Gesten der Versöhnung am Golf – Krieg in Palästina
Trotz Gegenwind versuchen die USA den Weg für einen Krieg gegen den Irak zu ebnen
von Joachim Guilliard
Stark behindert von der Eskalation israelischer Besatzungspolitik in Palästina, bereiten die USA nach wie vor konsequent ihren Feldzug gegen den Irak vor. Wenn auch ihr Bemühen, Verbündete vor Ort zu gewinnen, langsam Früchte trägt, weht ihnen auf ihrem Kriegskurs immer noch heftiger Gegenwind entgegen.
Diplomatische Erfolge des Iraks ...
So drückte der Gipfel der arabischen Liga in Beirut am Ende einen überraschend geschlossen Widerstand der arabischen Staaten gegen die Kriegspläne der USA aus. Die Kameras zeigten Umarmungen des irakischen Vertreters Issat Ibrahim und des saudischen Kronprinzen Abdullah. In einer versöhnlichen Geste schüttelten unter dem Applaus der übrigen Gipfelteilnehmer auch der kuwaitische Außenminister Scheich Sabah al-Ahmad al-Sabah und Ibrahim die Hände, nachdem beide Länder ein Abkommen unterzeichnet hatten, indem sie sich gegenseitig die Achtung der Unabhängigkeit, Souveränität und territorialen Integrität zusichern.
In der Abschlusserklärung des Gipfels verurteilten die anwesenden arabischen Führer die "Angriffsdrohungen gegenüber einigen arabischen Staaten, insbesondere dem Irak". Sie versicherten jeden Angriff auf den Irak, sowie jede Bedrohung der Sicherheit eines arabischen Staates als Bedrohung der nationalen Sicherheit aller arabischen Staaten zu betrachten und forderten die Aufhebung der von der UNO gegen den Irak verhängten Sanktionen. Auch Bahrein, immerhin Basis der US-Marine am Golf, irritierte die US-Führung mit der Ankündigung, in Kürze wieder einen Botschafter nach Bagdad entsenden zu wollen.
Bereits auf seiner Rundreise in der Region im März, wo er für Unterstützung für die Kriegspläne seiner Regierung warb, war der Vizepräsident der USA Dick Cheney mit deutlicher Ablehnung konfrontiert worden. Alle Gesprächspartner hatten ihm zu verstehen gegeben, dass sie die israelische Besatzungspolitik im Moment als ein wesentlich dringlicheres Problem ansehen, als mögliche Waffensysteme des Iraks.
Cheney fühlte sich sehr bald gemüßigt, die Kriegsabsichten seiner Regierung herunterzuspielen, was ausgerechnet beim NATO-Partner Türkei zum Eklat führte. Nachdem auch die türkischen Gesprächspartner ihre Bedenken geäußert hatten, teilte der türkische Ministerpräsident Bülent Ecevit auf der anschließenden Pressekonferenz mit, daß der US-Vize im versichert hätte, es würde in absehbarer Zeit keinen Angriff auf den Irak geben. Cheney verließ darauf wütend die Konferenz.
... und US-amerikanischer Druck
Wenn auch die überraschend klare Abweisung ihrer Kriegspläne durch Verbündete wie Kuwait und Saudi Arabien einen empfindlicher Rückschlag für die USA bedeutete, gibt es auch Anzeichen, dass die Rundreise von Cheney in der Region im März nicht so erfolglos war, wie es zunächst den Anschein hatte. So vermuten Beobachter, daß das überraschende Fehlen der Staatschefs von Ägypten, Jordanien, Katar, Oman und den Arabischen Emiraten auch bedeuten könnte, dass diese engen Verbündeten der USA, trotz verbaler Ablehnung eines Irak-Krieges, Cheney insgeheim ihre Unterstützung zusicherten und daher keine offizielle Gipfelresolution dagegen unterzeichnen wollten.
Zudem bleibt fraglich, ob der diplomatische Erfolg des Iraks bezüglich Kuwaits, angesichts der Abhängigkeit des Landes von den USA in der Praxis viel wert sein wird. Unklar ist schon, wie das Land die Zusicherung von "Sicherheit und territoriale Integrität" gegenüber dem Irak mit den von seinem Boden aus durchgeführten britisch-amerikanischen Lufteinsätze über dem Süden des Iraks in Einklang bringen will.
Immerhin deutet die kuwaitische Unterschrift unter die gemeinsame Erklärung – fast 12 Jahre nachdem das Scheichtum vom Irak annektiert worden war – darauf hin, dass auch die kuwaitische Herrscherfamilie in einem erneuten Krieg beträchtliche Risiken für die Stabilität der Region sieht.
Doch Kuwait gilt als unverzichtbar für einen US-Angriff auf den Irak und der Guardian gab unlängst – allerdings unbestätigte – Berichte wieder, dass die USA in aller Stille ihre Truppenstärke in Kuwait bereits auf 25.000 bis 35.000 Mann und Frau erhöht hätten.(1)
Die unnachgiebig ablehnende Haltung Saudi Arabiens wiegt sicherlich wesentlich schwerer. Wenn auch US-Strategen einen Krieg gegen den Irak ohne saudische Unterstützung für möglich halten, würde dadurch ein Angriff ungleich schwieriger. Im Golfkrieg war schließlich die Hauptstreitmacht der Allianz entlang der langen irakisch-saudischen Grenze zusammengezogen worden und einmarschiert. Folgerichtig sind die USA nun dabei einerseits den Druck auf Riad zu steigern und sich gleichzeitig militärisch unabhängiger von der Ölmonarchie zu machen.
So haben die USA begonnen, umfangreiche militärische Ausrüstung von Saudi Arabien nach Katar zu verlegen, mehrere Firmen von den USA eingeladen worden, Angebote für den kompletten Umzug des Kommandozentrums der Prinz Sultan Luftwaffenbasis nach Katar in die Luftwaffenbasis Al Udeid zu machen. Auch die Armee wolle auf Al Udeid eine Abteilung einrichten, sagte ein Unternehmer, der bei dem Bieterwettbewerb beteiligt ist.(2)
Die Luftwaffenbasis Al Udeid in der Nähe von Doha ist eine der modernsten Anlagen am Golf, mit riesigen Hangars und den längsten Start- und Landebahnen der Region, die somit die Luftwaffenbasis in Saudi-Arabien durchaus ersetzen könnte. Letztere war zwar ebenfalls erst vor kurzem mit neuester Technik ausgerüstet und ausgebaut worden, konnte aber aufgrund saudischer Vorbehalte weder für die regelmäßigen Angriffe auf Ziele im Südirak – in der sogenannten "Flugverbotszone" – noch für den Krieg gegen Afghanistan so richtig genutzt werden.
Der Abzug militärischer Ausrüstung aus Saudi Arabien bedeutet selbstverständlich noch keinen Bruch in den schon länger angespannten Beziehungen zwischen der USA und Riad. Er soll wohl vor allem – wie auch sich abzeichnende Kürzungen von Waffenlieferungen (3) – den führenden Kreisen der Golfmonarchie die Konsequenzen einer anhaltenden Ablehnung US-amerikanischer Wünsche drastisch vor Augen halten. War doch bisher die militärische Präsenz der USA auch ein Garant für den Fortbestand der Herrschaft des saudischen Königshauses. Dieses muß aber auch auf die zunehmend gegen die USA gerichtete Stimmung im Lande – nicht nur unter der Bevölkerung sondern auch in den höchsten Kreisen der Armee – Rücksicht nehmen.
Beim mehrtägigen Besuch Abdullahs in den USA Ende April hat sich das Klima zwischen den Regierungen wohl verbessert. Über die Inhalte der Gespräche bezüglich des Iraks drang allerdings nichts nach draußen. Nach wie vor beharrt der saudische Kronprinz offensichtlich auf die vordringliche Behandlung des Nahostkonflikts.
Unterstützung für einen Militärschlag benötigen die USA auch von zwei weiteren Ländern. So muß Ägypten US-Kriegsschiffen die Durchfahrt durch den Suezkanal gestatten und die Türkei Luftwaffenstützpunkte zur Verfügung stellen. Angesichts der großen Bedeutung der US-amerikanischen Militär- und Wirtschaftshilfe für diese Länder, sehen US-Strategen gemäß "Foreign Affairs" hier ebenso wenig Probleme wie im Falle Kuwaits.(4) Diese Länder würden ihren momentanen Widerstand schnell aufgeben, wenn es ernst werden würde, ebenso die kleinen Golfmonarchien. Generell würden sich viele Länder den USA anschließen, sobald sie sehen würden, dass ein Krieg gegen den Irak unausweichlich sei und Aussicht auf Erfolg habe – denn nur so könnten sie sich ein gewisses späteres Mitspracherecht sichern.
Unterstützung auch aus Deutschland?
Diese Überlegungen scheinen auch die Haltung der deutschen Regierung zu bestimmen. Im Gegensatz zur Mehrheit der arabischen Staaten hat sie sich zu keinem Zeitpunkt definitiv gegen einen Krieg ausgesprochen. Während der Außenminister immerhin seine "große Skepsis" gegenüber einer Ausweitung des US-Feldzuges auf den Irak ausdrückte, stört den Kanzler nur das fehlende Mandat des UN-Sicherheitsrates.
Gemäß der Financial Times Deutschland vom 28.3.2002 ist die einzige Sorge im Kanzleramt und den Fraktionen von SPD und Grünen, dass die USA noch vor den Wahlen am 22. September angreifen könnten. Vor allem für die Grünen könnten die zu Kriegsteilnehmer werdenden Bundeswehreinheiten in Kuwait und am Horn von Afrika das Ende ihrer Regierungszeit bedeuten.
Drei Viertel der Deutschen lehnen nach dem Bericht der Zeitung einen Militärschlag gegen den Irak ab. "Für die Bevölkerung ist das überhaupt nicht nahe liegend" wird Oliver Krieg, ein Meinungsforscher von Emnid, zitiert. Zumal weder Medien noch Parteien vermittelt hätten, dass eine unmittelbare Bedrohung von Bagdad ausgehe. "Das wird uns Stimmen kosten", habe der SPD-Abgeordnete Christoph Moosbauer dem Blatt zu Folge gestöhnt. Bereits wegen des Afghanistan- Krieges seien in München, wo sich Moosbauer um ein Direktmandat bemüht, Hunderte von Genossen ausgetreten.(5)
Kriegsvorbereitungen – auf dem Weg zur globalen Despotie
Aus dieser Richtung droht für die Regierungskoalition allerdings kaum Gefahr, da mit einem Angriff nicht vor Jahresende zu rechnen ist, wie auch die New York Times in einem ausführlichen Bericht zum Stand der Kriegsvorbereitungen ausführte. Die Pläne des Pentagon sehen nun eine lange Phase schwerer Luftangriffe vor, gefolgt vom Einmarsch von Bodentruppen, wobei der Einsatz von bis zu 250.000 Soldaten erwogen wird. Alle Strategien, die auf einen Umsturz im Irak mit Hilfe bewaffneter oppositioneller Kräfte im Inneren orientiert hätten, seien verworfen worden. Weder ein Putsch noch ein bewaffneter Kampf lokaler Oppositionskräfte unterstützt durch Luftangriffe – analog zum Vorgehen in Afghanistan – könne zu einem Regimewechsel führen.(6) Allein die Aufstellung einer solchen Streitmacht, mit der gerade erst begonnen worden ist, wird aber Monate dauern.
In der Zwischenzeit bereiten die USA den Angriff auch auf diplomatische Ebene vor. Wichtigstes Anliegen dabei ist, jede Lösung des Konflikts um potentielle irakische Massenvernichtungswaffen auf dem Verhandlungswege zu verhindern. Vor allem aus diesem Grunde ist vor kurzem – auf Druck der USA – der Generaldirektor der Überwachungsorganisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW), der Brasilianer Jose Bustani, vorzeitig aus seinem Amt entfernt worden – ein bis dato einmaliger Vorgang in der Geschichte der UNO. Der britische Guardian bezeichnete das Vorgehen der US-Regierung gegen Bustani als "Staatsstreich".(7) Dem international geachteten und auch vom US-Außenminister ein Jahr zuvor noch gelobten UNO-Diplomaten hatte die US-Führung vor allem eigenmächtige und schädliche Initiativen vorgeworfen. Bustani hatte sich intensiv darum bemüht, den Irak zum Beitritt zur Chemiwaffenkonvention zu bewegen. Ein Schritt, den dieser, wie alle arabischen Staaten, bisher von der Unterschrift Israels abhängig macht, aber für ihn sehr vorteilhaft sein könnte. Während die vom Sicherheitsrat eingesetzten Kommissionen vorwiegend aus westlichen Militärangehörigen und Rüstungsexperten bestanden und – wie mittlerweile bekannt – auch Spionagetätigkeiten ausführten, wäre Bagdad dann den einheitlichen Inspektionen von Teams unterworfen, die sich den Ruf der konsequenten Unparteilichkeit erworben haben. Bereits 1998, als die erste Rüstungskontrolleure von UNSCOM auf Geheiß der USA aus dem Irak abgezogen worden waren, hatte der Irak der OPCW gestattet, die Zerstörung der gefundenen Waffen zu vollenden. Im Februar hatte Bagdad formell erklärt, auf den Besitz von C-Waffen künftig zu verzichten.
Den USA, deren eigene Geheimdienste davon ausgehen, daß der Irak nicht wieder aufgerüstet hat, käme eine solche Entwicklung äußerst ungelegen. Sie hätten, wenn solche Inspektionen tatsächlich keine Hinweise auf Besitz oder Produktion von chemischen Waffen finden würden, große Mühe den geplanten Krieg gegen den Irak zu rechtfertigen.(8)
Misstrauen aus dem selben Grund hegen die US-Falken offenbar auch gegen Hans Blix, den Chef des neuen UN-Inspektionsteams für den Irak, UNMOVIC. Wie die Washington Post unlängst enthüllte, hatte der stellvertretende Verteidigungsminister Paul D. Wolfowitz Anfang des Jahres die CIA beauftragt, den schwedischen Diplomaten unter die Lupe zu nehmen, offensichtlich in der Hoffnung, Munition zu finden, um seine Stellung unterminieren zu können.
Die Vorbehalte gegen Blix rühren aus dessen früherer Tätigkeit als Chef der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO), die zuständig für die Beseitigung des irakischen Atomwaffenprogramms war und die Arbeit 1997 gegen den Willen der USA als abgeschlossen erklärt hatte.
In Interviews hatte Blix zudem angekündigt, er würde, falls sie ihre Arbeit aufnehmen könnten, die umstrittenen Methoden der Vorgängerkommision UNSCOM, wie z.B. Abhörmaßnahmen, nicht übernehmen. "Wir sehen unser Mandat nicht darin, zu demütigen, zu schikanieren oder zu provozieren." Auch hierin sehen die USA ein Gefahr, sollte der Irak Blix Kommission ins Land lassen. (9)
Hans Blix hat allerdings eingelenkt und versichert nun den USA, eine harte Gangart bei den Kontrollen zu fahren, sollte der Irak sie zu lassen. Die US-Regierung ficht dies aber zunehmend weniger an: Colin Powell machte am 5.5. deutlich, dass sie "unabhängig was Inspektoren tun werden" sich vorbehält alles zu tun, "was ihr angemessen erscheint" um die irakische Regierung zu beseitigen. (10)
Haupthindernis: der israelisch-palästinensische Konflikt
Neben dem Krieg in Afghanistan der noch deutlich mehr Kräfte bindet, als sich die US-Führung erhoffte, wird aber vor allem die Situation in Palästina den USA noch einiges Kopfzerbrechen bereiten. Solange der Krieg Israels gegen die Bevölkerung in den besetzten Gebieten anhält, können sie auch von den arabischen Staaten, die prinzipiell dazu bereit wären, kaum Unterstützung erwarten.
Für eine konsequente Politik gegen die Eskalation des Konflikts durch die israelische Regierung, konnte sich die US-Regierung allerdings bisher nicht durchringen: viel zu sehr sympathisieren die US-amerikanischen Falken mit dem militärischen Vorgehen Scharons und viel zu eng sind die US-amerikanischen Interessen mit denen Israels verwoben.
So versuchten die USA zwar vor der Rundreise von US-Vizepräsident Cheney dessen Kriegswerben mit einer UN-Resolution den Weg zu ebnen, die von der "Vision" eines palästinensischen Staates sprach. Sie mußten aber erkennen, daß mit halbherzigen Lösungsansätzen die arabischen Führer nicht mehr zu ködern sind. Weit davon entfernt, das ebenfalls auf dem Gipfel in Beirut verabschiedete Friedensangebot an Israel zu unterstützen, ließen sie daraufhin Israel weitgehend freie Hand zur Wiederbesetzung der palästinensischen Autonomiegebiete. Einzig bei der Dauer der Aktion und dem Umgang mit Arafat und dessen Autonomiebehörde scheinen die USA den Israelis Grenzen gesetzt zu haben.
Die USA brauchen, gerade Angesichts des Zögerns der arabischen Staaten, für einen Krieg gegen den Irak die volle Unterstützung Israels. Auch darum ist ein größeres Entgegenkommen der USA gegenüber den Arabern in der Palästinafrage nicht zu erwarten. Die USA bauen nun offenbar darauf, dass Israel den palästinensischen Widerstand in absehbarer Zeit militärisch brechen und zumindest eine Zeitlang wieder eine gewisse Ruhe herstellen kann.
So bestimmt die Entwicklung des israelischen-palästinensischen Konflikts auch die Ausweitung des US-amerikanischen Feldzuges "gegen den Terror" und zählt die palästinensische Bevölkerung zu den ersten Opfern.
Dem Irak dagegen könnten die erheblichen Probleme, die sich dem Kriegskurs der USA entgegenstellen, noch eine längere Atempause verschaffen.
Joachim Guilliard,
Mitherausgeber des Buches, Der Irak - Ein belagertes Land, PapyRossa Verlag, Köln 2001
Heidelberg, 7.5.2002
(Erscheint etwas gekürzt in ak - analyse & kritik (http://www.akweb.de), Zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 462)