FREITAG - 31. März 2000

Dokumentation

Smart Sanctions

 

REPORT AUS LONDON*Lassen sich Sanktionen so gestalten, dass sie Wirkung zeigen, ohne Unschuldige zu treffen?

Sanktionen töten, nur langsamer und im schlimmsten Fall auch furchtbarer als Kriege. So jedenfalls die Wirklichkeit im Irak, wie sie Hans Graf Sponeck, der mit diplomatischem Paukenschlag zurückgetretene UN-Koordinator für humanitäre Hilfe, zum Auftakt der Freitags-Debatte beschrieb. Muss das so sein? Taugt das oft letzte Mittel nicht-militärischer Konfliktintervention wirklich nichts? Oder wird es nur falsch angewandt? Der Streit darüber geht seit Jahren, und das vermeintliche Patentrezept hat einen Namen: Intelligente Sanktionen oder: Smart Sanctions. Sanktionen also, die Entscheidungsträger dort treffen, wo es weh tut, Unschuldige schonen und am Ende zum gewünschten Ergebnis führen. Eine Illusion? Oder ein schwieriger Königsweg? Der für Entwicklungshilfe zuständige Ausschuss des britischen Unterhauses hat im Januar einen Bericht über "Die Zukunft von Sanktionen"* veröffentlicht, den wir an dieser Stelle auszugsweise referieren. Er gibt den Stand der Debatte um "intelligente Sanktionen" nicht vollständig wieder. Aber er beschreibt sehr gut, wo die Vorteile und Fallstricke eines effektiven nicht-militärischen Sanktionsregimes liegen können.(tow, Redaktion)

Sanktionen erscheinen als legitimes Instrument zur Durchsetzung des Völkerrechts und als vergleichsweise billige Alternative zum Krieg, mit der nationale Regierungen ihren Wählern den Eindruck vermitteln, auf Krisen aktiv reagieren zu können. Diesen Vorteilen stehen humanitäre und entwicklungspolitische "Nebenwirkungen" von Sanktionen gegenüber: (1) Sanktionen treffen oft die Falschen, nicht das Regime sondern die Bevölkerung. (2) Sie verstärken innenpolitische Repressionen und unterminieren alternative politische Kräfte. (3) Sanktionen fördern Schwarzmärkte, Schmuggel und organisierte Kriminalität, (4) sie können zum ungewollten Schulterschluss mit den Herrschenden führen, (5) indirekt betroffene Nachbarstaaten destabilisieren und sie laden (6) das betroffene Regime zur Manipulation humanitärer Hilfe ein.

Am weitreichendsten und in ihrer Wirkung am problematischsten sind "umfassende Wirtschaftssanktionen" und "regionale Sanktionen". In beiden Fällen ist die Gefahr von Zielkonflikten zwischen Friedenssicherung, Menschenrechten und dem Recht auf ökonomische Entwicklung besonders groß.

Es ist unstrittig, dass die humanitäre und entwicklungspolitische Lage Iraks sich seit Beginn der Sanktionen drastisch verschlechtert hat. Saddam Husseins Herrschaftselite dagegen ist in ihrer privilegierten Existenz nicht betroffen. Der ursprüngliche Grund für die Sanktionen war der verantwortungslose und inhumane Machtgebrauch Saddam Husseins gegenüber seinem eigenen Volk, den Nachbarn und dem internationalen Recht. Die Staatengemeinschaft kann nicht einerseits dieses Verhalten Saddams verurteilen und sich gleichzeitig beschweren, dass er keine humanitäre Hilfe zur Milderung der Sanktionswirkungen zulässt. Was anderes war von ihm zu erwarten? Ein Sanktionsregime, das auf den guten Willen Saddam Husseins setzt, ist von Grund auf verfehlt.

Was immer die ursprüngliche Intention der Sanktionen war: Jetzt muss es darum gehen, Wege aus der Sackgasse zu finden, ohne Saddam Hussein und seiner Clique Beistand zu leisten. Jeder Schritt weg von den umfassenden Sanktionen muss darauf gerichtet sein, die wahren Verursacher, das heißt, die irakische Führung und nicht das Volk zu treffen.

Darüber hinaus ist es schwer vorstellbar, dass die UN erneut umfassende Wirtschaftssanktionen gegenüber einem Staat verhängen. Selbst wenn humanitäre Hilfslieferungen gut geplant sind, so bleibt die Tatsache, dass umfassende Wirtschaftssanktionen nur die Macht der herrschenden Elite stärken.

Das Hauptproblem regionaler Sanktionen besteht darin, dass die darin involvierten Staaten oft nicht den Willen und die Fähigkeit haben, humanitäre Ausnahmen zu gestatten und humanitäre Hilfe zu gewährleisten. Das trifft vor allem für Entwicklungsländer zu. Gleichzeitig droht die Gefahr, dass regionale Sanktionsregimes zunehmen werden, weil der UN-Mechanismus gerade in der Dritten Welt zu langsam und zu schwerfällig auf Krisen reagiert. Zu intelligenten Sanktionen, die nur auf bestimmte Güter und Gruppen zielen, sind Entwicklungsländer aus logistischen und Kapazitätsgründen oft nicht in der Lage. Deshalb haben die Vereinten Nationen die Pflicht, regionale Sanktionsregimes zu überwachen und dafür zu sorgen, dass der betroffenen Bevölkerung humanitäre Güter und Dienstleistungen nicht versagt werden.

Intelligente Sanktionen

Es gibt zwei Wege für intelligente Sanktionen: Entweder man erhöht die Effektivität der Sanktionen und konzentriert sie auf Herrschaftseliten und deren Unterstützer. Oder man reduziert ihre "Nebenwirkungen" auf die Zivilbevölkerung durch verbesserte humanitäre Hilfe. Beide Wege haben dasselbe Ziel: Sanktionen sollen so effektiv wie möglich sein und gleichzeitig nur geringen humanitären Schaden anrichten.

Ziel solcher Sanktionen ist es, anstelle totaler Import- oder Exportverbote bestimmte Güter oder Personen ins Visier zu nehmen. Beispiele dafür sind:

  • Reiseverbot für politisches, ziviles oder militärisches Regierungspersonal, es sei denn mit Genehmigung des UN-Sicherheitsrates;
  • Einfrieren von Auslandskonten der Führung und ihrer Familienmitglieder;
  • Stornierung aller Ausbildungsprogramme für die Führungselite des betreffenden Staates;
  • Totales Waffenembargo;
  • Flugverbotszonen;
  • Verbot aller ausländischen Investitionen in dem betreffenden Land, mit Ausnahme solcher, die der UN-Sicherheitsrat beschließt;
  • Anrufung des Internationalen Gerichtshofes und Einberufung eines Internationalen UN-Tribunals bei gravierenden Menschenrechtsverletzungen.

Finanzielle Sanktionen

Finanzielle Sanktionen, etwa das Einfrieren von Guthaben und die Blockierung finanzieller Transaktionen, könnten ein effektives Beispiel für intelligente Sanktionen sein, die lediglich verantwortliche Herrschaftseliten treffen und Zivilbevölkerung schonen. Ihre Wirkung wurde bisher jedoch kaum getestet. Bis heute bleiben die Finanzguthaben der politischen Elite eines betroffenen Landes von der UNO meist unangetastet. Auch gegen einzelne Führer haben die UN nur sehr selten finanzielle Sanktionen verhängt. Die persönlichen Guthaben von Milosevic oder Saddam Hussein sind bis heute unberührt.

Die Vorteile finanzieller Sanktionen liegen auf der Hand: Sie treffen das Regime, nicht das Volk. Sie vermeiden die humanitären und sozialen Folgen eines umfassenden Handelsembargos und machen es dem betroffenen Regime so viel schwieriger, einen innenpolitischen Schulterschluss mit der eigenen Bevölkerung zu erzwingen oder internationalen Widerstand gegen die Sanktionen zu organisieren. Sie reduzieren die mittelbaren Kosten in Nachbarstaaten und verhindern, dass sich eine kriminelle Elite an den Embargobedingungen bereichert.

Praktisch steht dem jedoch eine Reihe von Hindernissen entgegen, weil diese Art von Sanktionen verlangt, nicht nur Finanzströme in und aus dem betroffenen Land zu kontrollieren, sondern ebenso Guthaben an anderen Orten der Welt. Dazu wiederum ist vor allem genaue Information nötig - (a) über den betroffenen Personenkreis inklusive möglicher Mittelsmänner und (b) über die diversen Möglichkeiten, Guthaben zu verstecken. Zu solcher Art von Informationsbeschaffung ist bisher nur das US Office of Foreign Assets Control in der Lage. Das UN-Sekretariat dagegen verfügt über keine entsprechenden Erfahrungen oder Kapazitäten, um derartige Informationen zu sammeln. Sollen finanzielle Sanktionen jedoch Erfolg haben, braucht es eine zentrale Informationsstelle, und die kann nur unter der Ägide der UN entstehen. Als mindestens ebenso großes Problem erweist sich, dass nur wenige UN-Mitgliedsstaaten über eine nationale Gesetzgebung verfügen, die es ermöglicht, ein finanzielles Sanktionsregime umzusetzen.

Doch selbst wenn diese Hindernisse beseitigt wären, bleibt, dass finanzielle Sanktionen nur im Konzert mit anderen intelligenten Sanktionen wie einem Waffenembargo oder Visa- und Reisebeschränkungen für Mitglieder der herrschenden Gruppierungen den gewünschten Effekt haben werden. Und auch das nur, wenn der Sanktionsmechanismus in eine Gesamtstrategie eingebettet ist, die auf politische Veränderungen in dem betroffenen Land abzielt.

Jedes Waffenembargo produziert - analog zu anderen Handelsembargos - seine Schlupflöcher. Die völlig zu schließen, wird auch in Zukunft unmöglich sein. Der Punkt ist hier jedoch der Preis. Embargogüter verteuern sich, je strikter das Embargo befolgt wird und reduzieren so die Handlungsfähigkeit der mit Sanktionen belegten Personen beziehungsweise Personengruppen.

Eine Ursache für den Misserfolg von Sanktionen liegt im mangelhaften Sanktionsregime der UN. Für jedes Embargo setzt der UN-Sicherheitsrat ein Sanktionskomitee ein, das sich aus Vertretern der 15 Sicherheitsratsmitglieder zusammensetzt. Viele dieser Sanktionskomitees arbeiten jedoch höchst ineffizient. Ihnen fehlen oft die Mittel und die Erfahrung, ein Sanktionsregime zu überwachen.

Das Einstellen von Entwicklungshilfe ist zwar per se keine Sanktion, wirkt aber gerade in den ärmsten Ländern der Erde oft viel härter und stärker als Sanktionen. Obwohl solch ein Schritt bei der Bevölkerung von Geberländern sehr populär ist, bleibt er von zweifelhafter Wirkung, weil dadurch in vielen Fällen die Unterschichten für das Fehlverhalten ihrer Regierungen bestraft werden. Deshalb muss im Einzelfall genau geprüft werden, ob und welche Art von Entwicklungshilfe entzogen wird. Entwicklungshilfe kann aber auch strategisch als "Zuckerbrot" eingesetzt werden, um beispielsweise die Einhaltung von Menschenrechten oder eine bessere Regierungspolitik zu ermutigen.

Humanitäre Hilfe

Humanitäre Hilfe ist das zweite Standbein intelligenter Sanktionen. Alle zur Zeit wirksamen Sanktionsregimes enthalten Ausnahmeregelungen zur Lieferung humanitärer Waren und Dienstleistungen. Dabei entstehen oft Unklarheiten, was humanitäre Güter sind, in welchem Umfang und von wem sie verteilt werden und wie mit Waren zu verfahren ist, die sowohl zivil als auch militärisch genutzt werden können.

Zwischen Entwicklungshilfe und humanitärer Hilfe gibt es jedoch klare Unterschiede. Während es akzeptabel sein kann, bestimmten Regimes Entwicklungshilfe zu verweigern, muss humanitäre Hilfe im Bedarfsfall auch dorthin gelangen. Wenn beispielsweise als humanitäre Hilfe ausgewiesene Energielieferungen im Rahmen des "Öl für Demokratie"-Programms der EU in Ex-Jugoslawien nur an solche Gemeinden gelangen sollen, die von der Milosevic-Opposition regiert werden, verletzt das den unparteilichen und neutralen Charakter humanitärer Hilfe.

Wird die Grenze zwischen Entwicklungs- und humanitärer Hilfe zu eng gezogen, kommt dies einem Embargo für humanitäre Hilfe gleich. Ebenso schädlich kann es aber auch sein, ein Land mit humanitären Hilfslieferungen zu überschütten, weil dadurch die lokale Produktion von - beispielsweise - Lebensmitteln einer zerstörerischen Konkurrenz ausgesetzt wird. Deshalb ist es unerlässlich, dass Sanktionsregime die ökonomischen Verhältnisse vor Ort genau im Blick haben und so flexibel gestaltet sind, dass sie auf unvorhergesehene Konsequenzen schnell reagieren können.

Ausstiegs-Strategien

Ein weiteres gravierendes Problem sind die humanitären und entwicklungspolitischen Langzeitwirkungen von Sanktionen. Diese können - vor allem in Entwicklungsländern - genau so gravierend sein wie die von Naturkatastrophen oder Kriegen. Deshalb ist es unerlässlich, dass (a) die humanitären Konsequenzen von Sanktionen durch die UN genau beobachtet und eingeschätzt werden - und (b) sich die internationale Gemeinschaft schon bei Beginn eines Sanktionsregimes darüber Gedanken macht, welche Zukunft die Menschen des betroffenen Landes nach dem Ende der Sanktionen haben können. Auf jeden Fall sollte es eine koordinierte Wiederaufbaustrategie geben.

Bisher ist es so, dass Sanktionen so lange in Kraft bleiben, bis die Entscheidung fällt, sie aufzuheben. Das gibt einzelnen Staaten de facto ein Vetorecht. Statt dessen sollte es klare Kriterien und einen klaren Zeitrahmen geben, wann und zu welchen Konditionen Sanktionen wieder aufgehoben werden. So könnte auch verhindert werden, dass den UN-Mitgliedstaaten die ungewollten Opfer eines Sanktionsregimes wie im Falle Iraks aus dem Blickfeld geraten.

* House of Commons, International Development Committee, Second Report: "The Future of Sanctions" 10 February 2000; HC 67 ISBN 0 10 2101000

Smart Sanctions im Web:
www.publications.parliament.uk/pa/cm/cmintdev.htm
www.bicc.de/info/public.html
www.smartsanctions.ch

   
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