahres - abgesehen von einer zweiwöchigen Pause im März und einer Pause von 4 Tagen im Mai. An einem Tag letzte Woche wurden 100 Einsätze geflogen. Nachts kann man wegen des Lärms der Flugabwehrgeschütze nicht schlafen.

Ich war in die Gegend um Mosul gegangen, weil ich gehört hatte, daß dort Schafherden bombardiert würden. Freunde aus dem Nahen Osten hatten mir erzählt, daß das mittlerweile zu einer Art Zielübung für die Piloten geworden war. Sie bombardieren auch Basra, aber in Basra war ich im März. Mosul beherbergt die größte Zahl an Christen im Irak. Es gibt dort christliche Klöster und wunderbare Gebäude, die bis auf die Zeit von Petra zurückgehen. Ich machte mich auf, um die Schafherden zu suchen, und fand mitten in der Ebene in einer gottverlassenen Gegend eine solche Herde, die am 13. April bombardiert worden war.

Wir gingen mit in das Dorf, wo die Familie der Schäfer wohnte. Ein winzigkleines ländliches Dorf von Christen und Muslimen, in dem es keine Ölinstallationen und kein Militär gab. Die Häuser waren wie die Lehmhäuser in Arizona gebaut. Diese Menschen hatten seit Jahrhunderten in einer gemischten Gesellschaft von Christen und Muslimen zusammengelebt.

Das Bombardement fand an einem Freitag (dem muslimischen Sonntag) statt, einem Tag, an dem es sehr heiß war. Die Herde umfaßte 105 Schafe und Böcke. Ungefähr 50 Leute waren mit den Schäfern hinunter in die Ebene gestiegen. Am frühen Morgen, bevor es heiß wurde, feierten sie eine Art Sonntagszeremonie, bei der es zu Essen und zu Trinken gab. Dann gingen die Dörfler allmählich wieder nach Hause, während die sechsköpfige Schäferfamilie zurückblieb: der 60jährige Großvater, der 37jährige Sohn, und die 4 Kinder, darunter als jüngstes ein sechsjähriger Junge.

Während sie fortgingen, hörten die Dörfler ein Flugzeug in der Luft kreisen. Es kreiste dort ungefähr drei Stunden lang, und die Dörfler lauschten aufmerksam, weil die Gegend schon so oft bombardiert worden war. Dann hörten sie das Bombardement und rannten hin, um zu sehen, ob jemand Hilfe brauchte. Sie suchten den ganzen Tag lang, und bis Einbruch der Nacht konnten sie lediglich genügend Reste von der Familie finden, um sie in zwei - statt sechs - Gräbern zu bestatten. Sie konnten den Torso des alten Mannes identifizieren, und das war alles, was sie fanden. Sein Kopf, seine Arme, seine Beine waren alle abgerissen worden.

Der sechsjährige Junge, Soultan, hatte gerade die zweite Klasse in der Schule beendet. Er hatte sehr gute Noten gehabt und war auch sehr stolz darauf gewesen. Im Irak herrscht immer noch eine unglaubliche Begeisterung und Leidenschaft für Kultur und Bildung. Er hatte einen Kugelschreiber (von den UN mit Embargo belegt) und ein Stück Papier (ebenfalls mit Embargo belegt) mit sich hinunter ins Feld zu den Schafen genommen, um Schreiben und Rechnen zu üben.

Die Dorfbewohner konnten nicht den kleinsten Fetzen mehr von ihm finden. Einer seiner Verwandten sah mich an und griff nach meinem Notizbuch. Es war ein sehr persönlicher Augenblick - dieser Verwandte war fast so eine Art "Zeuge". Er sagte: "Ich muß schreiben, nicht Sie. Ich muß ihre Namen in Ihr Buch schreiben." Seine Hand zitterte, und die Tränen standen ihm im Gesicht. Als er den Namen des kleinen Jungen hinschrieb, fragte er: "Was wollen die denn von uns? Er hatte doch nichts als seinen Kuli. Ist es das, was sie wollen?"

Dieses Gebiet liegt in der Mitte einer großen, von Bergen umgebenen Ebene, in deren Nähe es ein kleines Dorf gibt. Die Schafe müssen dort klar und deutlich zu sehen gewesen sein. Die Familie hatte einen roten Traktor und einen zerbeulten weißen Toyota-Kleinlaster dabei, auf dem ein Wasserfaß für die Schafe war. All das muß sehr deutlich sichtbar gewesen sein.

Ich sprach mit einer Dominikanerpriester, der aus dem Libanon stammte. Er war 60 Jahre alt und sehr akademisch und gemäßigt, aber nichtsdestoweniger schäumte er vor Wut. Er sagte mir, die Iraker seien ein sehr moralisches Volk, und daß ihnen jetzt nur noch ihr Anstand und ihre Würde geblieben seien. Er sagte: "Kurz bevor Sie ankamen, wurden 24 Menschen in einem christlichen Dorf, einer kleinen ländlichen Gemeinschaft, die ausschließlich vom Land lebte, von einer amerikanischen Bombe getötet. Es sind die Amerikaner und die Briten, die das machen."

Das hörte ich immer wieder. "Die Flugzeuge fliegen meistens von den türkischen Stützpunkten los", fuhr mein Gesprächspartner fort. "In den westlichen Medien lesen wir immer, hier würden legitime Ziele - wie Radarstationen zur Observierung – bombardiert. Warum sagen sie nicht, daß sie einfach um des Bombardierens willen bombardieren, wo das doch deutlich zu sehen ist? Jeden Tag verlieren Mütter ihre Kinder, Kinder verlieren ihre Mütter und Väter, Brüder verlieren ihre Schwestern und Schwestern ihre Brüder. Das ist der Preis der Bombardierungen"

Er machte auf einen interessanten Punkt aufmerksam, über den weder das [britische] Verteidigungsministerium noch die Amerikaner reden wollen. Er sagte, "Sie bombardieren aus einer Höhe von fünfzehn Kilometern, aber unsere Luftabwehrkanonen haben nur eine Reichweite von fünf Kilometern. Wie können wir sie da bedrohen?

Ich rief beim Verteidigungsministerium an und sagte: "Ich bin gerade aus dem Irak zurückgekommen und habe dort Beweise dafür gesehen, daß Sie Schafe bombardieren. Möchten Sie dazu einen Kommentar abgeben?" Der Sprecher des Ministeriums antwortete: "Wir behalten uns das Recht auf robuste Aktionen vor, wann immer wir bedroht werden." Ich fragte "Gegen Schafe?" Dann gab ich auf und legte den Hörer auf.

Eine weitere Frage, die gestellt werden muß, ist, ob im Irak weiterhin Bomben mit abgereichertem Uran eingesetzt werden. Ich sah mich am Bombardierungsort um, aber ich fand nicht viele Teile des Traktors und gar keine von der Bombe. Die Verwandten erzählten mir, die Behörden hätte die Bombentrümmer mitgenommen. Sie meinten, es habe sich um eine 500-Pfund-Bombe gehandelt, und der Krater schien dies zu bestätigen. Aber ich konnte keine Aussage darüber erhalten, um was für einen Bombentyp es sich gehandelt hatte. Der oberste Sprecher des irakischen Verteidigungsministeriums sagte: "Wir geben überhaupt keine Informationen über das Bombardement heraus, bevor wir nicht hundertprozentig sicher sind, weil alles, was wir sagen, von der westlichen Presse und den Vereinten Nationen dementiert wird". Meiner Erfahrung nach ist das vollkommen richtig. [...] (1)

"Zum Schutz der Bevölkerung" (Tony Blair)

Seit dieser Zeit hat es eine Spulwurmepidemie und die Maul- und Klauenseuche gegeben, die normalerweise in diesem Land nicht vorkommen. Inzwischen gibt es auch Berichte über Heuschrecken, die es dort sonst ebenfalls nicht gibt. Es ist schwer herauszufinden, was dort vor sich geht, aber soviel ist sicher, daß es in der Landwirtschaft quer durch Flora und Fauna alle möglichen Krankheiten gibt, die im Irak zuvor gänzlich unbekannt waren.

Im gesamten Gebiet, das bombardiert wurde, gibt es Klöster, die bis auf die Zeit kurz nach Christi Geburt zurückgehen. Es gibt dort ein Dominikanerkloster, von dem behauptet wird, der Evangelist Matthäus sei dort begraben. Auf der anderen Seite des Tals steht eine Moschee, die nach Jonas benannt ist, der ebenfalls dort angeblich begraben ist. Wir besuchten dieses wundervolle christliche Kloster auf der Spitze eines Berges, und ich sprach mit einem der Priester. Er war blind. Er erzählte mir, Sankt Matthäus verfüge über Heilkräfte, und Menschen aller Gruppenzugehörigkeiten und Religionen kämen aus dem gesamten Irak zu dieser uralten kleinen Kapelle, um geheilt zu werden.

Während wir dort waren, kam eine Ambulanz angefahren. Davon gibt es nicht viele, also muß es sich um eine ziemlich reiche Familie gehandelt haben. Im Innern des Wagens befand sich eine Frau, die schon seit acht Monaten im Koma lag. Bei ihr war etwas mit einem Narkosemittel schiefgegangen, das sie erhalten hatte. Es gibt alle möglichen Probleme mit derartigen Medikamenten. Die Frau war Muslimin, und ihr Vater war Chirurg im selben Hospital in dem sie versorgt worden war. Jetzt kamen sie hier her, um von einem christlichen Heiligen geheilt zu werden, während wir nur ein kleines Stück weiter im Tal Dörfler und ihre Schafherden bombardierten.

Am 18. Mai 1999 fragte der Parlamentsabgeordnete Tam Dalyel Tony Blair, weshalb das Bombardement immer noch fortgesetzt werde. Blair antwortete, und ich zitiere: "Wir tun dies zum Schutz der Bevölkerung des Irak." Als ich das dem Dominikanerpater erzählte, antwortete er: " "So sprechen sie im britischen Parlament? Das sagen sie in der Mutter aller Parlamente?"

Gleichzeitig ist das Bombardement seit der "Einstellung der Feindseligkeiten" im Dezember 1998 ununterbrochen weitergegangen und hält bis heute an. Wir haben die gesamte Infrastruktur zerstört. Und jetzt erheben unsere Abgeordneten in Parlament und Senat ihre Stimme und geben dem Irak die Schuld daran, daß er die Waren nicht verteilen kann. Hier wird in derartigen Dimensionen ein doppelter Maßstab angelegt, daß es kaum noch nachzuvollziehen ist.

Ich lief durch die Abteilungen der Krankenhäuser in Bagdad und Mosul und sah all die Kinder, die hätten gerettet werden können, aber wegen der fehlenden Chemotherapie am Sterben waren. Ich unterhielt mich mit den Ärzten, die dazu ausgebildet waren, Leute gesund zu machen. Wenn sie alles, was in ihrer Macht stand, getan hatten und ein Kind dann dennoch starb, war das immer furchtbar. Aber hier hatten sie nicht einmal die notwendigen Instrumente für ihre Tätigkeit. "Ich fragte sie: "Wie fühlen sie sich damit? Wie werden Sie damit fertig? Wie kommt es überhaupt, daß Sie hier sind?" Ich stieß jedesmal auf dieselbe Reaktion. Sie fingen beinahe zu weinen an und sagten: "Sie sind die erste, die mich das überhaupt fragt. Alle richten ihre Hoffnungen auf mich. Wie ich damit fertig werde?"

Übersetzung, Teil I World Socialist Web, Teil II Michael Schiffmann

1.) Ausgelassen ist hier ein Teil, der sich mit dem Einsatz von DU-Munition im Irak auseinandersetzt. Zu diesem Thema siehe ihren Beitrag "Vergiftetes Erbe" in diesem Band.


aus Rüdiger Göbel, Joachim Guilliard, Michael Schiffmann (Hg.)
"
Der Irak – ein belagertes Land – Die tödlichen Auswirkungen von Krieg und Embargo",
PapyRossa Verlag, Köln 2001,
Broschur, 280 Seiten, Preis 14,33 Euro
ISBN 3-89438-223-6