» Bundesweiter Aufruf: Embargo gegen den Irak beenden
Aufruf an Bundesregierung die Sanktionen nicht länger zu beachten
"Die Theorie hinter Wirtschaftssanktionen ist, daß ökonomischer Druck auf die Zivilbevölkerung in Druck auf die Regierung übersetzt wird, ihre Politik zu ändern. Diese Theorie ist bankrott, sowohl rechtlich wie praktisch"
(Prof. Marc Bossuyt) |
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Die umfassenden Wirtschaftssanktionen gegen den Irak haben schwerwiegende Auswirkungen auf die irakische Bevölkerung und verstoßen daher, wie im folgenden näher erläutert wird, in vieler Hinsicht gegen fundamentale Menschenrechte und völkerrechtlich verbindliche Konventionen. Da die Sanktionsmaßnahmen völkerrechtswidrig sind, dürfen die Resolutionen des UN-Sicherheitsrates, auf denen sie fußen, nicht weiter beachtet werden.
Mehr als eine Millionen Menschen ließen im Irak nach Angaben von Kinderhilfswerk UNICEF und die Weltgesundheitsorganisation WHO als Blockadeopfer in den letzten zehn Jahren ihr Leben, darunter mehr als 500.000 Kinder unter fünf Jahren. Noch wesentlich mehr Kinder bleiben auf Dauer körperlich in ihrer Entwicklung zurück oder behalten chronische Schäden. Das Embargo gegen den Irak ist "keine Außenpolitik - es ist sanktionierter Massenmord", schrieben 1999 die US-Wissenschaftler Noam Chomsky und Edward Said.
Laut UNICEF sterben im Irak weiterhin täglich 250 Menschen an den Folgen der Blockade. Die Kindersterblichkeitsrate hat sich seit 1990 mehr als verdoppelt und ein Drittel der irakischen Kinder leidet an Unterernährung und Untergewicht. Neben unzureichender Ernährung ist vor allem die schlechte Trinkwasserqualität für die Zunahme von Krankheiten verantwortlich, die unter Embargobedingungen nicht ausreichend behandelt werden können.
Die Ausnahme von Nahrungsmitteln und Medikamenten von den Sanktionen, sowie das "Öl-für-Nahrungsmittel"-Programm konnten diese Entwicklung nicht aufhalten; Krankheiten und Not werden nicht allein durch Mangel an Nahrungsmitteln und Medikamenten verursacht, sondern auch durch den Ausfall der Infrastruktur in Bereichen wie Wasser- und Energieversorgung, Transportwesen und Kommunikation aufgrund fehlender Ersatzteile, Chemikalien usw..
Die Praxis des Sanktionsregimes, bei dem die USA ebenfalls tonangebend sind, führt auch bei lebenswichtigen Gütern zu einer spürbaren Blockade. Dies wird von zahlreichen Studien von UN-Organisationen belegt und auch von den beiden früheren UN-Koordinatoren für die humanitäre Hilfe im Irak, dem Iren Denis Halliday und dem Deutschen Hans v. Sponeck bestätigt beide sind wegen der Aussichtslosigkeit ihrer Arbeit zurückgetreten.
Aus diesem Grunde würden auch sogenannte "Intelligente Sanktionen" problematisch bleiben, solange sie die Einfuhr der für den Wiederaufbau des Landes nötigen Güter behindern würden.
Durch die Blockierung des Außenhandels eines Landes, daß für sein Überleben auf diesen angewiesen ist, wird das Leben der Zivilbevölkerung als Ganzes bedroht. Derart umfassende Sanktionen sind daher schwere Menschenrechtsverletzungen, da das Recht auf Leben, das Recht auf angemessene Ernährung und Gesundheitsversorgung grundlegende und unveräußerlich Rechte sind.
Umfassende Sanktionen sind eine Form kollektiver Bestrafung, die in völligem Gegensatz zu den Grundprinzipien des Rechts steht. Sie sind nicht vereinbar mit dem Grundsatz der individuellen Verantwortlichkeit, der besagt, daß jede Person nur für das belangt werden darf, für das sie auch selbst verantwortlich ist.(1)
Sie verletzen die in der Menschenrechtsdeklaration von 1948 fixierten Rechte wie das Recht auf Leben, soziale Sicherheit oder Bildung und ignorieren Bestimmungen des Internationalen Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte von 1966. Dort heißt es in Artikel 1: "In keinem Fall darf ein Volk seiner eigenen Existenzmittel beraubt werden."
Schon die ersten Untersuchungsberichte von UN-Kommissionen im Irak kurz nach dem Krieg der USA und ihrer Alliierten kritisierten die auferlegten Sanktionen in diesem Sinne:
"Es bleibt ein grundlegendes humanitäres Prinzip, daß unschuldige Zivilisten und vor allem die verletzlichsten unter ihnen nicht als Geiseln genommen werden sollen für Ereignisse, die nicht ihrer Kontrolle unterliegen" (UN-Dok. S/227999, Ziff.138 )
"das Recht auf Nahrung, Wasser, Wohnung und adäquate Gesundheitsversorgung gehört zu den fundamentalen Menschenrechten und muß für alle Menschen der Region sichergestellt werden." (ibd., Ziff.137) (2)
Auch zahlreiche weitere internationale Abkommen zum Schutz von Menschenrechten werden durch die Sanktionen verletzt, bis hin zur Konvention zur Verhütung von Völkermord von 1948. Diese verbietet in Artikel 2, einer nationalen, ethnischen, rassischen oder religiösen Gruppe vorsätzlich Lebensbedingungen aufzuerlegen, "die geeignet sind, ihre körperliche Zerstörung ganz oder teilweise herbeizuführen".
In ihrer Resolution vom 4. März 1994 stellte die UN-Menschenrechtskommission bzgl. unilateraler Sanktionen fest, daß wirtschaftliche Zwangsmaßnahmen die volle Verwirklichung aller Menschenrechte unmöglich machen. Unter Verweis auf "das Recht eines jeden auf einen für Gesundheit und Wohlergehen ausreichenden Lebensstandard, der Nahrung, medizinische Versorgung, Unterkunft und notwendige soziale Dienstleistungen beinhaltet" fordert sie alle Staaten auf, derartige Praktiken zu unterlassen. Es ist offensichtlich, daß die in dieser Resolution beschriebenen Umstände auch auf multilaterale und damit noch wirksameren Sanktionen zutreffen. (3)
Schließlich verstoßen umfassende Wirtschaftsblockaden auch gegen die Genfer Konvention und weitere Konventionen zum Schutz der Zivilbevölkerung im Falle innerstaatlicher und internationaler Konflikte. Neben dem prinzipiellen Verbot von Maßnahmen, die auch die Zivilbevölkerung in Mitleidenschaft ziehen, liegen vor allem Verstöße gegen zwei Verbote vor:
Die Genfer Konvention, die sich auf Kriegsmaßnahmen bezieht ist anwendbar, da
In den Zusatzprotokollen ist auch explizit festgelegt worden, daß die Konventionen unter allen Umständen gelten sollen, unabhängig von der politischen Definition des Konfliktes und seiner Anerkennung als kriegerischen Konflikt von beiden Seiten.
Zudem ist der wesentliche Sinn dieser Konventionen, unbeteiligten Menschen auch unter den schlimmsten Umständen, nämlich dem Krieg, ein Mindestmaß an Schutz zu gewähren. Es versteht sich von selbst, daß sie um so mehr gelten sollten, wenn kein (offener) Krieg herrscht. (4)
Doch England und die USA setzen den Krieg seit den viertägigen Bombardierungen im Dezember 1998 mit fast täglichen Luftangriffen fort. Bombardierungen und militärische Blockaden das Embargo gegen den Irak hat die Züge einer mittelalterlichen Belagerung angenommen, bei der die Grenzen zwischen Schlachtfeld und Gesellschaft völlig verwischen. Frauen und Kinder werden in die Gewalt des Krieges hineingerissen und die Infrastruktur der Gesellschaft wird zerstört.
Da die Folgen des Embargos den Mitgliedern des Sicherheitsrat seit langem bekannt sind, sind die Befürworter der Sanktionen auch dafür verantwortlich. Es ist dabei unerheblich inwieweit das irakische Regime selbst zur Situation beigetragen hat. Dies betont auch das vom Unterausschuß der UN-Menschenrechtskommission bestellte Gutachten des belgischen Juristen Marc Bossuyt vom August 2000: "Das Sanktionsregime gegen den Irak hat als sein klares Ziel dem irakischen Volk Lebensbedingungen aufzuerlegen, ... die auf seine ganze oder teilweise physische Zerstörung ausgerichtet sind. Es tut nichts zur Sache, daß diese absichtliche physische Zerstörung angeblich die Sicherheit in der Region zum Ziel haben soll. Sobald der klare Beweis erbracht worden war, daß Tausende von Zivilisten gestorben sind und Hunderttausende in Zukunft sterben würden, wenn der Sicherheitsrat die Sanktionen fortsetzt, waren die Toten nicht länger ein unbeabsichtigter Nebeneffekt - der Sicherheitsrat war (ab da) verantwortlich für alle bekannten Konsequenzen seiner Aktivitäten." (5)
Im Grundsatz VI der "Nürnberger Prinzipien" werden u.a. folgende, nach internationalem Recht strafbare, Verbrechen gelistet: unter Kriegsverbrechen, "die mutwillige Zerstörung von Großstädten, Städten oder Dörfern oder deren Verwüstung, die nicht durch militärische Notwendigkeit gerechtfertigt ist" und als Verbrechen gegen die Menschlichkeit "Mord, Ausrottung, Versklavung, Verschleppung und andere unmenschliche Taten, die sich gegen die Zivilbevölkerung richten."
Nach den Grundsätzen III, IV und VII machen sich alle strafbar, die als solche Verbrechen eingestufte Handlungen anordnen, durchführen oder unterstützen. (6)
Dem Irak wurden die umfassenden Sanktionen ursprünglich auferlegt, um ihn zum Rückzug aller seiner Truppen in ihre Stellungen vor dem 1. August 1990 zu zwingen und "die Autorität der legitimierten Regierung von Kuwait wieder herzustellen". (7) Alle diese Forderungen wurden erfüllt. Es gibt daher keine legale Basis mehr für die Fortsetzung der Sanktionen. Statt dessen wurden von einzelnen ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats neue völkerrechtlich unzulässige Forderungen erhoben, wie die nach Änderung des irakischen Regimes.
Der Irak verfügt heute über keine Waffensysteme mehr, die eine Bedrohung anderer Staaten darstellen könnten. Eine hundertprozentige Garantie, daß der Irak auch in Zukunft keine Massenvernichtungswaffen mehr herstellen kann, ist von der Sache her allerdings unmöglich. Es kann aber das in der Resolution 687 (1991) vorgegebene Ziel der "Sicherheit der Region" durch Schaffung einer Zone im Nahen Osten die frei von Massenvernichtungswaffen ist, nicht dadurch erreicht werden, daß ein Staat vollständig abgerüstet wird, während die Nachbarstaaten massiv aufgerüstet werden und z.T. auch über Massenvernichtungswaffen verfügen.
Umfassende Sanktionen, wie die gegen den Irak, sind in ihrer Wirkung selbst mit Massenvernichtungswaffen zu vergleichen. Tatsächlich forderten die Sanktionen gegen den Irak schon mehr Opfer, als alle Einsätze von Massenvernichtungswaffen in der bisherigen Geschichte zusammen.(8)
Frieden und Sicherheit lassen sich nicht mit militärischer oder ökonomischer Gewalt durchsetzen. Notwendig wäre hingegen, und auch nach Resolution 687 geboten, Rüstungsexporte in die Region generell einzustellen und alle Beteiligten wieder in Gespräche einzubinden, die die Interessen aller berücksichtigen. Dabei sollte bedacht werden, daß auch die Hochrüstung der westlichen Staaten und der verstärkte Aufbau von Interventionsstreitkräften, eine Motivation der Regierungen vieler Länder für das Streben nach effektiven Waffensystemen und Massenvernichtungswaffen ist.
Der Irak leidet neben den Sanktionen auch unter sehr hohen Entschädigungszahlungen die er an Dritte leisten muß. Diese Zahlungen verschlangen in den letzten Jahren ein Drittel seiner Exporterlöse. Das vom Sicherheitsrat beschlossene Verfahren zur Regelung der vom Irak zu leistenden Entschädigungszahlungen ist historisch ohne Beispiel und von zweifelhafter Legalität. Noch nie wurden von einem Staat solch umfassende Reparationszahlungen, dazu ohne Rücksicht auf seine Leistungsfähigkeit, verlangt. (9) Dies ist u.a. nicht in Übereinstimmung mit dem Entwurf der UN-Völkerrechtskommission zur Haftbarkeit von Staaten, der besagt: "In keinem Fall haben Reparationszahlungen zur Folge, eine Bevölkerung ihrer eigenen Subsistenzmittel zu berauben."
Mittlerweile stehen dem Irak zudem Entschädigungszahlungen für alle Schäden die durch völkerrechtswidrige Maßnahmen entstanden zu. Hierzu zählen der Einsatz explizit oder implizit geächteter Waffen, wie Streubomben und Uranmunition, sowie die völkerrechtswidrigen anglo-amerikanischen Luftangriffe nach dem eigentlichen Kriegsende.(10)
Die Sanktionen gegen den Irak sind die härtesten in der Geschichte und tödlicher als die Bomben während des Krieges. Sie sind mit keinen politischen und sonstigen Zielen zu rechtfertigen, da durch sie die gesamte irakische Bevölkerung als "Geisel" genommen" wird.
Die Sanktionen verstoßen gegen fundamentale Menschenrechte und eine Vielzahl völkerrechtlich verbindlicher Konventionen. In einer Zusammenfassung der völker- und menschenrechtlichen Problematik stellte der Hohe Kommissar für Menschenrechte im September 2000 u.a. fest, daß:
Im oben genannten Gutachten kommt Marc Bossuyt zum Schluß, daß "das Sanktionsregime gegen den Irak eindeutig illegal unter dem geltenden internationalen Menschenrecht und den humanitären Gesetzen [ist]. Einige würden so weit gehen, den Vorwurf des Völkermordes zu erheben."
Es ist unannehmbar, daß ein Organ der UNO, wie der Sicherheitsrat, die grundlegenden Rechte einer ganzer Bevölkerung im Namen von Frieden und Sicherheit verletzt. Es zeigt die aktuelle Schwäche der UNO, daß einzelne permanente Mitglieder des Sicherheitsrates sie durch ihr Veto zur formalen Legitimierung fortgesetzter völkerrechtswidriger Maßnahmen zwingen kann.
Da die Sanktionsmaßnahmen völkerrechtswidrig sind, dürfen die Resolutionen des UN-Sicherheitsrates, auf denen sie fußen, nicht weiter beachtet werden. Denn der UN-Sicherheitsrat steht nicht "über dem Völkerrecht". Nach Artikel 24 der UN-Charta gilt, daß er ausschließlich "in Übereinstimmung mit den Zielen und Prinzipien der Vereinten Nationen" handeln darf.
Gemäß den "Prinzipien des Nürnberger Tribunals" dürfen Anweisungen die eventuell nach internationalem Recht strafbare Verbrechen darstellen könnten, nicht umgesetzt werden. Es ist nicht ausgeschlossen, daß Personen, die sich aktiv an der Durchführung des Embargos beteiligen, sich in diesem Sinne strafbar machen.
Die zukünftige Nichtbeachtung der völkerrechtswidrigen Resolutionen gegen den Irak wäre demnach auch ein wichtiger Schritt zur Wiederherstellung der Autorität der Vereinten Nationen.
Ein weiterer wichtiger Schritt in dieser Richtung wäre eine Ende der Sonderbehandlung des Iraks. Obwohl viele Staaten der Region über Massenvernichtungswaffen verfügen, zeitweilig oder dauerhaft fremdes Territorium besetzten und schwere Menschenrechtsverletzungen begehen wurde bisher allein der Irak mit Krieg und Embargo bestraft.
Die weltweite massive Kritik an den Sanktionen gegen den Irak hat bereits dazu geführt, daß die Sanktionsfront bröckelt. Das italienische Parlament hat sich mit großer Mehrheit gegen das Embargo ausgesprochen, sowie mehr als 70 Abgeordnete des US-Kongreß. Auch Rußland, Frankreich und eine Reihe anderer Staaten haben sich eindeutig für ein Ende der Sanktionen ausgesprochen und sind dabei ihre Sanktionsmaßnahmen zu lockern.
Da zu befürchten ist, daß die USA ungeachtet dessen an ihrer Politik gegen den Irak festzuhalten wird, darf nicht auf eine Einigung im UN-Sicherheitsrat gewartet werden. Bei einer entsprechenden Einigung einer größerer Zahl von Staaten könnte das Embargo in kurzer Zeit fallen. Der Haltung Deutschlands, als stärkster Macht Europas, kommt dabei eine wichtige Bedeutung zu.
Von der Bundesregierung und die Abgeordneten des Bundestag sind daher folgende Beschlüsse und Maßnahmen zu fordern:
Joachim Guilliard, Januar 2001
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Aufruf an Bundesregierung die Sanktionen nicht länger zu beachten
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