Staatsstreich in der UNO
USA bereiten diplomatisches Terrain für Angriff auf den Irak vor
von Joachim Guilliard
(erschien leicht gekürzt in der jungen Welt v. 28.4.2002)
Nach mehren Anläufen gelang es der US-Regierung, den Generaldirektor der "Organisation zum Verbot chemischer Waffen" (OPCW), José Bustani, vorzeitig aus seinem Amt zu entfernen. Auf einer auf Druck der USA einberufenen Sondersitzung der Organisation stimmte eine Mehrheit der Mitgliedsstaatenam 22. April für seine Absetzung – ein bisher einmaliger Vorgang in der Geschichte der UNO. Mit Hans Blix, dem Chef der neuen Abrüstungskommission für den Irak UNMOVIC ist ein weiterer hochrangiger UN-Diplomat ins Visier der US-Regierung geraten.
Der britische Guardian bezeichnete das Vorgehen der US-Regierung gegen Bustani als "Staatsstreich". Washington würde danach streben "60 Jahre Multilateralismus über den Haufen zu werfen, zugunsten eines globalen auf Macht beruhenden Regimes".(1)
Der Brasilianer José Bustani war 1997 zum ersten Generaldirektor der OPCW gewählt worden. Die Organisation soll die Einhaltung der Chemiewaffenkonvention von 1993 überwachen. Die Überwachung geschieht durch regelmäßige Routineinspektionen sowie durch unangekündigte Verdachtskontrollen in den 145 Vertragsstaaten. 100 dieser Staaten bilden den OPCW-Exekutivrat. Auf seiner ersten, von den USA beantragten Sondersitzung unterstützte der Rat nach zweitägiger Debatte hinter verschlossenen Türen die Forderung Washingtons nach Abwahl Bustanis mit 48 gegen 7 Stimmen bei 43 Enthaltungen. Auch Deutschland und zehn weitere EU-Staaten votierten gegen den Brasilianer. (2)
Bis Anfang des Jahres hatte der angesehene brasilianische Diplomat auch in den USA einen guten Ruf. Insbesondere für seine erfolgreiche Arbeit im Rahmen der OPCW erhielt er weltweit hohe Anerkennung. Es gelang ihm zahlreiche widerstrebende Staaten zur Unterzeichnung der Chemiewaffenkonvention zu bewegen, so daß innerhalb von fünf Jahren die Zahl der Unterzeichner von 87 auf 145 stieg. Weiterhin überwachte seine Organisation die Vernichtung von zwei Millionen Chemiewaffen und schätzungsweise zwei Drittel der weltweiten Produktionsstätten solcher Waffen. (3)
Im Mai 2000 war Bustani daher einhellig für weitere fünf Jahre gewählt worden, obwohl seine erste Amtszeit noch nicht abgelaufen war und Colin Powell gratulierte ihm letztes Jahr zu seiner "sehr eindrucksvollen Arbeit".
Die USA begannen im Januar, die Absetzung des OPCW-Direktors zu betreiben. Zunächst übte Washington vergeblich Druck auf Brasilien aus und auf Bustani selbst, indem sie ihm "finanzielles Mißmanagement", "Demoralisation seiner Mitarbeiter", "Parteilichkeit" und schädliche eigenmächtige Initiativen vorwarfen und seinen Rücktritt forderten. Auch ein US-Antrag im März, Bustani das Mißtrauen auszusprechen, fand in der OPCW zunächst keine Mehrheit. Die USA drohten daraufhin ihre Beitragszahlung an die Organisation einzustellen. Die Europäer zogen es in ihrer Sorge, die USA könnten die Konvention ganz verlassen, vor, diesen Angriff auf die Unabhängigkeit der Organisation durchgehen und Bustani fallen zu lassen. Schon im Vorfeld hatten Deutschland, Großbritannien, Japan und Italien, die ebenfalls einen großen Anteil zum OPCW-Budget beisteuern, den USA ihre Unterstützung zugesichert. (4)
Die USA haben die Vorwürfe nie konkretisiert. Es stimmt, daß die OPCW in einer finanziellen Krise steckt, dies aber, weil vor allem die USA ihre Beiträge schuldig blieben, immerhin 22 Prozent des OPCW-Budgets von derzeit knapp 60 Millionen Dollar. Eine Rechnungsprüfung der Organisationskonten hatte vor kurzem alles in bester Ordnung befunden.(5)
Der Vorwurf der Parteilichkeit hatte sich Bustani zugezogen, weil er angeblich bestimmte Länder – neben den USA auch Japan, Italien und Deutschland – besonders eifrig unter die Lupe genommen hätte. Richtig ist, daß die OPCW hartnäckig versuchte, die USA denselben rigorosen Kontrollen zu unterwerfen wie die anderen Staaten auch. Die USA hatten Inspektoren immer wieder den Zutritt zu bestimmten Einrichtungen verweigert und einigen aus nicht genehmen Ländern die Einreise gänzlich verweigert. Mittlerweile haben die USA – in grober Verletzung der Chemiewaffenkonvention – spezielle Gesetze erlassen, die es dem Präsidenten gestatten, unangekündigte Inspektionen jeder Zeit zu untersagen, sowie die Entnahme von Proben verdächtiger Substanzen zur Untersuchung in unabhängigen Laborszu verbieten.
Als "schädliche Initiative" und Kompetenzüberschreitung schließlich wurdenin den USA die Bemühungen gewertet, den Irak zum Beitritt zur Konvention zu bewegen. Bislang hatten die arabischen Staaten und der Iran ihre Unterschrift unter derC- Waffenkonvention von der Zustimmung Israels abhängig gemacht. Ein solcher Beitritt könnte für den Irak aber durchaus Vorteile bringen. Während die vom Sicherheitsrat eingesetzten Kommissionen vorwiegend aus westlichen Militärs und Rüstungsexperten bestanden und, wie mittlerweile bekannt ist, auch Spionagetätigkeiten ausführten, wäre Bagdad dann denselben Inspektionen unterworfen wie alle anderen Mitgliedstaaten, durchgeführt von Teams, die sich den Ruf der konsequenten Unparteilichkeit erworben haben. Eine solche konstruktive Lösung des Konflikts mit der UNO liegt für den Irak in der Tat recht nahe. Bereits 1998, als die erste Rüstungskontrolleure von UNSCOM auf Geheiß der USA aus dem Irak abgezogen worden waren, hatte der Irak der OPCW gestattet, die Zerstörung der gefundenen Waffen zu vollenden. Im Februar hatte Bagdad formell erklärt, auf den Besitz von C-Waffen künftig zu verzichten.(6)
Den USA, deren Geheimdienste davon ausgehen, daß der Irak nicht wieder aufgerüstet hat, käme eine solche Entwicklung äußerst ungelegen. Sie hätten, wenn solche Inspektionen tatsächlich keine Hinweise auf Besitz oder Produktion von chemischen Waffen finden würden, große Mühe den geplanten Krieg gegen den Irak zu rechtfertigen.
Mißtrauen aus ähnlichem Grund hegen die Falken innerhalb der US-Regierung offensichtlich auch gegen Hans Blix, den Chef des neuen UN-Inspektionsteams für den Irak, UNMOVIC. Wie die <I>Washington Post<I> unlängst enthüllte, hatte der stellvertretende Verteidigungsminister Paul D. Wolfowitz Anfang des Jahres die CIA beauftragt, den schwedischen Diplomaten unter die Lupe zu nehmen, offensichtlich in der Hoffnung, Munition zu finden, um seine Stellung unterminieren zu können. (7)
Die Vorbehalte gegen Blix rühren aus dessen früherer Tätigkeit als Chef der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO), die zuständig für die Beseitigung des irakischen Atomwaffenprogramms war und die Arbeit 1997 gegen den Willen der USA als abgeschlossen erklärt hatte.
In Interviews hatte Blix angekündigt, er würde, falls sie ihre Arbeit aufnehmen könnten, die umstrittenen Methoden der Vorgängerkommision UNSCOM, wie z.B. Abhörmaßnahmen, nicht übernehmen. "Wir sehen unser Mandat nicht darin, zu demütigen, zu schikanieren oder zu provozieren."
Die Befürworter eines Angriffs auf den Irak befürchten ernsthaft, daß ein Einlenken Bagdads ihnen bei ihren Kriegsvorbereitungen in die Quere kommen könnte und der schwedische Diplomat sich nicht als so kooperativ erweisen würde, wie der letzte UNSCOM Chef Richard Butler. Dieser hatte erfolgreich verhindert, daß UNSCOM, wie die IAEO ihre Arbeit als erfolgreich abgeschlossen erklärte und lieferte statt dessen mit einem eigenen Bericht den USA einen Vorwand für den viertägigen Luftkrieg Ende 1998. Der Alptraum der Falken sei, so die Washington Post, daß der Irak Inspektionen wieder zuläßt, diese nicht sehr energisch wären und nichts finden würden.
Hans Blix lenkte mittlerweile ein und kam in neuen Äußerungen den US-Erwartungen entgegen. Am Tag nach dem oben genannten Bericht der Washington Post teilte Blix dem Blatt z.B. mit, sein Ansatz wäre, die "Beweispflicht", dafür daß er keine Massenvernichtungswaffen mehr entwickle, dem Irak aufzubürden.(8) Ein Beweis allerdings, der praktisch unmöglich zu erbringen ist.
Sie würden auch die Unterstützung der Geheimdienste verschiedener Länder annehmen, so Blix weiter, und wenn der Irak nicht "alle Türen öffnen" und "in jeder Hinsicht" kooperieren würde, so würden sie ihre Arbeit sofort einstellen. Der Irak solle auch keinen Einfluß auf die nationale Zusammensetzung der Inspektionsteams haben, ein Ausschluß US-amerikanischer Inspektoren käme nicht in Frage.
Wenn der Zeitpunkt der Kampagne gegen José Bustani auch nahelegt, daß sie vor allem im Zusammenhang mit der aggressiven Irak-Politik der USA gesehen werden muß, so fügt sie sich auch in eine Reihe anderer Maßnahmen ein, die zum einen darauf abzielen, die Kontrolle über UN-Organe zu stärken. So sorgten die USA praktisch gleichzeitig mit Bustani auch für die vorzeitige Absetzung des Vorsitzenden der Klimakontrollkommission der UNO, Robert Watson.(9) Zum anderen verdeutlicht die gesamte Politik bzgl. der Organisation zum Verbot chemischer Waffen, wie auch dem geplanten Zusatzprotokoll zur B-Waffen-Konvention, die gewachsene Abneigung gegenüber solche Abkommen zu Rüstungskontrolle.
Im Falle biologischer und chemischer Waffen könnte ein Grund für die Gegnerschaft auch mögliche neue technischen Möglichkeiten bei der Entwicklung und dem Einsatz solcher Kampfstoffe sein. Bisher galten diese Waffen zwar als potentiell höchst gefährlich, aber auch unter Gefechtsbedingungen schwer einsetz- und kontrollierbar, mit erheblichen Risiken für die eigenen Truppen. Die Genmanipulation und die Entdeckung von Mikroorganismen könnten die Entwicklung zielgenauerer, einfacher zu handhabenden und noch giftigeren Substanzen ermöglichen, die sie für den praktischen Einsatz tauglicher machen.
Die New York Times hatte am 4. September 2001 ausführlich über einige s: eit Jahren geheimgehaltenen B-Waffen-Forschungsprogramme der USA berichtet. Verständlich daß sich die Amerikaner dabei nicht in die Karten schauen lassen wollen. Die prinzipielle Reduzierung oder gar Abschaffung von Massenvernichtungswaffen liegt nicht im Bestreben Washingtons. Im Gegenteil. Die US-amerikanische Politik zielt einzig darauf, zu bestimmen, wer über welche verfügen darf und wer nach Möglichkeit waffenlos den Begehrlichkeiten der USA und seiner Verbündeter ausgesetzt bleiben soll.
Joachim Guilliard
Heidelberg, 26.4.2002
Siehe auch die Auszüge von José Bustanis Verteidigungsrede vor den Repräsentanten der Mitgliedsstaaten. Die Süddeutsche Zeitung hingegen übernahm die US-Version. Bustanis Fall