Reportage: Ernüchterung in Basra
Karin Leukefeld |
Die südirakische Hafenstadt Basra konnte von den alliierten Truppen erst nach erbitterten Kämpfen und unter hohen Verlusten eingenommen werden. War die Lage der Zivilbevölkerung schon vor dem Krieg dramatisch, so haben sich viele Probleme seither noch verschärft.
Seit die britische Armee am 9. April Basra endgültig eingenommen hat, ist die Lage in der Stadt zwar entspannter, doch von "Ruhe" mag hier niemand sprechen. Seit dem Ende der Bombardierungen können die Menschen nachts wieder schlafen, in manchen Stadtteilen gibt es regelmäßig Strom und langsam macht auch die Wasserversorgung Fortschritte. Doch profitieren davon die wenigsten, die Mehrheit der Menschen steht sechs Wochen nach Beginn des Krieges weit schlechter da, als vorher. 60 Prozent der Iraker waren für ihren Lebensunterhalt von den Hilfslieferungen des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen (WFP) abhängig. Seit dem 18. März ist das Programm vollständig ausgesetzt.
Wie in den meisten Städten des Irak ist auch in Basra die Erleichterung über das Verschwinden der alten Regierung getrübt. Seit dem Zusammenbruch jeglicher staatlichen Ordnungsmacht leben die Menschen wie unter Schock, sie fühlen sich unsicher, haben Angst. Die Plünderungen der ersten Tage, denen auch in Basra die britischen Soldaten keinen Einhalt geboten hätten, hinterließen fast schwerere Schäden, als die Bombardierungen, sagt so mancher fassungslos. Gesundheitszentren und die Universität, Privathäuser und Museen, Postämter und Hotels wurden ausgeräumt. Wie in Bagdad wurden auch an der Universität von Basra Bibliotheken und Labore zerstört und verbrannt.
An der ehemaligen Prachtpromenade entlang des Schatt Al Arab ist kein Gebäude unbeschädigt. Clubhäuser, das Arbeitsamt, ein Museum für Naturkunde und auch das frühere Luxushotel Sheraton sind leergeräumt und gingen in Flammen auf. Der Fahrer Hadschi aus Bagdad schüttelt den Kopf, als er an der verkohlten Fassade des Sheraton empor sieht: "Das hat doch nichts mit Saddam zu tun", sagt er. Vor dem Naturkundemuseum stehen Gruppen von Männern und diskutieren miteinander. Im Garten vor der ausgebrannten Ruine blüht roter Oleander, Vogelgezwitscher erfüllt die Luft. Das Museum sei zunächst bombardiert worden, erzählt Sajid German, ein braungebrannter Mann um die 50. "Einer meiner Vorfahren hat in Deutschland gearbeitet", erzählt er stolz, seitdem sei sein Familienname German. Mit den britischen Soldaten seien Kuwaitis in die Stadt gekommen, nicht nur er könne das bezeugen.
Viele Parolen in der Stadt scheinen das zu bestätigen: "Viva Kuwait, Viva Bush, Nieder mit Saddam, Nieder mit der Baath Partei" ist zum Beispiel auf einem ausgebrannten Bus zu lesen. Die Kuwaitis und Briten hätten die Häuser geöffnet, Plünderer hätten sie dann ausgeräumt, erzählt Herr Sajid weiter. Ja, gibt er zu, das seien Iraker gewesen, "schließlich sind wir hier alle arm", fügt er entschuldigend hinzu. Doch kein Iraker hätte die Häuser angezündet, beschwört er, das seien "die Ausländer" gewesen. "Und genau so ist es überall in Basra abgelaufen," sagt Ahmed Ali, ein junger Mann, der neben Herrn Sajid steht. "Das Ölministerium hier wurde gleich dreimal geplündert," ruft der Ingenieur Haydar wütend. Er befürchtet, dass die Iraker beim Wiederaufbau keine Arbeit finden werden. Dreimal schon habe er sich bei den Amerikanern um Arbeit auf den Ölfeldern beworben, und jedes Mal hätten sie ihn fortgeschickt. "Die werden Ausländer holen, um hier zu arbeiten", ist er sich sicher. "Die Briten und Amerikaner sind genau solche Diebe, wie unsere vorherige Regierung es war!"
Öffentliche Sicherheit fehlt in Basra ebenso wie Arbeit. Die Stadt bleibt denen überlassen, die sich skrupellos und bewaffnet durchsetzen können. "Vorher hatten waren wir einen Polizeistaat", sagt der Ingenieur Hassan, der jetzt bei einer ausländischen Hilfsorganisation Wiederaufbauprojekte koordiniert. "Jetzt herrscht das Gesetz des Dschungels." Fragt man die Menschen auf der Straße, sagen sie übereinstimmend, dass ihnen die Sicherheit fehlt. Gleichzeitig bleibt die Angst vor dem verschwundenen Präsidenten. "Solange wir nicht ein Farbfoto vom toten Saddam gesehen haben, kann er jeden Tag wieder kommen", bringt ein Mann seine Sorge zum Ausdruck. Viele nicken zustimmend.
Die Männer haben sich in der Dämmerung an der Promenade am Schatt al Arab versammelt. Sie sitzen auf Betonsockeln, die bis vor kurzem noch die Statuen früherer Generäle aus dem Iran-Irak-Krieg trugen. Nur eine dieser Statuen ist geblieben, General Adnan, der in den 80er Jahren bei einem ungeklärten Unfall ums Leben kam. Die Iraker verehren diesen Adnan, der ein Schwager von Saddam Hussein war, und sind fest davon überzeugt, dass er vom Regime ermordet wurde. Wo die anderen Statuen geblieben seien? "Die wurden in den Iran verkauft," erklärt einer der Männer, "wegen des Kupfers darin." Man habe sie alle auf ein Schiff geladen und den Fluss hinunter in den Iran transportiert. Pro Statue wurden 200 Dollar bezahlt, das habe sich doch gelohnt.
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Teil 4: Gestrandet im irakisch-iranischen Grenzgebiet
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