Von Thomas Roithner*
Die unterschiedlichen Strategien und die Spekulationen über den Ausbruch des US-Krieges gegen den Irak werden von der Regierung Bush so wohlüberlegt an die Öffentlichkeit weitergespielt, als hätte man 1991 mit dem "Wüstensturm" das internationale Völkerrecht abgeschafft und dem Faustrecht zum Durchbruch verholfen. Der Krieg gegen Jugoslawien 1999 und jetzt gegen Afghanistan bestärkten die sehr deutlichen Konturen einer Neuen Weltordnung, die sich seit 1989 abzeichnet.
Konfliktursache Öl?
"Der Golfkrieg", so der ehemalige US-Justizminister Ramsey Clark "wurde nicht geführt, um Kuwaits Souveränität wiederherzustellen, sondern um die amerikanische Hegemonie über den Golf und den Zugang zu den Ölvorkommen zu sichern." Heute geben die USA nach Berechnungen des Energieministeriums für die militärische Sicherung der Ölquellen im Nahen Osten 100 $ pro in die USA gelieferten Barrel Öl aus.
Konfliktursache Terror und Instabilität?
Es gibt keine veröffentlichten Beweise der US-Regierung, dass der Irak die El-Kaida oder muslimische Terrorgruppen unterstützt, ihnen Waffen anbietet oder direkt in Terroraktionen verwickelt ist.
Hans von Sponeck, ehemaliger Koordinator des humanitären UN-Hilfsprogrammes für den Irak, erklärt: "Der Öffentlichkeit wird im Zusammenhang mit Irak systematisch und organisiert die Unwahrheit gesagt. (...) Briten und Amerikaner ignorieren immer wieder die Berichte der Vereinten Nationen und verbreiten Anschuldigungen, die nicht den Tatsachen entsprechen."
Ex-US-Justizminister Clark beschreibt in seinem Buch "Wüstensturm. US-Kriegsverbrechen am Golf" den "häufigen strategischen Wechsel in der US-Politik". Der renommierte US-Politologe Noam Chomsky führt aus, dass Reagan und Bush senior mit Saddam Hussein "ungewöhnlich herzliche Beziehungen gepflegt hatten", selbst als dieser 1988 Giftgas gegen die KurdInnen einsetzte. Mit US-Technologie, Nachschublieferungen und Geheimdienstinformationen wurde auch der Einsatz von Zyanid ermöglicht. "Saddam", so Chomsky, "ist nicht wegen seiner umfangreichen Verbrechen zur ‚Bestie von Bagdad' avanciert, sondern weil er (...) die ihm gesetzten Grenzen überschritt." "Ein ‚Schurkenstaat' ist nicht einfach ein Verbrecherstaat, sondern einer, der die Regeln der Mächtigen missachtet", so der Politologe.
Konfliktursache Atombombe?
"Nach eigenem Erkennen ist der Irak keine Militärmacht mehr. (...) Irak ist militärisch gesehen wieder ein Drittweltland geworden" erklärt Hans von Sponeck. "Man muss kein Spezialist für Massenvernichtungswaffen sein, um zu dem Ergebnis zu kommen, dass diese Produktionsstätten harmlos gemacht wurden und seither in diesem Zustand geblieben sind. Wirklich besorgniserregend ist, dass das US-Verteidigungsministerium über all diese Informationen verfügt", so der ehemalige UN-Koordinator weiter. Der ehemalige UN-Waffeninspekteur im Irak, Scott Ritter, bestätigt auch, dass ein Angriff auf den Irak völlig ungerechtfertigt ist. Ein offizieller Bericht der UN-Spezialkommission zur irakischen Abrüstung wurde auf Drängen des US-Außenministeriums im Wortlaut nachträglich verändert. Das Misstrauen des Irak gegenüber den UNO-Inspektoren begründet sich auch damit, dass diese ihre Tätigkeit zur Spionage für die USA missbrauchten.
Die USA verfügen über Nuklearwaffen. Sie nehmen sich das Recht des Erstschlages heraus, bauen entgegen bewährten Rüstungskontrollmechanismen ein Raketenabwehrprogramm auf, machen durch Mini-Atomwaffen einen Nuklearkrieg "regional" führbar und haben jüngst Präventivschläge (auch mit Atomwaffen) als Teil ihres Handlungsspektrums erklärt. Der Irak steht hingegen - wie mindestens 20 andere Länder auch - im Verdacht, Massenvernichtungswaffen zu besitzen oder sich diese beschaffen zu wollen. Kritik am drohenden Krieg gegen den Irak ist nicht mit einer Unterstützung für das Regime im Bagdad gleichzusetzen, welches für Krieg, Morde und Vertreibungen verantwortlich ist. Sowohl die USA als auch der Irak haben berechtigte Punkte auf der langen Liste der Anschuldigungen.
US-Militärpolitik
Die US-Rüstungsindustrie erlebt seit dem 11.9. enorme Wachstumsimpulse. Das Militärbudget betrug 2001 rund 310 Mrd. US$. Im Jahr 2002 sollen 343 Mrd. US$ und im Folgejahr 396 Mrd. US$ zur Verfügung stehen. Die mittelfristige Planung geht für 2007 von 469 Mrd. US$ aus. Die Rüstungsindustrie erhielt den Auftrag, die Lager der präzisionsgesteuerten Bomben zu füllen. Die US-Militärstrategen - ein Krieg in den irakischen Großstädten ist zu befürchten - werden wieder viele "Kollateralschäden" verzeichnen und zu vertuschen versuchen. Der Friedensforscher Johan Galtung hat errechnet, dass die USA seit 1804 nicht weniger als 228 Militärinterventionen in fremden Staaten durchführten.
Die tatsächlichen Konfliktursachen dürfen in der Analyse künftiger Kriege nicht aus den Augen verloren werden. Die künftigen Konflikte werden immer häufiger um Rohstoffe und geopolitische Interessen ausgefochten. Zur Legitimation dieser Kriege werden Friede und Menschenrechte missbraucht.
Staatengemeinschaft gegen Krieg
Die Arabische Liga sowie China und Russland haben dem Sohnemann des einstigen Wüstenstürmers Bush eine Abfuhr für seine Pläne übermittelt. Die Staaten aus der Region haben auf eine Normalisierung der politischen und wirtschaftlichen Beziehung gesetzt. "Eine ganze Region", so Sponeck, "wird als Folge des amerikanischen Wunsches nach einem politischen Wechsel in Irak destabilisiert." Selbst Kuwait, welches einst aus den Fängen von Saddam Hussein befreit wurde, will heute vom US-Krieg nichts wissen.
Die Rolle Europas
Die kritischen Stimmen aus London und Paris wünschen im Gegensatz zu Blair und Chirac keine Kriegsbeteiligung. Deutschland hat eine ablehnende Haltung formuliert. Beim informellen NATO-Verteidigungsministertreffen am 24. und 25.9. werden die Verbündeten über den Irak zu befinden haben. NATO-Generalsekretär Robertson hat erklärt, dass der Bündnisfall angesichts des 11.9. auch für einen US-Krieg gegen den Irak gelte. Dies ist als Versuch zu werten, den Militärpakt angesichts der US-Alleingänge und den ad-hoc-Allianzen nicht völlig seiner Bedeutungslosigkeit preiszugeben.
Die EU muss - will sie tatsächlich in der Welt als Friedensmacht wahrgenommen werden - die Prioritäten zwischen Zivilem und Militärischem umkehren. 60 000 Soldaten, im Umkreis von 4000 km rund um die EU, die mitunter auch Kampfeinsätze mit oder möglicherweise ohne UN-Mandat tätigen können, sind keine Alternative zur US-Politik, sondern beinhalten das Potential, die antiwestliche Stimmung in vielen Teilen der Welt weiter zu schüren.
Auch wenn die USA erneut Krieg beginnen, bleiben viele Fragen offen. Die Auswirkungen in der Region sind nicht vorauszusagen. Werden Saudi-Arabien, der Iran oder die KurdInnen der Installierung einer irakischen "Demokratie" nach US-Vorstellungen Beifall zollen? Unbestritten erscheint - mit oder ohne Krieg - die Rolle der USA: Der Hegemon einer neuen Weltunordnung.
* Thomas Roithner ist wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Österreichischen Studienzentrum für Friedens- und Konfliktlösung, Wien und Stadtschlaining. Von ihm haben wir auf unseren Seiten eine Reihe von Analysen zur EU-Militarisierung und zur Neutralitätspolitik veröffentlicht.
Dieser Beitrag erschien in gekürzter und leicht veränderter Fassung am 14. August 2002 in der Wiener Wochenzeitung "Die Furche".
Übernommen vom Friedensratschlag Kassel: http://www.friedensratschlag.de