UN-Entscheidung kritisiert

Experten monieren Verlängerung der Irak-Sanktionen. Bagdad fordert komplette Aufhebung

Karin Leukefeld / Rüdiger Göbel
 junge Welt vom 17.05.2002

Die »Koalition für einen demokratischen Irak (KDI)« feiert die Aufhebung der »bisherigen Irak-Sanktionen«. Am Mittwoch teilte die exilirakische Gruppe um Hans Branscheidt via Internet mit, man berate und plane jetzt »in kritischen Gesprächen mit den Vereinigten Staaten« die »eigenen Optionen«. Jonathan Stevenson, Koordinator der britischen Aktionsgruppe »Kampagne gegen die Sanktionen im Irak« (CASI - www.casi.org.uk) ist da realistischer. Er nennt die Neuregelung der »smart sanctions« eine »Fata Morgana«.

Der UN-Sicherheitsrat hatte am Dienstag nach zweimaliger Verschiebung einstimmig beschlossen, mit einem neuen System die »intelligenten Sanktionen« gegen den Irak ab 30. Mai um 180 Tage zu verlängern. Die ungewöhnliche Einigkeit war Beobachtern zufolge unter anderem dadurch zustande gekommen, daß die USA sowohl Rußland als auch China die Freigabe von Millionenverträgen zugesagt hatten, die sie bisher im UN-Sicherheitsrat blockieren.

Bei der Resolution 1409 handele sich um einen »Propagandasieg der USA«, so Stevenson von CASI. Nach wie vor dürfe die irakische Regierung nicht über Bargeld verfügen und könne somit staatlichen Angestellten, Lehrern, Professoren oder Krankenhauspersonal keinen angemessenen Lohn zahlen. Das Geld, das der Irak an Einkommen auszahlt, hat nur symbolischen Wert und entspricht keinem real vorhandenen staatlichen Budget. Die Inflationsrate beträgt rund 6000 Prozent. 1990 erhielt man für einen irakischen Dinar im Gegenzug drei US-Dollar. Heute bekommt man für einen US-Dollar in Bagdad 2000 Dinar. Die Menschen im Irak brauchen endlich »ein Einkommen«, forderte Stevenson. Er warf den Vereinten Nationen vor, die irakische Bevölkerung zur »Verhandlungsmasse« in der politischen Auseinandersetzung zwischen den USA und der irakischen Regierung zu machen.

Auch Hans von Sponeck, bis März 2000 Leiter des UN-Hilfsprogramms »Öl für Lebensmittel« im Irak, warnte im Gespräch mit junge Welt davor, jetzt von einer »Lockerung« oder gar einem »Ende« der Sanktionen zu sprechen. Natürlich sei jede kleinste Verbesserung für die irakische Bevölkerung zu begrüßen, doch die jüngste Entschließung des Sicherheitsrates laufe auf eine Fortführung des Embargos hinaus, monierte der deutsche UN-Diplomat. Nach wie vor seien Investitionen untersagt und Bagdad dürfe auch in Zukunft nicht frei über sein Kapital verfügen.

Die irakische Führung kritisierte am Donnerstag, der Weltsicherheitsrat habe sich dem Druck der USA gebeugt. Wohl oder übel werde Irak mit der Neuregelung der Sanktionen »umgehen«, sagte Informationsminister Mohammed Said el Sahaf .

Die Iraker werden mithin weiter mangels Einkommen von den Rationen des Welternährungsprogramms leben müssen. Das ist für ein reiches Land wie den Irak nicht nur entwürdigend, sondern bedeutet extreme Abhängigkeit. Durch den angedrohten US-Krieg oder nationalen Notstand kann die Verteilung jederzeit unterbrochen werden. Davor warnt der Koordinator von UNICEF Irak, Carel de Rooy. Bereits im Februar wies er darauf hin, daß die »alptraumartigen Szenarien« eines Militärschlags gegen den Irak »ungewollt oder gewollt« zu einer Unterbrechung der Lebensmittelverteilung an die irakische Bevölkerung führen können. »Seit dem 11. September sind die Preise der einzelnen Posten im Lebensmittelkorb drastisch angestiegen.« Die ersten Opfer einer Lebensmittelunterbrechung wären »die schwangeren und stillenden Frauen sowie Kleinkinder« .

Bereits vor der Entscheidung über die »smart sanctions« hatte der Irak vorgeschlagen, die nächste Gesprächsrunde mit den Vereinten Nationen in Wien abzuhalten. Als Grund wurden Visaprobleme mit den USA genannt. Wien ist allerdings auch Sitz der Internationalen Atomenergiebehörde, IAEA, die zukünftig eine wichtige Rolle spielen wird. Auf der Tagesordnung für die nächsten Unterredungen steht auch eine eventuelle Rückkehr des UN-Waffeninspektionsteams. Beim letzten Treffen Anfang Mai befanden sich bereits Abrüstungsexperten in der irakischen Delegation. Die Iraker wollen allerdings auch wissen, wie sich die Rückkehr der Inspektoren mit der US-Drohung, Saddam Hussein zu stürzen und den anhaltenden Bombardierungen der »no-flight-zones« vereinbaren lassen.

 
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