DER SPIEGEL 35/2002 - 26. August 2002
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Vereinte Nationen
"Wir könnten sofort in Bagdad sein"

Der Chef der Uno-Waffeninspektoren für den Irak, Hans Blix, über den Despoten Saddam Hussein, die Scheinheiligkeit des Bagdader Regimes und die Vorbereitungen für einen Einsatz seines Teams

SPIEGEL: Herr Blix, der irakische Staatschef Saddam Hussein hat erbitterten Widerstand angekündigt, sollten die USA sein Land angreifen. Wie bedrohlich ist das Waffenarsenal des Despoten von Bagdad?

Blix: Zunächst einmal muss ich klarstellen, dass Saddam vor dem Golfkrieg 1991 wesentlich gefährlicher war als heute. Auf Grund ihrer Geheimdiensterkenntnisse gehen die USA - aber auch Großbritannien - jedoch davon aus, dass der Irak weiterhin über Massenvernichtungswaffen verfügt. Die internationale Besorgnis ist umso berechtigter, als das Land seit vier Jahren nicht mehr von Inspektoren kontrolliert werden konnte. Das ist eine ziemlich lange Zeit, da kann viel passieren.

SPIEGEL: Regierungsexperten in Washington sind überzeugt, dass Saddam in zwei bis drei Jahren sogar über die Atombombe verfügen könnte.

Blix: Diese amerikanischen Schlussfolgerungen will ich nicht kommentieren. Wir wissen jedoch, dass Ende 1998, als die Inspektionen eingestellt wurden, Saddam keine Möglichkeiten mehr zum Bau einer Atombombe hatte. Die dazu benötigten Einrichtungen waren zerstört. Über das Know-how zum Bau einer Bombe aber verfügen die Iraker weiterhin. Was sie allerdings tatsächlich unternommen haben, sollen ja gerade neue Inspektionen zeigen.

SPIEGEL: Aber dass Saddam weiterhin über biologische und chemische Massenvernichtungswaffen verfügt und sie auch wieder produziert, gilt als sicher?

Blix: Beweise für deren gegenwärtige Fabrikation haben wir nicht. Berichte, nach denen die Iraker etwa über mobile Laboratorien zur Herstellung dieser Kampfstoffe verfügen, kann ich nicht bestätigen. Ich kann noch nicht mal behaupten, dass die Iraker diese B- und C-Waffen überhaupt noch besitzen.

SPIEGEL: Das hört sich nach einem Freispruch für Saddam an.

Blix: Überhaupt nicht. Es sind nur noch so viele Fragen offen, dass ich zumindest Vorräte an Kampfstoffen überhaupt nicht ausschließen kann. Was etwa das Nervengas VX anbelangt, wussten die Iraker schließlich nur zu gut, wie es hergestellt wird ...

SPIEGEL: ... Saddam soll mindestens 3,9 Tonnen VX produziert haben ...

Blix: ... und sie wussten, wie man Gas als Waffe einsetzt. Das Regime hat sich ja auch beim Kurden-Aufstand in Halabdscha 1988 nicht gescheut, Giftgas gegen die eigene Bevölkerung einzusetzen.

SPIEGEL: Was wissen Sie über Saddams Biowaffenarsenal?

Blix: Das ist für uns der Bereich mit den meisten noch ungeklärten Fragen. Nehmen Sie zum Beispiel die Anthrax-Kampfstoffe. Da behaupten die Iraker, sie hätten davon früher insgesamt ungefähr 8500 Liter hergestellt. Die aber seien Mitte 1991 von ihnen vernichtet worden. Doch über die Richtigkeit dieser Aussage haben wir keinerlei gesicherten Erkenntnisse.

Aber selbst wenn: Bagdad hätte theoretisch sogar bis zu 25 000 Liter produzieren können. Deshalb müssen die Iraker uns belegen, was und wie viel früher produziert und wie viel schließlich tatsächlich vernichtet wurde.

SPIEGEL: So können Sie noch auf ewig von den Irakern immer neue Nachweise einfordern und kehren damit die Beweislast um.

Blix: Genauso argumentiert die irakische Seite. Aber wir befinden uns nicht in einem juristischen Verfahren. Hier geht es darum, dass der Irak der Welt glaubhaft versichern muss, dass er keine Massenvernichtungswaffen mehr besitzt.

SPIEGEL: Bei welcher Art von Waffen haben Sie die größten Probleme?

Blix: Am schwersten sind biologische Kampfstoffe nachzuweisen. Das sind wahre Terrorwaffen. Anders als chemische oder atomare Waffen sind sie vergleichsweise leicht herzustellen und einfach zu verstecken. Schon mit einem Kubikmeter Anthrax-verseuchter Flüssigkeit können Sie Verheerendes anrichten.

SPIEGEL: Wie wollen Sie dann jemals garantieren, dass der Irak definitiv keine Massenvernichtungswaffen mehr besitzt?

Blix: Das werden wir in dieser Absolutheit nie sagen können. Selbst im besten Falle bleibt immer ein Restrisiko.

SPIEGEL: Damit liefern Sie politischen Hardlinern einen Vorwand, selbst nach neuen Inspektionen gegen den Irak vorzugehen.

Blix: Wenn unsere Teams erst einmal im Land sind und ihre Aufgaben uneingeschränkt durchführen können, dann werden wir nach einiger Zeit schon einen guten Überblick haben. Das würde uns ein ziemlich verlässliches Urteil erlauben, das mit Sicherheit entsprechendes Gewicht hat.

SPIEGEL: Woher beziehen Sie denn derzeit Ihre Informationen?

Blix: Wir stützen uns sehr auf Satellitenfotos. Die kaufen wir auf dem freien Markt von Firmen und erhalten sehr detaillierte Aufnahmen. Aber natürlich werden wir auch von Regierungen mit Fotomaterial versorgt. Auf diesen Bildern sehen wir, dass sich im Irak eine Menge tut.

SPIEGEL: Sie vermuten hinter den Aktivitäten neue Waffenproduktionen, können es Saddam aber nicht beweisen.

Blix: Dass an bestimmten Stellen gearbeitet und gebaut wird, neue Fabriken oder Anlagen entstehen, lässt nicht unbedingt den Schluss zu, dass der Irak ein neues Programm zur Herstellung von Massenvernichtungswaffen gestartet hat. Dieser Schluss ist mir zu spekulativ.

SPIEGEL: Wie viele Stellen haben Sie denn auf Ihren Karten als zumindest überprüfenswert markiert?

Blix: Weit über 700 Orte sind für uns interessant, sei es, dass wir dort Lager vermuten, versteckte Dokumente oder auch Waffenproduktionsstätten. Doch bei allem Respekt vor unseren Informanten, zu denen auch Überläufer aus dem Regime gehören: In diesem Bereich gibt es ebenso viele Desinformationen. Deshalb können wir uns erst ein Urteil erlauben, wenn wir diese Plätze mit eigenen Augen inspiziert haben.

SPIEGEL: Eine Einladung nach Bagdad, um über die Wiederaufnahme der Inspektionen zu verhandeln, haben Sie aber ausgeschlagen.

Blix: Die Iraker wollten nicht über künftige Inspektionen reden. Sie wollten mit uns diskutieren, welche Punkte aus dem Jahr 1998 noch ungeklärt sind und wie diese gelöst werden könnten. Da haben wir gesagt: Sorry, das ist nicht unser Auftrag.

SPIEGEL: Hatten Sie den Eindruck, dass die andere Seite mit einem scheinheiligen Angebot nur Zeit schinden wollte?

Blix: Das ist gut möglich. Während die Iraker auf Diskussionen von gestern drängen, geht es uns um die künftigen Inspektionen. Das ist unser Auftrag vom Sicherheitsrat. Und wir können auch nicht über irgendeine Paketlösung des Problems verhandeln, wie sie von Bagdad in mittlerweile zwei Briefen an den Uno-Generalsekretär Kofi Annan vorgeschlagen wurde.

SPIEGEL: Was bietet Saddam denn an?

Blix: Bagdad will, dass die Flugverbotszonen über dem Norden und Süden des Landes aufgehoben werden, verwahrt sich gegen jede Art von Aufrufen zum Umsturz, will die Sanktionen aufgehoben wissen und verlangt, dass die ganze Region auf Massenvernichtungswaffen verzichten soll, Israel eingeschlossen. Damit einhergehend bietet das Regime eine Lösung des Konflikts um die Inspektionen an.

SPIEGEL: Fühlen Sie sich durch solche unrealistischen Forderungen für dumm verkauft?

Blix: Als Diplomat würde ich das so niemals sagen. Aber was die Aussicht auf Inspektionen anbelangt, bin ich seither nicht mehr so zuversichtlich, dass wir eine Lösung finden.

SPIEGEL: Wären Sie und Ihre Inspektoren denn überhaupt vorbereitet, falls Bagdad doch noch einlenkt?

Blix: Wir drehen hier nicht Däumchen. Wir sind bestens präpariert und könnten sofort in Bagdad sein. 230 Inspektoren warten nur auf ihren Einsatz.

SPIEGEL: Mitglieder vorheriger Teams haben eng mit US-Geheimdiensten zusammengearbeitet. Können Sie sicherstellen, dass nicht auch unter Ihren Leuten Spione sind?

Blix: Wir achten sehr auf die Auswahl unserer Mitarbeiter. Zudem sage ich jedem sehr deutlich, dass wir nur an den Weltsicherheitsrat berichten. So lehnen wir auch jegliche Gegengeschäfte ab, wenn uns Dienste mit Fotos oder Informationen versorgen. Wir lassen uns nicht als Informanten abschöpfen.

SPIEGEL: Glauben Sie, dass Bagdad Ihre Bemühung um eine spannungsfreie Zusammenarbeit honorieren wird?

Blix: Eine volle Kooperation wäre doch nur im Interesse Bagdads. Die Inspektionen könnten in einem Jahr abgeschlossen sein, und das Land hätte eine Chance, wieder in die Weltgemeinschaft aufgenommen zu werden - falls wir nicht fündig werden.

SPIEGEL: Trotz der Sanktionen, die vor allem die Bevölkerung treffen, hält sich Saddam offensichtlich fester denn je an der Macht. Hat das Embargo versagt?

Blix: Zumindest haben die Sanktionen den Irak nicht zum Einlenken im Konflikt um die Inspektionen bewegt. Aber sie behindern die Wiederaufrüstung des Irak, und das ist ja auch schon ein Erfolg.

SPIEGEL: Nicht nur Bagdad gab sich in den vergangenen Wochen martialisch. Auch US-Präsident George W. Bush zeigt sich entschlossen und drängt auf einen Regimewechsel. Werden die Kriegsdrohungen aus dem Weißen Haus Saddam doch noch zum Einlenken bewegen?

Blix: Wenn Bagdad den Eindruck gewinnt, dass eine US-Invasion ohnehin nicht mehr abzuwenden ist, wird das Regime vorher Waffeninspektionen bestimmt nicht zustimmen.

SPIEGEL: Ist der Krieg noch abwendbar?

Blix: Ja, wenn Bagdad für unsere Mission grünes Licht gibt und wir zu einem positiven Ergebnis kommen.

INTERVIEW: DIETER BEDNARZ


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