Noam Chomsky, Edward S. Herman, Edward Said und Howard Zinn

Ein Aufruf zum Handeln gegen die Sanktionen und den US-Krieg gegen das irakische Volk

Am Ende des Jahres 1998 ließen die Vereinigten Staaten ein weiteres Mal Bomben auf die Bevölkerung des Irak niederregnen. Aber auch nach dem Ende dieses Bombardements geht der US-Krieg gegen das irakische Volk auf dem Wege der harten Wirtschaftssanktionen weiter.

Untersuchungsberichten der UN zufolge wird die US-Politik diesen Monat im Irak 4.500 Kinder unter 5 Jahren töten, genau wie letzten und vorletzten Monat und all die Monate davor zurück bis ins Jahr 1991. Seit dem Ende des Golfkriegs sind Hunderttausende - möglicherweise mehr als eine Million - Iraker als direkte Folge der UN-Sanktionen gegen den Irak, die unmittelbar auf die US-Politik zurückgehen, gestorben.

Das ist keine Außenpolitik - es ist sanktionierter Massenmord, der allmählich die Dimensionen eines Holocaust annimmt. Wenn wir weiter schweigen, tolerieren wir damit einen Völkermord, der im Namen des Friedens im Nahen Osten durchgeführt, einen Massenmord, der in unserem Namen begangen wird.

Es ist an der Zeit, alle Menschen guten Gewissens zum Handeln aufzurufen. Wir haben den Punkt überschritten, wo Schweigen passive Zustimmung ist - wenn ein Verbrechen derartige Dimensionen annimmt, bedeutet Schweigen Mitschuld. Vor uns liegt eine Reihe von Aufgaben.

Zu allererst müssen wir uns organisieren und dieses Thema zu einem vorrangigen Tagesordnungspunkt machen, genau wie sich seinerzeit Amerikaner organisiert haben, um den Krieg in Vietnam zu beenden und um gegen die US-Politik in Mittelamerika und Südafrika zu protestieren. Wir brauchen eine nationale Kampagne zur Aufhebung der Sanktionen.

Mit dieser Arbeit ist bereits begonnen worden, und diese Bemühungen bedürfen unserer Hilfe. Während der letzten Jahre habe einzelne Menschen und Gruppen Medizin und andere Güter unter Bruch der US-Blockade Medizin und andere Güter in den Irak gebracht. Jetzt sind Mitgliedern einer dieser Gruppen, Voices in the Wilderness ("Stimmen in der Wüste"), von der US-Bundesregierung massive Strafen für den "Export gespendeter Güter, unter anderem medizinisches Material und Spielzeug, ohne vorherige besondere Genehmigung" angedroht worden. Unsere Regierung schikaniert eine Friedensgruppe, die sterbenden Kindern Medizin und Spielzeug bringt; wir schulden diesen mutigen Aktivisten unsere Unterstützung.

Eine solche Kampagne hat nichts mit Unterstützung für das Regime Saddam Husseins zu tun. Sich gegen die Sanktionen auszusprechen heißt, das irakische Volk zu unterstützen. Diese Menschen leiden wegen der Handlungsweise sowohl der irakischen als auch der US-Regierung, aber unsere moralische Verantwortung liegt hier in den Vereinigten Staaten; sie besteht darin, der Heuchelei und Unmenschlichkeit unserer Führer entgegenzutreten.

Es hat außerdem in unseren großen Medien ein fast hundertprozentiges Embargo für Nachrichten über die Auswirkungen der Sanktionen gegeben. Das amerikanische Volk hat in seiner großen Mehrheit keine Ahnung davon, welche Untaten in unserem Namen verübt werden. Wir müssen weiterhin auf die Journalisten auf allen Ebenen - von unseren Lokalzeitungen bis hin zum landesweiten Fernsehen - Druck ausüben, damit sie über diese Tragödie berichten. Wir sollten die nationale Presse mit Leserbriefen überschwemmen und Druck auf die Redakteure ausüben, über das Geschehen im Irak zu berichten.

Und uns muß klar sein, daß dies ein langer Kampf werden könnte. Wir sollten Vorbereitungen zur Anwendung aller möglichen Strategien treffen, einschließlich des zivilen Ungehorsams, sobald eine genügende Anzahl von Menschen dazu entschlossen ist. Wahrscheinlich werden direkte Aktionen, die unsere Politiker zum Ablegen moralischer Rechenschaft zwingen, notwendig sein.

Was immer wir sonst tun, wir sollten dieses Thema als Notstandsfall behandeln und es an die Spitze unserer Tagesordnung setzen. Bereits bestehende Gruppen können ihre Arbeit fortsetzen, neue Gruppen werden wahrscheinlich gebildet und nationale Netze geschaffen werden müssen. Es gibt bereits eine gute zentrale Quelle im Internet unter http://leb.net/IAC/.

Wenn wir nicht handeln, wird die Tragödie weitergehen; die Kinder werden weiterhin sterben. Wir müssen an das natürliche Mitgefühl des amerikanischen Volkes appellieren, das reagieren wird, sobald es erst einmal erfährt, was geschieht. Wir müssen daher diesem Thema auf jede uns mögliche Weise nationale Aufmerksamkeit verschaffen. Die einzige Art, an diesem Verbrechen nicht mitschuldig zu werden, besteht darin, alles zu tun, was wir können und viel mehr zu tun als bisher, um die Sanktionen gegen den Irak zu beenden. Dieses Thema muß in jedem Haushalt und auf jedem öffentlichem Forum im gesamten Land diskutiert werden.

8. Januar 1999

Noam Chomsky, Edward S. Herman, Edward Said und Howard Zinn

(dt. Übersetzung Michael Schiffmann)