Aufhebung der Sanktionen gegen den Irak
Dt. Bundestag, Freitag, 25.01.2002

Ich rufe Tagesordnungspunkt 24 auf:Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Heidi Lippmann, Carsten Hübner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS

Aufhebung der Sanktionen gegen den Irak- Drucksachen 14/4709, 14/5716 -
Berichterstattung: Abgeordnete Christoph Moosbauer, Karl Lamers, Rita Grießhaber, Ulrich Irmer, Wolfgang Gehrcke

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Fraktion der PDS fünf Minuten erhalten soll. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Die Aussprache ist eröffnet. Ich erteile dem Kollegen Wolfgang Gehrcke für die PDS-Fraktion das Wort.

Wolfgang Gehrcke (PDS):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich kann den Unmut darüber verstehen, am Freitag noch Debatten führen zu müssen, aber ich bitte zu akzeptieren, dass es immer die kleinen Fraktionen trifft, wenn die Reden am Nachmittag zu Protokoll gegeben werden. Aber ich halte es nicht für den Sinn parlamentarischer Debatten, wenn sich der Umgang miteinander auf das Austauschen schriftlicher Noten beschränkt,
(Beifall bei der PDS)
und deswegen rede ich zu diesem Punkt. Ich wusste, dass die meisten Reden zu Protokoll gegeben werden, aber ich meine, zu Fragen der Demokratie muss man mindestens einen Satz sagen.
Wir sollten uns darüber klar werden, dass man die Frage der Aufhebung der Sanktionen gegen den Irak natürlich unter Berücksichtigung der Umfeldbedingungen debattieren muss: die Explosion von Gewalt und Gegengewalt im Nahen Osten, die brüchige Grenze zwischen Bürgerkrieg und Krieg, die beständige Drohung der USA, möglicherweise eine Militäraktion, einen Krieg gegen den Irak zu führen. Heute war erneut in der Presse zu lesen, dass sich Präsident Bush einen Krieg gegen den Irak als eine mögliche Option offen hält. Das muss man vor dem Hintergrund der Massierung von Truppen in der Region - dazu gehört auch die Stationierung deutscher ABC-Spürpanzer in Kuwait - sehen. All das macht die Region zu einem Pulverfass. Gerade deshalb muss man jetzt über Deeskalation, Stabilität und Humanität reden. Humanität bleibt unser Anliegen.
(Beifall bei der PDS)
Ich möchte uns die eigentlichen Ziele der Sanktionen in Erinnerung rufen - auch wenn ich sie nie geteilt und immer für falsch gehalten habe, glaube ich, dass es gut ist, sich an diesen Zielen zu messen -: Durch die Sanktionen sollte verhindert werden, dass der Irak erneut eine militärische Stärke erreicht; es sollte verhindert werden, dass er andere bedrohen kann; es sollte verhindert werden, dass er Zugang zu Massenvernichtungswaffen bekommt; es sollte erreicht werden, dass die kuwaitischen Gefangenen - die 600 Verschleppten - freigelassen werden und dass der Irak akzeptiert, dass die Souveränität Kuwaits nicht infrage gestellt werden darf.
Indirekt - das war aber nie Gegenstand der Resolution - haben viele gehofft - auch ich habe diese Hoffnung -, dass die blutige Unterdrückung des irakischen Volkes durch Saddam Hussein beendet werden kann und dass dort ein Machtwechsel möglich wird. Deswegen meine Feststellung: Die Sanktionen haben genau diese Ziele nicht erreicht. Im Gegenteil: Sie waren kontraproduktiv.
(Beifall bei der PDS)
Man kann heute feststellen - das behauptet jeder -, dass der Irak militärisch nicht schwächer geworden ist. Ich frage mich immer wieder - diese Fragen werden wir beantworten müssen -: Warum greifen alle Sanktionen gegen die zivile Bevölkerung? Warum ist es nicht möglich, den Zustrom von Waffen in solche Länder endgültig zu unterbinden?
(Beifall bei der PDS)
Wer hat ein Interesse daran, mit solchen Ländern Waffenhandel zu betreiben?
Der Einfluss des Hussein-Regimes ist durch die Sanktionen nicht kleiner geworden, durch die Nahostauseinandersetzung erst recht nicht. Man kann sagen, dass Saddam Hussein - auch in den arabischen Ländern - noch nie so viel Einfluss wie heute hatte.
Die Inspekteure der Vereinten Nationen sind noch nicht einmal ins Land gekommen, um zu überprüfen, ob Massenvernichtungswaffen vorhanden sind oder produziert wurden. Dazu möchte ich anmerken, dass es nicht gerade hilfreich ist, dass die USA diese Situation zum Anlass nimmt, um einen möglichen Krieg zu führen, sich aber gleichzeitig bei der Auseinandersetzung über das Zusatzprotokoll der Biowaffenkonvention weigert, internationale Inspekteure ins eigene Land zu lassen. Das ist doch nicht glaubwürdig. Auch das haben wir den USA zu sagen.
(Beifall bei der PDS)
Da wir gerade beim Thema Glaubwürdigkeit sind, möchte ich anmerken, dass mir einmal jemand erklären sollte, warum die USA gerade in diesen Tagen die finanzielle Unterstützung für die irakische Opposition eingestellt haben. Wenn man einen nicht militärischen Machtwechsel anstrebt, passt das doch nicht zusammen.
Alles in allem hat unter den Sanktionen nur die zivile Bevölkerung im Irak gelitten: 500 000 bis 600 000 Kinder sind an den Folgen des Embargos gestorben; die Arbeitslosigkeit beträgt mittlerweile 60 bis 75 Prozent; die Einkommen sind um zwei Drittel zurückgegangen; das Bildungswesen ist fast zusammengebrochen. Deswegen lauten unsere Forderungen: Alle nicht militärischen Sanktionen - die Sanktionen gegen das Militär möchte ich sogar verstärkt wissen - müssen aufgehoben werden; die tatsächlich demokratische Opposition im Irak muss unterstützt werden; politischer Druck muss entwickelt werden; die deutschen Panzer dürfen jetzt nicht in Kuwait
stationiert werden. Eine solche Stationierung kann international nur als ein Einverständnis mit einem möglichen Krieg gegen den Irak verstanden werden, in den wir uns nicht hineinziehen lassen dürfen. Wir müssen vielmehr heraus. Es müssen sofort Korrekturen vorgenommen
werden.
(Beifall bei der PDS)
Deshalb lautet meine Bitte und Forderung an die Bundesregierung, endlich verbindlich zu erklären, dass man sich nicht an militärischen Aktionen, an einem Krieg der USA gegen den Irak beteiligen wird. Ich möchte, dass das hier verbindlich erklärt wird, damit die USA das zur Kenntnis nehmen.
Auch wenn jetzt Freitagnachmittag ist: Ihnen das vorzutragen war es mir wert. Das ist die Begründung zu unserem Antrag.
Herzlichen Dank, dass Sie es sich zumindest angehört haben.
(Beifall bei der PDS)

Vizepräsidentin Petra Bläss: Da die Kollegen Christoph Moosbauer, Joachim Hörster, Rita Grießhaber und Ulrich Irmer ihre Reden zu Protokoll gegeben haben, schließe ich die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss empfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 14/5716 zu dem Antrag der Fraktion der PDS zur Aufhebung der Sanktionen gegen den Irak.
Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/4709 abzulehnen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen der PDS-Fraktion angenommen.

Anlage 7
Zu Protokoll gegebene Reden

zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts: Aufhebung der Sanktionen gegen den Irak (Tagesordnungspunkt 24)

Christoph Moosbauer (SPD):
Wir haben den uns heute vorliegenden Antrag zur Aufhebung der Sanktionen gegen den Irak im vergangenen Jahr hier im Plenum
behandelt - wenn ich mich recht erinnere, sogar auf den Tag genau vor einem Jahr. Seitdem hat sich die internationale Situation, vor allem auch in Bezug auf den Irak, fundamental geändert. Dazu werde ich noch einiges sagen. Einige Argumente sind aber die gleichen geblieben. Damit werde ich beginnen.
Ich habe große Sympathie für die Grundanliegen des Antrages. Es ist unbestreitbar, dass die humanitäre Situation im Irak heute dramatisch schlechter ist als vor zehn Jahren. Und es ist unbestreitbar, dass die Sanktionen der internationalen Gemeinschaft nicht das erreicht haben, was sie wollten: nämlich die Erzwingung der irakischen Kooperation bei der Identifizierung und Unschädlichmachung des irakischen Massenvernichtungspotenzials. Wie im Antrag richtig steht, haben die wirtschaftlichen Sanktionen Saddam Husseins innenpolitische Stellung eher noch gefestigt, indem seine Propaganda für die katastrophalen Auswirkungen seiner brutalen Politik den Feind von außen verantwortlich machen kann. Von Saddam Hussein erwartet man das ja nicht anders; von der PDS hätte ich mir das aber schon differenzierter gewünscht.
Da liegt nämlich der Haken in Ihrem Antrag: Er verwechselt Ursache und Wirkung. Wir müssen zunächst einmal feststellen, dass Lebensmittel und Medikamente vom Sanktionsregime ausdrücklich ausgenommen worden sind. Saddam Hussein verweigert sie seinem Volk aber. Die finanziellen Mittel, die aus dem "Food for Oil"-Programm kommen, liegen auf einem Bankkonto und werden von der irakischen Regierung nicht für die Versorgung der Bevölkerung genutzt. Im Irak müsste niemand hungern, wenn Saddam Hussein das nicht wollte.
Es hat ja im letzten Jahr im Sicherheitsrat die Debatte über die so genannten "smart sanctions" gegeben. Und es wird sie wieder geben, wenn die Verlängerung des Sanktionsregimes wieder auf der Tagesordnung des Sicherheitsrates steht. Saddam Hussein hat schon im letzten Jahr klar gemacht, dass er auch im Falle einer Lockerung der wirtschaftlichen Sanktionen keinesfalls bereit sei, den Vereinten Nationen entgegenzukommen. Das müssen wir in der heutigen Debatte schon auch berücksichtigen.
Sie müssen in so einen Antrag schon auch klar hineinschreiben, wie es denn zu den Sanktionen kam. Das war ja kein spontaner Einfall der westlichen Staatengemeinschaft, sondern des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, nach dem Sie ja sonst auch bei jeder Gelegenheit schreien, und zwar als Reaktion auf den Überfall und die Zerstörung Kuwaits: nachdem der Irak israelische Städte mit Raketen beschossen hat; nachdem der Irak sämtliche kuwaitischen Ölfelder in Brand gesteckt und damit eine der größten Umweltkatastrophen zu verantworten hat. Es gab also durchaus Gründe für die Sanktionen, so ist es ja nicht. Und im Übrigen wären die Sanktionen schon längst weg, wenn Saddam Hussein mit den Vereinten Nationen kooperiert hätte, wie es der Beschluss des UN-Sicherheitsrates vorsieht. Da liegt meines Erachtens der entscheidende Fehler des Antrags und das hätten Sie berücksichtigen sollen:
Das Problem des irakischen Volkes sind nicht die Vereinten Nationen, das Problem des irakischen Volkes heißt Saddam Hussein. Ich finde es schon bezeichnend, dass dieser Name kein einziges Mal in Ihrem Antrag vorkommt. Wenn wir über eine Lösung der Krise in und um den Irak sprechen, dann müssen wir das mit dem Appell an Saddam Hussein verbinden, endlich mit den Vereinten Nationen zu kooperieren: Nur so kann dauerhaft eine Entwicklungsperspektive für das irakische Volk erreicht werden! Wir wissen natürlich, dass ein solcher Appell nur eine recht bescheidene Wirkung in Bagdad zeitigen wird. Aber ich erwarte schon, dass wir hier im Deutschen Bundestag Ross und Reiter nennen!
Aber auch mir ist natürlich klar, dass das Sanktionsregime modifiziert werden muss, da mit einer Kooperation seitens des Iraks im vollen Umfang nicht zu rechnen ist. Sie wissen, dass auch ich dafür bin, die wirtschaftlichen Sanktionen von den militärischen Sanktionen abzukoppeln. Das kann in einem schrittweisen Prozess erfolgen, vergleichbar mit dem, was Sie unter Punkt 5 bei der Reduzierung der Reparationszahlungen fordern. Jeder Schritt zu mehr Kooperation wird belohnt mit einem Entgegenkommen der internationalen Gemeinschaft. Nur, auch hier gilt: Saddam Hussein muss sich zunächst einmal grundsätzlich kooperationsbereit zeigen, dann kann der erste Schritt seitens der internationalen Gemeinschaft gemacht werden. Ein solcher erster Schritt des Iraks könnte etwa die Freilassung der im Golfkrieg verschleppten kuwaitischen Staatsbürger sein. Hunderte davon werden immer noch vermisst, ihre Familien haben keine Nachricht über ihren Verbleib oder ihren Gesundheitszustand. Der Irak zeigt sich hier nicht einmal in Ansätzen kooperativ bei der Aufklärung dieser Schicksale - von der Weigerung der irakischen Staatsführung, mit UNMOVIC zusammenzuarbeiten, ganz zu schweigen.
Wenn wir also über eine Modifizierung des Sanktionsregimes sprechen, müssen wir von einem Prozess sprechen, an dessen Ende die Aufhebung der wirtschaftlichen Sanktionen steht, nicht an dessen Anfang. Ich bin sehr dafür, das abgestimmt mit unseren europäischen Partnern zu machen.
Noch ein Wort zum Zeitpunkt. Ich weiß ja, dass der Antrag schon lange in den Gremien hängt und es außerdem fast nie einen günstigen Zeitpunkt gibt, einen solchen Antrag zu behandeln. Aber wir alle wissen um die Diskussion, dass der Irak relativ hoch oben auf der Liste möglicher Ziele im Antiterrorkampf der USA steht. Bitte verstehen sie mich nicht falsch: Ich bin absolut dagegen, gegen den Irak militärisch vorzugehen. Aber jede Entscheidung, die irgendwie missverstanden werden kann und entweder den Irak ermutigt, ein wenig frecher zu werden oder in den USA den Hang zu einer unilateralen Haltung in der Irakfrage verstärkt, kann am Ende kontraproduktiv sein, vor allem auch für die Grundanliegen des Antrages, die ich, wie schon gesagt, teile.
Aus diesen Gründen - falsche Ursachenanalyse, falsches Vorgehen und falsche Zeit -: Die SPD bleibt beim Votum des Auswärtigen Ausschusses und lehnt den Antrag ab.

Joachim Hörster (CDU/CSU):
Schon bei der ersten Erörterung des PDS-Antrages heute vor genau einem Jahr habe ich darauf hingewiesen, dass die PDS nach der Grundstruktur ihres Antrages nicht dem das irakische Volk gegenwärtig beherrschenden Unrechtsregime, sondern vielmehr den Alliierten des Golfkrieges die Schuld am Elend der irakischen Bevölkerung geben will. Dabei hat sich seit Stellung des PDS-Antrages nichts daran geändert, dass das irakische Regime mit brutaler Gewalt, mit fortdauernden gravierenden Menschenrechtsverletzungen und ohne Rücksichtnahme auf das irakische Volk seine Macht aufrechterhält. Niemand kann und will bestreiten, dass das irakische Volk unter dem auch durch das Embargo verursachten Mangel an Lebensmitteln, Medikamenten und erheblichen Schäden an der Sozialinfrastruktur leidet. Niemand in diesem Hause will dem irakischen Volk schaden, sondern wir wünschen ganz im Gegenteil dem irakischen Volk eine Regierung, die sich für die lebenswichtigen nationalen und internationalen Interessen des Irak einsetzt und nicht den eigenen Machterhalt - mit welchen Mitteln auch immer - zum alleinigen Maßstab ihres Handelns macht. Wenn es um die Aufhebung der Sanktionen geht, so ist festzuhalten, dass die gegenwärtigen Machthaber im Irak eine Bringschuld haben. Dazu kann ich nur wiederholen, was ich schon vor einem Jahr ausgeführt habe:
Da ist zunächst einmal die Frage der Rüstungskontrolle. Gerade wir Deutschen können aus eigener geschichtlicher Erfahrung bestätigen, wie wichtig und notwendig es ist, infolge eines Angriffskrieges die Rüstungsproduktion internationaler Kontrolle zu unterwerfen, dabei verlässlich und vertrauenswürdig zu agieren und so verlorenes Vertrauen in der Nachbarschaft wiederherzustellen. Daran hapert es nach wie vor im Irak. Als Vorsitzender der Parlamentariergruppe für die Beziehungen zu den Arabisch sprechenden Ländern des Nahen Ostens kann ich aus zahlreichen Gesprächen und Kontakten berichten, dass es dem Irak noch nicht gelungen ist, Vertrauen bei seinen Nachbarn wiederzugewinnen. Es sind nicht nur die Zweifel hinsichtlich ausreichender Kooperation im Zusammenhang mit Fragen der Rüs tungskontrolle und der Vernichtung von Waffen- und Massenvernichtungsarsenalen. Es geht auch um die Vermeidung des verbalen Radikalismus und des Aufbaus von Bedrohungsszenarien. Und nicht zuletzt geht es auch um die Frage, ob der Irak sich glaubhaft darum bemüht, das Schicksal und den Verbleib von vermissten kuwaitischen Soldaten und Staatsbürgern - es ist die Rede von bis zu zweitausend Menschen - aufzuklären. Wenn wir daran gehen, etwas für die Abschaffung der Sanktionen zu tun, so kann dies nur funktionieren in Übereinstimmung mit dem arabischen Umfeld. Das Regime in Bagdad wäre zuallererst gut beraten, vertrauensbildende Maßnahmen im Hinblick auf seine direkten Nachbarn zu unternehmen.
Durch viele Kontakte zu Repräsentanten der arabischen Welt weiß ich, dass man mit großer Sorge beobachtet, dass im Irak die gesamte Versorgung am Boden liegt und nicht funktioniert, dass neben der flächendeckenden Verarmung das vollständige Verschwinden des Mittelstandes ins Auge fällt und dass die Jugend des Landes wegen fehlender Bildungsmöglichkeit und der fortdauernden Propaganda sich als Sanktionsopfer Nummer eins begreift und gegenüber der westlichen Welt feindselig eingestellt ist. Man befürchtet Langzeitwirkungen, die man möglichst verhindern sollte.
Dennoch ist es schwierig, von den arabischen Gesprächspartnern Ratschläge oder Empfehlungen zu erhalten, wie das Sanktionsregime geändert werden könnte, um einerseits die Leiden des irakischen Volkes zu mindern ohne andererseits das gegenwärtige Regime zu stärken. Dabei spielt eine nicht unerhebliche Rolle, dass der Irak selbst innerhalb der arabischen Liga nicht bereit war, die Unverletzlichkeit der kuwaitischen Grenzen anzuerkennen und der Sohn Sadam Husseins, der nicht irgendwer ist, noch vor weniger als einem halben Jahr eine Landkarte präsentierte, auf der Kuwait als Teil des Irak dargestellt wurde.
Auch die arabischen Länder erkennen, dass es äußerst schwierig ist, mit einem Regime, das zu keinerlei vertrauensbildender Kooperation bereit ist, Regelungen zu finden, die die irakische Bevölkerung in ihren alltäglichen Grundbedürfnissen nicht tangieren. Zunehmend wird man aber auch von arabischen Gesprächspartnern nachdrücklich darauf hingewiesen, dass es in der arabischen Bevölkerung eine stark wachsende Tendenz gibt, die die Sanktionen gegen den Irak als ungerecht empfindet.
Bei dieser Bewertung spielen vor allem die Vorgänge in Paläs tina und das Verhalten Israels eine zentrale Rolle. Während man es Israel durchgehen lasse, dass es Resolutionen der Vereinten Nationen schlicht ignoriere und bei dem Vorgehen gegen Palästina ständig das Völkerrecht verletze, werde die Verletzung von Entscheidungen der Vereinten Nationen durch den Irak sofort und unnach giebig geahndet. Die internationale Gemeinschaft wende zweierlei Maßstäbe an und billige Arabern weniger Rechte zu als den Israelis.
Ich brauche nicht zu betonen, dass sich dieses Meinungsbild gerade wegen der Vorgänge der letzten Wochen in Palästina dramatisch verstärkt hat. Aber selbst wenn, was wir alle hoffen, der Konflikt zwischen Israel und Palästina befriedet werden kann, ändert dies unseren deutschen Handlungsspielraum gegenüber dem Irak nicht.
Ich wiederhole: Keiner von uns will das irakische Volk leiden sehen, zumal es kaum eine Chance hat, sich dem Würgegriff seiner diktatorischen und menschenverachtenden Regierung zu entziehen. Solange diese Regierung aber selbst ihre aus den Petrodollars erwirtschaftete Finanzkraft nicht ausschließlich für die Bevölkerung einsetzt, ist es sehr schwierig, ein anderes Sanktionssystem, das die Angriffsfähigkeit des Irak gegen andere Staaten in der Region verhindert, zu finden. Deswegen bedarf es
diplomatischer Bemühungen vieler Seiten, um dem im Irak herrschenden Regime klar zu machen, dass ihre Propagandapolitik mit den Leiden des irakischen Volkes nicht der Weg ist, um das Sanktionsregime zu beenden. Es muss dieser Regierung klar gemacht werden, dass der einzige Weg darin besteht, die Aggressionsbereitschaft gegenüber anderen Staaten in der Region aufzugeben, militärisch abzurüsten, sich dabei internationaler Kontrolle zu unterwerfen und auch dem eigenen Volk wieder die Mindeststandards an Menschenrechten einzuräumen.
Der PDS-Antrag war vor einem Jahr und ist auch heute in diesem Sinne alles andere als hilfreich und der Auswärtige Ausschuss und die mitberatenden Ausschüsse empfehlen zu Recht, diesen Antrag abzulehnen. Daher stimmt meine Fraktion der Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu.

Rita Grießhaber (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Die humanitäre Situation im Irak ist katastrophal, die Kindersterblichkeit gestiegen und die Gesundheitsversorgung schlecht. Mangelhaft ist die Versorgung mit Medikamenten, Elektrizität und Wasser. Weil das Bildungssystem zusammengebrochen ist, steigt das Analphabetentum. Auch das humanitäre Programm "Nahrungsmittel gegen Öl" hat die Situation der Bevölkerung nicht verbessert. Saddam Hussein ist innenpolitisch gefestigt aus der Sank tionszeit herausgegangen. Die Sanktionen werden schon seit längerer Zeit von Dritten unterlaufen, hauptsächlich durch den Ölschmuggel.
Schauen wir uns diese Realität an, so müssen wir ganz klar sagen: Diese Sanktionen sind gescheitert! Aber, meine Damen und Herren von der PDS, es ist schlicht irreführend zu behaupten, dass ein Ende des Wirtschaftsembargos auch dem Leiden der irakischen Bevölkerung ein Ende machen würde! Die politische Botschaft auf diese Weise zu vereinfachen ist unredlich!
Warum leidet die Bevölkerung? Die Verantwortung hierfür ist vor allem Saddam Hussein zur Last zu legen: Er hat die Mittel, die dem Irak aus dem Programm "Nahrungsmittel gegen Öl" zur Verfügung stehen, absichtlich nicht ausgeschöpft. Er hat mögliche Leistungen der ira kischen Zivilbevölkerung absichtlich nicht zur Verfügung gestellt und sein eigenes Land bewußt in Geiselhaft genommen.
Das Elend im Irak hat viele Ursachen. Die erste ist der lange Krieg des Irak gegen den Iran, die zweite der Überfall des Irak auf Kuwait und der folgende Golfkrieg und nicht zuletzt der Mißbrauch und die Folge der Sanktionen.
Lassen Sie uns also nicht vergessen, mit wem wir es hier zu tun haben: Saddam Hussein ist bestrebt, Massenvernichtungswaffen herzustellen, und verweigert die Kooperation mit Inspekteuren der Vereinten Nationen. Im Kampf gegen den Iran und irakische Kurden hat Saddam Hussein Giftgas eingesetzt und die Meldungen aus der jüngsten Zeit, dass der Irak in der Lage sei, biologische und chemische Waffen, wenn nicht sogar Atomraketen zu produzieren, bestärken mich in der Haltung, dass es dringend nötig ist, den Irak zur Zusammenarbeit mit den Waffeninspekteuren zu bewegen.
Deshalb begrüße ich den Vorschlag, der schon seit längerem auch unter Franzosen, Briten und den USA Zustimmung findet, die Sanktionen nicht aufzuheben, sondern das Sanktionsregime zu verändern. Was wir brauchen ist eine Politik des "Alles ist erlaubt bis auf Waffen!" anstelle des bisherigen "Alles ist verboten bis auf Nahrungsmittel!". Leider wird dies frühestens nächsten Juni möglich werden. Aber immerhin haben es die Mitglieder des Sicherheitsrates jetzt geschafft, sich auf dieses Vorgehen zu einigen.
Der Sicherheitsrat stellt dem Irak die Aufhebung der Sanktionen in Aussicht, wenn er es endlich zulässt, dass internationale Inspekteure ungehindert nach Massenvernichtungswaffen und Anlagen zu deren Herstellung suchen können. Das ist das richtige Signal an den irakischen Diktator: Wir sind kompromissbereit, aber das Ziel der Non-Proliferation werden wir nicht aufgeben!
Eine Debatte zum Irak ist derzeit aus doppeltem Grund wichtig: Einerseits geht es nach wie vor um die Folgen der Golfkriege, andererseits aber gleichzeitig um den Terrorismus und die internationale Allianz zu dessen Bekämpfung. Eine erste Frucht der Antiterrorallianz war es, dass sich die Sicherheitsratsmitglieder nach drei vergeblichen Anläufen endlich auf einen Fahrplan zur Veränderung des Sanktionsregimes einigen konnten. Jetzt gilt es, diese Anti terrorallianz am Leben zu erhalten! Sie durch einen erneuten Angriff zu gefährden wäre politisch falsch. Deshalb unterstützen wir die Bundesregierung und unsere europäischen Partner bei ihren Bemühungen, die USA davon zu überzeugen, dass sie ihre Drohungen gegen den Irak nicht militärisch umsetzen.
Die Meldungen, die uns in den letzten Wochen und Tagen aus dem oder zum Irak erreicht haben, sind mehr als beunruhigend. Der Ton wird aggressiver. In den USA melden sich immer mehr Falken zu Wort, die den Irak als nächstes Ziel der Vereinigten Staaten im Kampf gegen den Terrorismus sehen. Erst am Mittwoch hat US-Präsident Bush eine amerikanische Militäraktion im Irak als Option bezeichnet. Unterdessen hat Saddam Hussein eine Generalmobilmachung angeordnet. Und der ägyptische Präsident Mubarak warnt, dass ein Angriff auf ein ara bisches Land "schreckliche Folgen für die Region" haben werde.
Diese Gefahr ist uns allen bewusst. Bereits jetzt ist die Situation im Nahen Osten angespannt genug und die Bundesregierung bemüht sich darum, den israelisch-paläs tinensischen Konflikt einzudämmen. Die Auswirkungen einer kriegerischen Auseinandersetzung mit dem Irak wären unkalkulierbar.
Deswegen kann ich auch nicht dem früheren US-Außenminister Kissinger zustimmen, der sich am 20. Januar in der "Welt am Sonntag" für ein rasches militärisches Vorgehen gegen den Irak ausgesprochen hat. Kissingers geopolitischen Gründen werden wir nicht nur menschenrechtliche und humanitäre Argumente entgegenhalten, sondern auch politische Argumente, die nicht nur den Zusammenhalt der Allianz gegen den Terror in den Vordergrund stellen, sondern auch vor dem Zerfall Iraks und den Folgen warnen.
Deutsche ABC-Soldaten sind auf dem Weg nach Kuwait bzw. bereits vor Ort. Dort werden sie an einer internationalen Katastrophenschutzübung mehrerer Staaten teilnehmen. Bei unserer Entscheidung zur Bereitstellung von deutschen Truppen Ende letzten Jahres war uns klar, dass im Kampf gegen den Terror die defensiven Fuchs-Spürpanzer zum Schutz von amerikanischen Einrichtungen von Nutzen sein könnten. Nach Angaben der Bundesregierung handelt es sich nur um eine Übung; der größte Teil der Truppe wird danach wieder nach Deutschland zurückgeholt.
Zurück zu den Sanktionen. Was soll mit Sanktionen erreicht werden? Die Sanktionen sind keine Strafe für die notleidende Bevölkerung. Sie sind die einzige Möglichkeit, Missbilligung gegen das irakische Verhalten auszudrücken und Druck auf das Regime auszuüben. Wo diplomatische Vermittlungsbemühungen nicht weiterkommen und noch keine militärische Gewalt eingesetzt werden soll, sind Sanktionen das einzige politische Mittel, das die internationale Staatengemeinschaft in Händen hat. Sie sendet folgende, faire Botschaft an das irakische Regime: Lasst internationale Waffeninspekteure in euer Land, und die Sanktionen werden beendet! Denn die internationale Gemeinschaft darf eines nicht: das Ziel der Non-Proliferation aufgeben.

Ulrich Irmer (FDP):
Mit der Verhängung von Sanktionen soll - wie auch im Falle des Irak - in der Regel zweierlei erreicht werden: Zum einen soll das betroffene Regime oder Land durch wirtschaftlichen und politischen Druck zu einer Handlung oder Unterlassung veranlasst werden, zum anderen sind Sanktionen per se aber auch ein besonders deutliches Symbol der Missbilligung von politischem Fehlverhalten. Mit der Aufhebung von Sanktionen würde mithin auch anerkannt, dass die Gründe für ihre Verhängung nicht mehr vorliegen. Uns ist noch allen der Eiertanz in Erinnerung, den die Europäische Union auch nach der Vorlage des Gutachtens der drei Weisen bis zur Aussetzung der Sanktionen gegen Österreich aufgeführt hat.
Doch wie sieht die Situation im Irak aus? Zehn Jahre nach der Operation Wüstensturm sitzt Saddam Hussein fester im Sattel als je zuvor. Und sein Regime meldet sich auf internationalem Parkett zurück. Auf dem Saddam International Aerport landen wieder Linienflugzeuge, Botschaften werden in Bagdad wieder eröffnet und der Irak ist wieder zum zweitgrößten Erdölexporteur der Welt avanciert. Statt Medikamente und Nahrungsmittel für sein darbendes Volk zu besorgen, lässt er lieber 11 Milliarden Öldollar ungenutzt auf Depotkonten liegen. Nach UNO-Beobachtungen werden die dank gestiegener Weltmarktpreise enormen Einnahmen aus Ölschmuggel für den Wiederaufbau seiner konventionellen Streitkräfte eingesetzt. Seine Rüstungsindustrie läuft wieder auf Hochtouren, nachdem er es geschafft hat, die UNO-Inspektoren zu vergraulen. Die Mittel hierfür besorgt er sich unter Umgehung des UN-Ölembargos aus illegalen Ölexporten zu Dumpingpreisen. Und während seine Ingenieure die Zielgenauigkeit seiner Mittelstreckenraketen verbessern, ruft er die "arabischen Brüder" zum "Vernichtungsschlag gegen Israel" auf. Der ehemalige UNSCOM-Chef, Richard Butler, schätzt, dass Bagdad nunmehr imstande ist, innerhalb eines Jahres eine Atombombe zu entwickeln. Gleichzeitig weigert sich Saddam Hussein weiterhin, die UNO-Waffeninspektoren ins Land zu lassen.
In jüngster Zeit nutzt Saddam die Krise im Nahost-Friedensprozess, um sich wieder als panarabischer Führer zu präsentieren. Während sein Volk hungert und Krankenhäuser geschlossen werden müssen, ließ Saddam Hussein über 50 Lastwagen mit 1 600 Tonnen Medikamenten und Lebensmitteln auf dem Landweg über Jordanien nach Palästina schaffen. Zehntausende Iraker warten angeblich darauf, in einem israelisch-palästinensischen Krieg an der Seite ihrer arabischen Brüder kämpfen zu dürfen. Überdies kündete er die Bildung einer Kommission an, mit der
100 Millionen Euro an arbeitslose amerikanische Staatsangehörige verteilt werden sollen. Gleichzeitig führt er sein Regime nach innen mit einer derart unerbittlichen Härte, dass sich die UNO-Vollversammlung zur Verabschiedung einer Resolution veranlasst sah, die der Regierung von Saddam Hussein "systematische, weitverbreitete und besonders schwere Verstöße gegen die Menschenrechte und internationales humanitäres Recht" vorwirft.
Wenn es je Anlässe zur Verhängung von Sanktionen gegeben hat, dann sind sie durch dieses Verhalten des Diktators von Bagdad noch eher verstärkt worden.
Es ist unbestritten, dass die Versorgungslage im Lande ausgesprochen prekär ist und die Mehrheit der Bevölkerung vom Lande katastrophale Lebensverhältnisse erdulden muss. Umgekehrt gilt aber auch, dass das "Öl für Nahrungsmittel"-Abkommen in den letzten Jahren zu
einer deutlich spürbaren Verbesserung der Situation beigetragen hat.
Es fragt sich also, was mit der Aufhebung der Sanktionen erreicht werden könnte. Eine erste Maßnahme wäre doch sicherlich, das Programm "Öl für Nahrungsmittel" abzustellen mit der Folge, dass Saddam nunmehr freie Hand hätte, seinem Volk noch weitere Leiden aufzubürden. Er könnte dabei überdies noch auf eine Art Quasilegitimierung durch die Aufhebung der Sanktionen verweisen. Dass es bereits heute - Sanktionen hin, Sanktionen her - nur eines Fingerzeiges des Diktators bedürfte, um die Lebenssituation der Iraker nachhaltig zu entspannen, ist ebenso klar.
Eine nüchterne Analyse der Lage im Irak kommt daher zu dem Ergebnis, dass mit der Aufhebung der Sanktionen die Position des Diktators weiter gestärkt, seinem Volk aber nicht geholfen würde. Im Gegenteil. Es kommt jetzt darauf an, die Sanktionen zu verschärfen, sie zielgerichteter dort einzusetzen, wo sie unmittelbar die Interessen Saddam Husseins beeinträchtigen, und ihre Umsetzung besser zu kontrollieren. Es ist geradezu grotesk, dass die gleiche PDS-Fraktion, die Saddam Hussein noch vor kurzem mit einem Antrag des Völkermordes bezichtigt, nunmehr die Aufhebung der Sanktionen gegen den Irak fordert. Aber derartige politische Akrobatik sind wir ja inzwischen von den "demokratischen Sozialisten" gewöhnt.