Streit um Sanktionen und Waffenkontrolle/Innere Opposition kaum sichtbar
Von Karin Leukefeld, (Neues Deutschland 08.03.02)
(s.a. Leserbrief zum Artikel)
Nach mehr als einjähriger Unterbrechung empfing UNO-Generalsekretär Kofi Annan gestern erstmals wieder eine irakische Delegation unter Führung des neuen Außenministers Nadschi Sabri in New York. Es ging um das Ende der Sanktionen. »Nicht verhandelbar«, so Annan, sei die Rückkehr der UNO-Waffenkontrolleure.
Irak hatte die UNO-Inspekteure vor drei Jahren des Landes verwiesen *) und seitdem nicht wieder zugelassen. Bagdad besteht darauf, keine Massenvernichtungswaffen mehr zu besitzen und den Vereinten Nationen dies bereits ausreichend belegt zu haben. Der Generalsekretär der Arabischen Liga, Amr Mussa, hatte Ende Januar der UNO ein Schreiben des irakischen Präsidenten Saddam Hussein überbracht, in dem dieser sich zu »Gesprächen ohne Vorbedingungen« bereit erklärte. Auch jenseits des Streits über die Rückkehr der Waffeninspekteure gibt es ständig Gerangel zwischen der UNO und Irak. So kritisierte Bagdad wiederholt die Sanktions- und Entschädigungskomitees, die beide dem Weltsicherheitsrat angegliedert sind.
Infolge der irakischen Invasion in Kuwait im August 1990 gingen bisher mehr als zwei Millionen Entschädigungsforderungen bei dem Komitee ein. Die UNO akzeptiere zu viele Einzelansprüche, beklagte sich ein Beamter des irakischen Außenministeriums kürzlich gegenüber der chinesischen Nachrichtenagentur Xinhua. Die Vereinbarungen sehen vor, dass Staaten stellvertretend für ihre Bürger Entschädigungszahlungen einklagen können. Insgesamt liegen Forderungen im Gesamtwert von ca. 322 Milliarden US-Dollar vor. Akzeptiert wurden Ansprüche im Wert von 35 Milliarden, wovon nach Angaben des irakischen Außenministeriums 3,67 Milliarden gezahlt wurden. In die Entschädigungsfonds fließen 25 Prozent vom Erlös des Ölverkaufs, der Irak gemäß dem UNO-Programm »Öl für Nahrungsmittel« gestattet ist. 72 Prozent seiner Einnahmen kann Bagdad für Medikamente und Nahrungsmittel ausgeben, mit den restlichen drei Prozent werden die UNO-Aktivitäten in Irak finanziert.
Über alles, was per Bestellung nach Irak geliefert wird, entscheidet das Sanktionskomitee. Regelmäßig gibt es Streit, weil Aufträge durch das Veto der USA oder Großbritanniens blockiert werden. Wie das zuständige UNO-Büro mitteilte, sind derzeit »humanitäre Lieferungen« im Wert von rund 4,6 Milliarden US-Dollar gesperrt. Mit dem Rest (703 Millionen US-Dollar) werden Ersatzteillieferungen für die Instandhaltung der irakischen Ölförderanlagen finanziert. Alle Finanzgeschäfte werden über ein Treuhandkonto in Paris abgewickelt. Die permanente Verzögerung von Lieferungen wirkt sich vor allem negativ auf die Gesundheitsversorgung aus. In einer neuen Statistik des irakischen Gesundheitsministeriums bestätigt sich ein weiteres Mal, dass vor allem Kinder die Leidtragenden des Embargos sind, sie leiden an chronischer Unterernährung und Infektionskrankheiten. Solche Berichte aber werden in der aktuellen Irak-Debatte wenig berücksichtigt.
Während fleißig über einen USA-Angriff spekuliert wird, erfährt man wenig darüber, wie die Leute im Land denken. Gibt es eine organisierte Opposition jenseits der vom Westen vorgeführten? Gehör verschaffen sich vorwiegend jene, die von der autonomen kurdischen Region in Nordirak aus per Internet operieren. Die oppositionelle Irakische Kommunistische Partei etwa betreibt in Suleymania ein Menschenrechtszentrum. Regelmäßig berichtet sie von Gräueltaten des irakischen Systems. Derzeit soll es im ganzen Land zu gewaltsamen Rekrutierungen kommen. Busse würden von irakischen Geheimdienstagenten entführt und die männlichen Insassen verschleppt. Wahrheit oder Propaganda?
Nach zehn Jahren konnte im Februar zum ersten Mal wieder der UNO-Sonderberichterstatter über die Menschenrechtssituation in Irak das Land besuchen. Nach seiner Rückkehr hoffte der zypriotische Diplomat Andreas Mavrommatis auf »konkrete, positive Ergebnisse«. Mavrommatis, der sich mit Ministern, religiösen Führern und Anwälten traf, besuchte auch zwei Gefängnisse. Man habe über »Vermisste und Kriegsgefangene, über Religionsfreiheit und Minderheitenrechte« gesprochen, hieß es. Mavrommatis wird auf der nächsten Sitzung der UNO-Menschenrechtskommission, die im März in Genf beginnt, einen Bericht vorlegen.
Von der schiitischen Opposition im Südirak, im 2. Golfkrieg von den USA zum Aufstand ermuntert und dann allein gelassen, hört man wenig. Alle Erklärungen stammen von Exilbüros in Wien oder London, dem Sitz des indifferenten Oppositionsbündnisses Irakischer Nationalkongress (INC). Teheran, das die schiitische Opposition früher unterstützte, hält sich zurück. Kürzlich vereinbarte man den Austausch von Kriegsgefangenen aus dem 1. Golfkrieg (1980-1988). Im Frühjahr wird nach UNHCR-Vermittlung auch die Rückkehr von rund 3000 der insgesamt 13000 registrierten iranischen kurdischen Flüchtlinge aus Irak erwartet.
Nordirak scheint fest im Griff türkisch-amerikanischer Interessen. Will man einem Bericht der japanischen Tageszeitung »Sankei Shimbun« mit Verweis auf Pentagon-Quellen glauben, sind bereits US-amerikanische Spezialkräfte eingesickert, um die kurdische Opposition für den Sturm auf Bagdad zu trainieren. Seit zwei Jahren befinden sich türkische Militärberater in Erbil, wo sie turkmenische Einheiten ausbilden. Bagdad beschwert sich regelmäßig bei der UNO über Luftangriffe in den »Flugverbotszonen« und »US-amerikanische Spione« in Nordirak; oft gibt es Einreiseverbote für UNO-Mitarbeiter.
Im »Iraq Liberation Act« (Gesetz zur Befreiung Iraks), das 1998 unter der Clinton-Administration verabschiedet wurde, stimmte der US-Kongress dafür, den Irakischen Nationalkongress mit 97 Millionen US-Dollar für Operationen im Lande selbst zu unterstützen. Bagdad betrachtet den INC als »terroristisch«. Doch selbst wenn die UNO wollte, hat sie keine adäquaten Mittel, diese staatlich finanzierte Einmischung der USA in die irakische Oppositionslandschaft zu unterbinden. Wie weit sie schon fortgeschritten ist, zeigt auch die professionelle Präsenz der hier zu Lande bekannten irakischen Opposition im Internet. Da wehen einem in trauter Einheit die Fahne des autonomen Kurdistan weiß, gelb, rot mit gelber Sonne und das US-Banner entgegen. Und sucht man nach aktuellen Informationen aus Nordirak, landet man rasch auf der Internet-Seite der USA-Nachrichtenagentur UPI. Mit dem USA-finanzierten Radiosender »Voice of Iraq« wird die öffentliche Meinung zusätzlich beeinflusst.