Irak-Experte:
Die Bevölkerung steht hinter Saddam - auch aus Angst vor der Zeit nach seinem Sturz
FOCUS: Bereitet der Irak sich auf einen neuen Krieg vor?
Alkazaz: Das Land befindet sich seit 1990 faktisch ununterbrochen im Krieg. Die Regierung und die Bevölkerung betrachten die tägliche Überwachung der Flugverbotszonen durch die amerikanische und britische Luftwaffe als Fortsetzung des Krieges. Die neuen Drohungen bedeuten für sie eine Eskalation und Ausdehnung des Krieges. Entsprechend wird die Alarmbereitschaft erhöht.
FOCUS: Wie stark ist die Armee zum jetzigen Zeitpunkt?
Alkazaz: Im Golfkrieg 1991 gab es im Bereich der regulären Armee rund eine Million Menschen unter Waffen, danach waren Demobilisierungsansätze zu beobachten. In der gegenwärtigen Hochspannungsphase dürften mehr als vier Millionen Männer mobilisiert worden sein. Für die so genannte Jerusalem-Armee zur Unterstützung der Palästinenser sollen sich mehr als sechs Millionen gemeldet haben, darunter eine Million Frauen. Sie erhalten eine Art Sonderausbildung.
FOCUS: Wie ist das Ansehen von Saddam Hussein in der Bevölkerung?
Alkazaz: Der elfjährige Kampf gegen das Embargo hat Regime und Bevölkerung eher einander näher gerückt als entfremdet. Schuld an der wirtschaftlichen Not scheinen die USA zu sein, nicht Saddam. Die Leute glauben, dass das Embargo nur ein Vehikel ist, um die Regierung zu stürzen, und dass auch die Öffnung des Landes für UN-Waffeninspektoren das Embargo nicht beenden würde. Außerdem fürchtet man das, was nach einem Sturz kommt. Versuche der Gegner, einen Bürgerkrieg zu entfachen, können nicht ausgeschlossen werden.
FOCUS: Gibt es eine Persönlichkeit, die das Land nach Saddam wieder aufbauen könnte?
Alkazaz: Die Sicht des Westens auf diesen Mann lässt außer Acht, dass die Iraker ein durch ausländische Mächte installiertes Regime nie akzeptieren würden. Sie verdanken Saddam die "goldenen 70er-Jahre", eine Zeit der Modernisierung und großer wirtschaftlicher Blüte.
Die USA versuchen seit 15 Jahren ohne Erfolg, einen Regimewechsel herbeizuführen. Nach Meinung westlicher Experten sitzt er heute fester im Sattel als vor sieben Jahren. Wenn die Amerikaner trotzdem militärisch angreifen, müssen sie damit rechnen, dass die Bevölkerung sie mit Waffen bekämpft. Und die Iraker sind ein Volk unter Waffen.
INTERVIEW: ELLEN DANIEL
* AZIZ ALKAZAZ Der Irak-Experte am Deutschen Orient-Institut ist auch Generalsekretär der deutsch-irakischen Gesellschaft.
* Der Volkswirtschaftler, 1942 im Irak geboren, war zuletzt im November 2001 in seinem Heimatland.
aus: FOCUS, 12/2002