"Fokus Irak"

 "Stupide Sanktionen" und
Wasserprobleme an Euphrat und Tigris

Expertentagung zur Situation im Irak

(erschien gekürzt unter dem Titel "Problem Wasser in der jungen Welt v. 30.4.2001)

Hauptproblem Wasser

Wasser, eigentlich Grundstoff des Lebens, bedeutet für die Menschen im Irak Krankheit und Tod. Im Zweistromland herrscht seit mehreren Jahren aufgrund anhaltender Trockenheit Wasserknappheit. Das wenige Naß kann darüber hinaus wegen der zerstörten Infrastruktur nicht ordentlich aufbereitet werden.

Unter dem Titel "Fokus Irak" führte die "Gesellschaft für europäische Außen- und Sicherheitspolitik" am 21. April 2001 zum zweiten Mal ein Expertenkolloquium in Heidelberg durch. Als Referenten waren unter anderem der irakische Hydrologe Dr. Riadh Al-Dabbagh und der frühere außenpolitischer Sprecher der Baath-Partei, Dr. Abd Al-Razzaq Al-Hashimi, sowie der Altorientalist Professor Walter Sommerfeld aus Marburg eingeladen worden.

Professor Al-Dabbagh, Präsident der bereits im 13. Jahrhundert gegründeten Mustansiriyah-Universität in Bagdad, schilderte sehr detailliert die Schäden, die das einst gut ausgebaute Wasserver- und Abwasserentsorgungssystem des Irak nach Krieg und zehnjährigem Embargo genommen hat.

Hätten bis 1990 gut 90 Prozent der Haushalte seines Landes Zugang zu sauberem Trinkwasser gehabt, so seien es nun nur noch knapp die Hälfte. Wobei die zur Verfügung stehende Wassermenge auf 20 Prozent der Vorkriegsmenge geschrumpft sei, so daß es Wasser im Allgemeinen nur noch alle drei bis vier Stunden für drei bis vier Stunden geben würde. Häufig könne nur noch alle zwei Wochen mit minimalen Mengen geduscht werden. Das Wasser, das der Bevölkerung geliefert werden kann, sei zudem von wesentlich schlechterer Qualität als zuvor, da es nicht mehr ausreichend aufbereitet werden könne. So sei es häufig sehr stark bakteriologisch belastet. Viele Menschen müßten auf Flußwasser zurückgreifen, dessen Qualität nicht zuletzt wegen der zerstörten Abwasserentsorgung katastrophal sei. Die Situation bei der Abwasserentsorgung müsse als echtes Umweltdesaster angesehen werden. Dies alles habe zu einer massiven Zunahme entsprechender, auf verseuchtes Wasser basierender Krankheiten wie Cholera, Typhus und Hepatitis geführt, so Al-Dabbagh.

Im Süden käme noch die Verseuchung des Oberflächen- und Grundwassers, wie auch des Bodens mit den großen Mengen von Uran hinzu, die die USA durch den Einsatz von Uranmunition dort verstreut hat. Uran könne heute auch schon in den Pflanzen, d.h. auch in der Nahrung von Mensch und Tier nachgewiesen werden. Aktuell am gefährlichsten sei aber die Kontaminierung des Wassers, da darüber das Uran am leichtesten aufgenommen werden könne.

Ein weiteres Problem der regionalen Wasserversorgung sei das "Südostanatolien Projekt" GAP ("Güneydogu Anadolu Projesi"), das eine Großzahl von Staudämmen an Euphrat und Tigris beinhaltet. Vier Dämme sind bereits fertiggestellt, die den Wasserzufluß der Anrainerstaaten gefährden: Allein die Komplettfüllung des Atatürk-Staudamm würde den Euphrat für ein halbes Jahr trocken legen. Alle Versuche mit Ankara ein Abkommen über die Aufteilung des Wassers der großen Flüsse zu erzielen, seien bisher gescheitert.

Die Türkei will mit dem Wasser große Geschäfte machen – geplant sind u.a. große Pipelines an den Golf zu den kleinen Anrainerstaaten. Die wichtigsten diesbezüglichen Verhandlungen werden allerdings mit Israel geführt, Verhandlungen die auch im Rahmen der strategischen Zusammenarbeit der beiden Staaten gesehen werden müssen. Schon jetzt gehen große Mengen an Trinkwasser per Schiff aus der Türkei nach Israel.

Im Irak selbst herrscht in den letzten Jahren grundsätzlich Wasserknappheit. Da es in den letzen Jahren sehr trocken war, hat besonders der Tigris extrem wenig Wasser. Sie erwarten aufgrund ausreichender Regenfälle in letzter Zeit hier eine deutliche Normalisierung.

Jutta Burghard, die ehemalige Leiterin des Welternährungsprogramms bemerkte hierzu, daß sie bei ihrer Tätigkeit die Erfahrung gemacht hätte, daß die Zahlen der irakischen Stellen keine Propaganda wären, sondern sehr ernst zu nehmen seien. Sie verwies auch darauf, daß in Deutschland der Wiederaufbau durch den Marshallplan gefördert worden war, dem Irak aber sogar untersagt wird, die eigenen Ressourcen zum Wiederaufbau einzusetzen. Sie fragte, ob den der Irak schon daran gedacht hätte, für die Zerstörungen der zivilen Infrastruktur, wie Wasseraufbereitungsanlagen, Klärwerke etc, die ja nach geltendem Völkerrecht Kriegsverbrechen waren, Reparationen einzufordern. Al Hashimi versicherte, daß sie schon bei verschiedenen Stellen versucht hätten, diese Frage zu thematisieren, bisher allerdings erfolglos.

Rüstungskontrollprogramm von den USA sabotiert

Prof. Sommerfeld, Ordinarius für Altorientalistik der Universität Marburg/Lahn und Vorsitzender der Deutsch-Irakischen Gesellschaft, referierte über Hintergründe des Golfkrieges und der politischen Isolierung des Irak sowie die Folgen des UN-Embargos. Er ging dabei auch ausführlich auf die widersprüchliche Politik der UN-Abrüstungskommission für den Irak UNSCOM ein, die seiner Ansicht nach nicht an der irakischen Regierung, sondern an der Obstruktionspolitik der USA scheiterte. Diese hätten kein Interesse an einem Erfolg der Mission und an wirksamer Rüstungskontrolle gehabt.

Im Prinzip wäre das Abrüstungs- und Rüstungskontrollprogramm kurz vor einem erfolgreichen Abschluß gestanden. Der frühere Chef der UNSCOM, Rolf Ekeus habe schon 1994 festgestellt, daß der Irak die Forderung des Sicherheitsrates weitgehend erfüllt hätte. Ekeus, von Haus aus ein echter Diplomat, wurde dann aber abgelöst von dem Rauhbein Richard Butler, einem Mann der USA, und es begann die Zeit der Provokationen, die schließlich zum viertägigen Bombenkrieg der USA und Großbritanniens im Dezember 1998 führten.

Die USA und Butler nahmen der UNO das Heft völlig aus der Hand und verstießen in der Folge mehrfach gegen die Regeln der Überwachungskommission und gegen Völkerrecht. So nutzten die USA in dieser Zeit die UNSCOM zu Spionagezwecken und überschritt Butler mehrfach seine Kompetenzen, so zum Beispiel als er – auf Weisung der USA – UNSCOM im November 1998 aus dem Irak abzog.

Dem viertägigen Bombardement fiel auch das bereits installierte und voll funktionsfähige Videoüberwachungssystem zum Opfer. Auf Kosten des Iraks waren mehr als 500 Installationen an allen Orten, die zur Rüstungsproduktion dienen könnten, angebracht worden, über die eine recht effektive Überwachung möglich gewesen wäre.

Prof. Sommerfeld versuchte die Weigerung des Iraks weiterhin mit UNSCOM zusammenzuarbeiten vor dem gesamten Hintergrund der letzen Jahre verständlich zu machen und faßte die Fakten, wie sie sich aus irakischer Sicht darstellen, noch einmal zusammen: der Irak wäre allen Forderungen, wenn auch nicht gerne, nachgekommen, habe dabei viele Demütigungen hingenommen und es ist dennoch kein Ende der Sanktionen in Sicht, im Gegenteil spricht alles dafür, daß die USA auch in Zukunft nur weitere Vorwände suchen, ihre aggressive Politik gegen den Irak fortsetzen zu können.

Sommerfeld sieht mittlerweile international den Irak auf argumentativer Ebene – aufgrund der vielfältigen und offenkundigen Völkerrechtsverstöße der USA – in einer recht starken Position. Die vom Embargo verursachte humanitäre Katastrophe sei dabei die vernichtendste Kritik an der westlichen Irakpolitik.

Es müsse ein Weg gefunden werden, so Sommerfeld, der der Sicherheit in der Region, wie den berechtigten Interessen des Irak Rechnung trage. Der Westen müsse einsehen, daß er in den letzten zehn Jahren sehr viel mehr Probleme geschaffen habe, als zuvor in der Region existierten und daß sich diese Jahr für Jahr weiter verschärfen. So z.B. wenn der Irak weiter isoliert bleibt und eine weitere Generation ohne Ausbildung und Hoffnung heranwächst und dafür zu Recht den Westen verantwortlich macht.

 

Irak: Ablehnung aller Abkommen, die kein Ende der Sanktionen beinhalten

Dr. Abd Al-Razzaq Al-Hashimi, früher Botschafter seines Landes, unter anderem auch mehrere Jahre in Bonn, sowie langjähriger außenpolitischer Sprecher der Baath-Partei, hob hervor, daß sein Land alle Auflagen des SR erfüllt habe und den UN-Kontrolleuren den ungehinderten Zugang zu allen relevanten Anlagen und deren Überwachung ermöglicht hätte. Wenn es den USA um Rüstungskontrolle gegangen wäre, hätten sie diese haben können. Den USA gehe es aber um die Kontrolle des irakischen Öls und darum, Fördermengen und Ölpreis regulieren zu können.

Selbstverständlich sei der Irak bereit sein Öl zu verkaufen, schließlich könnten sie es ja nicht trinken. Aber sie wollen es sich nicht wieder rauben lassen, wie vor der Nationalisierung in den 70er Jahren. Die USA sollen, wenn sie irakisches Öl haben wollen, dieses auf dem freien Markt kaufen, wie es ja ihrer Ideologie entsprechen würde.

Die neue Resolution des Sicherheitsrats SCR 1284 stelle für sie keine Verbesserung dar, da diese Resolution versuchen würde, die Sanktionen permanent zu machen. Zur gegenwärtigen Debatte über sogenannte "Smart Sanctions" merkte Al Hashimi an, daß die dabei vorgeschlagenen Maßnahmen ebenfalls nur dazu dienen würden, die Strangulierung des Iraks auf unbestimmte Zeit zu verlängern. Interessant wäre an dieser Diskussion allenfalls das Eingeständnis, daß die bisherigen, seit über zehn Jahren andauernden Embargomaßnahmen "Stupid Sanctions" wären.

Scharf kritisierte er auch das Food for Oil-Programm, da von den Gütern, die sie im Rahmen dieses Programm bestellt haben und die von den zuständigen UN-Stellen auch befürwortet wurden, nur ein Bruchteil bisher im Irak eingetroffen ist.

So haben sie bis 22. März des Jahres von Warenbestellungen im Wert von 24.789,83 Millionen US$ insgesamt nur Waren im Wert von 10.291,22 US$ erhalten, das sind 41,5%. Während im Nahrungsmittelbereich mit 64,9% (7.522,10 Mio. von 11.014,6 Mio.) wenigstens knapp zwei Drittel ankamen, waren es im Gesundheitsbereich nur noch 41,3% (991,20 Mio. von 2.401 Mio.) und im Bereich Wasserversorgung und Abwasserentsorgung (nach seinen Worten "eine andere Massenvernichtungswaffe") verschwindende 6,7% (65,72 Mio. von 1060,46 Mio.).

Im Bereich Kommunikation habe zuvor extra ein Expertenteam der UN den Bedarf überprüft und bestätigt. Dennoch hätten sie bisher nur 5,4% (61,2 Mio. von 1.135,05 Mio.) erhielten. Hinzu kommt oft, daß die Lieferungen nur teilweise genehmigt werden und damit die gelieferten Maschinen, Material etc. solange auch nicht genutzt werden können, bis der Rest eintrifft. Auch im Erziehungsbereich liegen die gelieferten Mengen nur bei 9 % für den normalen Schulbereich (46,7 Mio. von 516,9 Mio.) und 12,5% für das höhere Bildungswesen (40,6 Mio. von 389,7). Vollständig blockiert sind z.B. Bereiche wie Reinigungs- und Hygieneartikel. Diese konnten zuvor zum großen Teil Im Irak selbst produziert werden. Nun erhalten sie weder die Rohstoffe noch nennenswerte Mengen Fertigprodukte, wie Seifen, Spülmittel etc.

Zusätzlich sind insgesamt (Stand 22.3.2001) auch Waren im Wert von 3,513 Mrd. US$ "on Hold" oder noch gar nicht geprüft.

Für den Irak kämen keinerlei Abkommen mehr in Frage, die nicht ein Ende der Sanktionen beinhalten, sie hätten sich fast 8 Jahre lang auf ein Spiel eingelassen, bei dem sie nicht gewinnen konnten, und dabei viel investiert und doch nur Zeit verloren. Eine Aufhebung im SR ist ihrer Meinung nach aber, wegen des US-Vetos, auf absehbare Zeit nicht in Sicht

Die US-Politik gegen den Irak, so gab der Bagdader Politiker zu bedenken, sei kein irakisches sondern ein internationales Problem, das alle Länder angehen würde. Letztendlich gehe es darum, inwieweit kleinere Staaten Herr über ihre Ressourcen sein können und wie weit sich ein Staat oder eine Staatengruppe in die innere Angelegenheit eines anderen Landes einmischen darf. Wer definiere, was Menschenrechte sind und wann sie als verletzt gelten und wann nicht; inwieweit wird das Völkerrecht durch die Anwendung von "double Standards" ausgehöhlt.

Immer mehr Staaten würden dies auch so sehe, so Al Hashimi. Diese setzten sich aktiv für ein Ende des Embargos ein und hätten bereits begonnen ihre Maßnahmen zu lockern. Mit einer ganzen Reihe von Ländern, darunter Rußland, Indien und China, wurden bereits Handelsabkommen unterzeichnet, andere haben dies angekündigt und die UNO davon unterrichtet. Die Staaten berufen sich dabei auf Artikel 50 der UN-Charta, der Mitgliedstaaten gestattet, vom Sicherheitsrat angeordnete Maßnahmen auszusetzen, wenn dem Land selbst dadurch schwere Nachteile, etwa wirtschaftliche Schäden, drohen

Auf entsprechende Fragen antwortete er, daß auch seiner Meinung nach sich der Irak mehr nach außen öffnen und mehr Besucher ohne größere Behinderungen ins Land lassen sollte. Aber es müßte auch gesehen werden, daß der Irak ein Land im Krieg sei, ständigen Luftangriffen ausgesetzt, die auch eine Gefahr für die Sicherheit von Besuchern wären und mit der ständigen Infiltrationen bewaffneter Kräfte über die Grenzen konfrontiert, die im Land Bombenanschläge und andere Sabotageakte durchführen würden.

Joachim Guilliard,

Heidelberg, 24. April 2001