Alfred Diwersy, Gisela Wand: Irak. Land zwischen Euphrat und Tigris. Preis: |
Auch wenn der Text vom 'Paradise lost' spreche, so würden doch die Bilder einen anderen Eindruck vermitteln. Man sehe, so die Rezensentin Brigitta M. Schulte, eine "überraschend heile" und auch "wohlhabende Welt". Der Text erweise sich als kritischer als die Bilder, auf denen starke Persönlichkeiten zu sehen seien, die offenen Blicks in die Kamera schauten. Dass in Mesopotamien die Wurzeln unserer eigenen Kultur zu finden sind, sei für den westlichen Reisenden auch eine wertvolle Erfahrung, die seine Überheblichkeit schmälere, wie Schulte befindet. Insgesamt liege aber die Stärke des Bandes in der Irritation, die er auslöse. Überdies verleite er zu der Frage, ob angesichts einer Diktatur "mehr an Herzensbildung, Güte und Geradheit" möglich sei, als man vermutet.
junge Welt vom 17.01.2002 |
Ausland |
Spiegel der Geschichte Vor elf Jahren begann der zweite Golfkrieg: Ein Bildband über das alte Mesopotamien im Irak heute Rüdiger Göbel |
Nebukadnezar, Hammurabi, Gilgamesch, Babylon, der Turm von Babel, das blaue Ischtar-Tor, das prächtige Ninive, Ur in Chaldäa Herrschernamen und Orte aus längst vergangener Zeit, jeder hat einmal von ihnen gehört. Der ein oder andere kam beim Schulpflichtbesuch in der Vorderasiatischen Abteilung des Pergamonmuseums in Berlin nicht umhin, ein Auge auf die geraubten Stücke alter Hochkultur Mesopotamiens, Quelle auch der westlichen Zivilisation, zu werfen. Auf dem Gebiet des heutigen Irak wurden vor 5000 Jahren bereits riesige Burganlagen und Städte gebaut, die Schrift erfunden, Handelsregister und Gesetze eingeführt zu einer Zeit, als die Menschen hierzulande noch zusehen mußten, daß sie sich beim Beerensammeln im Wald nicht selbst vergifteten.
Ein Besuch von Bagdad und Basra, Babylon und Mosul heute könnte ein einziger langer Blick in den Spiegel der Geschichte sein, wären da nicht Sanktionen und Embargo, regelmäßige US-Bombenangriffe und stete Kriegsdrohung. Der Irak ist abgeschottet von außen, verschlossen von innen, medial verbannt in die Schublade von Diktatur und Despotie. Bedenken und Verlangen gegeneinander abgewogen, hat sich im vergangenen Jahr eine Gruppe Bildungshungriger aufgemacht in das von Euphrat und Tigris durchzogene Zweistromland, in eine Diktatur und in ein von Kriegen gezeichnetes Land. Vom Gollstein-Verlag sind nun die Eindrücke zweier Teilnehmer auf Hochglanz gebannt worden. Herausgekommen ist ein prächtiger, 444 Seiten umfassender Bildband über die frühe Geschichte und Kultur des heute belagerten Irak. »Die Menschen sind Feinde dessen, was sie nicht kennen«, pflegte Ali ibn Abi Talib, Vetter und Schwiegersohn des Propheten Mohammed, zu sagen. Das Grab des Kalifen soll sich in dem schiitischen Wallfahrtsort Nadjef befinden, einem der Pflichtziele historischer Reisen im Süden Iraks. Das Auftreten eines Europäers elektrisiere die Menschen im Zweistromland, schreiben Alfred Diwersy und Gisela Wand im Vorwort ihres Buches. »Sie begegnen ihm neugierig und fast ausgelassen freundlich, in der unausgesprochenen Hoffnung, einen Vorboten künftiger Wende und der bevorstehenden Öffnung des Irak zu begrüßen.« Ins Bild gerückt wurden die archäologisch erschlossenen Zentren der sumerischen, babylonischen und assyrischen Hochkulturen. Zu sehen sind Zeugnisse aus der Kalifenzeit und die bedeutendsten Pilgerstätten. »Die Eindrücke sind überwältigend und zeigen, daß der Irak mehr ist als Raketendrohung und Embargo«, schließen Diwersy und Wand. Wer einmal mit eigenen Augen sehen möchte, woher die mesopotamischen Schätze der großen europäischen Museen stammen, der wird um eine Reise in den Irak nicht herumkommen. »Es lohnt sich«, schwärmen Diwersy und Wand, »denn es ist etwas anderes, das Modell einer Zikkurat in der Glasvitrine zu studieren oder in der flimmernden Hitze des Schwemmlandes ihre Treppenrampe emporzusteigen und über die Ebene zu blicken«. Ganz billig ist ein solches Unternehmen freilich nicht. En passant nur, aber doch hochinformativ und anschaulich beschreiben die beiden Autoren die desaströsen Folgen der letzten Dekade internationaler Embargopolitik. »Angesichts der Arbeitslosigkeit und Inflation im Land ist am Ende ein größeres Trinkgeld des Gastes auch für den Busfahrer und die Begleiter fällig. Man sollte sich vergegenwärtigen, daß jeder, der hier Arbeit hat, eine große Familie, arbeitslose Verwandte, Alte und Kranke miternährt. Es kann sein, daß der Bus- oder Taxifahrer ein Akademiker ist, ein Petroingenieur, ein Hochschulwissenschaftler vielleicht. Auch sie sind auf das Trinkgeld angewiesen, denn sie müssen diesen Job machen, um leben zu können und etwa ihre Eltern mit zu unterhalten. Zwar zahlt der Staat Renten, aber die Summe ist die von 1980 geblieben und so nichts mehr wert. Das Taxi zur Bank, um die Rente von 750 Dinar abzuholen, kostet mittlerweile mehr als die Rente erbringt. 750 Dinar waren früher 250 Dollar, heute sind es nicht einmal mehr 40 Cents. An allen Ecken und Enden des Landes zeigt sich, daß die Bürger des Landes die Leidtragenden der Sanktionen sind.« Das seit gut elf Jahren andauernde Embargo wirkt nach zwei Seiten. Wie die Bevölkerung in dem Zweistromland von der Außenwelt so ist der Westen vom Irak, von Bildern und Informationen aus und über dieses Land in hohem Maße abgeschnitten. Das Buch mit 490 Farbbildern, ausführlichen Erläuterungen und Chronologien möchte einen Beitrag leisten, »daß der Irak mit seiner Kultur und seinen Bewohnern wieder gesehen wird«. Hier liegt das Verdienst des Bildbandes. * Alfred Diwersy, Gisela Wand: Irak Land zwischen Euphrat und Tigris. 444 Seiten, gebunden im Schutzumschlag. Gollenstein Verlag, Blieskastel 2002, Einführungspreis bis 31.1.2002: Euro 49, ab 1.2.2002 Euro 65 |
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