In Wien finden Gespräche zwischen dem Irak und den Vereinten Nationen statt. Kofi Annan schaltet sich persönlich ein
Von Karin Leukefeld , 4. Juli 2002
Am 4. Juli 2002 beginnt in Wien die dritte Gesprächsrunde zwischen der UNO und Irak über die Rückkehr der Waffeninspektoren und das Sanktionsregime. Bereits am 7. März und am 1. Mai waren beide Seiten in New York zusammengekommen. Wien wurde als Tagungsort gewählt, weil die USA einigen irakischen Teilnehmern die Einreise nach New York, den Hauptsitz der Vereinten Nationen, verweigern. Doch Wien ist auch Sitz der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA). Zusammen mit UNMOVIC, der neu gebildeten UNO-Kontrollkommission zur Überwachung der gegen Irak verhängten Abrüstungsauflagen im Bereich Massenvernichtungswaffen und Raketen, prüft die IAEA Lieferungen im Rahmen des Programms "Öl für Nahrungsmittel" auf deren mögliche militärische Nutzung hin. Danach geht es weiter wie gehabt: Das Sanktionskomitee 661 beim UNO-Sicherheitsrat gibt die formale Zustimmung oder auch nicht, die Aufträge werden noch diverse Male hin und her geschickt, bis schließlich die UNO das irakische Ölgeld vom Sperrkonto freigibt. Das Büro für das Irakprogramm (OIP) erklärte kürzlich, dass 2.152 Verträge im Wert von 5,3 Milliarden US-Dollar auf der Stoppliste des Sanktionskomitees stünden. Davon seien 1.474 Verträge im Wert von 4,5 Milliarden US-Dollar für humanitäre Güter, der Rest betreffe Ersatzteile und Material für die Ölindustrie. Für die lange Stoppliste sind die USA und Großbritannien verantwortlich.
Kritiker des neuen Sanktionsregimes wie der ehemalige Leiter des Humanitären UNO-Programms in Irak, Hans Graf von Sponeck befürchten, dass sich an deren Verzögerungsstrategie auch zukünftig nichts ändern wird. Die beiden Staaten entscheiden praktisch allein im Komitee 661. Die Vertreter der zehn wechselnden Mitglieder im Sicherheitsrat sind frustriert. Manche, so heißt es, gingen zu den Sitzungen gar nicht mehr hin. Selbst Frankreich als ständiges Mitglied im Sicherheitsrat scheint isoliert. Das zeigte sich vor wenigen Tagen, als die Diskussion über den französischen Vorschlag zur Lösung der umstrittenen Ölpreispolitik erst einmal vertagt wurde.
Im Oktober setzten die USA und Großbritannien durch, dass der Preis für irakisches Öl vom Sanktionskomitee im Nachhinein festgelegt werden solle. Das verunsichert die Käufer und hat zu einem dramatischen Exportrückgang geführt. Der Irak soll so gezwungen werden, eine Gebühr von 50 Cent pro Barrel Öl zurückzunehmen, die von den Käufern bisher direkt an Irak gezahlt wurden. Die UNO-Sanktionen untersagen es dem Land jedoch, Geld direkt einzunehmen.
Auf seiten der Vereinten Nationen sind neben Generalsekretär Kofi Annan der Leiter der IAEA, Mohammed El Baradei, sowie Hans Blix, Leiter von UNMOVIC, vertreten. Auch Rechtsberater Hans Corell und Botschafter Yuli Vorontsov gehören zur UN-Delegation. Vorontsov befaßt sich mit den Forderungen von Kuwait an den Irak. Seine Teilnahme könnte bedeuten, daß über die Rückkehr von kuwaitischen Kriegsgefangenen aus dem Irak sowie die Rückgabe des kuwaitischen Nationalarchivs gesprochen wird. Irak hat sich in beiden Fragen verhandlungsbereit gezeigt. Wer neben Außenminister Naji Sabri und dem UN-Botschafter Mohammad Al-Douri auf irakischer Seite teilnehmen wird, war im Vorfeld nicht bekannt.
Die Beziehungen zwischen Irak und der UNO sind angespannt. Generalsekretär Kofi Annan hat deutlich gemacht, dass es ohne eine Rückkehr der UNO-Waffenkontrolleure nach Irak kein Weiterkommen in der Sanktionsfrage gibt. Eine Vereinbarung über die Kontrolle irakischer Militäranlagen sei nicht ausgeschlossen, so der Beauftragte Iraks in Moskau, Dr. Ahmad Jawad, gegenüber Itar-Tass. Und sei es nur, "um die Behauptung der Amerikaner, der Irak besitze Massenvernichtungswaffen, Lügen zu strafen". Grundlage müsse jedoch internationales Recht sein und nicht die "Begehrlichkeiten einzelner Staaten". Die Waffeninspektoren, die bereits Hunderte von Einrichtungen im Irak untersuchten, hatten im Dezember 1998 den Irak überstürzt verlassen. Im Anschluß begannen die USA und Großbritannien mit viertägigen Luftangriffen auf Bagdad. Seitdem verweigert der Irak ihnen die Wiedereinreise. Irak weigert sich bisher, Waffenkontrolleure wieder ins Land zu lassen. Nach deren Abzug 1998 war bekannt geworden, dass eine Reihe dieser "Kontrolleure" erwiesenermaßen für die USA und Israel spioniert hatten. In Bagdad will man nun eine Garantie, daß sich in neuen Inspektorenteams keine Spione befinden. Offenbar seien die hochqualifizierten Inspektoren gar nicht befugt gewesen, einen positiven Abschlußbericht zu verfassen, vermutet der frühere irakische Botschafter in Bonn, Dr. Al-Hashimi.
Der Irak will sich bei den Wiener Gesprächen nicht auf den vorgegebenen Komplex beschränken. Das betonte UN-Botschafter Al-Douri, der Journalisten in New York drei weitere Themen nannte: die sofortige Aufhebung der Sanktionen und der "Flugverbotszonen" im Nord- und Südirak sowie die Schaffung einer atomwaffenfreien Zone im Mittleren Osten. Die einzig bekannte Atommacht in der arabischen Region ist Israel. Außerdem erwarte Bagdad Antworten auf einen Fragenkatalog, der im März Kofi Annan überreicht wurde, so Al-Douri. Unter anderem sollen sich die Vereinten Nationen zu den US-Drohungen gegen den irakischen Präsidenten Saddam Hussein äußern. Kofi Annan ist vom Sicherheitsrat allerdings nicht autorisiert, über diese Fragen mit der irakischen Delegation zu verhandeln. Der Fragenkatalog sei an den Sicherheitsrat weiter geleitet worden, hieß es, doch gebe es bisher noch keine Antwort.
Für Irak sind die "Flugverbotszonen" im Norden und Süden des Landes ein Bruch internationalen Rechts. In einem Schreiben an die UN, das auch der japanischen Nachrichtenagentur Kyodo zuging, kritisierte der irakische Außenminister vor wenigen Tagen in scharfen Worten die "Flugverbotszonen". Überflüge von Kampfjets hätten erheblich zugenommen und seien ein "klarer Ausdruck permanenten staatlichen Terrorismus". Seit 1991 kontrollieren USA- und britische Jets weite Teile des irakischen Luftraums. Eine UNO-Resolution dafür gibt es nicht. Seit die Iraker vor drei Jahren begannen, die Jets mit Radar zu erfassen und gelegentlich auch Luftabwehr einzusetzen, kommt es häufig zu Bombardierungen. Irakischen Angaben zufolge wurden bei solchen Angriffen bisher 1.481 Menschen getötet und 1.376 verwundet.
In Wien wird Irak versuchen, die Zulassung von Waffenkontrolleuren mit der Zusage zu einem konkreten Ende der Sanktionen zu verknüpfen. Der Irak, so sein Außenminister, werde weiterhin sein "legitimes Recht auf Selbstverteidigung" in Anspruch nehmen. Dennoch hofft Sabri auf eine umfassende Vereinbarung bei den Wiener Gesprächen. Allerdings müsse diese mit der "vollständigen und bestimmten Aufhebung des unmoralischen und kriminellen Embargos" beginnen, sagte er. "Teillösungen" werde man nicht akzeptieren.
Um Waffenkontrolle aber geht es nicht wirklich. Auf den Fluren im New Yorker UNO-Hauptquartier ist es ein offenes Geheimnis, dass die USA und Großbritannien so lange an den Sanktionen festhalten, so lange Saddam Hussein irakischer Präsident ist. Am 15. Oktober werden die Iraker in einem Referendum darüber abstimmen, ob Saddam Hussein weitere sieben Jahre im Amt bleiben soll. Beim ersten Referendum dieser Art 1995 hatten offiziellen Angaben zufolge 99,96 Prozent für Hussein gestimmt.
Obigen Text haben wir im wesentlichen aus zwei Artikeln zusammengestellt, die am 4. Juli im "Neuen Deutschland" und in der "jungen Welt" erschienen sind.
Quelle: Kasseler Friedensratschlag: http://www.friedensratschlag.de