"Die Irak-Sanktionen sind vefehlt" - der frühere UN-Diplomat Hans von Sponeck

FAZ-Net vom 24.2.2001

Interview

„Die Sanktionen haben den Irak entprofessionalisiert“


24. Feb. 2001
Wie viele Bombenangriffe gab es während Ihrer Zeit als UN-Hilfskoordinator im Irak?

Nach den Statistiken, die wir 1999 erstellt haben, gab es 132 Angriffe ...

... also ungefähr alle drei Tage einen...

...alle drei Tage einen. Dabei kamen 144 Menschen um, Zivilisten wohlgemerkt, über militärische Opfer könne wir gar nichts sagen. 446 Zivilisten wurden dabei verwundet. Jetzt wurde oft gesagt, wenn ich den Bericht den Amerikanern und Briten in New York persönlich übergeben habe, ich würde nichts weiter als einen UNO-Stempel auf irakische Propaganda setzen. Das ist total unfair. Wir haben uns in der Tat oft auf irakische Statistiken gestützt, aber wir haben sie gecheckt. Wir sind bei größeren Angriffen wie zum Beispiel am 29. Januar 1999 in Basra hingefahren und haben uns das angeschaut, um manchmal festzustellen, dass die irakischen Stellen die Zahl der Opfer sogar geringer angeben hatten, als wir sie nachweisen konnten. 28 Mal waren unsere Mitarbeiter zur Zeit des Angriffes an Ort und Stelle und haben anschließend Berichte verfasst.

Die Verhängung der Sanktionen über den Irak jährt sich zum zehnten Mal. Wie hat sich das tägliche Leben eines Irakers der Mittelschicht in dieser Zeit verändert?

Sehen Sie, die sogenannte Mittelklasse im Irak zählte zu dem, was die Iraker stolz machte, was im Mittleren Osten bekannt war. Sie hatte das Geld, ihre Leute ins Ausland zu schicken. Es gibt im Irak mehr Leute mit einer Promotion - auch in technischen Fächern - als irgendwo anders in der Region. Diese Mittelklasse ist im Verlauf der zehn Jahre immer dünner geworden. Sie ist teils ausgewandert, teils ausgestorben und nicht ersetzt worden, weil die Bildungseinrichtungen im Lande nicht funktionieren und weil sie auch nicht im Ausland studieren können. Was aber noch dramatischer ist, sie ist entprofessionalisiert worden.

Was bedeutet das?

60 bis 70 Prozent der Menschen im Irak sind arbeitslos. Die, die einen Job haben können dabei oft nicht das anwenden, was sie gelernt haben. Piloten arbeiten als Schrankenwärter, Ärzte und Professoren müssen jeden Job annehmen, den sie bekommen können. Das ist eine wirkliche Tragödie und selbst die, die in den Universitäten wirklich arbeiten können, tun es unter entwürdigenden Zuständen. Sie haben die Lehrmittel nicht, die Studenten fehlen oftmals und sie verdienen einen Bruchteil dessen, was sie vor dem Sanktionsregime bekommen haben. Ich kenne den Fall einer Professorin, die vor den Sanktionen etwa 600 Dollar im Monat verdiente und heute mit 19.000 Dinar auskommen muss. Das sind etwa acht Dollar. Die Studenten sind oft in einem schlechten psychischen Zustand. Laut einer Studie von Unicef ist die Zahl der geistig Behinderten enorm angestiegen. Das ganze System des Lernen ist vom Zusammenbruch bedroht.
 

Das Programm „Öl-für-Nahrungsmittel“ gesteht dem Irak seit 1996 zu, für derzeit rund fünf Milliarden Dollar Öl auszuführen und dafür Nahrungsmittel ins Land zu holen. Ist das nicht ein Schritt in die richtige Richtung?

Selbstverständlich. Man kann nicht sagen, dass das “Öl-für-Nahrungsmittelprogramm“ , das ich 17 Monate geleitet habe, unwichtig ist. Es ist eine wichtige Lebensleine, aber es ist total ungenügend. Es hat sich verbessert. Es fing an mit drei Milliarden Dollar und hat sich dann, auch wegen des gestiegen Ölpreises nach oben bewegt. Man kann heute mehr Medizin einführen, die Kalorienwerte für den Nahrungsmittelkorb, der einmal im Monat eingeführt wird, erhöhen sich. Was aber immer wieder vergessen wird, ist die Tatsache, dass gewisse Dinge nicht eingekauft werden können.

Reichen fünf Milliarden Dollar überhaupt aus?

Was sich tatsächlich aus dem Programm ergeben hat, ist ein Schauerbild. Den Berichten des Generalsekretariats zufolge - der letzte wurde im November vergangenen Jahres dem Sicherheitsrat übergeben - kamen 8,8 Milliarden Dollar tatsächlich ins Land. Wenn Sie das durch eine Bevölkerung von 20 Millionen Irakern dividieren, kommen sie auf eine Zahl von 110 Dollar pro Kopf, pro Jahr. Für diese Summe werden jährlich Güter importiert. Im Land selbst wird nur noch wenig angebaut.

Text: Das Gespräch führte Christian Kreutzer am 22.2.2001 in Heidelberg
Bildmaterial: dpa
© F.A.Z. Electronic Media GmbH 2000