Die Frage der Wiederaufnahme von Waffenkontrollen durch den Irak ist im Zusammenhang mit der internationalen Auseinandersetzung um den von den USA vorbereiteten Krieg gegen das Land zentral. Es lohnt daher ein Blick zurück auf die erste Sonderkommission UNSCOM zu werfen.
Deirdre Sinnott
Die permanente Sanktionsmaschinerie – Was verbirgt sich hinter UNSCOM? *)
Es war Ende Oktober 1997. Die Spannungen waren gewachsen, da die USA den Irak mit einer anhaltenden Bombenkampagne bedrohten. In einer Woche sollte ich mit einer Delegation vom "International Action Center" in den Irak reisen. Unser Flug sollte am 2. November stattfinden.
Auslöser der Krise war der Versuch der USA, im UN-Sicherheitsrat ein Ausreiseverbot für einige irakische Offizielle aus ihrem Land durchzusetzen. Der Irak reagierte mit dem Ausschluß der bei der United Nations Special Commission (UNSCOM) arbeitenden US-Waffeninspekteure von der Teilnahme an weiteren Inspektionen. Es war zu einer Pattsituation gekommen. Damals sah es so aus, als würde es wahrscheinlich eine neue Bombenkampagne der Vereinigten Staaten geben.
Warum sollte der Ausschluß einiger Inspekteure eines einzelnen Landes Bomben und Tod nach sich ziehen? Wie kommt es, daß die UNSCOM, die Inspekteure und die Inspektionen auch im Mittelpunkt der Krise im Februar 1998 standen? Wer steht hinter der UNSCOM und was ist ihr tatsächlicher Auftrag im Irak?
Die UNSCOM wurde durch die Sicherheitsratsresolution 687 vom 3. April 1991 ins Leben gerufen. Resolution 687 ist das Waffenstillstandsabkommen, mit dem der Krieg gegen den Irak beendet wurde. Die Paragraphen 7 und 13 umreißen einen Plan zur Beseitigung von Massenvernichtungswaffen und bestimmter Raketentypen sowie für eine permanente Überprüfung dieser Beseitigung innerhalb des Irak. Am 18. April 1991 wurde das Abkommen von der irakischen Regierung angenommen.
Bei Gründung der UNSCOM wurden Vertreter aus 13 europäischen, drei asiatischen, eines lateinamerikanischen und eines afrikanischen Landes sowie Australiens, Kanadas und der USA in die Institution entsendet. Der Nahe Osten war überhaupt nicht vertreten.
Die einzelnen Inspektionsteams haben ebenfalls eine politisch motivierte Struktur. Während einer Anhörung vor dem Sicherheitsrat am 20. November 1997 durften sieben Inspekteure dem Sicherheitsrat berichten. Drei der sieben waren aus den USA; die anderen vier aus Europa. Eins der unausgewogensten Teams wurde am 11. Januar 1998 in den Irak entsendet. Eines der Abkommen, mit denen die Krise vom November 1997 hatte beigelegt werden können, besagte, die UNSCOM-Inspektionsteams sollten in Zukunft ausgewogener besetzt sein und außerdem eine stärkere Beteiligung aller ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates aufweisen. Das Team, das die Januarkrise auslöste, bestand aus 16 Personen: neun US-Amerikanern, fünf Briten, einem Australier und einem Russen.
Dieses Team wurde von William Scott Ritter aus den USA geleitet. Die Iraker hatten sich schon im November 1997 über sein Verhalten beschwert. (1) Er ist ein ehemaliger US-Marine-Oberst, der an dem Hightech-Gemetzel teilgenommen hat, das als Golfkrieg bekannt ist. Ist ein ehemaliger Teilnehmer dieses Kriegs ein geeigneter Kandidat für die objektive Beurteilung seines früheren tödlichen Feindes? Ritter ist seit 1991 für die UNSCOM tätig. (2)
Es ist Politik der USA, die Sanktionen solange aufrecht zu erhalten, bis Saddam Hussein von der Macht verdrängt ist. Der frühere US-Außenminister Warren Christopher bestätigte dies 1994 erneut. Damals schien es, als könnte der Bericht des seinerzeitigen UNSCOM-Chefs Rolf Ekeus an den Sicherheitsrat über die Einsatzbereitschaft der Überwachungsausrüstungen zu einem Ende der Sanktionen führen. (3) Christopher blockierte jede Diskussion über die Aufhebung der Sanktionen, indem er kommentierte: "Wir wollen die Erfüllung sämtlicher UN-Resolutionen. Und ich glaube nicht, daß er [Saddam Hussein] dazu in der Lage ist." (4)
Auch die britischen Inspektoren des am 11. Januar gebildeten Teams können nicht als neutral betrachtet werden, handelt es sich doch bei Großbritannien um die frühere Kolonialmacht, die durch die irakischen Revolution 1958 gewaltsam vertrieben wurde.
In den Medien wird viel über das Öl-für-Lebensmittel-Abkommen berichtet. In Wirklichkeit werden jedoch nur 53 Prozent des Geldes aus dem Verkauf irakischen Öls tatsächlich für Lebensmittel und Medikamente ausgegeben. Ein Teil des Erlöses aus den Ölverkäufen wird zur Finanzierung der UNSCOM verwendet. Sämtliche ihrer Operationen, die Inspektionen, die Überwachungssysteme, das Personal, die Büros in New York, Bahrein und Bagdad werden vom Irak bezahlt. All diese Kosten belaufen sich auf rund 30 Millionen Dollar im Jahr.(5) Bis Mitte 1998 hat UNSCOM den Irak 210 Millionen Dollar gekostet.
Seit Beginn ihrer Arbeit hat die UNSCOM 7.800 Inspektionen durchgeführt. Waffeninspekteure kontrollieren regelmäßig mindestens 340 Standorte durch Überraschungsbesuche. Sie haben mehr als 130 Kameras an 30 weiteren Orten installiert. Sie verwenden ferner Luftmeßgeräte, die auch auf winzigste Spuren von Chemikalien ansprechen.(6) Die UNSCOM legte über den Verbleib von 817 von 819 in Rußland gekauften Raketen Rechenschaft ab bzw. vernichtete sie..(7) Also bleiben nur zwei Raketen, deren Verbleib ungeklärt ist. Die Kommission hat ein Labor namens Al-Hakam samt etlicher Tonnen von Chemikalien vernichtet Viele dieser Chemikalien waren sogenannte Dual-Use-Materialien, also solche, die sowohl für zivile als auch für militärische Zwecke genutzt werden können.
Der UNSCOM-Experte für biologische Kriegführung und Professor an der University of Maryland, Raymond Zalinskas, wurde im amerikanischen National Public Radio interviewt und gefragt, ob die Waffen des Irak eine Gefahr für die USA und die Welt darstellten. Er antwortete:
Es handelt sich eher um eine potentielle Gefahr als um eine tatsächliche. Die UNSCOM hat alle bekannten C-Waffen-Anlagen und alle bekannten chemischen Waffen zerstört. Was die biologischen Waffen betrifft, hat die UNSCOM die Biowaffenanlage Al-Hakam sowie andere Anlagen in anderen Forschungsstätten zerstört. Soweit wir wissen, hat der Irak keine biologischen Waffen gelagert. Es gibt ungefähr achtzig Forschungs-, Entwicklungs- und Produktionsstätten, bei denen es sich um zivile Einrichtungen handelt, und auch wenn man die Brauereien, Molkereien und Nahrungsmittelfabriken ausschließt, kommt man noch auf zwanzig oder dreißig Stätten, die zur Herstellung von Biowaffen konvertiert werden könnten. Man hat die Arbeitskräfte, die Wissenschaftler, Techniker und Ingenieure sowie das Potential zur Konvertierung einer Reihe ziviler Einrichtungen für die Kriegsproduktion, aber es würde ziemlich lange, nämlich etwa sechs Monate dauern, diese Waffen herzustellen..(8) [Hervorhebungen D.S.]
Die UNSCOM überwacht diese Stätten bereits mit der für die Entdeckung solcher Aktivitäten notwendigen hochentwickelten Technologie.
Zalinskas führte weiter aus:
Es gibt keine Rüstungsproduktionsstätten, von denen wir wüßten. Ich war Experte für biologische Kriegführung. Ich habe zu verschiedenen Zeiten ungefähr 60 Anlagen besucht, von denen die meisten von ihnen recht harmlos sind. Die einzige wirklich bedeutende auf diesem Gebiet war Al-Hakam, aber sie wurde im Juni 1996 zerstört..(9)
Im Lauf der Jahre ist die UNSCOM zu einer Institution geworden. Sie hat ein direktes Eigeninteresse an der Verewigung der Inspektionen. Sie beschäftigt allein in ihrem Büro in Bagdad 120 Menschen.(10) Die Inspekteure beziehen ein gutes Gehalt plus einer täglichen Vergütung von 100 Dollar, um zu suchen und zu suchen und zu suchen. Auch wenn sie nichts finden, werden sie bezahlt, um weiter zu suchen. Die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) berichtete, daß
die IAEA und die UNSCOM die Umsetzung ihres gemeinsamen Programmes zur Inspektionen irakischer Anlagen fortgesetzt haben, die dem Urteil der IAEA und der UNSCOM zufolge die Fähigkeit besitzen, an irgend einem Aspekt der Produktion von Massenvernichtungswaffen zu arbeiten, auch wenn es keine Beweise oder Anzeichen für eine solche Arbeit gab.(11) [Hervorhebungen D.S.]
Zur Arbeit der UNSCOM gehört nicht nur die Überwachung von mindestens 340 Lager- oder Produktionsstätten von Waffen, sondern auch die Überwachung aller irakischen Importe möglicherweise militärisch nutzbarer Chemikalien und Geräte nach einer zukünftigen Aufhebung der Sanktionen. Das bedeutet, daß viele Dinge wie Chlor, Blutdruckmesser und Autoscheinwerfer, die der Irak unter dem Sanktionsregime nicht kaufen darf, auf Jahre hinaus weiterhin strengsten Importrichtlinien und Kontrollen unterworfen sein werden. Man stellt sich die UNSCOM-Inspekteure vielleicht wie im Kittel umher spazierende Spezialisten vor, die Checklisten dabei haben, auf denen sie zu besichtigende Orte und zu befragende Leute abhaken. Aber wenn man Iraker danach fragt, wie die UNSCOM ihre Arbeit durchführt, hört man von Inspekteuren, die Mülltonnen durchsuchen und Ärztinnen schikanieren, wobei sie sogar deren Geldbörsen durchsuchen, um ganz sicherzugehen, daß sie keine Massenvernichtungswaffen darin schmuggeln.
Pater G. Simon Harak von der Fairfield University führte Interviews mit Leuten durch, die Inspektionen der UNSCOM unmittelbar miterlebt haben. Er berichtet, wie die Zimmer von Nonnen in einem Konvent der Chaldäischen Kirche im Nordirak Schublade für Schublade durchsucht wurden. Die Leichen kurz zuvor verstorbener Nonnen sollten gerade exhumiert werden, um sie auf chemische Waffen zu untersuchen, als Bischof Emmanuel Delly intervenierte und die Aktion verhinderte. Pater Harak fand außerdem heraus, daß die UNSCOM der Universität von Mossul etwa 250 Meilen nördlich von Bagdad einen Besuch abgestattet hatte. Die Inspekteure gingen in die Bibliothek, zogen Chemiebücher aus den Regalen, warfen sie aus den Fenstern, und sammelten sie dann in einen Graben, wo sie sie verbrannten. Kommt uns das nicht bekannt vor? Die UNSCOM muß die Fähigkeit des Irak zur Produktion von Waffen zerstören; deshalb muß sie das notwendige Wissen vernichten. Nach derselben Logik müßte sie auch etliche Wissenschaftler eliminieren, die eben dieses Wissen besitzen.
Vorfälle wie diese brachten den Irak dazu, in dem Memorandum of Understanding zwischen den Vereinten Nationen und dem Irak, das am 23. Februar 1998 von UN-Generalsekretär Kofi Annan und Saddam Hussein in Bagdad unterzeichnet wurde, darauf zu bestehen, daß bei den Teams, die die sogenannten Präsidentengemächer inspizieren sollten, auch Diplomaten aus verschiedenen Ländern dabei sein sollten. Während dieser Inspektionen ergriffen Diplomaten häufig Partei für die Iraker und gegen die Inspekteure der UNSCOM und deren Vorgehen.(12)
Übertreibungen bilden eines der Werkzeuge aus der Trickkiste der UNSCOM. In einem Artikel in der New York Times wurde UNSCOM-Chef Richard Butler im Januar 1998 mit den Worten zitiert, der Irak habe genügend biologische Waffen "zur Auslöschung ganz Tel Avivs". Sowohl der chinesische als auch der russische Botschafter verlangten eine Erklärung für diese Behauptung. Daraufhin mußte Butler seine Aussagen ein wenig zurücknehmen, aber da war der Schaden schon angerichtet. Viele US-Bürger waren nun davon überzeugt, der Irak wolle biologische Waffen gegen Israel einsetzen.
Es ist der Gipfel der Heuchelei, wenn die USA, das Land mit den bei weitem meisten chemischen, biologischen, konventionellen und nuklearen Massenvernichtungswaffen, mit dem Finger auf andere Länder zeigen und die Meinung vertreten, der Besitz oder potentielle Besitz rechtfertige tödliche Sanktionen. Im November 1997 besaßen die USA 12.000 Atomwaffen.(13) Die US-Armee verfügt über neun C-Waffendepots mit insgesamt 28.000 Tonnen von Nervengasen wie Sarin und VX sowie Stoffen zur Herstellung von Senfgas.(14) In den USA entwickelte Biogase sind in die ganze Welt verkauft worden. Das Pentagon prahlt mit seiner Fähigkeit, zwei Kriege gleichzeitig führen zu können. Die wahre tödliche Bedrohung für die ganze Welt sind die US-Regierung und das Pentagon.
Übersetzt von Sonja Wallenborn/Michael Schiffmann
*) Die UNSCOM gibt es mittlerweile nicht mehr und es steht noch nicht fest, ob es eine neue Überwachungskommission geben wird. Da aber nach wie vor einer der Hauptvorwürfe gegen den Irak ist, er hätte „nicht mit der UNO kooperiert“ ist dieser Beitrag immer noch aktuell.
Aus Ramsay Clark & andere, Challenge to Genocide. Let Iraq Live, New York, International Action Center, 1998, S. 38-44.
aus: Rüdiger Göbel, Joachim Guilliard, Michael Schiffmann (Hg.)
"Der Irak ? ein belagertes Land ? Die tödlichen Auswirkungen von Krieg und Embargo"
PapyRossa Verlag, Köln 2001, Broschur, 280 Seiten, Preis 14,33 Euro
ISBN 3-89438-223-6