Buchbesprechung

"Die Neue NATO, Irak und Jugoslawien" von Clemens Ronnefeldt

Das erste Opfer im Krieg, so heißt es, ist die Wahrheit. In Wirklichkeit ist sie aber in der Regel schon vorher gestorben, genauer gesagt die wahrheitsgemäße Information der Bevölkerung. Dies ist eine der Thesen die Clemens Ronnefeldt versucht in seinem Buch an Hand der Kriegspolitik gegen Irak und Jugoslawien nachzuweisen – und das mit Erfolg.
Jedem der sich ernsthaft mit den Themen befaßte, hätte schon vorher feststellen können, daß Krieg weder ein notwendiges noch sinnvolles Mittel war, die Konflikte zu lösen. Es waren genügend Fakten bekannt “die funktionierenden Demokratien einen Verzicht auf einen Militäreinsatz nahegelegt hätten” schreibt Ronnefeldt in der Einleitung.
Zudem lies sich, wie sich aus den folgenden Kapiteln ergibt, auch früh erkennen, daß es der kriegführenden Supermacht USA und ihren Verbündeten nicht um die vorgegebenen uneigennützigen Ziele, sondern um handfeste politische und wirtschaftliche Interessen ging.

Der vom Versöhnungsbund im April herausgegebene Band sammelt Beiträge des Autors, die zwischen Anfang 1998 und Ende 2000 entstanden sind und in verschiedenen Medien auch veröffentlicht wurden. Vielen wird daher der eine oder andere Text noch in Erinnerung sein.
Thematisch gegliedert und ergänzt durch wichtige Quellentexte ist es nicht nur ein Nachschlagewerk sondern ergibt auch einen guten Überblick über einige der wichtigen außen- und friedenspolitischen Themen unserer Zeit.
Nachgelesen werden kann beispielsweise die Vorgeschichte des Golfkriegs, wo Ronnefeldt durch Quellen belegt, daß der Einmarsch des Irak in Kuwait nicht der Anlaß für den "Wüstensturm" gewesen war, sondern die Pläne für einen Krieg gegen den Irak bereits zwei Monate zuvor vom später kommandierenden General Norman Schwarzkopf vorgestellt worden waren.
Ausführlich sind auch die vielen warnenden Stimmen dokumentiert, die auf die Völkerrechtswidrigkeit des geplanten Kriegs gegen Jugoslawien hingewiesen haben und Zweifel an den vorgegebenen Absichten der NATO-Staaten äußerten. Er zeigt, daß – ein entsprechender Wille vorausgesetzt – die Konflikte im Kosovo durchaus zu lösen, zumindest zu entschärfen gewesen wären. Ausführlich dokumentiert sind u.a. Äußerungen Willi Wimmers, CDU-Bundestagsabgeordneter und Vizepräsident der Parlamentarischen Versammlung der OSZE und Heinz Loquais, Brigadegenerals a. D, von 1995 bis 1999 bei der deutschen OSZE-Vertretung in Wien, die belegen, daß friedliche Lösungen unter Vermittlung von UNO oder OSZE nicht gewollt waren und offensichtlich die NATO alles daran gesetzt hat, ihre neue Strategie auch gleich praktisch zu demonstrieren.

Der Zusammenhang des neuen strategischen Konzept der NATO mit der Kriegspolitik gegen den Irak und Jugoslawien ist auch Thema des ersten Teils des Buches, wo die Kernpunkte analysiert und deren Risiken für die Zukunft, z.B. die zu erwartenden Konflikte mit Rußland angesichts der Krisenregion Kaukasus, erörtert werden. Auch der Weg Europas zu eigenständigen Militärmacht wird beleuchtet, dessen Ziel ebenfalls der Ausbau von Interventionsmöglichkeiten zur Durchsetzung westlicher Interessen ist. “Die weiße Rasse unter Waffen” hatte dies provozierend einst der Guardian genannt, "modernisiertes Faustrecht" nennt es Clemens Ronnefeldt.

Dem setzt Ronnefeldt, wie auch Prof. Dieter S. Lutz, der das Vorwort beisteuerte, ihr Engagement für eine "Stärkung des Rechts, statt dem Recht des Stärkeren" entgegen. Die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen werden dabei nicht rosig eingeschätzt: Wer die beiden Bücher von Heinz Loquai und Jürgen Elsässer über die "tödlichen Lügen der Bundesregierung" gelesen habe, so schreibt er in seinem Nachwort, "braucht sehr viel guten Willen, um noch Reste von funktionierender Demokratie in Deutschland entdecken zu können".

Konsequenter Weise setzt er auf außerparlamentarische Initiativen auf die Vielfalt der "Nichtregierungsorganisationen" (NGOS), wobei er die Rolle der NGOs vielleicht etwas zu optimistisch sieht. Natürlich geht am von Clemens Ronnefeldt geforderten zivilgesellschaftlichen Engagement kein Weg vorbei und sind tatsächlich NGOs die Kräfte die in Europa und den USA der Kriegspolitik ihrer Länder Widerstand entgegensetzen. Es darf aber nicht übersehen werden, daß auch viele NGOs die westliche Interventionspolitik unterstützen, indem sie vermeintliche oder tatsächliche Menschenrechtsverletzungen durch "humanitäre Interventionen" der NATO-Staaten verhindern wollen – auch mit Einsatz militärischer Mittel.

Solange nicht auszuschließen ist, daß neue Kriege die Neue NATO begleiten werden, schreibt Lutz in seinem Vorwort, leben wir immer noch in einer Vorkriegszeit und es gilt: "Nach dem Krieg ist vor dem Krieg"
"Kritischen Arbeiten, wie den hier vorgelegten, ist zu wünschen, daß sie Früchte tragen, daß sie breit wahrgenommen und intensiv diskutiert werden und .. dazu führen die Schwelle für neue Militäreinsätze in weiten Teilen der NATO-Gesellschaften so anzuheben, dass Kriege innenpolitisch nicht mehr durchsetzbar werden." Diesem Wunsch von Dieter S. Lutz kann ich mich nur anschließen.

Joachim Guilliard, Mai 2001
(erschienen leicht gekürzt in Contraste Juni/2001)


*) herausgegeben vom Deutschen Zweig des Internationalen Versöhnungsbundes,
Minden 2001, 195 Seiten,
mit einem Vorwort von Prof. Dieter S. Lutz,
ISBN: 3-9804408-3-4,
Preis: 15.- DM (+ 3.-DM für Porto und Versand)

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