Professor Dr. Thomas Bruha, Hamburg
FAZ, 27. August 2002
Man kann sich nur darüber wundern, mit welcher Nonchalance in der gegenwärtigen "Verstimmung" zwischen Berlin und Washington in Sachen Militäreinsatz gegen den Irak am Völkerrecht vorbeigesehen wird. So schloß Bundeskanzler Gerhard Schröder eine Beteiligung Deutschlands an einer derartigen Aktion nicht etwa deswegen aus, weil sie ohne Mandat des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen völkerrechtswidrig oder doch zumindest in höchstem Maße fragwürdig wäre, sondern weil er es für falsch halte, einen "neuen Konfliktherd zu definieren" (F.A.Z. vom 19. August), solange die Aufbauarbeit in Afghanistan noch nicht beendet und ein Konzept für eine umfassende Friedensregelung im Nahen Osten gefunden worden sei. Noch im März hatte sich Schröder anders geäußert und erklärt, eine Beteiligung Deutschlands "ohne Autorisierung durch die Vereinten Nationen" käme nicht in Frage (F.A.Z. vom 20. August). Jedoch wurde auch damals nicht deutlich, warum: Weil Deutschland sich an einem derartigen Einsatz aus völkerrechtlichen Gründen nicht beteiligen dürfe oder weil es dies nicht könne oder wolle.
Nun zeigt sich die Bundesregierung "verwundert", daß Washington über die "Wortwahl" Schröders vom vergangenen Sonntag "verärgert" ist (F.A.Z. vom 21. August). Mag sein, daß die amerikanische Regierung noch stärker verärgert gewesen wäre, wenn ihr aus Berlin die Völkerrechtswidrigkeit oder auch nur die völkerrechtliche Fragwürdigkeit eines Präventivschlages ohne Mandat des Sicherheitsrates entgegengehalten worden wäre. Jedoch wäre in diesem Fall jedenfalls nicht der Eindruck entstanden, Deutschland entfalte eine neue "Ohne uns"-Mentalität, steuere einen "deutschen Weg" an und versage den Vereinigten Staaten die Gefolgschaft aus rein politischen Gründen.
Diese bedauerliche Tabuisierung des Völkerrechts setzt sich leider auch in der (wahlkampf-politischen Debatte und in der öffentlichen Diskussion im Lande fort. Kaum jemand, der die völkerrechtliche Problematik eines militärischen Vorgehens gegen den Irak auch nur anspräche. Statt dessen wirft man sich wechselseitig unverantwortliche Rhetorik und Effekthascherei im Wahlkampf vor und malt Schreckensbilder eines isolierten oder eines in einen unkalkulierbaren Irak-Krieg verwickelten Deutschlands an die Wand. Auch Klaus-Dieter Frankenberger warnt im Beitrag "Kein Ersatz für Politik" (F.A.Z. vom 21. August) nur vor den politischen Risiken einer Nichtbeteiligung des "europäischen Kernlands" Deutschland, ohne ein Wort über die fragliche Legalität einer Militäraktion gegen den Irak zu verlieren. Von der Tabuisierung, der bewußten Nichterwähnung des Völkerrechts, zu seiner Ignorierung im Einzelfall ist es oft nur ein kleiner Schritt.