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„Souveränität“ mit vorgehaltener Pistole
Der „Übergangsprozess“ in der Praxis 

„In internen Angelegenheiten hat sie [die Regierung] genau die gleiche 
Unabhängigkeit wie ein Hund an der Leine. Solange der Hund friedlich und heiter an 
der Seite seines Herrn trottet – und in die gleiche Richtung – ist er ziemlich frei; sobald 
er sich in irgendeinem anderen Winkel zu bewegen beginnt, spürt er den Zug sofort.“ 
George Kennan 1939 über die Regierung der Slowakei [92]

 

„Die Iraker haben diese Lüge schon einmal erlebt“

Die formale Übergabe der Regierungsgeschäfte an die Truppe um Iyad Allawi wurde ohne Vorankündigung und ohne die sonst übliche, medienwirksam inszenierte Show in Allawis Büro vollzogen. Kein Staatschef und kein Minister der Besatzungsmächte war zugegen. Paul Bremer übergab seine letzte Order und die Ernennungsurkunden an seine Quislinge und schlich sich anschließend aus dem Land. Die USA und ihre neue Hilfsregierung wollten so den voraussichtlich für den 30. Juni geplanten Aktionen des Widerstands  zuvorkommen. Sie gaben damit aber für einen angeblich so historischen Tag, der zum neuen Nationalfeiertag werden soll, eine recht jämmerliche Vorführung, die sehr deutlich demonstrierte, wie es um die tatsächlichen Verhältnisse steht.

Während anschließend George Bush und Tony Blair zu Hause in feierlichen Worten von einem strahlenden Neubeginn sprachen, der nun vor dem Irak liege, war die Stromversorgung mit steigender Hitze wieder von 12 Stunden auf 6 Stunden pro Tag gefallen und die Schlangen vor den Tankstellen auf 3 km gewachsen.[93]

Die neue Hilfsregierung lies von Anfang an keine Zweifel daran aufkommen, in welche Richtung sie marschieren wird. Iyad Allawi hatte schon vor seiner Ernennung drastische Maßnahmen zur Niederschlagung der Opposition angekündigt, sein „Verteidigungsminister“ sprach offen davon ihren Gegnern „wenn es sein muss, die Kehlen durchzuschneiden.“[94] Nach einem Bericht der seriösen Tageszeitung Sydney Morning Herald soll Allawi hierbei selbst mit „gutem Beispiel“ vorangegangen sein. Nach unabhängigen Zeugenaussagen hat er Mitte Juni sechs als aufständisch Verdächtigte in einer Polizeistation in Bagdad eigenhändig erschossen und erklärt, das sei der „einzig richtige Weg“, um mit den Aufständischen umzugehen. Er werde alle decken, die ihm nacheiferten. [95]

Zehn Tage nach seinem Amtsantritt verabschiedete seine Junta ein Paket von Notstandsverordnungen, die dem Junta-Chef und den Besatzungstruppenweitgehende Vollmachten erteilen. Mit Zustimmung des Präsidenten und seiner beiden Stellvertreter, kann er beliebig das Kriegsrecht überausgewählte „Unruheregionen“ verhängen, Militärgouverneure einsetzen, Versammlungsverbote und Ausgangssperren verordnen, den Zugang und die Kommunikation zu entsprechenden Gebieten sperren bzw. überwachen, sowie Verdächtige für unbestimmte Zeit und ohne Kontakt zur Außenwelt festhalten lassen.[96] – Die Besatzungstruppen können somit ihre bisherige Tätigkeit mit einer förmlichen Ermächtigung ausüben – für manche ist der Irak damit schon auf dem Weg zum Rechtsstaat,[97] für andere auf den Weg in die Diktatur.[98]

 Wie Journalisten vor Ort schon in den Wochen zuvor erfahren konnten, verband die Mehrheit der Iraker mit der Etablierung der Interimsregierung keine wesentliche Änderung des Besatzungszustandes ihres Landes.[99] Intellektuelle, wie der frühere UN-Botschafter des Landes Dr. Mohamed al-Douri wiesen die Vorstellung einer „begrenzten Souveränität“ zurück. Souveränität bedeute die vollständige Kontrolle über das Land, den Luftraum, die Bodenschätze, die Wirtschaft und das Militär. Wenn dies nicht gegeben ist, so wäre dies nicht eine „begrenzte Souveränität“, sondern schlicht gar keine.[100] „Derselbe Esel, ein anderer Sattel“ so das Urteil der irakische Schriftstellerin Haifa Zangana über die Interimsregierung nach einem irakischen Sprichwort. „Die Iraker haben diese Lüge schon einmal erlebt“ fährt sie fort, die „britische ‚Übergabe der Souveränität’ in den 20er Jahren war genauso bedeutungslos.“

Niemand im Irak erwartete, dass sich die persönliche Lage verbessern würde. Wenig wahrscheinlich erscheint den meisten auch, dass es bis Januar 2005 tatsächlich einigermaßen faire Wahlen geben wird, insbesondere nach dem Vorgeschmack den ihnen die Zusammenstellung der „Nationalversammlung“, die auch Teil des Übergangsszenariums ist, im Laufe des Julis gab. Sie sollte eigentlich ein breites Spektrum politischer Kräfte umfassen und die Interimsregierung beraten, und so den Anschein eines Quasi-Parlaments wecken. Auch hier sicherten sich aber die im „Regierenden Rat“ und in der Interimsregierung dominierenden Parteien die überwiegende Mehrheit der Sitze. Die meisten gegen die Besatzung opponierende Gruppierung hingegen boykottieren die Versammlung.[101]

Die USA hatten ohnehin stets deutlich gemacht, dass ihnen der Zeitpunkt zu früh ist. Falls sie nicht generell mit dem Verweis auf die Sicherheitslage verschoben werden – Allawi hatte die Möglichkeit kurz nach Amtsantritt angedeutet – wird Washington alles daransetzen, durch eine strenge Auswahl der zugelassenen Parteien, einen den USA genehmen Ausgang zu garantieren.

Auch hier hatte Paul Bremer vorgesorgt: in seinen emsigen letzten Tagen unterzeichnete der US-Statthalter auch einen Erlass, der Angehörige „illegaler Milizen“ von allen öffentlichen Ämtern ausschließt. Da der Bann erst drei Jahre nach Verlassen der entsprechenden Organisation erlöschen soll, bleiben Besatzungsgegner, die in der Guerilla kämpften oder einer Miliz angehörten, auch dann ausgeschlossen, wenn sie sich zur Teilnahme am Übergangsprozess und zur Beschränkung auf eine zivile Politik entschließen würden. Praktisch alle irakischen Organisationen unterhalten Milizen und in vielen Orten wurden Milizen auch zum Selbstschutz der Bevölkerung gebildet. Die Angehörige der verbündeten Organisationen sind von der Regelung nicht betroffen, da deren Milizen in die US-geführten Sicherheitskräfte integriert und somit „legalisiert“ werden sollen.[102] Für Besatzungsgegner kommt ein solcher Weg selbstverständlich nicht in Frage.

Nach dem „Gesetz über politische Parteien und Organisationen“ (Order 97) können Parteien verboten werden, die zur „Gewalt aufrufen“, „Hass predigen“ oder den „Terrorismus“ unterstützen, bzw. im Verdacht stehen, von bewaffneten Organisationen oder Milizen finanziert zu werden. Die Entscheidung, ob einer dieser Ausschlussgründe vorliegt, liegt allein bei der noch von Bremer eingesetzten Wahlkommission, die Möglichkeit zur gerichtlichen Überprüfung von Vorwürfen gibt es nicht. Die USA halten damit sehr effektive Mittel gegen politisch unliebsame Kräfte in der Hand.

Die Widerstandsaktivitäten hatten natürlich auch vor und während der „Machtübergabe“ nicht nachgelassen – im Gegenteil: Unmittelbar nach Vorstellung der Hilfsregierung häuften sich Anschläge auf ihre Mitglieder und Mitte Juni gelang der bis daher effektivste Anschlag auf den Ölexport. Eine Serie von Explosionen unterbrach die zentrale Erdölpipeline im Süden für Wochen. Die Hauptpipeline im Norden, die von Kirkuk in die Türkei führt, war im Mai und Juni ohnehin durch regelmäßige Sabotage außer Betrieb gewesen, die Erdölexporte brachen daher nun völlig von 1,85 Millionen auf 200.000 Barrel pro Tag (bpd) zusammen. Das Vorkriegsniveau hatte bei 2,8. Millionen bpd gelegen. Die gut geplante Attacke im an sich ruhigeren Süden, versetzte nicht nur die Besatzer in helle Aufregung: verknappte doch der fast vollständige Ausfall des irakischen Öls das für den steigenden Energiehunger der Weltwirtschaft ohnehin zu knappe Angebot auf dem Ölmarkt.[103]

Nach einer Umfrage der britischen Oxford Research International (ORI) wuchs die Zustimmung in der irakischen Bevölkerung zu Gewaltakten gegen die Besatzungstruppen von 17 Prozent im Februar auf derzeit 31 Prozent deutlich.[104] Die Zahl derer die Muktadar Al Sadr unterstützen, kletterte nach einer Umfrage der CPA (!) auf 67% und lag damit nur knapp hinter der 70-prozentigen Zustimmung zu Ayatollah al-Sistani. „Ministerpräsident“ Allawi erreichte selbst in der CPA-eigenen Hitliste nur 23 Prozent. [105]

Restrukturierung der Besatzung

Ungeachtet aller politischen Bemühungen zur Schaffung einer passablen Fassade für ihre fortgesetzte Herrschaft über das ölreiche Land und um mehr Akzeptanz in der Bevölkerung, bleiben für die USA auch in Zukunft hauptsächlich ihre militärischen Fähigkeiten entscheidend. Große Anstrengungen werden außerdem unternommen, zuverlässige irakische Hilfskräfte aufzubauen.

Wie die Ausbildung und die leichte Bewaffnung der neuen irakischen Truppen zeigen, ist nicht an den Aufbau einer echten irakischen Armee gedacht, die womöglich ihre Stärke für die Durchsetzung einer größeren Souveränität einsetzen könnte, sondern nur an Wachleute, Polizisten und einfache Fußsoldaten. Zusammen mit den privaten Söldner stehen sie nun an vorderster Linie bei der Sicherung wichtiger Zentren und sie sollen zusammen mit irakischen Polizisten, im Rahmen der „Irakisierung“ der Besatzung, in den Straßen die Autorität der Besatzungsmacht durchsetzen. Eingeborenentruppen werden auf diese Weise gegen den Rest der Bevölkerung in Stellung gebracht: als „menschliches irakisches Kanonenfutter“, so der Toronto Star, um die Zahl, der in Leichensäcken zurückkehrenden US-Soldaten zu minimieren. „Dies ist eine echte und erprobte Kolonialmethode.“[106]

Regiert wird das Land seit Juli aus der zur Festung ausgebauten Botschaft der USA im Zentrum Bagdads, die einen großen Teil der Aufgaben der Besatzungsbehörde übernimmt. Sie residiert in den Gebäuden, die zuvor von der Besatzungsbehörde genutzt wurden, darunter auch dessen Hauptquartier, der Republikanische Palast. Insgesamt beanspruchen die USA auch nach der „Machtübergabe“ den größten Teil der für gewöhnliche Iraker gesperrten sogenannten „Grünen Zone“, ein über 10 Quadratkilometer großer, abgeriegelter und schwerbewachte Sicherheitsbereich in der Bagdader Innenstadt, rund um die ehemaligen Regierungs- und Parteigebäude. Paul Bremer hat nun ausgedient, und wurde vom alten Haudegen John Negroponte abgelöst. Der neue Botschafter verfügt allein in Bagdad über einen Stab von mehr als 1.700 Mitarbeitern.[107] Hinzu kommen vier über das Land verteilte Niederlassungen, in denen je hundert Amerikaner und 50 Iraker US-Interessen durchsetzen sollen. Die US-Behörde für Internationale Entwicklung (USAID) ist mit hundert Mitarbeitern in der „Botschaft“ vertreten.

Insgesamt bedeutet die Restrukturierung der US-eigenen Verwaltungsstrukturen im Irak eine Kräfteverschiebung innerhalb der US-Administration. Statt dem Pentagon wird nun das State Departement, dem die „Botschaft“ untersteht, federführend sein. Allerdings wurde die CPA als Amt für Wiederaufbau und Management in die schlecht getarnte neue Besatzungsbehörde eingegliedert. Sie untersteht wie bisher dem Pentagon und verwaltet weiterhin, die vom US-Kongress zur Verfügung gestellten 18,4 Milliarden US-Dollar. Negroponte darf aber nun, als Vertreter des State Departements, den Abschluss von Verträgen überwachen. Die Iraker hingegen haben hierauf so wenig Einfluss, wie auf die von USAID verwalteten drei Milliarden Dollar. [108]

Geheimpolizei und Todesschwadrone – der Beginn eines schmutzigen Krieges

Die Herrschaftsausübung via US-Botschaft ist eine Methode, die Lateinamerikanern bestens bekannt ist, aber auch in Südostasien erprobt wurde. Negroponte bringt dafür sicher die besten Erfahrungen mit. Er war in den 80er Jahren als Botschafter in Honduras und hat nicht nur im Gastland mitregiert, sondern auch maßgeblich die gegen das Nachbarland gerichteten paramilitärische Banden, die sogenannten „Contras“, mitaufgebaut, die mit terroristischen Mitteln Krieg gegen die fortschrittliche Regierung in Nicaragua  führten. Seine ersten Sporen verdiente sich Negroponte aber bereits von 1964 bis 1973 in führenden politischen Positionen in Vietnam.

Vorangetrieben wurde seit Herbst 2003 auch der Aufbau paramilitärischer Einheiten und einer neuen Geheimpolizei. Der CIA, die selbst in Bagdad ihre Zentrale zur größten Auslandszentrale weltweit ausgebaut hat, wurde für 2004 dafür ein Budget von drei Mrd. US-Dollar zur Verfügung gestellt. Die Ränge dieser Einheiten füllen zum einen Angehörige irakischer Exilgruppen und kurdische Peshmergas, zum anderen aber auch übergelaufene Mitglieder des früheren irakischen Geheimdienstes Mukhabarat.[109]

„Die Bildung einer gut funktionierenden Geheimpolizei, die in Wirklichkeit eine Abteilung der CIA darstellt, ist Teil einer allgemeinen Transformationsstrategie,“ so der US-amerikanische Geheimdienstexperte John Pike von der Global Security Organisation. Wer die Geheimpolizei eines Landes kontrolliere, könne sicher sein, dass sich das neue irakische Regime nicht weit von den vorgegebenen Parametern entferne.[110]

Kapuzen tragende Milizionäre begleiten seither US-Soldaten häufig bei Razzien und Vergeltungsschlägen.[111] Auf ihren Informationen beruht oft auch die Wahl der Opfer dieser Operationen. Ähnlich vermummte Männer haben auch bereits – völlig unbehelligt durch die Besatzungsmächte –Hunderte ehemalige Mitglieder der einstigen Regierungspartei, frühere Amtsträger, kritische Intellektuelle und sonstige politische Gegner ermordet.[112]

Die Eskalation eines verdeckten, schmutzigen Krieges wurde von Präsident Bush unmittelbar autorisiert. In enger Zusammenarbeit zwischen der israelischen und der US-Armee wurden auch Teams für die gezielte Exekution gegnerischer Führer ausgebildet. Nach Informationen des Guardian operieren diese Spezialeinheiten bereits in Syrien und versuchen dort „ausländische Jihadisten“ zu töten, bevor sie die Grenze übertreten.[113]

Diese Spezialeinheiten zur Menschenjagd wurden unter dem Namen „Task Force 121“ zusammengefasst. Angesichts der Schwierigkeiten, den irakischen Widerstand in den Griff zu bekommen, müsse, so ein Berater der Besatzungsbehörde, zu „unkonventionellen Mitteln“ gegriffen und Gleiches mit Gleichem bekämpft werden: „Guerilla mit Guerillamethoden. Terrorismus mit Terrorismus“. Man müsse die Iraker „durch Schrecken zur Unterwerfung zwingen.“ [114]

Ehemalige CIA-Beamte vergleichen dieses Vorhaben mit dem Programm „Phoenix“ in Vietnam bei dem zwischen 1968 und 1972 über vierzigtausend Vietnamesen entführt oder getötet wurden, die verdächtigt wurden, dem Vietcong anzugehören oder mit ihm zu sympathisieren.[115]

US-Offiziere reisten bereits vor dem Krieg nach Israel um „Antiterroroperationen in städtischen Gebieten“ zu studieren, unter anderem auch den Überfall auf das Flüchtlingslager in Jenin ein Jahr zuvor. In einem Nachbau einer Palästinenser-Stadt in der Negev-Wüste trainierten US-Spezial­ein­hei­ten schließlich urbane Kriegsführung.[116] Von der Zerstörung der Häuser von Verdächtigen und deren Familienangehörigen bis zu Luftangriffen auf Wohnungen zur gezielten Liquidierung mutmaßlicher Guerillaführer ähnelt daher auch vieles im Irak dem Vorgehen der israelischen Armee in den besetzten palästinensischen Gebieten.

Gefährliche Verbindung: Israels Agenda und der kurdische Separatismus

Die enge Zusammenarbeit der USA mit Israel geschieht fast im geheimen. Israel erscheint nicht auf der Liste der „Koalition der Willigen“, obwohl die israelische Regierung den Krieg vehement gefördert und schon an seiner Vorbereitung aktiv beteiligt war. Israel unterstützte die US-Armee mit Waffen und Gerät und ist aktuell im Irak sowohl mit Militärberatern als auch Geheimdienstoffizieren und Verhörspezialisten aktiv.[117] 

Für die reaktionären Hardliner um Scharon sollte die Eroberung des Landes zwischen Euphrat und Tigris den Ausgangpunkt für eine weitgehende politische und militärische Neutralisierung der Nachbarländer, insbesondere Iran und Syrien bilden. Könnten diese zur Aufgabe jeglicher Unterstützung für die Palästinenser gezwungen werden, so das Kalkül Scharons, dann hätten sie freie Hand bei der militärischen Niederwerfung des palästinensischen Widerstands im Gaza-Streifen und der Westbank.[118]

Die israelische Regierung sieht nun aber mit Verärgerung das Erstarken religiöser und nationaler Kräfte im Irak. Die mit dem „Übergangsprozess“ gemachten Zugeständnisse gehen ihr schon zu weit. Zudem stört sie der ihrer Meinung nach zu starke Einfluss des Irans im Irak. Ihre Interessen decken sich dabei weitgehend mit denen der beiden kurdischen Partien PUK und KDP, die ebenfalls sehr verärgert sind, weil aus Rücksicht auf den schiitischen Klerus der Föderalismus und die weitgehende kurdische Unabhängigkeit in der UN-Resolution vom Juni weder direkt, noch indirekt über die Bestätigung der Übergangsverfassung, festgeschrieben wurde. Israel arbeitet seit den 70er Jahren eng mit den beiden Parteien zusammen und hat beschlossen, die militärische Unterstützung für sie auszubauen. Israelische Experten trainieren nun kurdischen Einheiten, berichtete Seymour Hersh im New Yorker und verschaffen so auch ihrer eigenen Armee „Augen und Ohren“ im Irak, sowie in den angrenzenden Staaten Syrien und Iran. Hauptziel Israels bei dem Einsatz sei es, die kurdischen Milizen, deren personelle Stärke auf bis zu 75.000 Mann geschätzt wird, militärisch zu stärken und damit ein Gegengewicht zu den schiitischen Milizen im Irak zu schaffen, so ein israelischer Geheimdienstoffizier zu Hersh. Nach Israels Einschätzung werde es der Bush-Regierung „nicht gelingen, im Irak Stabilität oder Demokratie zu schaffen, so dass Israel andere Optionen brauche“[119] – er nannte es Israels „Plan B“.

Dadurch und durch die Bestrebungen der Kurdenparteien, ihre Herrschaftsbereiche – gegen den entschiedenen Widerstand der turkmenischen und arabischen Bevölkerung – auf die von ihnen als kurdisch definierten Ölregionen Mossul und Kirkuk auszuweiten, wächst die Gefahr bewaffneter Auseinandersetzungen zwischen kurdischen und national orientierten irakischen Kräften: Je stärker der Widerstand gegen die Besatzung, desto größer die Wahrscheinlichkeit eines offenen Krieges.[120]

Die irakische Gegenwehr

Trotz allem stellen sich auch in den einst kriegskritischen Ländern die meisten Politiker und Medien hinter die Besatzungspolitik der USA. Nur die Besatzungstruppen würden einen drohenden Bürgerkrieg verhindern, so die gängigen Verlautbarungen. Doch ist es im Gegenteil die Politik der USA, die massiv Iraker gegen Iraker in Stellung bringt. Auseinandersetzungen der Besatzungsgegner mit kollaborierenden Kräften, können Züge eines Bürgerkrieges annehmen. Souveränität und Demokratie ist im Irak nicht in Sicht, im Entstehen ist stattdessen eine US-hörige koloniale Diktatur.[121]

Auf internationale Ebene wird den US-Plänen kaum etwas entegegengesetzt, wirksame Gegenwehr kommt bisher nur aus dem Irak selbst. Hier hat sich in verhältnismäßig kurzer Zeit ein sehr breiter und vielfältiger Widerstand entwickelt, der in dieser Vielfalt im Westen nicht wahrgenommen wird. Orientiert auf spektakuläre Ereignisse, wird in den Medien nur über Aufsehen erregende bewaffnete Aktionen berichtet und auch hier vorwiegend über die Anschläge, die das Bild zielloser, rücksichtsloser Gewalt stützen. Dabei ist das politische Leben äußerst rege, zahlreiche unabhängige Organisationen sind entstanden, wie z.B. die Gewerkschaft der arbeitslosen Arbeiter, die Organisation für die Freiheit der Frauen oder das Komitee für die Bildung von Arbeiterräten und Gewerkschaften, die ihre zunehmend radikalere Opposition zur Besatzung durch vielfältige politische Aktionen ausdrücken.

Einer der vielversprechendsten Ansätze, die unterschiedlichen Kräfte in breiten Bündnissen zusammenzufassen, ist die Bewegung für eine „Nationale Versammlung für einen unabhängigen und vereinten Irak“, die nach Ansicht Hana Ibrahim vom Occupation Watch Center in Bagdad auch sehr deutlich die angebliche Alternative zwischen Fortdauer der Besatzung und Rückkehr zur Diktatur zurückweist.[122] Vertreter von etwa 50 Organisationen beteiligten sich auf mehreren Vorbereitungstreffen an den Diskussionen über die Gestalt eines zukünftigen Iraks und den Weg dahin. Vertreten waren religiöse Organisationen aller Konfessionen, säkulare, nationale und linke Gruppierungen, Gewerkschafter, Menschenrechtsaktivisten und Universitätsprofessoren, führende Persönlichkeiten aus Falluja und anderen Städten mit einer starken Opposition gegen die Besatzung, sowie Personen, die Ayatollah al-Sistanis bzw. Moktadar Al Sadr nahe stehen. Im Zentrum aller Treffen stand der Appell an die Einheit aller Iraker.

Auf einem Gründungskongress der Bewegung, der mit etwa 500 Teilnehmer am 8. Mai 2004 in Bagdad stattfand, wurde eine Plattform erarbeitet und ein 16-köpfiger Ausschuss gewählt. Der Kongress sprach sich strikt gegen jegliche Unterstützung von Institutionen, die von der Besatzungsmacht geschaffenen wurden aus. Dazu gehört auch die Nationalversammlung, die noch im Sommer unter US-Aufsicht zusammengestellt wurde und die Interimsregierung beraten soll.[123]

Dagegen sollen eigene politische Strukturen aufgebaut werden, um den Irak zu befreien – mit allen legitimen Mitteln.

Der Kongress lehnt bewaffneten Widerstand nicht ab, da er das natürliche Recht eines jeden Volkes sei, will aber friedliche Mittel bevorzugen. „Der Fokus der Medien auf Gewalt und die gewöhnlich positive Berichterstattung über die Anstrengungen von Iyad Allawis neuer Regierung den ‚Aufstand niederzuwerfen’, hat den falschen Eindruck geschaffen, dass die Opposition nur Gewalt anwenden würde und all die, die den Frieden fördern wollen, die Interimsregierung und damit die Besatzung unterstützen würden,“ so Scheich Jawad al-Khalisi, der zum Generalsekretär der Bewegung gewählt wurde.[124] Es würde nicht unterschieden „zwischen Widerstand und Terrorismus oder zwischen der gegen die Besatzung eingestellten Zivilgesellschaft und jenen die Gewalt anwenden, ergänzte der Sprecher des Kongresses, ein aus dem britischen Exil zurückgekehrter Wissenschaftler. „Sie bezeichnen uns alle zusammen als Saddams Überreste, Reaktionäre, Rachesuchende, Söldner, Irregeleitete oder Ausländer.“[125]

Tatsächlich bestimmt noch immer die Propaganda der USA und der mit ihnen verbündeten irakischen Organisationen maßgeblich das Bild vom irakischen Widerstand. Die Rede ist von „Überresten des alten Regimes“, „islamistischen Fanatikern“, seit April 2004 auch von islamistischen Milizen; von hasserfüllten Aufständischen ohne politisches Programm, die nur Chaos verbreiten und sich gegen die „Demokratisierung“ und „Modernisierung“ ihres Landes stemmen.

Doch auch der bewaffnete Widerstand ist weder geprägt von „Gotteskriegern“, die für einen islamischen Staat kämpfen, noch von Saddam-Anhängern, die die alten Verhältnisse wieder herstellen wollen.

Sicherlich spielen der Islam und die Moscheen, sowie das Bestreben dem Islam einen größeren Einfluss in der Gesellschaft zu verschaffen für viele Gruppierungen eine wichtige Rolle. Der Einfluss islamischer Kräfte, die nach dem Wegfall der alten staatlichen Institutionen teilweise das Vakuum füllten, ist beträchtlich, ihren Milizen, wie der „Mahdi-Armee“ Al Sadrs wird auch vorgeworfen, immer wieder gewaltsam gegen „Unislamisches“, wie Alkoholausschank, Kinos, etc. vorzugehen. Es gibt aber keine nennenswerten Kräfte, die eine Herrschaft der Ayatollahs anstreben.[126] Die Bedeutung der Religion wird ohnehin oft übertrieben: „Viele Guerillas sind auf die gleiche Art vom Islam beeinflusst wie die US-amerikanische Soldaten von der Religion, die ebenfalls dazu neigen im Krieg mehr zu beten“ meint z.B. der US-amerikanische Nahostexperte Anthony Cordesman.[127]

Die Besatzungsbehörde hat mit ihrem „De-Baathi­sie­rungs“-Programm propagandistisch geschickt an die „Entnazifierung“ im Nachkriegsdeutschland angeknüpft. Allein schon ihre Mitgliedschaft soll die Mitglieder der Baath-Partei  – und damit auch den Widerstand, in dem sie aktiv sind – diskreditieren. Die Baath hat aber weder ideologisch nochorganisatorisch Ähnlichkeiten mit dem deutschen Faschismus. Sie war nie völkisch oder chauvinistisch, sondern auf nationale Unabhängigkeit und einen gemäßigten, sogenannten „arabischen“ Sozialismus orientiert. Sie war daher auch lange Zeit Mitglied der sozialdemokratischen „Sozialistischen Internationalen“. Saddam Husseins Herrschaft stützte sich auch nicht, wie die Hitlers, auf einen großen Parteikader und einen weiten loyalen Führungszirkel der Partei, sondern auf eine Clique, die verwandtschaftlich mit ihm verbunden war und zunehmend auf Stammesführer und Clanchefs, die er durch diverse Zugeständnisse auf seine Seite ziehen konnte.[128]

In dem Maße, wie im April die Kämpfe in Falluja, Najaf und den vielen anderen Städten ein völlig anderes Bild vom Widerstand und seinem Rückhalt in der Bevölkerung vermittelten, wurde trotz offizieller Propaganda zunehmend auch in der westlichen Öffentlichkeit anerkannt, dass im Irak eine klassische Widerstandsbewegung entstanden ist.

So stellte beispielsweise der britische Guardian fest, dass es dem Widerstand ganz offensichtlich gelungen ist, einen erfolgreichen Guerillakrieg gegen die Besatzungstruppen zu entfalten, der sich auf breite Unterstützung der Bevölkerung stützen kann. Es würde auch immer deutlicher, dass das Vorgehen der Guerilla im Irak weitgehend mit den Taktiken anderer Befreiungsbewegungen der jüngeren Geschichte übereinstimme: die hauptsächlichen Ziele sind die Besatzer selbst, sowie die einheimischen Polizisten und Soldaten, die für sie arbeiten. Wo dies nicht der Fall war, beispielsweise bei solchen Gräueltaten gegen Zivilisten, wie der Bombenanschlag in Kerbala im März 2004, würden sie einer, angeblich zu Al Qaida gehörigen Gruppe um den Jordanier Abu Musab Al-Zarqawi zugeschrieben, dessen wahre Rolle Gegenstand vieler Spekulationen unter Irakern sei.[129]

Die US-Kommandeure vor Ort hatten stets die Anwesenheit einer größeren Zahl ausländischer Kämpfer bestritten. Sie sehen sich vielmehr damit konfrontiert, das die „aufständischen Kräfte Legionen von nationalistischen Teilzeit-Rekruten aufnehmen konnten, die wütend über die anhaltende Besatzung und den wachsende Tribut der Zivilbevölkerung sind,“ so Generalleutnant Thomas Metz gegenüber der Los Angeles Times. „Wir reden hier von Leuten, die genauso wie die Minutemen [Freiwillige im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg, J.G.] sind“, erläuterte Bruce Hoffman dem Blatt, „Terrorismusexperte“ und Berater der Besatzungstruppen. „Sie nehmen ihre Waffen und schließen sich dem Kampf an und gehen anschließend zurück in ihre Häuser und Farmen.“ Die Charakteristik des Widerstands entspricht seiner Ansicht nach der von früheren Befreiungsbewegungen in Vietnam und anderswo.[130]

Dessen ungeachtet ist der militärische Widerstand nach wie vor äußerst diffus. Seine genaue Zusammensetzung, die gesellschaftliche Basis, Ideologie und die Breite der Unterstützung der verschiedenen Organisationen, ist von außen kaum einschätzbar. In den meisten Verlautbarungen und Äußerungen führender Mitglieder bleiben die politischen Ziele für die Zeit nach der Besatzung eher vage, enthalten in der Regel aber Bekenntnisse zu Demokratie, Pluralismus und der Anerkennung von Menschen- und Minderheitenrechten.[131]

Recht detaillierte Vorschläge, für den politischen Übergangsprozess nach Abzug der Invasoren, enthält ein Kommunique des „Vereinigten Nationalen Rates des Irakischen Widerstandes“ (UNCIR) vom 21. April 2004, dem nach eigener Darstellung „Kämpfer der Baath-Partei“, ehemalige Angehörige von Armee und Sicherheitsdiensten, sowie „Zehntausende irakischer Patrioten“ angehören und dem sich auch die „edlen Scheichs der Stämme, die religiösen Mujaheddin und zahllose islamische Kräfte“ angeschlossen hätten.[132] Das Programm sieht laut Kommunique nach Abzug der Besatzer eine zweijährige „Übergangsregierung der Nationalen Einheit“ vor. Diese hätte u.a. die Aufgabe die „staatlichen Verwaltungsstrukturen und ihre lebensnotwendigen Dienstleistungen“ wiederherzustellen und innerhalb von zwei Jahren Wahlen für einen „neuen Nationalrat“ durchführen – unter „Aufsicht der Arabischen Liga, internationaler Beobachter und angesehener internationaler Organisation, die mit demokratischen Prozessen vertraut sind.“ Eine neue Verfassung soll erarbeitet und der Bevölkerung zur Abstimmung vorgelegt werden. Die politischen Freiheiten sollen auf Basis eines besonderen Gesetzes „zur Gewährleistung der Freiheit der Gründung von Parteien, Vereinen und zivilgesellschaftlichen Organisationen, der Freiheit der Herausgabe von Zeitungen und der Herstellung der Pressefreiheit unter Berücksichtigung patriotischer Kriterien“ und zur „Durchsetzung des Rechtsstaates“ garantiert werden. Vorgesehen ist auch die Schaffung eines „Hohen Rates für Menschenrechte“ und ein „Autonomiegesetz für Irakisch-Kurdistan.“

Inwieweit es diesem Vereinigten Nationalen Rat, einem der großen Widerstandbündnisse, gelingen wird, sich mit den anderen Strömungen des Widerstands und zivilen Organisationen auf ein gemeinsames Programm zu einigen, bleibt abzuwarten – die Charakterisierung eines Teils der Kämpfer als „Helden des nationalen Sicherheitsapparates“ dürfte dabei wenig hilfreich sein.[133]

 Neben Vorbehalten wegen seiner Zusammensetzung, stößt der Widerstand im Westen vor allem aufgrund der Rücksichtslosigkeit vieler Aktionen, denen immer wieder viele Unbeteiligte zum Opfer fallen, sowie terroristischer Bombenanschläge auf Menschenmengen, die der Bewegung als ganzes angelastet werden, auf breite Ablehnung.

Völkerrechtler, wie Norman Paech weisen daraufhin, dass bewaffneter Widerstand gegen die Besatzung durchaus legitim ist, sich aber auch dieser an die Gesetze des humanitären Völkerrechts zu halten hat.[134]

Vertreter der Antikriegsbewegung erinnern in diesem Zusammenhang daran, dass letztlich die Besatzung Ursache all der Gewalt ist und daher die Invasoren in erster Linie dafür die Verantwortung tragen. Die Antikriegsbewegung schulde dem irakischen Widerstand viel, schrieb beispielsweise der philippinische Soziologe und Träger des alternativen Nobelpreises Walden Bello, da durch ihn viele aggressive Pläne der USA gegenüber anderen Ländern gestoppt oder verzögert wurden. „Sein Gesicht jedoch ist nicht hübsch und viele fort­schrittliche Bewegungen in den USA und dem Westen zögern, ihn als Alliierten zu akzeptieren.” Diese Skrupel sind für ihn ein Haupthindernis beim Aufbau einer dauerhaften Friedensbewegung in den USA und den anderen westlichen Staaten.

„Aber es hat nie eine hübsche Befreiungsbewegung gegeben,” so der Direktor von Focus on the Global South weiter und viele westliche Progressive wandten sich daher früher schon gegen die antikolonialen Bewegungen in Afrika, die FLN in Algerien, die NLF in Vietnam etc.. „Doch die Widerstandsbewegung verlangt keine politische oder ideologische Unterstützung. Alles was sie sucht, ist internationaler Druck für den Rückzug einer unrechtmäßigen Besatzungsmacht, damit interne Kräfte den Raum bekommen, eine wirklich nationale Regierung formen zu können. Auf Basis dieses begrenzten Programms können sich sicherlich Progressive in aller Welt und der irakische Widerstand verbünden.”[135]

Auch die indische Schriftstellerin Arundhati Roy hat in ihrer vielbeachteten Rede auf dem Weltsozialforum in Mumbai auf die Bedeutung hingewiesen, die dem Geschehen im Irak zukommt und dazu aufgerufen, weniger darauf zu achten, wer wie im Irak kämpft, sondern selbst zu einem gewaltfreien globalen Widerstand gegen die Besatzung beizutragen.[136]

 

„Mission impossible“ – unerfüllbarer Auftrag?

Militärisch kann die USA nicht zum Rückzug gezwungen werden und den US-Truppen wiederum wird es auch mit Hilfe irakischer Kollaborateure nicht gelingen den Widerstand auszuschalten. Die Frage, wie stark sich eine internationale Bewegung gegen die fortgesetzte Besatzung engagiert und wie gut es gelingt, die USA weiter zu isolieren, hat daher durchaus eine große Bedeutung, verstärkt sie doch den Unmut in den USA und den verbündeten Ländern, der ohnehin Monat für Monat wächst.

So blieb die mit viel Propagandaaufwand zelebrierte „Machtübergabe“ überschattet von den anhaltenden Kämpfen der Besatzungstruppen gegen Städte, die nach wie vor von Besatzungsgegnern kontrolliert wurden. Noch größere Imageschäden verursachten die ständig neuen Fotos und Enthüllungen über die Folterpraktiken in den US-geführten Gefängnissen im Irak – für die USA ein Public Relation Desaster ohnegleichen. Eine Politik, die es mit Hilfe professioneller PR-Firmen und ihrem Netz von NGOs verstanden hatte, die Kriegsnachrichten weitgehend in ihrem Sinne zu moderieren, war mit den Fotos aus Abu Ghraib völlig außer Tritt geraten. Im Irak selbst waren die Vorwürfe seit langem bekannt, dennoch heizten die Bilder die anti-amerikanische Stimmung weiter an.

 Die Auseinandersetzungen um die Kontrolle von Falluja, Najaf, Kufa und anderen Städten, machten zudem deutlich, dass die USA ihre überragenden militärischen Mittel nicht konsequent einsetzen können, ohne ihren politischen Zielen und ihren Verbündeten im Irak noch mehr zu schaden. Die anvisierte Übertragung unpopulärer Aktionen an irakische Sicherheitskräften scheitert immer noch an deren mangelnder Stärke und Zuverlässigkeit. Um weniger Angriffsfläche zu bieten und die eigenen Verluste zu verringern, haben sich die US-Truppen vielerorts in ihre Stützpunkte zurückgezogen und rücken nur noch zu gezielten Operationen aus. Über weite Teile des Landes, besonders um Bagdad, haben sie daher kaum noch Kontrolle.[137]

 Die einzige Trumpfkarte, die der USA verbleibt, ist die Unterstützung, die sie immer wieder auf internationaler Ebene erhält. Durch die Installation einer durch die UNO legitimierten Regierung können sie ihre Entscheidung als den Willen irakischer Autoritäten hinstellen. Der irakische Widerstand hingegen wird im Westen mehr denn je als Terrorismus diskreditiert werden und kann kaum auf internationale Unterstützung hoffen. Falls es Washington aber nun mit dem „Übergangsprozess“ nicht gelingt, die Situation in den Griff zu bekommen, bleiben kaum weitere Optionen, ein „Plan D“ ist nicht Sicht. „Dies ist Washingtons letzte Chance“ meint auch die International Crisis Group, die ihr Memorandum zum Thema mit „Iraks Transformation: Auf Messers Schneide“ überschrieb. Die US-Regierung habe durch ihre, gegenüber den irakischen Verhältnissen blind und rücksichtslose Politik, die anfänglichen Spielräume auf einen schmalen Grad eingeengt.

Auch in den großen bürgerlichen Medien herrscht trotz der weithin begrüßten Resolution 1546 der Pessimismus vor: „Nach ’Auftrag erfüllt’ vom 1, Mai 2003“, schrieb Lothar Rühl in der Frankfurter Allgemeinen mit Verweis auf Vietnam, „droht ab 1. Juli 2004 ‚mission impossible’ – unerfüllbarer Auftrag.“ [138]


[92] Zitiert nach Prof. Sir Adam Roberts „The End of occupation in Iraq“, http://www.ihlresearch.org/iraq/feature.php?e=y&a=51

[93] Patrick Cockburn, „Baghdad fumes as the Americans seek safety in 'tombstone' forts“, The Independent, 12 June 2004

[94] Der Standard 18./19. Juni 2004

[95] „Allawi shot prisoners in cold blood: witnesses“ Sydney Morning Herald, 17.7.2004 „Geht die Willkürherrschaft weiter?“, telepolis 17.7.2004, http://www.telepolis.de/deutsch/special/irak/17896/1.html

[96] „Iraq's PM poised for martial law“, Christian Science Monitor, 7.7.2004

[97] „Der Irak ist ein Rechtsstaat“, Berliner Zeitung, 08.07.2004.

[98] Allawi hat nach Ansicht vieler Kenner der Szene klar das Zeug zu einem autoritären Herrscher. Nachdem er zunächst Ahmed Chalabi und anschließend Brahimi bei der Bildung der Interimsregierung ausmanövriert habe, habe er nun die beste Ausgangsposition, um der „starken Mann“ der USA im Irak zu werden, so z.B. Michael Weinstein vom – u.a. auch für die US-Armee arbeitenden – Krisenforschungsinstitut Power and Interest News Report (PINR) Allawi hat demnach auch den Aufbaue eines „General Security Directorate“ angekündigt, ein eigener Geheimdienst mit Polizeifunktionen, der wohl als Kern einer eigenen Machbasis dienen soll. „Iraq's Transition to Dictatorship“, PINR, 20.7.2004 http://www.pinr.com/report.php?ac=view_report&report_id=186&language_id=1

[99] „The street speaks - Iraq's UN-backed government is made up of CIA pawns, The Independent, 10.6.2004

[100] „Iraq: Full sovereignty after 30 June“ Aljazeera, 8.6.2004. Das ist auch die Ansicht der meisten Völkerrechtlern (siehe .z.B. das Berliner Hearing zum Iraktribunal vom 19. Juni 2004, www.iraktribunal.de). Ausführlich behandelt dies Prof. Adam Roberts (a.a.O.) Eine Besatzung endet demnach mit dem Rückzug der Besatzungstruppen oder mit einem Stationierungsabkommen nach der freien Wahl einer repräsentativen und anerkannten Regierung (die selbstverständlich nicht mit einem breiten bewaffneten Widerstand konfrontiert sein dürfte).

[101] „Deep divides halt key Iraq meeting“, Christian Science Monitor, 30.7.2004, www.csmonitor.com/2004/0730/p06s01-woiq.html

[102] siehe Order 91 auf der CPA-Homepage: http://www.iraqcoalition.org/regulations/

[103] „Iraq: Sabotage Strains World Oil Supply“, Stratfor, 16.6.2004 sowie Stratfors „Geopolitical Diary“ vom 17.6.2004

[104] junge Welt, 30.06.2004, Oxford Research International, Results from Iraq Surveys, http://www.oxfordresearch.com/publications.html

[106] „What Iraq will get isn't self-rule“, Toronto Star, 16.11.2003

[107] „U.S. Advisers to Stay in Iraq After June 30“, New York Times, 20.5.2004

[108] „Saddams Nachmieter“, Frankfurter Rundschau,. 29.6.2004

[109] „CIA plans new secret police to fight Iraq terrorism“, Daily Telegraph, 4.1.2003, sowie Robert Dreyfuss, „Phoenix Rising“, The American Prospect, January 1, 2004.

[110] CIA plans new secret police...., a.a.O.

[111] Robert Fisk, „Phantom insurgents pay a deadly price for Iraq's 'liberation'„, The Independent, 21.12.2003

[112] Robert Fisk, „Hooded Men Executing Saddam Officials“, The Independent, 28.12.2003 und Walter Sommerfeld, „Land im Umbruch – Der Irak ein Jahr nach dem Krieg“, a.a.O.

[113]Israel trains US assassination squads in Iraq“, The Guardian, 9.12.2003

[114] Seymour M. Hersh, „Moving Targets – Will the counter-insurgency plan in Iraq repeat the mistakes of Vietnam?“, The New Yorker, December 8, 2003

[115] ebd.

[116] ebd.

[117] Hersh a.a.O.., siehe auch „Israel quietly helps US in Iraq“, Reuters/Jordan Times, 12.12.2003, zu israelischen Verhörexperten „US-Besatzer folterten auch Kinder“, Neues Deutschland, 06.07.04

[118] siehe hierzu das Strategiepapier „A Clean Break: A New Strategy for Securing the Realm“, das von „Neokonservativen“ Autoren, wie Richard Perle, David Wurmser, Douglas Feith und anderen 1996 für den damaligen Premierminister Benjamin Netanjahu verfasst wurde, http://www.israeleconomy.org/strat1.htm, sowie Claudia Haydt, „Syrien im Fadenkreuz“,   AUSDRUCK , Februar 2004, http://www.imi-online.de//2002.php3?id=795

[119] Seymour M. Hersh, „Plan B – As June 30th approaches, Israel looks to the Kurds”, New Yorker, 21.6.2004

[120] Dilip Hiro, „The Sarajevo of Iraq – Worsening Kurdish-Arab Friction Threatens the Region“, Tom Dispatch/Z Net, 22.7.2004, http://www.zmag.org/content/print_article.cfm?itemID=5923&sectionID=15

[121] Siehe J. Guilliard, „Die Wiederkehr von Phoenix: – Kolonialisierung und Aufstandsbekämpfung im Irak“, AUSDRUCK, April 2004

[122] Hana Ibrahim, „The National Conference for an Independent and Unified Iraq“, Occupation Watch http://www.occupationwatch.org/article.php?id=3534

[123] Siehe „Iraqi scholars plan US opposition“, BBC 8.5.2004, „Iraq’s Shiites, Sunnis Form Anti-Occupation Body“, Islam Online, 8.5.2004 und das „Final Statement of the Iraqi Foundational National Conference“, http://www.nodo50.org/csca/agenda2004/iraq/al-basrah_14-05-04.html 

[124] Der Großvater al-Khalisis war ein Führer der schiitischen Widerstandsbewegung gegen die Briten vor 80 Jahren. Er selbst organisierte zusammen mit dem sunnitischen Führer Sheich Abdul Salam al-Kubeisi Organisator gemeinsame schiitisch-sunnitischen Demonstrationen gegen die Besatzung. („The Ends of Occupation” PULP 6.10.04, http://www.pittsburghpulp.com/content/2004/04_08/news_cover_story.shtml )

[125] „The Iraqi Leader Seeking a Peaceful Path to Liberation“, The Guardian, 16.7.2004.

[126] Die Rolle, die Führer wie Al-Sistani für den Klerus anstreben, vergleicht Juan Cole mit dem der katholischen Kirche in Ländern wie Irland vor ein paar Jahrzehnten, wo es zwar ein Parlament und eine rein weltliche Herrschaft gibt, aber kaum wichtige Gesetze verabschiedet werden konnten, die der Kirchenführung im Land missfielen. („UN Resolution Passes Unanimously -- Sistani the Big Winner; Kurds Furious“, http://www.juancole.com/2004_06_01_juancole_archive.html#108676099298442267

[127] „Iraq Insurgency Larger Than Thought“, The Guardian, 8.7.2004

[128] siehe Carl Conetta, a.a.O.

[129]The resistance campaign is Iraq's real war of liberation „, The Guardian; 1.7.2004; Zur Rolle Zarqawis und die Spekulation über „False Flag“-Terrorismus siehe Michel Chossudovsky, „Pentagon's new „Terrorist Mastermind“ – Who is Abu Musab Al-Zarqawi?“, Globalresearch,  11.6.2004: http://globalresearch.ca/articles/CHO405B.html

[130] „Iraq Insurgency Showing Signs of Momentum“, Los Angeles Times 26.6.2004

[131] Berichte von Widerstandsgruppen und Infos aus ihnen nahestehende Quellen werden von The Free Arab Voice zusammengestellt. http://www.freearabvoice.org/. Eine Auswahl auf deutsch, gibt: http://widerstandsreport.sedunia.org

[132] „Politisches Kommunique des irakischen Widerstands“ v. 21.4.2004, http://www.aikor.de/info/04070702.pdf

[133] ebd.

[134] Interview der jungen Welt mit Norman Paech v. 20.04.2004; Da auch nach Amtsantritt der Interimsregierung die Besatzung nicht endete, besteht das Recht auf Widerstand fort, wie auch die Experten auf dem Hearing zum internationalen Tribunal über den Irakkrieg am 19.6.2004 in Berlin übereinstimmend feststellten, siehe www.iraktribunal.de

[135] Walden Bello, „Falluja and the Forging of the New Iraq“, Focus on the Global South, 18.4.2004, http://www.focusweb.org/peace/html/Article240.html

[136] Arundhati Roy, „Feiertagsproteste stoppen keine Kriege“, Rede auf dem 4. Weltsozialforum in Mumbai am 20. 1. 2004

http://www.uni-kassel.de/fb10/frieden/themen/Globalisierung/roy2.html

[137] R. Fisk, „The government rules only in the capital“ a.a.O.

[138] „Bald ein unerfüllbarer Auftrag? – Die aktuelle Lage im Irak vor dem Horizont von Vietnam“, FAZ, 11.6.2004

Herausgeber der IMI-Studie 2004/03 „Irak im Treibsand“ ist die Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V
Die Studie spiegelt nicht notwendigerweise die Auffassung der Informationsstelle wieder

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Tübingen, August 2004