junge Welt Interview

26.02.2001
Wie gefährlich ist der Irak?
jW sprach mit dem ehemaligen UN-Koordinator für Irak Hans von Sponeck

(Hans von Sponeck war ab Herbst 1998 Koordinator des humanitären UN-Hilfsprogramms für Irak, bis er im Februar 2000 aus Protest gegen die Fortsetzung der Sanktionen seinen Rücktritt einreichte)

F: Sie referieren am heutigen Montag auf einer Anhörung des Europaparlaments über die Folgen der Irak-Sanktionen. Was sind die Kernpunkte Ihrer Kritik am Embargo?

Die irakische Bevölkerung ist das unschuldige Opfer einer Konfrontation zwischen der Regierung in Bagdad und dem UN-Sicherheitsrat. Nach zehn Jahren sind die Beweise nun wirklich erdrückend, daß die Folgen der Sanktionen für die Bevölkerung verheerend sind. Diese Realität läßt sich nicht mehr länger verdrängen. Die Verantwortlichen müssen endlich eingestehen, daß der Ansatz, die Abrüstungsdiskussion mit Wirtschaftssanktionen zu verknüpfen, falsch ist.

Das Europaparlament muß sich die große menschliche Tragödie im Irak heute vor Augen halten: Kindersterblichkeit, Unterernährung, Verhinderung jeder menschlichen Rechte, die man anderen Ländern einräumt. Genannt seien hier nur das Recht auf Bildung, auf Leben, auf Entwicklung zu einer menschlichen Persönlichkeit, wie das in Artikel 26 der Universaldeklaration für Menschenrechte beinhaltet ist.

Der Öffentlichkeit wird im Zusammenhang mit Irak systematisch und organisiert die Unwahrheit gesagt. Auch darüber muß in Brüssel gesprochen werden, weil dies langfristig ernste Folgen über den Fall Irak hinaus hat. Briten und Amerikaner ignorieren immer wieder die Berichte der Vereinten Nationen und verbreiten Anschuldigungen, die nicht den Tatsachen entsprechen. Als Beispiel mag die Frage dienen, was mit den humanitären Gütern geschieht, die über das UN-Programm »Öl für Lebensmittel« in den Irak kommen. Diese Güter werden nicht wie behauptet gehortet, sondern verteilt.

F: US-Präsident Bush nennt die Sanktionen verärgert »löchrig wie ein Schweizer Käse« - gibt es noch eine Irak-Blockade?

Das Sanktionsmanagement hat nie richtig funktioniert, und man wollte es wohl auch nie richtig funktionieren lassen. Die Grenzen waren immer porös. Bis heute läßt man in einer gewissen Menge bestimmte Güter ins Land, die man stoppen könnte. Das wird bewußt nicht gemacht, um eine undurchsichtige Situation entstehen zu lassen, die man dann kritisieren kann.

F; Großbritannien und die USA machen sich nun für »intelligente Sanktionen« stark, die nicht mehr die Zivilbevölkerung treffen sollen.

Jetzt unter Druck die Frage zu stellen, ob man nicht intelligentere Sanktionen einführen könne, ist einfach ein Witz. Die Frage ist schon vor zwei Jahren, am 27. Januar 1999, im britischen Unterhaus diskutiert worden. Der Vorschlag, »smarter« oder »intelligenterer Sanktionen« ist in der theoretischen Überlegung interessant. Im jetzigen Stadium des Iraks wären sie aber nur bedingt effektiv.

F: Die Irak betreffenden Resolutionen des UN- Sicherheitsrates sprechen von einer Demilitarisierung im regionalen Kontext. In den letzten Jahren passierte indes das genaue Gegenteil: Irak wurde massiv abgerüstet und die Waffenkammern der Nachbarländer bis unter die Decke gefüllt.

Ich stimme Ihnen absolut zu. Nach eigenem Erkennen ist der Irak keine Militärmacht mehr. Zu dem, was da an Militärkonvois über die Straßen des Iraks gefahren ist, kann ich nur sagen: so etwas Erbärmliches habe ich weder in Afrika noch in Südasien gesehen, das war eine Katastrophe. Irak ist militärisch gesehen wieder ein Drittweltland geworden.

Der ehemalige Waffeninspekteur der UNO, Scott Ritter, beispielsweise weist darauf hin, daß es naiv ist, in dieser Sache quantitativ vorzugehen. Abrüstung und Entwaffnung eines Landes kann nur von der qualitativen Seite her betrachtet werden. Und so kommt Ritter zum Schluß, daß der Irak abgerüstet ist. Die Waffensysteme, die das Land auf chemischen, biologischen und balistisch-nuklearem Gebiet aufgebaut hatte, sind von UNSCOM seinerzeit entfernt worden. Und schließlich: Am 10. Januar diesen Jahres hatte der Verteidigungsminister der scheidenden Clinton- Administration, William Cohen, in einem Briefing für den neuen US-Präsidenten George W. Bush gesagt, er sei der Meinung, daß Irak heute gegenüber den Nachbarländern keine Gefahr mehr darstelle.

F: Die Kurden in der Schutzzone im Nordirak warnen dennoch davor, das Embargo einfach aufzuheben.

Wenn man sich mit den kurdischen Führern unterhält, etwa Jelal Talabani und Mazut Barzani, wird einerseits deutlich, daß sie die gegenwärtige Sanktionsrealität willkommen heißen. In gewissem Sinne ist es ungerecht, wenn die Kurden über das Programm »Öl für Nahrungsmittel« mehr Mittel erhalten als andere im Irak. So gehen fast 20 Prozent der Ölgelder an die im Norden lebenden Kurden, die 13 Prozent der irakischen Gesamtbevölkerung ausmachen. Die kurdischen Führer sehen die gegenwärtige Zeit als eine Art goldenes Zeitalter - aus Sicherheits- wie aus finanziellen Gründen. Auf der anderen Seite wissen aber auch sie, daß die Perspektive eines stabilen Irakisch-Kurdistan langfristig viel besser für sie ist als das Streben nach einem eigenen Staat, der wirtschaftlich und geographisch keine Zukunft hätte.

Dennoch steht natürlich die Frage im Raum, wie man die Aufhebung der Sanktionen verbinden kann mit einer Garantie für Chancengleichheit in bezug auf die lokale Verwaltung und die Verteilung der Gelder auch im Norden des Irak. Das ist eine der schwierigen Aufgaben eines längeren Friedensprozesses. Aber gegen eine Änderung des Status quo zu argumentieren, weil man glaubt, die Kurden würden wieder Schwierigkeiten haben, das ist ein falscher Ansatz.

Interview: Rüdiger Göbel

Quelle: http://www.jungewelt.de/2001/02-26/014.shtml

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